Auch im in dieser Hinsicht als zurückhaltend geltenden Deutschland hat der öffentlich artikulierte Protest inzwischen seine eigene Geschichte: Die "Studentenunruhen" der 1960er-Jahre, die Massendemonstrationen gegen Atomwaffen und Atomkraftwerke sowie die folgeträchtigen Bürgerproteste von 1989/90 sind nur einige seiner Stationen. Im Gegensatz zum repressiven Vorgehen des SED-Regimes im Umgang mit oppositioneller Gegenöffentlichkeit wurde und wird dabei im politischen und medialen Diskurs häufig der vergleichsweise liberale Umgang der Bundesrepublik mit "ihren" vielfältigen außerparlamentarischen Oppositionen hervorgehoben. Aus distanzierterer Sicht scheint hingegen weniger Liberalität das charakteristischste Merkmal dieses Umgangs gewesen zu sein, sondern vielmehr ein dynamisches Spannungsverhältnis zwischen Dialogbereitschaft, Duldung und antikommunistisch motivierter Repression. Dieses Spannungsverhältnis suchte die hier skizzierte Hamburger Tagung näher zu beleuchten.
MICHAEL RUCK (Flensburg) beschrieb im Eröffnungsvortrag einige grundlegende Entwicklungslinien der öffentlichen Verwaltung. Dabei ging er auf den Wechsel von Planungseuphorie zu Planungsskepsis während der 1970er-Jahre ebenso ein wie auf den generationellen und kulturellen Wandel. Dieser äußere sich unter anderem in einer inzwischen routiniert angewandten, aktiven Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Vertreter in entsprechende Entscheidungsprozesse, insbesondere auf lokaler Ebene. Anknüpfend an Überlegungen von Ellwein [1] verwies Ruck jedoch auch auf die anhaltend hohe Beharrungskraft administrativer Strukturen, die sich neuen Ausgangslagen zwar anpassen, aber nur langsam grundlegend ändern würden. Es greife somit zu kurz, lediglich von einer "Öffnung" zu sprechen; vielmehr sei unklar, ob der gewandelte Umgang der Verwaltung mit der von ihren Maßnahmen betroffenen Bevölkerung Anzeichen einer genuinen Liberalisierung oder lediglich eine neue Spielart staatlicher Gouvernmentalität sei.
Im ersten, auf die 1970er-Jahre bezogenen Panel Alternative Räume skizzierte UWE SONNENBERG (Potsdam) den linken Buchhandel und DAVID TEMPLIN (Hamburg) die damalige Jugendzentrumsbewegung in der Bundesrepublik. Beide Vorträge betonten das Ringen der beteiligten Akteure, Gegenöffentlichkeiten zu den offiziellen Leitlinien der westdeutschen Gesellschaft zu entwerfen. Während der linke Buchhandel jedoch im Zuge von CDU/CSU-Initiativen zum Schutz eines postulierten "Gemeinschaftsfriedens" insbesondere durch die 1976 eingerichteten, die Befürwortung und Anleitung von Straftaten betreffenden Paragraphen 88a und 130a StGB zusehends kriminalisiert und marginalisiert wurde, konnte die Jugendzentrumsbewegung durchaus einige Erfolge verbuchen. Bürgermeister und kommunale Verwaltungen bewilligten demnach eine Vielzahl der von den Jugendlichen geforderten, selbstverwalteten Freizeitzentren. Obwohl diese vor allem von konservativer Seite als Keimzellen von Drogenmissbrauch und kommunistischer Agitation diffamiert wurden, scheiterten sie nach Templin häufiger an den praktischen Herausforderungen der Selbstverwaltung als an staatlichem Widerstand. Im Gegensatz zu dieser relativen Erfolgsgeschichte plädierte Sonnenberg angesichts des repressiven, staatlichen Umgangs mit dem linken Buchhandel in Anlehnung an alternative Interpretationen der jüngeren bundesdeutschen Geschichte vor allem von Foschepoth und Rigoll [2] für eine kritische Reflexion der 1970er-Jahre jenseits eingängiger Narrative einer fortschreitenden Demokratisierung und Liberalisierung.
Der vollständige Bericht ist auf HSoZKult erschienen und über den nachfolgenden Link erreichbar. Verfasst hat ihn Jochen Molitor, Historisches Institut, Universität zu Köln.