von Holger Politt, Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau
- Die sich auf die geltende Verfassung stützende Opposition hat das Rennen um die Abgeordnetensitze im Sejm verloren. Damit wurde das Hauptziel im langen und schwierigen Wahljahr 2019 verfehlt. Die Fortsetzung der nationalkonservativen Alleinregierung ist jetzt aus Oppositionssicht eine schwere Hypothek für die im Frühjahr nächsten Jahres anstehende Direktwahl des Staatspräsidenten, denn Amtsinhaber Andrzej Duda kann bereits jetzt mit vollen Segeln in die Schlacht ziehen – und tut es auch. Für die Nationalkonservativen wird es dabei um viel gehen, denn die erreichten 235 Sitze im 460-köpfigen Sejm reichen nicht, um ein eventuelles Präsidentenveto gegen die eigenen Gesetzespakete im Sejm zu überstimmen. Für die Verfassungsopposition aber geht es um sehr viel mehr, weil erst ein Sieg über Duda jene Tendenz tatsächlich zum Durchbruch bringen würde, die sich in den über 900.000 Stimmen versteckt, die zusammengerechnet über dem Stimmenergebnis der Nationalkonservativen liegen. Anders gesagt: Die am 13. Oktober 2019 erreichte Stimmenmehrheit ist ein wichtiges Trostpflaster, zweifellos, aber die Sitzverteilung im Sejm ist eindeutig und könnte erst mit einem Sieg der Opposition bei den kommenden Präsidentschaftswahlen wieder ausgeglichen werden. Nicht von ungefähr sprechen führende Nationalkonservative davon, dass Dudas Niederlage im kommenden Jahr eine Katastrophe wäre.
- Das die Verfassung im Rücken habende Oppositionslager ist in drei größere Blöcke geteilt, aber wenigstens übersichtlich aufgereiht: In der Mitte die Bürgerlich-Liberalen, rechts davon konservative Agrarier und links die sich neu zusammenfindenden Linkskräfte. Diese Übersichtlichkeit könnte helfen, zermürbenden und in der gegebenen komplizierten Situation einfach unnötigen Kleinkrieg untereinander zu vermeiden, denn zur Taktik der Nationalkonservativen wird gehören, so viel Spaltpilze wie möglich in die Oppositionsreihen einzuschleusen.
- Auf der konservativen Flanke der Opposition erfüllen die moderaten Agrarier der PSL, die mit ihrer offenen Liste 30 Abgeordnetensitze im Sejm erreicht haben, eine ausnehmend wichtige Rolle, weil sie wenigstens den Fuß kräftig in der Tür zu stehen haben, die sich zu jenen ungewöhnlich wichtigen ländlichen Räumen öffnet, in denen die Nationalkonservativen nahezu zwei Drittel der Stimmen holen konnten. Die Agrarier sind betont konservativer in die Parlamentswahlen gezogen als zuletzt gezeigt, reagierten damit auf ihre Weise auf die teils brutalen Schläge der Regierenden und einflussreicher Kreise der katholischen Kirche gegen die sogenannte LGBT-Ideologie. Die immer wieder betonte Distanz zur großstädtischen Liberalität hat Wählerstimmen zurückgebracht, die zuletzt bei den Wahlen zum Europäischen Parlament verloren schienen. Außerdem nutzte den PSL-Agrariern ein Versprechen, das Jarosław Kaczyński im Eifer des Wahlkampfs ohne tiefergehende Konsultation leichtfertig gegeben hatte: Der gesetzliche Brutto-Mindestlohn, der derzeit bei umgerechnet etwa 500 Euro liegt, solle bereits 2020 auf 750 Euro steigen und bis 2023 die Höhe von umgerechnet 1.000 Euro erreicht haben. Das, so haben Wahlforscher herausbekommen, habe den Nationalkonservativen Stimmen im Spektrum kleiner und kleinerer Wirtschaftsunternehmungen gekostet, die zu den Agrariern gewandert sind. Der Wirtschaftsflügel der Nationalkonservativen hat nach den Wahlen diese Äußerung Kaczyńskis als einen der Gründe ausgemacht, dass widererwarten kein (noch) besseres Stimmenergebnis erreicht worden sei.
- Der Kern des Oppositionsspektrums ist liberal und großstädtisch geprägt, auch wenn das bürgerliche Bündnis KO selbst breiter ausgerichtet ist und von gemäßigt-konservativen bis zu linksliberalen Positionen reicht. Die Entwicklungen in den letzten vier Jahren, vor allem aber die öffentlichen Proteste gegen die Regierungspolitik haben den großstädtischen und liberalen Zuschnitt der nun mit 134 Abgeordnetensitzen im Sejm vertretenden größten Oppositionskraft gestärkt. Unter anderem sind mit der der KO auch drei grüne Abgeordnete und die bekannte linksgerichtete Frauenrechtlerin Barbara Nowacka in den Sejm eingezogen. Diese verblieben in dem bürgerlich geführten Bündnis, nachdem sich zu Sommeranfang die Idee eines breiter aufgestellten einheitlichen Oppositionsbündnisses zerschlagen hatte. Die KO ist nun jene wichtige Kraft, die einen politischen Bogen schließen kann von den Konservativen der PSL-Agrarier bis hinüber zu den Linkskräften. Allerdings wird sie den schwierigen Spagat aushalten müssen, denn der Oppositionsbogen hält stärker und einfacher zusammen, wenn es unmittelbar gegen das nationalkonservative Regierungslager geht, besitzt allerdings eine viel schwächere Bindungskraft, sobald die eigenen Visionen über die Zukunft des Landes in den drei unterschiedlichen und selbst meistens wieder heterogen zusammengesetzten Oppositionsrichtungen in den Vordergrund gerückt werden. Im Kleinen muss sich bereits das KO-Bündnis daran üben, denn ohne ein verständliches positives Programm wird im Frühjahr nächsten Jahres Amtsinhaber Duda nicht zu schlagen sein. Die Möglichkeiten, vor allem Stimmen gegen die Regierungspraktiken der Nationalkonservativen zu mobilisieren, sind mit dem ablaufenden Wahljahr ausgereizt, sie müssen nun viel stärker ergänzt werden durch neue Wege, um wieder Bewegung in die verhärteten Fronten zu bringen. Darauf zu achten, dass dabei das wertvolle Oppositionsbündnis zwischen konservativen Agrariern, den Bürgerlich-Liberalen und den linksgerichteten Kräften grundsätzlich intakt bleibt, gehört zu den wichtigen, indes auch schwierigen Aufgaben des bürgerlich-liberalen Lagers.
- Mit dem Einzug der Linkskräfte in den Sejm, die jetzt 49 Abgeordnetensitze besetzen, bekommen die Bürgerlich-Liberalen ein wichtiges Korrektiv zur Seite, das tatsächlich genutzt werden kann, um auf Oppositionsseite in den Auseinandersetzungen mit dem Regierungslager zusätzliches Profil zu gewinnen. Für die Linkskräfte heißt das aber zunächst, dass sie mit dem – zumindest – liberalen Fahrwasser rechnen müssen, das in der deutlich stärkeren bürgerlichen Mitte vorgegeben wird. Die schwere Kunst, ein eigenes, unverwechselbares Profil zu gewinnen, ohne vom gemeinsamen Kurs des Oppositionslagers gegen die nationalkonservative Regierungsmehrheit abzuweichen, muss erst erlernt werden.
- Die Linksdemokraten der SLD hätten auch den linksliberalen Flügel eines breiteren bürgerlich-liberalen Blocks bilden können, doch es ist anders gekommen. Schnell wurden sie – die Bereitschaft der anderen beiden linksgerichteten Gruppierungen vorausgesetzt – zum unentbehrlichen Rückgrat für das linksgerichtete Wahlbündnis. Die Verwurzelung in den lokalen und regionalen Selbstverwaltungsstrukturen war vergleichsweise die beste, was im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielte, denn unersetzbar war die in vielen Jahren gewachsene, immer noch handlungsfähige landesweite Struktur. Und das Zusammengehen mit den anderen beiden linksgerichteten Strukturen wurde bei den weitgehend in die Tage gekommenen Linksdemokraten als erhoffte Möglichkeit begrüßt, sich überhaupt an Haupt und Gliedern erneuern zu können.
- Der erst in diesem Jahr ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückte Gruppierung Wiosna (poln. Frühling), die mehr Bewegung ist als Partei, blies nach den wohl erfolgreichen Wahlen zum Europäischen Parlament ein immer stärkerer Gegenwind ins Gesicht, so dass sich Wiosna-Gründer Robert Biedroń und andere Spitzenleute frühzeitig für ein breiteres Linksbündnis entschieden, um nicht an der Fünf-Prozent-Hürde hängen zu bleiben. Während im Wahlkampf für das EU-Parlament noch vermieden wurde, sich als links zu bezeichnen, denn man rechnete noch, als breiter Träger des Fortschritts neben den Nationalkonservativen und den Bürgerlich-Liberalen zur unumstrittenen dritten Kraft aufsteigen zu können, kehrte man im Sommer gewissermaßen zu den Wurzeln zurück, denn viele der namhafteren Wiosna-Leute hatten das politische Handwerkszeug einst in linksgerichteten Strukturen gelernt. Nach dem Einzug in den Sejm gibt es erste Überlegungen, zusammen mit den Linksdemokraten eine neue linksgerichtete Partei zu gründen, die am ehesten als sozialdemokratisch-alternativ bezeichnet werden könnte, die aber auch Razem offenstehen soll.
- Die Razem-Partei (poln. Zusammen) hatte von vornherein kaum eine Chance, als einzelne Gruppierung in den Sejm einzuziehen, denn das schwache Ergebnis zu den EU-Wahlen im Mai war zu ernüchtern. Insofern gab es keine großen Spielräume, um alleine gegen ein breiteres Linksbündnis anzutreten. Die einstigen tiefsitzenden Vorbehalte gegen die Linksdemokraten der SLD wurden beiseitegeschoben, Parteigründer Adrian Zandberg stieg schnell zu einem der wichtigsten Zugpferde in der linken Wahlkoalition auf. Die sechs Mandate im Sejm, die für Razem-Aktive schließlich heraussprangen, entsprechen prozentual in etwa den Umfragewerten vor dem Beitritt zum Linksbündnis, wobei man alleine weit von der Fünf-Prozent-Hürde entfernt geblieben wäre, so dass die sechs Mandate nun ein erheblicher Gewinn sind. Noch steht die Entscheidung aus, wie sich Razem künftig im Parlament ausrichten wird. Auch die Frage einer möglichen neuen Linkspartei, für die sich führende Leute bei den Linksdemokraten und bei Wiosna bereits aussprechen, ist noch offen.
- Zwei wichtige oder zentrale Aufgaben stehen vor den im Parlament vertretenen Linkskräfte Polens: Einmal muss schnell ein sozialpolitisches Profil entwickelt werden, das bislang im gesamten Oppositionsbogen zu den Schwachpunkten gehört. Der anhaltende Erfolg der Nationalkonservativen gründet sich zu einem erheblichen Teil auf die sozialpolitischen Maßnahmen und Versprechungen, die im Rahmen des strikt auf die polnischen Familien zugeschnittenen Programms eine wichtige, wenn auch instrumentalisierte Rolle spielen. Die lange Zeit übliche Oppositionskritik, dass sich solche Maßnahmen haushaltspolitisch nicht „rechnen“ würden, hat sich schnell blamiert, so dass nun vor allem die Linkskräfte gefordert sind, eine passende Antwort zu finden. Von den drei linken Gruppierungen ist diesbezüglich Razem, also der bei weitem kleinste Teil, am nachdrücklichsten auf die sozialpolitische Herausforderung des Regierungslagers eingegangen. Zudem sind die traditionell guten Kontakte der Linksdemokraten zu dem Gewerkschaftsdach OPZZ ein wichtiges Faustpfand, das nun zu nutzen ist. Und zugleich sind die Linkskräfte nun gefordert, das weltoffene, linksliberale Profil des Oppositionsbogens zu fixieren und zu stärken, wobei die auf eine sich vertiefende EU-Integration gerichteten Positionen ein wichtiges Scharnier im Zusammenspiel mit den Bürgerlich-Liberalen sein werden. Diesbezüglich hat Wiosna ein größeres Potential, das nun für die gemeinsamen Ziele zu nutzen ist. Eine wichtige Rolle werden dabei auch die langjährigen europapolitischen Erfahrungen der Linksdemokraten spielen.
Holger Politt ist im November zu drei Vorträgen zu Gast in Brandenburg:
Mittwoch, 13. November 2019, 18 Uhr, Potsdam
Donnerstag, 14. November 2019, 17 Uhr, Brandenburg an der Havel
Kein Durchmarsch der Nationalkonservativen
Erster Teil der Analyse von Holger Politt, Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau, zu den Parlamentswahlen in Polen vom 13. Oktober 2019.
vom 15. Oktober 2019
- Das wichtigste Ergebnis der Parlamentsahlen in Polen am 13. Oktober 2019 ist zweifelsohne die absolute Mehrheit der Abgeordnetensitze im Sejm für die von Jarosław Kaczyński geführten Nationalkonservativen. Von den insgesamt 460 Sitzen im polnischen Unterhaus entfallen künftig 235 auf die Regierungspartei. Damit kann Kaczyńskis Partei die Alleinregierung fortsetzen, um – wie in den zurückliegenden Wochen vor den Wahlen immer wieder erklärt wurde – den in den letzten vier Jahren begonnenen gründlichen Umbau von Staat und Gesellschaft im Interesse der polnischen Familien zu vollenden. Ganz am Schluss der Wahlkampagne sagte Kaczyński unmissverständlich, dass die Regierenden es geschafft hätten, jene Kräfte öffentlich an den Pranger zu stellen, die mit den Feinden Polens zusammenarbeiten würden, und er versprach, dass die Regierenden es auch künftig so halten würden. Gemeint sind seine politischen Gegner – was also zumindest eine besondere Denkungsart verrät. Die Wahl der Kaczyński-Partei bedeutet also, dass ein großer Teil der polnischen Gesellschaft hinter dieser vor Kraft strotzenden Rhetorik den Weg gewiesen sieht, auf dem das vollmundig versprochene Erreichen des wirtschaftlichen Entwicklungsniveaus der reicheren EU-Mitgliedsländer am besten umgesetzt werden kann. Auch wenn sich die Wählerschaft der Nationalkonservativen aus unterschiedlichen Motiven und Quellen speist und zusammensetzt, erwähnt seien hier die sehr wichtigen sozialen Gründe wie ein gesetzliches Kindergeld und eine zusätzliche monatliche Rentenauszahlung, stellte Parteichef Kaczyński noch einmal klar, wofür die abgegebene Stimme letztlich gebraucht werde.
