Nachdem der Film 2018 ausschließlich auf internationalen Festivals und in Bristol zu sehen war, durften sich die Filmemacher*innen und Organisator*innen über einen vollen Kinosaal im Moviemento am Donnerstag, den 21.02.2019, freuen.
Die Geschichte von Marvin Rees, der in Armut aufwuchs, um Jahre später der erste schwarze Bürgermeister einer europäischen Stadt zu werden, fand reges Interesse.
Der Dokumentarfilm von Loraine Blumenthal zeigt nicht nur Marvin's steinigen Weg ins Amt, sondern beleuchtet auch die tiefen Spaltungen zwischen weißen und dunkelhäutigen Menschen in Bristol – Themen, die im Anschluss lebendige Diskussionen anstießen.
Neben der Regisseurin und Produzentin Loraine Blumenthal, sowie dem Koproduzent Rob Mitchell, saßen außerdem Hibaq Jama, erste muslimische Stadträtin von Bristol und Protagonistin im Film, sowie die Migrationsexpertin Dr. Deniz Nergiz, die sich in ihrem Buch «I long for normality» mit den Realitäten von Migrant*innen in der deutschen Politik auseinandersetzt, auf dem Podium
Moderiert wurde die Diskussion auf dem Podium und mit dem Publikum von Emmanuelle Chaze, Korrespondentin für Euronews und RFI English.
Auf Fragen zur Entstehungsgeschichte des Filmes erinnern sich Loraine Blumenthal und Rob Mitchell an ihr erstes Treffen während der Buchveröffentlichung von Paul Stephensons Memoiren.
Stephenson führte in den 1960er Jahren die Bürgerrechtsbewegung in Bristol an. Er initiierte den Bristol Bus Boycott, inspiriert von Martin Luther King, als Reaktion auf die öffentlich rassistische Haltung der lokalen Busgesellschaft. Man lehnte es schlichtweg ab, Menschen mit dunkler Hautfarbe einzustellen – eine völlig legitime Haltung zu der Zeit.
Für Loraine Blumenthal war dies allein Stoff für einen Dokumentarfilm, doch beide waren sich schnell bewusst, dass Marvins Bürgermeisterkandidatur, die Vergangenheit in die Gegenwart holen würde. Vor 50 Jahren durften dunkelhäutige Menschen in Bristol nicht Busfahrer werden, kann 50 Jahre später ein Sohn eines Jamaikaners Bürgermeister werden?
Marvin verliert bei seinem ersten Antritt 2012. Ein Moment, der nicht nur für ihn sondern für viele seiner Mitstreiter schwer zu fassen war, denn Bristol wird großflächig von der Labour Partei repräsentiert. Wie es zu diesem Verlust kommen konnte wollte einer der Zuschauerinnen wissen.
Eine komplexe Frage, die direkt in die politischen Vorgänge vor Ort zielt. Zum einen lag dies an der äußerst geringen Wahlbeteiligung, weiß Loraine Blumenthal. 2012 wurde die Direktwahl des Bürgermeisters neu eingeführt und wurde von nur wenigen als wirklich wichtig empfunden. Hibaq Jama, die den Wahlkampf mit geführt hat, gesteht ein, dass man sich viel zu leichtfertig auf die Unterstützung der Partei verlassen hatte. Dass der Rückhalt innerhalb der Partei so nicht gegeben war, wurde spätestens bei der Auszählung klar. Nicht zuletzt spielte die Haltung vieler Bristolianer eine entscheidende Rolle, Parteipolitik gänzlich abzulehnen. Der parteilose Millionär George Ferguson hatte damit die klare Führung übernommen.
Ist THE MAYOR'S RACE ein Bristol-spezifischer Film oder hätte er auch in Deutschland gedreht werden können, wollte ein weiterer Zuschauer wissen. Der Anspruch von Regisseurin Loraine Blumenthal war es durchweg einen Film zu machen, in dem es um Menschen geht, die sozial-politische Veränderung nicht nur fordern, sondern sie selbst umsetzen. Dabei muss Marvin persönliche Risiken eingehen und sieht sich immer wieder mit Selbstzweifeln konfrontiert. Bin ich gut genug dafür? Werde ich überhaupt akzeptiert? Was mache ich nachdem ich den großen Schritt gewagt und verloren habe? Vor allem aber – wie sehen mich die Menschen als Mann mit dunkler Hautfarbe und macht sich dies im Wahlkampf bemerkbar? Identitätsfragen und persönliche Selbstzweifel, die unabhängig vom Land auftauchen. Der Grund auch warum Marvins Geschichte so gut nachzuvollziehen ist und bereits u.a. in Italien, den Niederlanden, Deutschland, den USA und sogar Uruguay ein Publikum gefunden hat. Auch Dr. Nergiz sah viele Parallelen zu ihren Forschungen. «Es ist das Buch zu meinem Film», so äußert sie sich und macht auf den verschwindend geringen Prozentsatz an Menschen mit Migrationshintergrund in der Politik aufmerksam.
Der Filmabend und die regen Diskussionen fanden erst zur späteren Stunde im Moviemento ein Ende. Die Unterhaltungen nach der Vorführung wurden jedoch noch lange fortgeführt.
Wir bedanken uns bei allen Gästen für diese fantastische Vorstellung!
Der Film:
Marvin ist 40, Schwarz und wuchs in Bristols Ghettos in Großbritannien auf, in denen Prostitution, Gewalt und Armut an der Tagesordnung standen. Seit je her hat Marvin den Traum gegen die erlebten Ungerechtigkeiten anzugehen und beschließt als Kandidat für die bevorstehende Bürgermeisterwahl anzutreten.
Als absoluter Anfänger begibt er sich in die Welt der Politik. Doch trotz seiner charismatischen Ausstrahlung und seines intellektuellen Auftretens, bezweifelt er, dass irgendjemand den Schwarzen Typen aus dem Ghetto ernst nehmen wird. In einem knappen Rennen muss er seine Niederlage vor laufenden Kameras hinnehmen. Doch Marvin weiß, dass verlieren nicht nur für ihn persönlich schmerzhaft ist sondern eine viel größere Bedeutung hat. Denn die Stadt trägt Spuren einer dunklen Vergangenheit, die Menschen wie er bis heute spüren:
Bristol war ein bedeutender Umschlagplatz während des transatlantischen Menschenhandels. In den 1960er Jahren, inspiriert von Martin Luther King, war Bristol Schauplatz einer starken Bürgerrechtsbewegung. Als die Verhältnisse sich für Schwarze Menschen in den 1980ern nicht verbesserten, kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen, welche landesweite Proteste auslösten. Heute ist es der zunehmende anti-muslimische Rassismus, der die Stadt erschüttert.
Trotz seiner Zweifel beschließt Marvin noch einmal anzutreten. Professioneller, stärker und mit der Unterstützung der Muslimischen Gemeinde. Wird er es schaffen der erste Schwarze Bürgermeister Bristols zu werden?
Der Film wurde mit Unterstützung des Büros Brüssel der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert.