Documentation Total verplant?

Wochenend-Workshop zu Plan und Markt: In der Theorie, dem Realsozialismus und anderswo

Information

Date

27.06.2008 - 28.06.2008

With

Kerstin Bischl, Malte Daniljuk, Bernd Gehrke, Ralf Hoffrogge, Renate Hürtgen, Michael Krätke, Silke Meyer, Norbert Peche, Reinhart Kößler, Herbert Rubisch, Thomas Sablowski, Maya Soboleva, Klaus Steinitz, Ingo Stützle, Anne Steckner, Matthias Werner

Themes

Demokratischer Sozialismus, Gesellschaftstheorie, Jugendbildung

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Wenig Einigkeit herrschte unter den TeilnehmerInnen der Konferenz „Total verplant“. Kaum verwunderlich bei Fragen, wie: Muss ein Plan den Markt ersetzen? Was bedeutete der
"Marktsozialismus"? Was sind überhaupt "Planung" und "Markt"? Warum sind die Planwirtschaften gescheitert? Wo könnte der Platz eines linken Planungskonzeptes zwischen den eher technokratisch anmutenden Vorstellungen des "Computersozialismus" und den Vorstellungen eines unendlich scheinenden basisdemokratischen Abstimmungsprozesses einer "partizipativen Ökonomie" nach M. Albert zu finden sein? Wie hängen Planung und Wirtschaftsdemokratie zusammen?

Sich nach dem Scheitern bisheriger Projekte des real existierenden Sozialismus wieder an das Instrument der Planwirtschaft zu wagen, seine Tücken und Chancen auszuloten ist die Herausforderung dieses Wochenendes gewesen. Bei allen Unterschieden zwischen den TeilnehmerInnen war jenen aber eine Sache gemein, die sie in dieser Konstellation an einen Tisch brachte: die Unzufriedenheit mit der aktuellen Wirtschaftsform und dessen politischer Navigation.

Die Veranstaltung begann mit einer Diskussion zwischen den TeilnehmerInnen und Menschen, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln Planwirtschaft erlebt und gestaltet haben. Als World Cafe konzipiert konnten sich die TeilnehmerInnen auf unkonventionelle Art mit der Realität einer Variante der Planwirtschaft bekannt machen. Zu den GesprächspartnerInnen gehörten WissenschaftlerInnen (darunter auch VertreterInnen der linken DDR-Opposition), ein ehemaliger Mitarbeiter der Staatlichen Plankommission der DDR, ein ehemaliger Betriebsdirektor und ein ehemaliger Mitarbeiter des ZK der SED. Viele der Fragen, die hier bereits diskutiert wurden, spielten auch im weiteren Verlauf der
Veranstaltung eine wichtige Rolle.

Weiter im Veranstaltungsbericht von Lutz Brangsch.


Programm

Freitag, 27. Juni 2008

17.00 – 19.00 Uhr 

 

World Café – Was war und wie funktionierte Planwirtschaft?

Wieso sich noch damit beschäftigen?

Mit: Bernd Gehrke, Renate Hürtgen, Norbert Peche, Herbert Rubisch, Klaus Steinitz, Matthias Werner.

19.00 – 19.30 Uhr

 

Pause

19.30 – 21.30 Uhr

 

Theoretische Debatten um Vergesellschaftungsweisen zwischen Markt und Plan

Anarchie des Marktes, Rationalität des Plans und Despotie des Betriebs

Reinhart Kößler (Professor am Institut für Soziologie in Münster, Senior Research Fellow am Arnold Bergstraesser Institut, Freiburg i.Br.)

„Von der Unmöglichkeit, den Wert zu messen....“
Zur Verwendung Marx’scher Kategorien in der jüngeren Planungsdiskussion um die sog. Äquivalenzökonomie (u.a. Dieterich etc.)

Ingo Stützle (RLS-Promovend, Mitherausgeber von „Das Kapital neu lesen“, Dampfboot Verlag)

Was hat der Markt im Sozialismus zu suchen?

Michael Krätke (Wirtschaftsprofessor Universität Amsterdam)

Moderation:
Kerstin Bischl (externer Link in neuem Fenster folgtreflect! Assoziation für pol. Bildung und Gesellschaftsforschung)

Samstag, 28. Juni 2008

10.00 – 11.00 Uhr

 

Modelle und Visionen

Ein konkretes Modell: „Das reine Rätesystem“ des Linkssozialisten Richard Müller (1880-1943)

Ralf Hoffrogge (externer Link in neuem Fenster folgtreflect! Berlin)

Aleksandr Bogdanovs „Allgemeine Organisationslehre“

Maya Soboleva (Institut für Philosophie der Philipps-Universtität Marburg)

Moderation: Christian Schmidt (Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig)

11.00 – 11.30 Uhr

 

Pause

11.30 – 13.30 Uhr

 

historische Erfahrungen

War die Planung schuld am Scheitern des Realsozialismus? - Probleme und Erfahrungen in der DDR

Klaus Steinitz (Helle Panke)

Plan, Markt und Arbeiterselbstverwaltung - Dissidenz in Osteuropa

Bernd Gehrke (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam)

„Das Ende vom Plan?“ - Planwirtschaftliche Realitäten in der SU

Kerstin Bischl (externer Link folgtreflect! Berlin)

Moderation: Sabine Nuss (Rosa-Luxemburg-Stiftung, PROKLA Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft)

13.30 – 14.30 Uhr

 

Pause

14.30 – 16.00 Uhr

 

aktuelle Praxen und Debatten

„Sozialismus im 21. Jahrhundert“ in Lateinamerika. Kritische Bestandsaufnahme der Wirtschaftskonzepte in Venezuela

Malte Daniljuk (Journalist)

Mythos Freie Software – Produktion jenseits von Markt und herrschaftsfrei? Ausschlussmechanismen über race und gender

Silke Meyer (RLS-Promovendin, reflect! Berlin)

Wie zivilisiert ist die Zivilisierung des Kapitalismus, wie sozialistisch die sozialistische Marktwirtschaft?

Thomas Sablowski (Universität Marburg, PROKLA Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft)

Moderation: Lars Bretthauer (RLS-Promovend, externer Link in neuem Fenster folgtreflect! Berlin)

16.00 - 16.15 Uhr

 

Pause

16.15 - 17.00 Uhr

 

„Theorie und Praxis – Was nehmen wir mit?“

Anne Steckner (Referentin für politische Bildung beim DGB)

Das World Café [1]

Was war und wie funktionierte Planwirtschaft? Wieso sich noch damit beschäftigen?

Die GesprächspartnerInnen


Klaus Steinitz (Ökonom, Professor, Seit 1948 SED-Mitglied, 13 Jahre tätig in der staatl. Plankommission der DDR, 1980-1989 stellvertretender Leiter des Zentralinstituts für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW), Korrespondierendes Mitglied der AdW, Mitglied der Leibniz-Sozietät, 1990 März bis Oktober) Abgeordneter der Volkskammer), 1990-1993 Mitglied Parteivorstand der PDS, 1990-2003 Sprecher der AG Wirtschaftspolitik, gegenwärtig Vorsitzender der Hellen Panke)

Bernd Gehrke (Politökonom und Zeithistoriker; wiss. Oberassistent an der Akademie der Wissenschaften der DDR, SED-Ausschluss und Berufsverbot wegen oppositionell-sozialistischer Aktivitäten, 1989 Mitverfasser der Programmatik der Initiative für eine vereinigte Linke; Teamer in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, Projektgruppe Opposition und Repression am Zentrum für Zeithistorische Forschungen Potsdam, AK Geschichte von unten Ost/West im Haus der Demokratie und Menschenrechte)

Matthias Werner (1966 bis 1971 Studium der Betriebswirtschaft in Rostock von 1971 bis 1974 ökonomische Tätigkeit im SKET Magdeburg, Abteilung „Langfristige Planung“; nach der Promotion an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften tätig als Sekretär für Wirtschaftspolitik im SKET, im SKL und im Kombinat Getriebe und Kupplungen sowie in verschiedenen Funktionen im Stadtbezirk Magdeburg-Südost; 1988 bis 1990 Sektorenleiter Schwermaschinenbau in der Abteilung Maschinenbau/Metallurgie im ZK der SED)

