Gegen die Logik einer Welt, die ihre Verheißung unter die Bedingungen der Unterwerfung unter den totalen Markt stellt, fordert Hinkelammert eine Ethik der konkreten und endlichen, der körperlichen Subjekte. „Diese Ethik, die auf Gerechtigkeit gegründet ist, drückt das Allgemeinwohl aus. Allgemeinwohl ist aber nicht identisch mit dem Allgemeininteresse, von dem die Tradition des Wirtschaftsliberalismus spricht. Hinkelammert beschreibt mit scharfem Blick eine Moderne, die im Namen eines vermeintlichen „Allgemeininteresses“ in Kauf nimmt, Verwüstung und Elend zu produzieren, die Notwendigkeit von Kriegen zu begründen und Umweltzerstörung wissentlich voranzutreiben. Er kommt zu dem vernichtenden Urteil: die Moderne und ihre Vordenker haben längst ihre Fähigkeit zur Selbstreflexivität verloren und können deshalb nur gegen sich selbst gerettet werden.“ Dies schreibt Michael Ramminger in seinem Vorwort zu Hinkelammerts Buch: „Das Subjekt und das Gesetz“.
Hinkelammert erinnert daran, dass die „heutige Globalisierungsstrategie“ ohne den christlichen, apokalyptischen Fundamentalismus und den Fundamentalismus der „Theologie der Prosperität“ nicht die Wucht hätte, mit der sie vor allem in den USA auftritt. Er betont, dass das neoliberale System sogar eine Spiritualität der Unterdrückung entwickelt habe und längst versteht, sich mythische und religiöse Traditionen zu Nutze zu machen.
Dagegen steht die vor 40 Jahren in Lateinamerika entstandene „Theologie der Befreiung“. Sie schockierte traditionelle Religiosität damit, dass sie in der christlichen Überlieferung einen Gott entdeckte, für den das höchste Wesen für den Menschen der Mensch selbst ist und in dieses Gottes Namen „alle Verhältnisse umzuwerfen sind“, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Die Theologie der Befreiung suchte bewusst die Zusammenarbeit mit Linken im Sinne des Marxistischen Humanismus, was zu konstruktiver politischer Zusammenarbeit führte. Das forderte Interventionen des Vatikans heraus. Vertreter der Theologie der Befreiung werden seitdem nicht nur kritisiert, sondern auch verfolgt.
Weil der neue Papst sich bemüht, seine Kirche theologisch und politisch neu zu formieren und gesellschaftlich konservativ zu positionieren, ist die Folge die verschärfte Konfrontation mit der Befreiungstheologie.
In dem Seminar mit Franz Hinkelammert und Michael Ramminger gab es Gelegenheit, sie nicht nur auf die jahrzehntelange Erfahrung konstruktiver Zusammenarbeit von Linken und Vertretern der Befreiungstheologie zu befragen, sondern auch die Notwendigkeit dieser Kooperation heute zu diskutieren.
Franz Hinkelammert ist Ökonom, Sozialphilosoph und Theologe. Er war Professor an der katholischen Universität Santiago de Chile während der sozialistischen Volksfrontregierung Allendes und arbeitete in Costa Rica am Ökumenischen Forschungszentrum DEI. Für sein Werk hat er 2006 den erstmalig ausgelobten Preis Premio Libertador al Pensamiento Critico der venezuelanischen Regierung erhalten.
Michael Ramminger ist Theologe am Institut für Theologie und Politik in Münster.
Die Moderation übernahm Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann.
Hintergrundtexte
Franz Hinkelammert: Das Spiel der Verrücktheiten: Ephigenie, Paulus und das kritische Denken.
- Michael Ramminger: Die katholische Kirche im Konflikt - die Herausforderungen der Theologie des Abendlandes durch die Theologie der Befreiung
Jan Rehmann (25.08.2008, Thema Seite 10): Kritik des Jammertals - Zum 40. Geburtstag der Befreiungstheologie: Für eine ideologietheoretische Aktualisierung marxistischer Religionskritik.