Seit Denise Garcia Bergt während des Flüchtlingscamps auf dem Oranienplatz 2012 zusammen mit anderen Aktivistinnen den International Women’s Space (IWS) gründete, hat die feministische Organisation für und mit migrantischen Frauen viel bewirkt. Sie arbeitet mit ihnen zusammen, damit sie sich in Deutschland zurechtfinden, klärt sie über ihre Rechte auf und macht ihre Geschichten sichtbar. Bergt, die selbst aus Brasilien nach Deutschland emigriert ist und jetzt in Berlin wohnt, trifft sich mit Laura Dittmann in ihrer gemütlichen Wohnung in Friedrichshain und spricht bei «Kaffee und Kippe» über gesellschaftliche Rahmenbedingungen, mangelhafte Diskurse und die Früchte der aktivistischen Arbeit.
«Das Flüchtlingscamp war so männlich dominiert. Es hat uns gereicht. Es war eine Flüchtlingsbewegung, aber wo waren die Frauen?» – diese Frage nahm Denise Garcia Bergt 2012 zum Anlass, um abseits des Flüchtlingscamps auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg in der nahegelegenen Gerhard-Hauptmann-Schule einen sicheren Raum für migrantische Frauen zu schaffen: Den International Women’s Space.
Dabei ist die Erfahrung, die bekannte Heimat zu verlassen und sich in eine unsichere Zukunft in einem fremden Land aufzumachen, das verbindende Moment der Frauen von International Women’s Space: «Du hast in einem Land gelebt, in dem du wusstest, wie du mit Schwierigkeiten umzugehen hast. Und dann kommst du nach Deutschland und weißt nicht, was dich erwartet. Diesen Prozess, zu lernen, wie man mit den neuen Schwierigkeiten umgehen muss, den teilen wir miteinander». Bergt berichtet, dass vor allem die Asylverfahren, die mit langen Wartezeiten in Flüchtlingsheimen, der ständigen Angst vor Abschiebung und der daraus resultierenden Perspektivlosigkeit einhergehen, problematisch sind.
«Rassismus ist eine gesellschaftliche Krankheit»
Denise Garcia Bergt erzählt außerdem von den rassistischen Strukturen, mit denen die Frauen in Deutschland konfrontiert sind: «Rassismus existiert überall, aber in sehr weißen Ländern wie Deutschland gibt es außerdem einen strukturellen, einen institutionellen Rassismus, der der Gesellschaft immanent ist». Dabei spielt vor allem koloniales Denken eine Rolle, das sich an einem nationalstaatlichen Verständnis von Identität orientiert und in einer globalisierten Welt obsolet geworden ist: «Zumindest bezüglich der Frage ‚Wer ist eigentlich deutsch und wer nicht?‘ befinden wir uns in der Diskussion in den Anfangsstadien. Und das in einer Welt, in der die Menschen so viel umziehen müssen und auch nicht mehr zurück können.»
«Wo sind die Migrant_innen in der Diskussion?»
Auch der gesellschaftliche Diskurs über Themen wie Flucht und Migration spiegelt Rassismus wider -hier fehlt eine migrantische Perspektive: «Die Leute sprechen viel über Migration und Flucht aber sie sprechen nicht mit uns. Sie sprechen über uns.» Ein zentrales Ziel von IWS besteht deswegen darin, den gesamtgesellschaftlichen Diskurs mitzugestalten und die Perspektive von Migrantinnen sichtbar zu machen. Nur so könne verhindert werden, dass rassistische und rechtspopulistische Tendenzen weiter erstarken und das politische Geschehen bestimmen.
Austausch, Verständnis und Analyse
IWS will mit ihrer Arbeit bewusst ein Zeichen setzen gegen diese ausgrenzenden Mechanismen. Auf den wöchentlich stattfindenden Meetings lösen die Frauen in der Gemeinschaft akute Probleme und planen langfristige Projekte, die ihnen helfen sollen, ihre eigene Situation besser zu verstehen und sich in ihr zurechtzufinden. Dabei werden Möglichkeiten gefunden, alle in die Arbeit zu integrieren, «sodass sie nicht mehr in den Heimen sitzen, nichts tun und verrückt werden», so Bergt. Und die Arbeit trägt Früchte: Im Oktober 2017 fand in Berlin die Konferenz «Als ich nach Deutschland kam» statt. Die Veranstaltung sollte den intergenerationalen Austausch zwischen älteren und jüngeren Migrantinnen gewährleisten, um die Erfahrungen der Frauen in einen größeren, historischen und gesellschaftlichen Kontext zu rücken: «Für viele Frauen ist es eine Inspiration, zu sehen, dass schon Migrantinnen vor ihnen sich in Gruppen organisiert haben. Wenn sie lernen, dass andere dieselben Formen von Diskriminierung und Rassismus erlebt haben und erleben, wird ihnen die Systematik dahinter klar. Abgelehnt zu werden ist kein Resultat persönlicher Verfehlungen. Nein! Es ist ein ganzes System, dass dir sagen soll ‚Geh weg!‘»
Das Stichwort ist Veränderung
Doch mit der Konferenz ist es nicht getan: Perspektivisch sollen die Ergebnisse und Analysen der Konferenz in einem Manifest zusammengetragen werden, das den politischen und gesellschaftlichen Diskurs aktiv mitgestalten soll: «Das Manifest soll politischen Entscheidungsträger_innen, Politiker_innen und wer auch immer es sonst nutzen will, einen Einblick in die Sichtweise und die Erfahrungen migrantischer Frauen geben. So können sie sehen, was sich verändern muss, was dringend ist.», erklärt Bergt. Die von IWS angestrebte Integration der migrantischen Perspektive gilt auch für den feministischen Diskurs: «Die Probleme dieser Frauen sind feministische Probleme. Wie kann es beispielsweise sein, dass Frauen, die flüchten müssen, dies meist nicht ohne männliche Hilfe oder männlichen Schutz tun können?» Zudem stellt die Verfolgung und Unterdrückung aufgrund des Geschlechts eine zentrale Fluchtursache dar.
Eins wird in dem Gespräch mit Denise Garcia Bergt deutlich: International Women’s Space hat schon längst verstanden, was in großen Teilen der Gesellschaft immer noch nicht angekommen zu sein scheint: In einer Welt, in der die Lebensbedingungen für viele Menschen an vielen Orten immer schwieriger werden, ist Veränderung nötig und sie wird kommen. IWS steht für diese Veränderung und hat eine klare Vorstellung davon wie sie aussehen soll: «Das nationalstaatliche Verständnis von Gesellschaft und Identität, die nicht veränderbar ist, ist veraltet. Sie wird sich verändern. Punkt. Inwiefern die Gesellschaft sich dieser Veränderung verweigert, ist, was wir beobachten und diskutieren müssen. Es gibt keinen anderen Weg.»
Das Gespräch mit Denise Garcia Bergt führte und übersetzte aus dem Englischen Laura Dittmann.