News | Arbeit / Gewerkschaften - International / Transnational - Europa - Ernährungssouveränität Die Initiative muss von den Arbeiter*innen ausgehen

Interview mit Sarah Kuschel, IG BAU, zur Organisierung von Saisonarbeiter*innen in der Landwirtschaft

Im Februar trafen sich in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin 35 Gewerkschafter*innen bestehend aus, Berater*innen und Aktivist*innen aus Deutschland und Österreich, um drei Tage lang über die Organisierung von Saisonarbeit in der Landwirtschaft zu diskutieren. Wir haben mit Sarah Kuschel gesprochen. Sarah ist Fachreferentin Forst und Agrar bei der IG BAU und eine der Organisatorinnen des Vernetzungstreffens.

Das Interview führte Benjamin Luig, Programmleiter des Dialogprogramms Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
 

Rosa-Luxemburg-Stiftung: Sarah, worum ging es bei Eurem Vernetzungstreffen?

Sarah Kuschel: Zu dem Treffen hatten wir all die Akteure eingeladen, die bereits bei Aktionen auf Feldern mitgemacht haben, also GewerkschaftssekretärInnen, arbeitsrechtliche BeraterInnen vom «Europäischen Verein für Wanderarbeiter», «Faire Mobilität» und «Arbeit und Leben».  Daneben haben im letzten Jahr auch einige Ehrenamtliche und die «Interbrigadas» bei der aufsuchenden Feldarbeit mitgemacht. Die Bewegung wächst, aber bislang lief Vieles nebeneinander her. Bei unserem Treffen jetzt ging es um bundesweite gemeinsame Strategien. Und wir haben jetzt eine Art Dach geschaffen, die «Initiative Faire Landarbeit».

Wozu braucht es diese Arbeit genau? Gibt es in Deutschland keinen ausreichenden Arbeitsschutz? Und haben wir nicht seit vier Jahren einen Mindestlohn, der auch für die 300.000 Saisonarbeiter*innen gilt?

Papier und Realität sind zwei verschiedene Dinge. Den Mindestlohn gibt es, und der gilt für die Saisonarbeit. Aber er wird oft umgangen, vor allem durch zu hohe Abzüge bei Unterkünften, unbezahlte Überstunden und intransparente Akkordregelungen. Und ausreichend ist der reale Arbeitsschutz keinesfalls, weil die Behörden, das heißt Berufsgenossenschaft und Arbeitsschutzbehörden, die Betriebe viel zu selten kontrollieren. Die Arbeiter*innen sprechen meist kein Deutsch und kennen ihre Rechte nicht.

Wie arbeitet Ihr konkret?

Zunächst mal versuchen wir die Saisonarbeiter*innen allgemein über ihre Rechte zu informieren, und darüber, dass es uns gibt. Es ist gar nicht so einfach, die Leute zu finden. Die allermeisten Betriebe liegen an Wirtschaftswegen, es ist oft aufwändige Recherche nötig, um sie zu finden. Normalerweise kommen wir ganz gut ins Gespräch mit den Leuten. Es kommt aber auch vor, dass Leute von Vorarbeiter*innen oder der Betriebsleitung daran gehindert werden, mit uns zu sprechen. Die Unterkünfte liegen auf Höfen. Dort ist der Zugang häufig noch schwieriger.

Aber konkret tätig werden wir normalerweise nach Aufforderung durch die Arbeiter*innen selbst, die Initiative muss von ihnen ausgehen. Ein Beispiel von neulich: Arbeiter bekamen ihre Lohnabrechnung erst an ihrem Abreisetag nach drei Monaten, als der Bus quasi schon wartete. Die Zahlen hatten sie vorher nie gesehen, und die Löhne waren viel zu niedrig. Unsere Berater*innen wurden dann hinzugeholt und haben 14 Stunden auf dem Betrieb verbracht und verhandelt. Das hat dann auch geklappt.

Außerdem haben wir die Agriworker-App entwickelt. Über die App können Saisonarbeiter*innen in Dänemark, Österreich, Deutschland und Polen sich in mehreren Sprachen über geltende Arbeitsrechte informieren und Kontakte zur Beratung finden.

Jeder von uns sieht beim Blick aus dem Zug oder von der Autobahn die Akkordarbeiter*innen auf den Spargel- oder den Erdbeerfeldern. Trotzdem bleiben diese 300.000 Arbeiter*innen im öffentlichen Bewusstsein unsichtbar. Welche Formen der Solidarität erwartest du von den Leuten hier in Deutschland?

Es geht auf keinen Fall darum, kein regionales Gemüse mehr zu kaufen. Viele Saisonarbeiter*innen werden schlecht behandelt, aber beim Gemüse aus Spanien ist es noch viel schlimmer. Eher geht es darum, mal konkret Kontakt aufzunehmen. Beim Bauern in der Nähe oder beim Hoffest einfach mal zu fragen, wo die Saisonarbeitskräfte wohnen, was sie so verdienen. Ansonsten sind unsere Infos auch frei verfügbar. Die Flyer auf www.faire-mobilitaet.de auf Polnisch und Rumänisch kann man runterladen, ausdrucken und einfach mitnehmen. Definitiv: unsere Bewegung wächst, und wir werden in diesem Jahr noch mehr Betriebe aufsuchen als zuvor, der Schwerpunkt werden Spargel- und Erdbeerfelder sein. Wer sich beteiligen will kann mir auch direkt schreiben: Sarah.Kuschel@IGBAU.DE