Renate Hürtgen (DDR-Opposition, Referentin für Kultur an der Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst, Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften, Bereich Philosophiegeschichte (1980-1990), nach 1990 verschiedene Projekte und ABM, Themen: Transformationsprozesse, Aufbau von Gewerkschaften, Frauen, DDR-Geschichte, Betriebsalltag in der DDR, zuletzt am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam e.V. (1998-2007). Arbeitet z.Zt. an einem Buch über "Angestellte im DDR-Industriebetrieb")

Norbert Peche (Zu DDR Zeit Mitarbeiter und Bereichsleiter am Zentralinstituts für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1989-1990 erster gewählter Direktor dieses Instituts, zur Zeit Wirtschafts und Politikberater)

Herbert Rubisch (Betriebsdirektor in verschiedenen Industriebetrieben: Dampferzeugerbau, Rechentechnik bei Robotron, zuletzt Technischer Direktor: Datenverabeitungszentrum der Zentralverwaltung der Statistik der DDR)

Podien und Workshops


Die ReferentInnen

Kerstin Bischl studiert osteuropäische Geschichte, Politik und Geschichte an der HU/FU Berlin, DAAD-Stipendiatin in Russland und Tadschikistan, Mitbegründerin von externer Link in neuem Fenster folgtreflect! Berlin. Sie organisiert Bildungsveranstaltungen zu Themen wie: Lagersysteme, Zivilgesellschaft, Erinnerung.

 Text: „Privatheit“ in: gender@wiki, Freies Fachwiki der Frauen- und Geschlechterforschung (externer Link in neuem Fenster folgthttp://www2.gender.hu-berlin.de/gendermediawiki/index.php/Privatheit)

Malte Daniljuk, Studium Deutsch als Fremdsprache/Kommunikationswissenschaft und Publizistik in Berlin, Arbeit als Freier Journalist, verschiedene Projekte in Lateinamerika, u.a. MovimentoR - politische Strategien gegen den Neoliberalismus (externer Link in neuem Fenster folgthttp://www.movimentor.net)

Text: Partizipative Stadtentwicklung in den Barrios von Caracas (mit Andrej Holm und Matthias Bernt), in PROKLA 149 (2008), Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft

Bernd Gehrke ist Politökonom und Zeithistoriker, Teamer in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, Projektgruppe Opposition und Repression am Zentrum für Zeithistorische Forschungen Potsdam, AK Geschichte von unten Ost/West im Haus der Demokratie und Menschenrechte

Text: 1968 und die Arbeiter. Studien zum „proletarischen Mai“ in Europa, hrsg. gemeinsam mit Gerd-Rainer Horn, 2007, Hamburg

Ralf Hoffrogge studierte Geschichte, Politik und Psychologie an der FU Berlin und an der Washington University in St. Louis, USA. Lange Zeit aktiv als Hochschulreferent des AStA FU, Mitbegründer des Bildungsnetzwerks "reflect!", zur Zeit Studienberater an der FU und aktiv bei externer Link in neuem Fenster folgt"reflect!"

Text: Räteaktivisten In der USPD - Richard Müller und die Revolutionären Obleute, In: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung Nr. I /2008

Reinhart Kößler, Studium der Soziologie, Osteuropäischen Geschichte, Ethnologie und Chinakunde in Heidelberg, Leeds (Großbritannien) und Münster, dort seit 1993 apl. Professor für Soziologie, arbeitet aktuell am Arnold Bergstraesser Institut, Freiburg i.B.

Text: "Despotie in der Moderne". Frankfurt am Main & New York 1993


Michael Krätke ist Professor für Politikwissenschaft und Ökonomie an der Universität von Amsterdam und Mitherausgeber von spw – Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft. Er ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Beiträge zur Marx-Engels-Forschung.

Text: Demokratisierung der Wirtschaft - Sozialisierung der Märkte. Marktsozialismus, Wirtschaftsdemokratie und radikaldemokratische Reformkonzepte heute. S. 55-67 in: Zeitschrift Widerspruch Nr. 43, Zürich 2003

Silke Meyer ist Politologin und lebt in Berlin. Sie ist im Bildungsnetzwerk reflect! Berlin aktiv. In ihrer Dissertation untersucht sie die Linux-Community auf ihre konkreten Praktiken hin und fragt nach impliziten Differenzierungs- und Ausschlussmechanismen.