- Die Wahlbeteiligung betrug 61,74 Prozent, der mit Abstand höchste Wert seit 30 Jahren. Eine der Gründe liegt in der von Kaczyński gewollten unvorstellbaren Polarisierung der öffentliche Debatte in den zurückliegenden vier Jahren, so dass ein führendes liberales Wochenblatt ins Schwarze traf, als es titelte: Eine einfache Wahl – schwarz oder weiß. Und so darf der Sieger vom 13. Oktober 2019 stolz auf eine andere Zahl verweisen, die seit 1989/90 noch keine Gruppierung erreicht hat, denn für die Nationalkonservativen wurden bei der Sejm-Wahl 8,05 Millionen Stimmen abgegeben, was einen Anteil von 43,59 Prozent der abgegebenen Stimmen ergibt. Mit den damit erreichten Abgeordnetensitzen halten die Nationalkonservativen nun alle anderen im Schach, doch macht der Blick auf die nüchternen Zahlen hinter den erreichten Sejm-Sitzen noch eine andere Wahrheit deutlich. Anders als vor vier Jahren, als zusammengerechnet 16 Prozent der abgegebenen Stimmen wegen des jeweiligen Scheiterns an den obligatorischen Prozenthürden keinen einzigen Parlamentssitz erobern konnten, finden sich nach diesen Wahlen 99 Prozent der abgegebenen Stimmen auch im neuen Sejm repräsentiert. Landesweit waren fünf Wahllisten angetreten, alle haben den Einzug geschafft. Während die Nationalkonservativen vor vier Jahren der Nutznießer des hohen Anteils an verlorenen Stimmen waren, sind sie diesmal von einem für den Wähler nicht leicht zu durchschauenden Wahlsystem begünstigt worden. Zusammengerechnet kommen nämlich die vier anderen Wahllisten auf einen Anteil von 54,76 Prozent der abgegebenen Stimmen, die aber lediglich 224 Abgeordnetensitze einbringen. Auch die Stimmenzahl ist beeindruckend: 10,2 Millionen Stimmen wurden ausdrücklich nicht für die Nationalkonservativen abgegeben.
- Das weitergehende Ziel der Nationalkonservativen ist die Verfassungsänderung, überhaupt eine neue Verfassung. Die geltende Verfassung von 1997 ist ihnen viel zu liberal, sie verketzern sie als eine postkommunistische Zumutung, mit der das Land und seine Bürger nicht genügend vor den äußeren Eingriffen gegen die nationale Souveränität und Identität geschützt werden könnten. Die drei ausdrücklich die geltende Verfassung verteidigenden Listen – die bürgerlichen Demokraten, die Linkskräfte und die moderaten Agrarier – erreichten zusammengerechnet mit 8,95 Millionen Stimmen ein Ergebnis, was deutlich über dem Stimmenergebnis der Nationalkonservativen liegt, auch wenn diese Stimmenzahl nur 213 Abgeordnetensitze eingebracht hat. Allerdings können die Nationalkonservativen bei dieser Rechnung auf jene Gruppierung verweisen, die rechts von ihnen ins Parlament eingezogen ist – die sogenannte Konföderation für Freiheit und Unabhängigkeit –, die immerhin 1,25 Millionen Stimmen oder 6,81 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen an sich zog. Dass die stramm nationalistisch ausgerichtete Konföderation in der Ablehnung der Verfassung von 1997 mit den Nationalkonservativen übereinstimmt, steht außer Zweifel.
- Im Lager der die Verfassung verteidigenden Opposition hat die im Kern liberale Koalition der bürgerlichen Demokraten, ein breiterer Zusammenschluss von gemäßigten Konservativen bis hin zu linksliberalen und grünen Kräften, mit 27,4 Prozent der abgegebenen Stimmen ein Ergebnis erreicht, das zumindest unter den eigenen Erwartungen lag. Dennoch bleibt diese Kraft von zentraler Bedeutung für die Opposition gegen das nationalkonservative Regierungslager, ist außerdem in der Lage, die Bündnisoption mit den anderen beiden demokratischen Gruppierungen im Oppositionslager aufrechtzuerhalten, was für die im Mai 2020 anstehende Wahl des Staatspräsidenten eine wichtige Rolle spielen wird.
