Onno Poppinga war von 1975 bis 2008 Professor an der Universität Kassel, zuletzt im Fachgebiet "Landnutzung und regionale Agrarpolitik", das seit 2003 am Standort Witzenhausen ansässig ist. Mit der Emeritierung von Poppinga, die der Anlass für dieses Buch ist, wird die Professur nicht mehr wiederbesetzt, seine Zeitschrift eingestellt und der Fachbereich angehalten, mit der eher traditionell geprägten Göttinger Agrarfakultät zu kooperieren. Wer ist Onno Poppinga?
Poppinga wird 1943 geboren, seine Eltern hatten einen größeren Bauernhof in Ostfriesland. Als eines von vier Kindern macht er zunächst eine landwirtschaftliche Lehre und studiert danach in Stuttgart-Hohenheim Allgemeine Agrarwissenschaft. Dort promoviert er 1973 mit einer Arbeit mit dem für die damalige Zeit typischen Titel „Politisches Verhalten und Bewusstsein deutscher Bauern und Arbeiter-Bauern, unter besonderer Berücksichtigung revolutionärer und gegenrevolutionärer Bewegungen und Ansätze“. 1975 wird er Professor an der damaligen Gesamthochschule Kassel und in diesem Jahr erscheint seine Dissertation unter dem Titel "Bauern und Politik". Er ist unter anderem Mitbegründer der "Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft" (AbL), der wichtigsten Organisation der Agraropposition und gilt als einer der wichtigen Ideengeber für eine bäuerliche, sozialökologische und an den regionalen Bedingungen ausgerichtet Agrarpolitik. Neben seiner Hochschultätigkeit betreibt er seit 1979 gemeinsam mit seiner Frau einen Pensionspferde-Betrieb. Dies ist für ihn auch ein Weg, um die Verbindung zur Praxis nicht zu verlieren.
Das Buch enthält neben einer (unvollständigen) Bibliographie der Schriften Poppingas zehn Kapitel, in denen sich die Beiträge der FreundInnen und SchülerInnen um jeweils einen wiederveröffentlichten Text von Poppinga ranken.
Poppinga und seinem Umfeld ging es um einen Dialog zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Planung und er selbst war ein unermüdlicher Mentor für seine MitarbeiterInnen und die Interessensverbände und politischen Bündnisse, in denen er mitarbeitete. Diese verstanden und verstehen Landwirtschaft als soziales und kulturelles Phänomen und nicht nur als ökonomisches oder nur ökologisches Problem.
Poppinga organisierte zuerst mit der AG Ländliche Entwicklung, dann mit dem Fachgebiet "Landnutzung und regionale Agrarpolitik" eine Forschung von, für und mit Bauern, VerbraucherInnen, NaturschützerInnen. , vor allem durch seine oftmals nach herrschender Definition „abgelegenen“ Publikationen und durch die 1986 gegründete Zeitschrift arbeitsergebnisse, von der bis zu ihrer Einstellung Anfang 2009 immerhin 62 Ausgaben erschienen sind und die schnell zum heimlich in den Ministerialbürokratien gelesenen Theorieorgan der Agraropposition wurde.
Poppinga arbeitet agrarpolitisch, agrarsoziologisch und in der Publikation seiner Dissertation (unter dem Titel „Bauern und Politik“ 1975) sowie in zwei Büchern über die Bodenreform in Hessen und den antifaschistischen Widerstand in Ostfriesland agrarhistorisch: So kann er (mit) als Entdecker zweier Orte gelten, die später in eigenen Publikationen als Beispiel dafür gelten, dass und wie in der Provinz antifaschistischer Widerstand geleistet wurde: Mössingen (bei Tübingen) und Moordorf in Ostfriesland, beides ländliche Orte mit einer starken kommunistischen Tradition(1). Poppinga und seine MitstreiterInnen machen so Mitte der 1970er Jahre schon „Oral History“ - lange bevor der Begriff in der akademischen Welt bekannt wird.
Nicht zuletzt ist das Buch auch eine kleine Organisationsgeschichte der undogmatischen Linken und der Agraropposition (die neben den Kirchen auch die maoistischen Gruppen und das Sozialistische Büro als ihre wichtigste nicht direkt bäuerliche Wurzel hat, Poppinga zählte sich wohl zum SB und seinen Sozialistischen Zentren) und es ist eine gute Ideengeschichte der Agraropposition in ihren Debatten um den gestaffelten Preis, die Umweltauswirkungen verschiedener Betriebsgrößen und etliches andere mehr.
Poppinga ist ein Typ Hochschullehrer, der ausgestorben sein dürfte, gleichzeitig steht man aus heutiger Sicht ungläubig vor dem Umstand, dass bekannte Linke in den goldenen 70er Jahren mit 32 Jahren Professor werden konnten. Wenn Wolfgang Abendroth der Partisanen-Professor war, dann, das macht das Buch deutlich, ist Poppinga der Partisan unter den Agrarprofessoren – oder einfach ein knorriger und engagierter Bauern-Professor.
Autorenkollektiv (Hrsg.): Gegenwind aus Ostfriesland: Bäuerliche Landwirtschaft und Agrarpolitik. Ein Buch von und für Onno Poppinga; AbL-Verlag Hamm 2009, 303 S., EUR 27.90
(1) Andreas Wojak: Moordorf : Dichtungen und Wahrheiten über ein ungewöhnliches Dorf in Ostfriesland; Bremen 1992 (zugl. Diss. Univ. Oldenburg, 1991); Hans-Joachim Althaus: Da ist nirgends nichts gewesen ausser hier : das "rote Mössingen" im Generalstreik gegen Hitler. Geschichte eines schwäbischen Arbeiterdorfes; Berlin 1982
Der Text dieser Buchbesprechung erschien zuerst in Forum Wissenschaft, Heft 4/2009.