News | Parteien / Wahlanalysen - Europa - Westeuropa - Europa links Sad but proud!

Johanna Bussemer über das Wahldesaster der Labour-Partei und das Ende der Ära Corbyn

Information

Jeremy Corbyn
Der britische Oppositionsführer der Labour-Partei, Jeremy Corbyn, verlässt nach den Parlamentswahlen in London am 13. Dezember 2019 die Parteizentrale. REUTERS / Henry Nicholls

Mit Corbyns angekündigten Rücktritt verliert nicht nur das Vereinigte Königreich die Chance auf eine grundlegende sozial-ökologische Transformation, sondern die Linke in Europa eines ihrer optimistischen Projekte.

«Sad but proud» – Traurig aber stolz, sagt Jeremy Corbyn im Interview mit dem Guardian zum Wahldebakel seiner Labourpartei. Es sei nicht gelungen Wähler*innen über das Brexit-Thema hinaus zu erreichen und dadurch das Land wieder zu einen, so Corbyn weiter.

Johanna Bussemer leitet das Büro London und das Europa-Referat der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Diesen Riss und den haushohen Gewinn der Tories kommentierte der Journalist Paul Mason in der Nacht nach der Wahl per Twitter: «Wenn, wie die BBC-Hochrechnungen es voraussagen, die Tories bis zu 70 Sitze dazu gewinnen, dann ist das ein Sieg der Alten gegen die Jungen, der Rassisten gegen farbige Menschen, der Eigensucht gegen die Belange des Planeten. Schottland wird das Vereinigte Königreich verlassen. Das fühlt sich nicht richtig an, im Vergleich zudem was wirklich ist.» Damit hat er Recht und dennoch sind die Gründe für das unerwartet schlechte Abschneiden der Labour-Partei komplexer, als dass sich nur zu viele Menschen für die wohl schlechtere Zukunftsoption des Vereinigten Königreichs entschieden hätten. Stattdessen zeigt das Wahlergebnis vor allem, dass die Menschen in vielen Regionen des Landes die politische Situation, die wachsende Ungleichheit und die politischen Antworten darauf, anders rezipiert als das linke bis links-liberale Milieu annimmt. Denn es ist nicht allein die wohlsituierte Elite, die den Brexit um jeden Preis herbeigesehnt hat.

Die Gründe für das schlechte Abschneiden der Labour-Partei

Der britische Guardian, der anders als große Teile der britischen Presse, die unverhohlen für Boris Johnson warben, ganz zum Schluss noch mal beherzt ein Wort für Jeremy Corbyn eingelegt hatte, sieht fünf Gründe für das desaströse Abschneiden Labours:

(1) die Unbeliebtheit Jeremy Corbyns bei der britischen Bevölkerung; (2) das Labour Manifest, welches zu ausführlich gewesen sei und teils übertriebene Angebote gemacht hätte. So sei zum Beispiel das versprochene kostenfreie Breitband-Internet für alle beim Haustürwahlkampf eher als übertriebenes Wahlgeschenk denn als nötige Maßnahme wahrgenommen worden; (3) die Brexit-Strategie. Da selbst das Schattenkabinett um Jeremy Corbyn gespalten gewesen sei, wäre der Vorschlag nach der gewonnen Wahl ein zweites Referendum durchzuführen, nicht vermittelbar gewesen. Zudem würde mit diesem Kompromiss die Entscheidung von 17,4 Millionen Wählern, die seinerzeit für den Brexit gestimmt haben, nicht ernst genommen, zitiert der Guardian den Labour-Parteivorsitzenden Ian Lavory. (4) Das Zusammenbrechen der sogenannten «Roten Wand». Damit ist der Verlust von Wahlkreisen für Labour in den ehemaligen Kohle-, Stahl-  und Industriestandorten wie z.B. Bolther, Blyth Valley und Rother gemeint. Dort sei es Labour nicht gelungen, das klassische Wählerpotential in der Arbeiterklasse noch zu erreichen. Zu guter Letzt (5) sei die Strategie der Labour-Wahlkampagne nicht aufgegangen. Die Wahlkampagne von Momentum hätte, so einige Aktivistinnen, zu sehr darauf fokussiert marginalisierte Kandidat*innen ihrer eigenen innerparteilichen Strömung zu unterstützen.

Nicht für auschlaggebend hält demnach der Guardian die Antisemitismus-Vorwürfe, die die Labour-Partei bis zum letzten Moment begleitet haben. Dennoch wird eine wie auch immer zusammengesetzte Labour-Führung, die als Konsequenz der Wahlniederlage entstehen wird, sich des Themas mehr als beherzt annehmen müssen.

Ausschlaggebend wird jedoch hingegen gewesen sein, dass die Idee Labours, anstatt des Brexit die Erneuerung des staatlichen Gesundheitssystems in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampagne zu stellen, ebenfalls nicht aufgegangen ist. Denn der Sieg Johnsons, dessen Tories weit weniger detailliertere Vorschläge zur Verbesserung der sozialen Situation gemacht hatten, zeigt vor allem, dass der Brexit das wahlentscheidende Thema war.