Documentation Drogen, Arbeit und Rassismus im öffentlichen Raum

Massimo Perinelli über die Relevanz politischer Bildungsarbeit in Zeiten populistischer Meinungsmache und aufgeheizter Diskursstränge.

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Date

11.01.2018

Themes

Rassismus / Neonazismus, Kunst / Performance, Migration / Flucht

Am 11. Januar fand die dritte und vorletzte Veranstaltung im Rahmen der von der RLS geförderten Ausstellung «Andere Heimaten» im Friedrichshain-Kreuzberg Museum in Berlin statt, die am 14. Januar mit einer letzten Podiumsdiskussion im Museum selber endete.

Die Diskussionsrunde bestand aus der Wiener Wissenschaftlerin und Aktivistin Monika Mokre, dem Social Media Aktivisten Moro Yapha, dem Künstler der Ausstellung Scott Holmquist und dem Streetworker von Fixpunkt e.V. Ralf Köhnlein. Moderiert wurde die Veranstaltung, die in Deutsch und Englisch abgehalten wurde, von der Kriminalsoziologin Andrea Kretschmann vom Centre Marc Bloch an der HU-Berlin.

Das künstlerische Projekt von Scott Holmquist und seinem Team, das in der Ausstellung zu sehen ist, war und ist Ziel massiver rechter und rassistischer politischer und medialer Angriffe geworden. Reflexartiger Hass, Angst und Wut begleiten das Thema so stark, dass dahinter nicht nur der künstlerische Aspekt der Ausstellung unsichtbar wurde, sondern ein Sprechen zur Thematik fast unmöglich scheint.

Dabei ging es gar nicht um Drogen. Im Gegenteil kokettiert der Event-Standort Berlin geradezu obsessiv mit dem Thema, wie schrill und verstrahlt die langen Berliner Nächte sind. Automarken wie Opel warben mit riesigen Werbetafeln für ihr Elektroauto mit dem Slogan «Typisch Berlin, Elektro und Speed», und auch die Berliner Eishockeymannschaft, die Eisbären, versprachen auf Plakaten ihren Fans bei ihren Spielen «Mehr Speed als auf dem Kotti». Aufreger sucht man hierbei vergebens.

Warum also wollte nicht nur die AfD, sondern auch die CDU und andere diese Ausstellung um jeden Preis verhindern und warum schäumten die Berliner Zeitungen und die BILD mit Schlagzeilen wie «Ausstellung verherrlicht kriminelle Drogendealer»? Denn die Ausstellung selber spricht interessanterweise gar nicht über Drogen, über Dealen oder über die Situation der Dealer in Deutschland. Im Gegenteil beschreibt sie mit Bildtafeln und Soundinstallationen lediglich die Herkunftsorte der Drogendealer, die Stadtteile aus denen sie kommen, das dort herrschende Klima, die Bauweisen der Häuser oder die Beschaffenheit der Flüsse. Die interviewten, die Dealer, erhalten einfach nur eine spezifische individuelle Geschichte. Kein Wort zu Fluchtursachen, keines zur Motivation der Migranten, nichts zur Situation hier.

Der Kontrast zwischen der alltäglichen Banalität dieser konkreten Menschen und dem medialen Schäumen der über 500 im Museum ebenfalls ausgestellten Zeitungsartikel über «den Afrikanischen Dealer» könnte nicht größer sein. Es sind zwei Narrative, die sich nicht berühren, nicht aufeinander verweisen, nicht miteinander kommunizieren. Stattdessen schafft diese Ausstellung eine gigantische Leerstelle zwischen den anderen Heimaten der Interviewpartner und der Situation in den Parks von Berlin.

Jedoch schafft diese Leerstelle überhaupt erst den Raum, miteinander ins Gespräch kommen zu können über all das, was sich zwischen diesen beiden Polen befindet: Über Fluchtursachen, über die Träume der Migranten auf ihrem Weg nach Europa, über die Situation der Entrechtung von Geflüchteten, über Arbeit unter den Bedingungen von allgemeinem Berufsverbot für Geflüchtete und ihrer extremen Ausbeutung, über die Freizeitkonkurrenz um die städtischen Grünflächen, über Community-Treffpunkte und Polizeirepression, über Männergruppen und sexistische Gewalt, über das gesellschaftliche Bedürfnis nach Rausch, über die seit Jahrzehnten erschöpfend analysierte sinnlose Kriminalisierung bestimmter Substanzen, über Angebot und Nachfrage, über das Big Business im Drogengeschäft und über Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten.

Dass dieses Thema gerade keine Randerscheinung oder lokales Szenethema ist, bezeugen die ganz ähnlich aufgeladenen irrationalen diskursiven Dammbrüche nach der Kölner Silvesternacht, die es binnen weniger Monate vermochten, das migrationspolitische Klima in diesem Land zu drehen und aus der gefeierten Willkommenskultur eine Abschiedskultur zu machen. Sätze wie «Flüchtlinge begrabschen unsere Frauen» und «Flüchtlinge vergiften unsere Kinder» sind ideologisch identische Hetze.

Hier ist politische Bildungsarbeit gefragt, die es leisten können muss, die verknäulten und aufgeheizten Diskursstränge zu entwirren und zu rationalisieren. Denn es geht um so Vieles: Um Arbeit im Kapitalismus, um Rassismus, um Migration und Einwanderung, Kriminalität und Kriminalisierung, Drogenkonsum und Drogenpolitik, um öffentliche und private Räume oder um das Bedürfnis nach Sicherheit, und zwar auf allen Seiten.

Die politische Bildungsarbeit ist auch deshalb so wichtig, weil sie nicht nur Affekten mit Argumenten begegnen kann, sondern auch, weil sie die Rolle hat zu zeigen, welche Interessen hinter einer Politik der Angst stecken. Denn das Aufheizen von Ängsten und das Bekämpfen von ruhigen Bestandsaufnahmen sind keine Dummheiten, sondern eine gezielte rechtspopulistische Strategie gegen Vernunft und Aufklärung. Eine Strategie, die im Übrigen seit knapp zwei Jahren in diesem Land aufgeht, in denen rechte Scharfmacher und Wutbürger demokratische Meinungsbildung attackieren und die veröffentlichte Meinung und liberale Institutionen vor sich hertreiben. Bloß nicht über Flüchtlinge sprechen, bloß nicht über Drogen, bloß nicht über schwarze Dealer – das könnte alles nach hinten losgehen und die Wähler in die Arme der Rechten treiben. Und so wird im vorauseilenden Gehorsam die rechte Agenda bedient und politisch vor ihr kapituliert.

Umso wichtiger, dass auf Veranstaltungen wie dieser im Salon miteinander gesprochen wurde als Bedingung dafür, reale Lösungen zu finden für eine Situation, die tatsächlich in vielerlei Hinsicht problematisch ist. Dabei ist es besonders relevant, dass es dabei vor allem um die Situation subsaharischer Geflüchteter geht, also jener Gruppe, die nichts von der Willkommenskultur der letzten zweieinhalb Jahre hatte. Diese Gruppe Migranten lebt hier teilweise seit Jahrzehnten mit einer Duldung, oftmals in tristen Lagern stillgelegt, mit nur wenig Aussicht, ihre Ambitionen zu verwirklichen. Sie sind das schwächste Glied in der langen Kette des Drogengeschäfts, dessen Arbeit es ist, in Berliner Parks Drogen von Weißen zu kaufen und sie für eine geringe Gewinnspanne an andere Weiße weiter zu verkaufen. Ein Handel im Übrigen, der, wie Leandra Balke in ihrer aktuellen soziologischen Studie herausstellt, «eine opferlose Kriminalität [darstellt], da Dealer und Kunden in einem beidseitigen Einverständnis handeln.»