Text: "Reclaim Linux!", in: sul serio Nr. 12, 2007 (gibts online: externer Link in neuem Fenster folgthttp://www.reflect-online.org/index.php?id=316)

Thomas Sablowski ist Politikwissenschaftler, zurzeit Vertretung der Professur für Internationale Politische Ökonomie an der Universität Marburg, Mitglied der Redaktion der Zeitschrift PROKLA und des wissenschaftlichen Beirats von Attac.

Text: Hegemonie und Staat (Mitherausgeber, Münster 1992), Jenseits der Nationalökonomie? (Mitherausgeber, Hamburg 1997) Italien nach dem Fordismus (Münster 1998)

Maja Soboleva studierte Chemie in St. Petersburg und Philosophie in St. Petersburg, Erlangen und Marburg, promovierte im Fach Chemie 1992 und im Fach Philosophie 2000. Habilitierte im Fach Philosophie 2005 ebenfalls in St. Petersburg. Derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Philosophie an der Philipps-Universität in Marburg

Text: A. Bogdanov und der philosophische Diskurs in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zur Geschichte des russischen Positivismus, Hildesheim 2007

Klaus Steinitz ist Ökonom und Professor, 1990-1993 Mitglied Parteivorstand der PDS, 1990-2003 Sprecher der AG Wirtschaftspolitik bei der LINKEN

Text: Das Scheitern des Realsozialismus. Schlussfolgerungen für die Linke im 21. Jahrhundert. VSA-Verlag Hamburg 2007

Ingo Stützle ist Diplompolitologe und Promotionsstipendiat bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er ist Redakteur bei ak - analyse & kritik und Mitherausgeber von "Poulantzas lesen“ und von "Das Kapital neu lesen“, website: www.stuetzle.in-berlin.de

Text: Dem Wert auf der Spur: Von der Unmöglichkeit, den Wert zu messen, ohne sich einen abzubrechen. Eine Kritik der Äquivalenzökonomie und ihrer Kritiker, in: Z., Nr. 71, September 2007, 154-163. Online unter: externer Link in neuem Fenster folgthttp://www.stuetzle.in-berlin.de/?page_id=14



Die Abstracts

Kerstin Bischl

„Das Ende vom Plan?“ Planwirtschaftliche Realitäten in der SU

Im Allgemeinen wird übersehen, dass es in den 70 Jahren, die die SU existierte, höchst verschiedene Phasen der Planwirtschaft gab. Denn die ‚Beplanung’ und deren Intensivität änderte sich von Generalsekretär zu Generalsekretär. In den Jahren unter Breschnew bedeutete Planwirtschaft ein formal erfülltes Plansoll zu präsentieren, während sich informelle Netzwerke und Aneignungsprozesse (auch im Politbüro) verfestigten und Wirtschaft wie Politik bestimmten. Es waren und sind diese verkrusteten Strukturen, die in der Perestroika-Zeit dafür sorgten, dass die Privatisierung zu einer massiven Oligopolbildung führte, und die in ihrem Fortbestehen bis heute die Formierung einer Öffentlichkeit behindern.

Malte Daniljuk

„Sozialismus im 21. Jahrhundert“ in Lateinamerika. Kritische Bestandsaufnahme der Wirtschaftskonzepte in Venezuela

Venezuela galt bis 1999 mit seiner auf Ölexport basierenden Rentenökonomie als neoliberales Musterland. Die Begleiterscheinungen dieser Wirtschaftsform waren eine starke Krisenanfälligkeit, extrem hohe Inflation und eine enorme, dauerhafte soziale Ungleichheit. Die neue Regierung stellte die gesellschaftliche Funktion von Wirtschaft in den Vordergrund und begann nach einer Konsolidierungsphase eine aktive Steuerung wirtschaftlicher Prozesse: Es wurde u.a. ein Mindestlohn eingeführt, der regelmäßig an die die Inflation angepasst wird, Unternehmensgründungen auf genossenschaftlicher Basis werden unterstützt, Schlüsselunternehmen werden verstaatlicht. Insgesamt führten diese neo-etatistischen Konzepte innerhalb kurzer Zeit zu einer deutlichen Verbesserung der Makrodaten und zu einem sozialen Wachstum. Aber die hohe Ausgabenquote hat auch eine nach wie vor hohe Inflationsrate zur Folge und bei einzelnen Maßnahmen wie der Preisbindung für Grundnahrungsmittel werden die Grenzen staatlicher Steuerungsmöglichkeiten in einem kapitalistischen Umfeld deutlich.