- Mit 12,56 Prozent der abgegeben Stimmen, die 49 Parlamentssitze bedeuten, ist den zusammengeschlossenen Linkskräften der erhoffte Einzug ins Parlament gelungen. Das Fehlen linksgerichteter Kräfte im Parlament in der zurückliegenden Legislaturperiode hatte spürbare Auswirkungen gehabt, so dass nun ein großer Schritt getan wurde, um bereits auf der Parlamentsbühne die Auseinandersetzung mit den nationalkonservativen Vorstellungen der Regierenden zu suchen. Damit ist bereits unterstrichen, dass ein Schwerpunkt der neuen Linkskräfte im Parlament auf weltanschauliche und Freiheitsfragen in der modernen Gesellschaft gelegt ist. Wie sich das künftig mit den anderen, für linke Kräfte wichtigen Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung einrenken wird, wie sich überhaupt das Zusammenspiel mit den liberalen Kräften, die ja einen stärkeren linksliberalen Flügel haben, gestalten wird, kann nun künftig beobachtet werden. Einstweilen dürfen sich die Linkskräfte in Polen darüber freuen, dass der Zusammenschluss zum Teil völlig unterschiedlicher Kräfte im Sommer des Jahres zum Erfolg geführt hat.
- Zu einem wichtigen Erfolg kam die demokratische Opposition bei den Wahlen zum Senat. In das Oberhaus des polnischen Parlaments ziehen die in einem Wahlgang ermittelten Sieger aus 100 Wahlkreisen ein. Die drei Listen der demokratischen Opposition hatten sich frühzeitig verständigt, möglichst jeweils nur mit einem Kandidaten anzutreten, um die Stimmen nicht unnötig zu aufzuteilen. Dieses Vorhaben wurde weitgehend durchgehalten und führte schließlich zum Erfolg, denn im Senat werden die Oppositionskräfte künftig 51 Abgeordnete haben. Das hat einerseits eine symbolische Bedeutung, ist zumindest ein kleines Trostpflaster für die Niederlage bei den Sejm-Wahlen – trotz großen Stimmenvorsprungs –, außerdem erschwert es dem Regierungslager nun insofern die Arbeit, weil die aus dem Sejm kommenden Gesetzesentwürfe künftig nicht mehr innerhalb nur kurzer Zeit durchgewinkt werden, was in der zurückliegenden Legislaturperiode gängige Praxis war, sondern gründlicher geprüft und gegebenenfalls an den Sejm zurückverwiesen werden können.
Bereits im Vorfeld der Wahlen hat Holger Politt die Situation in Polen beschrieben:
Vor den Parlamentswahlen in Polen. Ein kurzer Überblick
In Polen wird am 13. Oktober 2019 ein neues Parlament gewählt – vergeben werden die 460 Sitze im Sejm und 100 Sitze im Senat.
von Holger Politt, Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau
Die Umfrageinstitute haben in den zurückliegenden Wochen zu erwartende Korridore an Stimmen ausgelotet, innerhalb derer die fünf landesweit antretenden Wahlkomitees die Chancen nun am Schopfe packen wollen.
Für die seit Herbst 2015 alleinregierenden Nationalkonservativen werden Werte zwischen 40 und 45 Prozent der abgegebenen Stimmen erwartet, so dass die Frage noch unbeantwortet bleiben muss, ob sie die Alleinregierung fortsetzen können. Bei den Nationalkonservativen unter Führung Jarosław Kaczyńskis geht man zwar seit den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai dieses Jahres fest davon aus, die absolute Mehrheit der Parlamentssitze mit Werten um 45 Prozent zu verteidigen, doch halten sich viele Beobachter noch auffallend zurück mit solchen Prognosen. Wer allerdings in den letzten Wochen das Land besucht und nach Spuren des Wahlkampfes gesucht hat, stieß am häufigsten und vielerorts gar ausschließlich auf die Angebote der Nationalkonservativen. Und die öffentlich-rechtlichen Medien, die seit 2015 ungeniert zu einem ausschließlichen Instrument für die Regierungspolitik umgebaut wurden, verstärken ohnehin den Eindruck, dass hier eine einzige wirkliche Volkspartei mit einem breiten Zuspruch in der Bevölkerung gegen den versprengten Rest der polnischen Gesellschaft antritt. Hin und wieder blieb es also Parteiführer Kaczyński vorbehalten, seine Anhänger zu warnen, dass noch nicht aller Tage Abend sei.
