Documentation Bildungsreise der Stipendiat*innen nach Belgrad 2019

Zur historischen und aktuellen Entwicklung Serbiens

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Südosteuropa, Studienwerk

Die ehemalige Residenz Josip Broz Titos ist heute das Museum Jugoslawiens.

Das Studienwerk der Rosa-Luxemburg-Stiftung bietet im Rahmen des ideellen Förderprogramms Bildungsreisen für Stipendiat*innen an. In vergangenen Jahren gab es mehrere Bildungsreisen nach Mittel/Osteuropa, vor allem Polen und Tschechien waren Reiseziele.

Die diesjährige Reise nach Serbien (Belgrad) war eine Premiere – zum ersten Mal haben das Stiftungsbüro in Belgrad und das Studienwerk zusammengearbeitet. Unser Ziel war es, durch die geschichtliche Brille auf die aktuellen politischen und sozialen Entwicklungen zu schauen und viel Raum für Austausch und Vernetzung zwischen Stipendiat*innen und Aktivist*innen vor Ort zu haben.

Das Interesse an die Reise war sehr groß. Leider konnten wir nur einem Drittel der interessierten Stipendiat*innen (16 Personen) die Reise ermöglichen.

Folgender Bericht stammt von den Beteiligten der Gruppe und soll einen kleinen Einblick in eine heiße Juniwoche in Belgrad gewähren.

I. Tag, Sonntag der 9. Juni

Anreise aus Berlin/Einführung in die politische und wirtschaftliche Lage in Serbien und der Region

Am ersten Abend hat uns Kruno Stojaković, Leiter des Regionalbüros in Belgrad, einiges spannendes über die Geschichte und die momentane Situation in Serbien berichtet. Serbien ist ein sehr zentralisierter Staat, d.h. nahezu alles findet in der Hauptstadt Belgrad statt.

Dementsprechend spiegelt Belgrad ungut die Verhältnisse Serbiens wider. Politisch betrachtet kann gesagt werden, dass alle großen Mainstreamparteien antikommunistisch sind, die liberalen Demokraten sind etwas schwächer, die konservativen bis rechten Parteien gegenwärtig dafür umso stärker. Die Demokratische Partei (DS) war bis 2012 noch eindeutig stärkste Partei. In der Folge spaltete sich die Partei mehrmals und kam bei den Kommunalwahlen 2018 nur noch auf knapp 3% in ihrer einstigen Hochburg Belgrad. Seit November 2018 gibt es eine Protestbewegung der Opposition. Diese Opposition stellt sich überwiegend aus rechten und konservativen Parteien zusammen, aber auch die DS ist dort vertreten. Die politische Linke hat sich zunächst auch daran beteiligt. Da die Opposition aber sehr rechts ist, zogen sie sich doch zurück. Die Wahlbeteiligung in Serbien ist mit knapp 50% ziemlich gering.

Es gibt viel Arbeitslosigkeit in Serbien. Dies wird ausgenutzt, was sich in den niedrigen Löhnen zeigt. Außerdem wird Beschäftigten oftmals mit Entlassungen gedroht. Insgesamt gibt es Gewerkschaftsangaben zufolge ca. 25.000 Gewerkschaften in Serbien. Eine Gewerkschaft kann bereits ab einer Beschäftigtenanzahl von 3 Personen gegründet werden. Viele Gewerkschaften sind «gelbe Gewerkschaften», die im Sinne der Betriebsleitung arbeiten.

Zwar werden Roma in Serbien diskriminiert, allerdings nicht so stark wie in Bulgarien, Rumänien oder Kroatien. Die Bevölkerungszahl in Serbien nimmt stetig ab. Viele wandern z.B. nach Deutschland, Österreich, Irland und England aus. Hinsichtlich eines möglichen EU-Beitritts hat Serbien die Auflage, den Kosovo-Konflikt zu lösen. Es gibt viele Verhandlungen, die im Hintergrund geschehen und von denen die Bevölkerung wenig mitbekommt.

II. Tag, Montag der 10. Juni

Führung zu Belgrade Waterfront und Diskussion mit politischen Aktivist*innen/Kooperationspartner*innen des Belgrader Büros

Am Montag trafen wir uns nach dem Frühstück mit Iskra Krstic. Da Iskras Forschungsschwerpunkt unter anderem die urbane Entwicklung Belgrads in der postsozialistischen Zeit ist, erhielten wir auf dem Weg zu besagter Waterfront noch spannende Informationen zur Architektur und Geschichte von Gebäuden wie etwa dem Ethnografischen Museum oder der Universität. Am Rande der Stadtmauer mit guter Aussicht auf die Waterfront, konnten wir Iskra all unsere Fragen stellen. Die Belgrade Waterfront ist ein städtebauliches Großprojekt, dessen Baubeginn 2014 angekündigt und 2016 begonnen wurde. Es sollen zahlreiche Luxusappartements, Büros, Hotels und Erholungsanlagen direkt am Flussufer der Sava entstehen, von denen einige bereits fertiggestellt wurden. Zur Umsetzung wurde das dortige Sand- und Sumpfgebiet trockengelegt und der Fluss verdrängt. Auch einige Häuser wurden abgerissen, ohne dass die dort ansässigen Mieter*innen zugestimmt hätten. Das 3.5-Milliarden Dollar schwere Projekt wurde ursprünglich als Investition für die Bevölkerung proklamiert. Schnell wurde jedoch klar, dass sich die Belgrader Bevölkerung bei einem Durchschnittslohn von umgerechnet ca. 400€ pro Monat nie eine Wohnung in diesen Gebäuden leisten könnte. Neben der beginnenden Gentrifizierung bilden auch Aspekte wie Verkehr und Infrastruktur wesentliche Problempunkte. Letztendlich scheint das Projekt wortwörtlich in den Sand gesetzt zu werden. Es gab bereits große, friedliche Proteste, wie z.B. eine Demonstration mit 20.000 Einwohner*innen unter dem Titel «Ne Da(vi)mo Beograd», die sich gegen das Großbauprojekt gerichtet haben. Allerdings konnte dieser Protest keinen Baustopp bewirken und auch die private Saudi-Arabische Investment-Firma «Eagle Hills», die für dieses Projekt zuständig ist, trat nicht in den Diskurs mit der Bevölkerung. Insbesondere die fehlende Intransparenz der Absprachen zwischen Investoren und Stadtverwaltung wurde durch die Demonstrationen kritisiert. Den Investoren und insbesondere auch Premier Aleksandar Vucic werden Korruption und reines Machtstreben vorgeworfen. Beide Parteien sind jedoch nicht bereit, über die Pläne zu verhandeln. Vermutlich wird daher die Belgrade Waterfront gegen den Willen der Bevölkerung in den nächsten Jahren fortgesetzt werden.