Bernd Gehrke

Plan, Markt und Arbeiterselbstverwaltung - Dissidenz in Osteuropa

Seit der bolschewistischen Machtergreifung 1917 und der Herausbildung des so genannten Kriegskommunismus verwandelten sich die ökonomischen Debatten der Marxisten über eine nichtkapitalistische Ökonomie zugleich auch in Debatten über den tatsächlichen sozioökonomischen Charakter und eine Kritik der neu entstandenen Ökonomie. Von der Kritik an der betrieblichen Ein-Mann-Diktatur in den Jahren 1919, über die Kritik der Arbeiteropposition und der „Dezisten“ auf dem 10. Parteitag der bolschewistischen Partei 1920 bis hin zu den Ökonomen des „Prager Frühling“ stand immer wieder der „bürokratische Zentralismus“ im Zentrum der Kritik. Für die marxistische Kritik galt er nicht nur als ein Synonym für Ineffizienz, sondern auch als Ausdruck einer neuen Herrschaft und einer „Diktatur über das Proletariat“. Durch die Einführung der Arbeiterselbstverwaltung 1950 in Jugoslawien wurde begonnen, eine praktische Alternative zum System der bürokratisch-zentralistischen Zentralverwaltungswirtschaft stalinistischen Typs in der Praxis zu verwirklichen. Daran anknüpfend wurde die Arbeiterselbstverwaltung zur Leitidee der oppositionell-sozialistischen Kritiker des Stalinismus und insbesondere der revolutionären Rätebewegungen in Polen und Ungarn im Jahre 1956. Seither war die Verbindung der unter dem Slogan „Markt und Plan im Sozialismus“ geführten Effizienz-Debatte mit der im Zeichen der Selbstverwaltung stehenden Herrschaftsdebatte das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen den Modernisierern der ökonomischen Herrschaft des Stalinismus und den verschiedenen Richtungen von sozialistischer Demokratie und Selbstverwaltung. Der unterschiedliche Stellenwert, welcher der Warenproduktion, der „alten Teilung der Arbeit“ (Marx) oder dem Ausmass und den Methoden der Planung im Sozialismus zugebilligt wurde, unterschied die verschiedenen Konzeptionen und Richtungen der Kritik an den bestehenden Herrschaftsverhältnissen im Ostblock, vom „Marktsozialismus“ bis zu den Anhänger/innen einer „Kulturrevolution“. Erst die Niederschlagung des Prager Frühlings und der Arbeiterbewegungen 1968/1969 in der Tschechoslowakei sowie 1981/1982 in Polen schuf die Voraussetzung für die immer weitere Durchsetzung marktwirtschaftlich-kapitalistischer Konzeptionen innerhalb der Dissidenz Osteuropas.

Ralf Hoffrogge

Ein konkretes Modell: „Das reine Rätesystem“ des Linkssozialisten Richard Müller (1880-1943)

Das Modell des "Reinen Rätesystmems" entstand anfang 1919 aus den Erfahrungen der Massenstreiks gegen den Weltkrieg und der Praxis der revolutionären Arbeiterräte nach der Novemberrevolution. Planwirtschaft als Rätedemokratie ist die Kernformel dieses Modells, dass in der Konstituierungsphase der Weimarer Republik maßgeblichen Einfluß hatte. Obwohl das Schema Richard Müllers in seiner Einfachheit mehr Fragen aufwirft als beantwortet, macht es doch klar wie offen und umkämpft Begriffe wie Planwirtschaft, Sozialisierung aber auch Sozialismus und "Diktatur des Proletariats" in der revolutionären Welle von 1917-1923 waren.

Reinhart Kößler

Anarchie des Marktes, Rationalität des Plans und Despotie des Betriebs

Die kapitalismuskritische Debatte um Planung war entscheidend bestimmt durch eine antiutopische Wendung und die gleichzeitige Perspektive der Überwindung der dem Markt zugeschriebenen Anarchie durch eine übergreifende rationale Planung. Diese wurde vor allem in der entscheidenden Rezeption durch Lenin und die Bolschewiki aufs Engste mit der Projektion der Rationalität des industriellen Betriebs auf die gesamtgesellschaftliche Ebene verknüpft. Dabei geriet die despotische Herrschaft, die dem Betrieb eingeschrieben ist aus dem Blick. Damit verkürzt sich einerseits die Kapitalismuskritik um eine entscheidende, in der Kritik der politischen Ökonomie zumindest angelegte Dimension, andererseits geht die Perspektive der Überwindung von Herrschaft zugunsten von Kriterien formaler, auf betriebliche Effizienz reduzierter Rationalitätskriterien verloren.

Silke Meyer

Mythos Freie Software – Produktion jenseits von Markt und herrschaftsfrei? Ausschlussmechanismen über race und gender.

Die alternative Software Linux hat demokratische Ansprüche: Sie will NutzerInnen von ökonomischen und rechtlichen Zwängen befreien und hat weit über den Softwarebereich hinaus Debatten über alternative Produktionsweisen, Demokratie und Eigentumskonzepte angestoßen. Da Computer und Software den Zugang zu immer mehr Lebensbereichen kontrollieren, wird Linux oft ein geradezu subversives Potenzial zugeschrieben. In dem Vortrag wird kurz erläutert, was der Clou an "freier" Software ist. Dann wird die Praxis, in der Linux entwickelt und verbreitet wird, kritisch hinterfragt: Wo ist sie alternativ und welches konkrete Veränderungspotenzial birgt sie? Wo und wie werden in der Praxis rund um Linux gleichzeitig herrschende Machtverhältnisse reproduziert? Wie bilden sich Hierarchien und Ausschlüsse heraus, die Linux zu einem Tummelplatz meist weißer, westlicher Mittelschicht-Männer machen?

Thomas Sablowski

Wie zivilisiert ist die Zivilisierung des Kapitalismus, wie sozialistisch kann die sozialistische Marktwirtschaft sein?

Nach dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ haben sich viele Linke ganz von sozialistischen Vorstellungen verabschiedet oder sich zumindest mittelfristig auf das Projekt einer „Zivilisierung“ des Kapitalismus orientiert. Es geht demnach nicht um die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise, sondern um die Veränderung der Spielarten des Kapitalismus, um die Re-Regulierung des Neoliberalismus. Inzwischen gibt es dazu relativ elaborierte Vorschläge etwa im Bereich der Wirtschaftspolitik und der Regulierung der Finanzmärkte. Andere Linke plädieren für eine sozialistische Marktwirtschaft, weil sie das Scheitern des „real existierenden Sozialismus“ einer prinzipiellen Unzulänglichkeit planwirtschaftlicher Konzepte zuschreiben. Zum Teil wird dabei auch positiv auf China Bezug genommen, dessen Regierung heute selbst das Projekt einer sozialistischen Marktwirtschaft für sich in Anspruch nimmt. Doch wie zivilisiert kann die Zivilisierung des Kapitalismus sein, und wie sozialistisch die sozialistische Marktwirtschaft? Was macht überhaupt den Unterschied zwischen einer Re-Regulierung des Kapitalismus und einer sozialistischen Marktwirtschaft aus? In meinem Beitrag möchte ich Widersprüche beider Konzepte herausarbeiten und deutlich machen, dass die Marxsche Vorstellung von Kommunismus und das Problem der Gestaltung einer partizipativen Planwirtschaft nach wie vor unabgegolten sind. Das spricht nicht unbedingt gegen Konzepte einer Re-Regulierung des Kapitalismus oder einer sozialistischen Marktwirtschaft: Diese können in einem Prozess des Übergangs durchaus ihren Platz haben. Aber sie können schwerlich das Ende der Geschichte bedeuten.