Für die wichtigste Oppositionskraft, die im Kern liberal ausgerichtete Bürgerkoalition (KO), werden 27 bis 33 Prozent der abgegebenen Stimmen prognostiziert. Das liberale Bündnis ist breit aufgestellt, reicht bis ins konservative oder linksliberale Spektrum hinein, und sieht sich selbst als die entscheidende Kraft zur Verteidigung der geltenden Verfassung von 1997. Den größten Zuspruch hat die Koalition vor allem in den großen Städten des Landes. Die Spitzenkandidatin Małgorzata Kidawa-Błońska hat zuletzt einen Regierungsanspruch erhoben, wobei es in erster Linie darauf ankommen wird, die absolute Mehrheit der National-konservativen im künftigen Sejm zu verhindern. Den meisten Beobachtern ist klar, dass ein gutes Abschneiden der Bürgerlich-Liberalen – also ein Ergebnis von über 30 Prozent – der Grundstock sein könnte für ein erfolgreiches Abschneiden des die geltende Verfassung verteidigenden Oppositionslagers.
Zum Oppositionslager gehört als zweitstärkste Kraft eine linksgerichtete Liste „Lewica“ (Linke), die im Kern linksdemokratisch-alternativ ausgerichtet ist und bei diesen Wahlen vor der schwierigen Aufgabe steht, ein Wählerpotential von bis zu 15 Prozent tatsächlich in die entsprechenden Parlamentssitze umzumünzen. Prognostiziert werden zwischen 10 und 15 Prozent, so dass von einem Einzug der linksgerichteten Liste ausgegangen werden kann. Damit würde eine politische Kraft, die 2015 – getrennt antretend – an den entsprechenden Prozenthürden scheiterte, in den Sejm einziehen, was die politische Landschaft selbst bei einer Fortsetzung der nationalkonservativen Alleinregierung aus Sicht breiter verstandener zivilgesellschaftlicher Interessen ohnehin vorteilhaft verändern würde.
Ein wichtiges Signal für die angesprochenen Wählerschichten war zudem, dass sich in diesem linksgerichteten Block nun politische Kräfte zusammengeschlossen haben, die in noch gar nicht so weit zurück-liegender Vergangenheit gerne öffentlich demonstrierten, was alles von den anderen linksgerichteten Gruppierungen sie unterscheide. Bei einem Erfolg, also dem Einzug ins Parlament mit mehr als 10 Prozent der abgegebenen Stimmen, wird ein anschließender umfassender Neuaufbau dieses politischen Lagers von vielen Verantwortlichen nicht mehr ausgeschlossen. Somit stehen die linksgerichteten Kräfte Polens vor einer doppelten Herausforderung: Erstens müssen sie ihren zählbaren Beitrag leisten, um das Verfassungslager für die künftigen politischen Auseinandersetzungen – so oder so – zu stärken. Zweitens aber wird dann ein grundlegender Umbau der bisherigen Strukturen – und das betrifft die Linksdemokraten der SLD, die Razem-Partei sowie die Frühlingsbewegung Robert Biedrońs gleichermaßen – auf längere Sicht nicht ausbleiben.
Dritter im Bunde des Oppositionslagers sind die moderaten Agrarier der PSL, die nach dem für sie enttäuschenden Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai als erste ein breites, liberal geführtes Oppositionsbündnis mit dem Argument verlassen hatten, dass dieses in eine linksliberale Schieflage geraten sei, weshalb die eigene Wählerschaft in den Dörfern und Kleinstädten die Wahl oft genug verweigert habe. Insbesondere sei der Schulterschluss im liberalen und linksgerichteten Lager mit den LGBTIQ+-Organisationen in großen Teilen der Wählerschaft als ein Angriff auf die traditionellen Werten der Familie wahrgenommen worden. Für die Parlamentswahlen haben die moderaten Agrarier sich nun neu ausgerichtet, füllen gewissermaßen den konservativen Flügel im Oppositionsspektrum und wollen als eigen-ständige Kraft in das künftige Parlament einziehen. Weil die Umfragen im Sommer ein mögliches Scheitern an der Fünfprozenthürde signalisierten, entschied sich die Parteiführung für die Öffnung der eigenen Liste und ein Quasibündnis mit dem übriggebliebenen, wohl auch kräftig weichgespülten Rest der rechtspopulistischen Bewegung von Paweł Kukiz, die 2015 fast neun Prozent der abgegebenen Stimmen erlangen konnte. Während Kukiz früher nicht aufhörte, vor allem die PSL als einen schlimmen Vertreter sogenannter Systemkräfte anzuschwärzen, hat er heuer – auch angesichts eigener Umfragewerte von nur noch drei Prozent – Kreide gefressen, spricht von ehrenwerten Leuten, die es verdienten, im künftigen Parlament vertreten zu sein. Prognostiziert werden dem eigenartigen Bündnis Werte zwischen vier und acht Prozent. Und alle Beobachter konstatieren unisono, dass ein Scheitern der PSL-Liste angesichts der zu erwartenden Stimmenverteilung wohl eine Fortsetzung der nationalkonservativen Alleinregierung bedeuten würde.
Ein großes Fragezeichen setzen die Demoskopen hinter dem stramm rechtsgerichteten Wahlbündnis Freiheit und Unabhängigkeit, kurz Konföderation genannt, dass den Stier insofern bei den Hörnern packen will, weil es die Lücke nach rechts erfolgreich zu nutzen sucht, die Kaczyńskis Nationalkonservative notgedrungen offenlassen müssen, wollen sie nicht leichtfertig den so wichtigen Wählerzuspruch im konservativen Spektrum aufs Spiel setzen. Ein Schulterschluss mit jenen Kräften, die offen den Austritt Polens aus der Europäischen Union verlangen, weil sie das „sozialistische“ Brüssel für eine Wiederkehr Moskaus halten, wäre selbst Kaczyński und seinen Leuten viel zu riskant. Die Konföderation wird meistens zwischen drei und sechs Prozent notiert, so dass ein Einzug in das Parlament nicht ausgeschlossen werden kann, wiewohl die Beobachter meistens sehr vorsichtig sind mit solchen Vorhersagen.
Sollten alle hier aufgezählten fünf Listen tatsächlich am Wahlabend des 13. Oktobers in den Sejm eingezogen sein, dürften selbst 45 Prozent der abgegebenen Stimmen für die Nationalkonservativen nicht mehr reichen, um die Alleinregierung fortsetzen zu können. Sollte nur die EU-feindliche Konföderation scheitern, die anderen vier Gruppierungen aber entsprechend der vorhergesagten Korridore einziehen, wird der Rechenschieber gebraucht, bis die wohl wichtigste Frage des Wahlabends beantwortet werden kann: Haben die Nationalkonservativen ihr Ziel der Alleinregierung erreicht oder haben sie es – wenn auch denkbar knapp – verfehlt!
Die Senatswahlen, die in nur einem Wahlgang nach Mehrheitswahlrecht die Sieger in den 100 Wahlkreisen mit einem Abgeordnetenmandat belohnen, stehen normalerweise deutlich im Schatten der Wahlen zum Sejm. Daran wird sich auch dieses Mal nichts grundlegend ändern, wiewohl es eine gewisse, aus der politischen Entwicklung seit 2015 sich ergebende Zuspitzung gibt. Die Listen im demokratischen Oppositions-spektrum haben sich weitgehend auf jeweils nur einen Startplatz einigen können, so dass die Wählerinnen und Wähler am 13. Oktober bei der Wahl ihrer Senatorin oder ihres Senators im ganzen Land vor der vergleichsweise einfachen Wahl stehen, nämlich den Nationalkonservativen oder der demokratischen Opposition die so wichtige Stimme zu geben. Auch hier wird vielfach ein knapper Ausgang erwartet, wobei die eigentliche Spannung auf jenen etwa 25 Wahlkreisen liegt, die im Vorfeld weder der einen noch der anderen Richtung sicher zugeordnet werden können.