Maja Soboleva

Aleksandr Bogdanovs „Allgemeine Organisationslehre“

Im Vortrag werden die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte der „allgemeinen Organisationslehre“ in ihrer Relevanz für den Aufbau des Sozialismus rekonstruiert. Die Schwerpunkte werden auf die Begriffe „Sozialismus“, „sozialistischer Staat“, „wissenschaftliche Organisation der Arbeit“, „Markt und Plan“ gelegt, welche die praktische Seite der Tektologie zum Ausdruck bringen sollen. Die Unterschiede der Bogdanovschen Konzeption zu den in der Sowjetunion realisierten wirtschaftlichen Ideen werden dargestellt.

Klaus Steinitz

War die Planung schuld am Scheitern des Realsozialismus? - Probleme und Erfahrungen in der DDR

Im Vortrag sollen die differenzierten, widersprüchlichen Erfahrungen der Planung in den realsozialistischen Ländern am Beispiel der DDR analysiert werden. Es werden sowohl die grundlegenden Defizite behandelt, wie Überzentralisierung, Subjektivismus und unzureichende Demokratisierung im Planungsprozess, fehlende Artikulationsmöglichkeiten der ökonomischen Interessen der Wirtschaftssubjekte und deren unzureichende Beachtung, als auch positive Erfahrungen gezeigt, an die in einem neuen Sozialismusprojekt angeknüpft werden kann, und die entsprechend den neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts weiterentwickelt werden müssten. Damit im Zusammenhang sollen die Zusammenhänge zwischen dem Scheitern des Realsozialismus und dem angewandten Planungsmodell charakterisiert werden. Es wird auf die unter Linken kontrovers diskutierte Fragen der Arbeitszeit- versus Wertrechnung und der Beziehungen Plan und Markt eingegangen.

Ingo Stützle

„Von der Unmöglichkeit, den Wert zu messen....“
Zur Verwendung Marx’scher Kategorien in der jüngeren Planungsdiskussion um die sog. Äquivalenzökonomie (u.a. Dieterich etc.)

Das Bedürfnis, nicht nur Kritik an den ökonomischen Verhältnissen zu formulieren, was Marx’ explizites wissenschaftliche Programm war, hat inzwischen u.a. dazu geführt, dass er – bzw. eine ihm zugeschriebene Arbeitswerttheorie – herangezogen wird, um die Umrisse eines "Sozialismus im 21. Jahrhunderts" zu skizzieren. Diese und ähnliche Vorhaben sind so alt wie Marx' Arbeiten selbst - und älter. Die gegenwärtige Debatte um z.B. die Äquivalenzökonomie zeigt zum einen, dass grundlegende Kategorien der marx’schen Kritik unklar sind – so der Begriff der abstrakten Arbeit. Mit weit reichenden politischen Folgen. Auf der anderen zeigt die Debatte aber auch, dass es noch einer Menge Theorieanstrengung bedarf, die Probleme einer möglichen Planwirtschaft auf angemessenem Niveau theoretisch zu begegnen. Vor dem Hintergrund der Darstellung der grundlegenden Kategorien in Marx' Ökonomiekritik und dessen wissenschaftlichem Programm soll Kritik an Varianten einer positiv gewendeten Arbeitswerttheorie formuliert werden.


[1] WORLD CAFÉ ist eine einfache Methode, um eine mittlere oder grosse Gruppe von Menschen in ein sinnvolles Gespräch miteinander zu bringen um zu einem gemeinsamen Thema das kollektive Wissen zutage zu fördern. Das Setting eines World Cafés ist informell. Leitidee ist die entspannte Atmosphäre eines Strassencafés, in dem sich Menschen zwanglos unterhalten. Die Teilnehmer sitzen an kleinen Tischen, an denen jeweils vier bis fünf Menschen Platz finden können. Sogenannte Caféhausbesitzer stehen den Caféhausbesuchern in einem locken Gespräch Rede und Antwort, nach etwa 20 Minuten wechseln die TeilnehmerInnen die Tische und sprechen mit dem nächsten Caféhausbesitzer.

 

Verantwortlich:

E-Mail Link folgt Sabine Nuss, Tel:030 44310448

Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin