Kommentar | Globalisierung - Nordafrika - Südliches Afrika - Westafrika - Ostafrika - Sozialökologischer Umbau - COP26 - Green New Deal Infrastruktur statt billiger Exporte

Bislang findet die Debatte über den GGND in Afrika in stark eurozentristischer Form statt.

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Roland Ngam,

Mann auf Demo
Klimaprotest in Johannesburg. Foto: picture alliance/AP Photo | Themba Hadebe

In Afrika wird mindestens seit 2009 über einen «Global Green New Deal» diskutiert, allerdings nur von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen. Zu ihnen zählen Wissenschaftler*innen, die bestehende Wirtschaftssysteme in Frage stellen und auf der Suche nach neuen, faireren Wachstumspfaden sind. So haben Gordon Bubou und seine Co-Autor*innen in dem 2010 erschienenen «The Green Economy Paradigm» argumentiert, Nigeria, das zu diesem Zeitpunkt für seine 150 Millionen Bürger*innen gerade mal 5.000 Megawatt Strom produzierte, könne durch einen entschiedenen New Deal für grüne Energie große Fortschritte erzielen. In dem 2013 veröffentlichten «South Africas Green Economy Transition» betonen Martin Kaggwa und seine Co-Autor*innen, dass Südafrika zwar gut in der Entwicklung grüner Politikkonzepte ist, aber viel zu wenig für deren Umsetzung tut.

Wer will den Green New Deal wirklich?

Auch zivilgesellschaftliche und Nichtregierungsorganisationen mit engen Verbindungen zur UN-Klimakonferenz machen sich in Afrika für einen GND stark. Das «Alternative Information and Development Centre» (AIDC) in Südafrika hat unter dem Titel «One Million Climate Jobs» eine Art Wegweiser für eine CO₂-arme-Wirtschaft veröffentlicht. Auch das «Co-operative and Policy Alternative Center» (COPAC) hat einiges dazu publiziert, wie ein grüner New Deal aussehen müsste, um den CO₂-Kapitalismus zu beenden.

Roland Ngam arbeitet im Büro Südafrika/Johannesburg und ist für Klima und sozialökologische Transformation zuständig.

Die dritte Gruppe schließlich besteht aus Politiker*innen, die sich in Reden und Programmen mit einem Green New Deal schmücken – als nettes Beiwerk. So formulierte die Organisation «New Economic Partnership for Africas Developmen», mitbegründet vom ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki, bereits vor über 20 Jahren das erste schlüssige Konzept für den Umgang mit dem Klimawandel in Afrika. Es benennt die Abkehr von fossilen Brennstoffen und den Aufbau einer Infrastruktur zur grünen Energiegewinnung als ebenso notwendig wie einen nachhaltigeren Umgang mit Wasser und größere Anstrengungen zur Aufforstung der Sahelzone. Doch viele dieser angeblichen Prioritäten wurden schlichtweg ignoriert.

Den Worten folgen keine Taten 

Stattdessen erweisen sich viele Großprojekte der vergangenen Jahre, die Regierungen beispielsweise in Ägypten, Äthiopien, Senegal, Südafrika, Kenia, Kamerun oder Mosambik initiiert haben, als stark CO₂-belastet oder anderweitig umweltschädlich. In Südafrika, dessen CO₂-Ausstoß doppelt so hoch ist wie der Weltdurchschnitt, markiert die Fülle neuer Öl-Deals eher eine Energiewende hin zu fossilen Brennstoffen statt deren baldiges Ende. Das ReconAfrica-Abkommen gestattet es Kanada, im Okavango-Delta nach Öl und Gas zu suchen, mitten in einem historischen Elefantenreservat auf dem Gebiet von Botswana und Namibia. Der australische Konzern Invictus Energy steht kurz vor Bohrungen in Simbabwe. Vor der Küste Mosambiks hat TOTAL bereits mit der Förderung von Flüssiggas begonnen – ein Vorhaben, das dazu beigetragen hat, die Provinz Cabo Delgado für islamistische Aufständische interessant zu machen. Bei Mossel Bay schließlich entdeckte Südafrika kürzlich vor seiner eigenen Küste rund neun Milliarden Barrel Öl und ungefähr 1,7 Billionen Kubikmeter Erdgas.

Südafrika, das beim Ausstoß von Treibhausgasen weltweit den zwölften Platz einnimmt, ist in diesem Zusammenhang ein besonders interessanter Fall: Wiederholt hat Präsident Cyril Ramaphosa einen grünen Wirtschaftsumbau zur Priorität erklärt. Er hat eine präsidiale Klima-Kommission ins Leben gerufen, dafür gesorgt, dass ein Gesetz zur CO₂-Steuer im Parlament verabschiedet wurde, und eine weitere Klimawandel-Steuer auf den Weg gebracht. Dennoch investierte Südafrika seit der Rezession 2008 über 30 Milliarden US-Dollar in die Erzeugung von 14.100 Megawatt fossiler Energie: in den staatlichen Kohlekraftwerken Medupi und Kusile sowie durch drei Public-Private-Partnership-Verträge mit Karpowership SA. Nach Unterzeichnung dieser umweltzerstörenden Abkommen wird Südafrika der Welt noch in diesem Jahr ankündigen, die UN-Rahmenkonvention zu erfüllen und bis 2050 klimaneutral zu werden – offensichtlich ein leeres Versprechen.

Kann in Afrika überhaupt ein GGND diskutiert werden?

Diese Frage lässt sich mit Ja und Nein beantworten. Nein, weil das Konzept an sich eine ziemlich eurozentristische Form der Bevormundung darstellt. Zuallererst sind die meisten afrikanischen Länder aufgrund ihrer relativ kleinen Volkswirtschaften sowieso klimaneutral. Es handelt sich um Staaten, denen es praktisch an allem mangelt: Schulen, Krankenhäuser, Straßen, angemessene Unterkünfte, Nahrung, Strom, Trinkwasser ... Viele bekamen in den 1990er Jahren durch die Bretton-Woods-Institutionen Strukturanpassungsprogramme verordnet, von deren Spardiktat und Fiskaldisziplin sie sich bis heute nicht erholt haben. Die Covid-19-Pandemie hat ökonomische Gestaltungsmöglichkeiten noch weiter beschnitten, so dass sie sich umso stärker auf ihre Bodenschätze und Agrarprodukte verlassen werden. Die Bevölkerung dieser Länder wird sich auch zukünftig auf das unmittelbare Überleben konzentrieren, ihr kleinbäuerlicher Lebensstil ist zwangsläufig meist ziemlich umweltverträglich. Diesen Ländern abzuverlangen, dass sie ein Prozent ihres Haushalts für Dekarbonisierung beiseitelegen, ist eine Zumutung.

Dort, wo die Umweltzerstörung weit fortgeschritten ist – wie in der Demokratischen Republik Kongo, Sierra Leone, Südafrika, den küstennahen Ölpalmen-Plantagen Kameruns und an vielen anderen Orten –, dient die Ausplünderung dem Westen und seiner Sucht nach billigen Laptops und Smartphones, nach Juwelen, Biokraftstoffen und billiger Kleidung. Wenn Elon Musk einen Liefervertrag über jährlich 6.000 Tonnen Kobalt aus dem Osten der Demokratischen Republik Kongo unterzeichnet, finanziert er massive Umweltzerstörungen, Kinderarbeit, Sklaverei, bewaffnete Konflikte, Trinkwasserverseuchung und einiges mehr.

Während die USA und Westeuropa also daheim vom GGND reden, richten sie in Afrika Tod und Verheerung an, um dieses Ziel zu erreichen. Ein idealer GGND würde stattdessen das Geld des Globalen Nordens zur Entwöhnung afrikanischer Länder von den toxischen Wirtschaftssystemen der Minen und Plantagen nutzen.

Degrowth als besserer Ansatz?

Ein Ansatz, der Afrika besser entspräche, wäre Degrowth, also Programme, die Washingtons neoliberalen Konsens ersetzen durch Maßnahmen für kurze Wertschöpfungsketten und bessere Versorgung in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Trink- und Abwasser. Besonders beim Wasser ist das UNEP-GGND-Dokument mit seiner Forderung nach stärkerer Privatisierung schlicht kriminell: Wir müssen mehr allgemeinen Zugriff auf Wasser fördern statt mehr privates Management.

Gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass die größten Umweltverschmutzer die Länder Südafrika, Nigeria, Algerien, Ägypten, Marokko und Angola sind. Diese Länder hätten die Ressourcen dafür, Teile des GGND umzusetzen, tun es aber nicht.

Denn wie der südafrikanische Politikwissenschaftler Carlos Lopes richtig schrieb: «Während sich ein US-Green-Deal auf die Abkehr von fossilen Brennstoffen konzentriert, deren Infrastruktur bereits vorhanden ist, würde eine afrikanische Strategie Energie und die dafür nötige Infrastruktur von Grund auf neu bereitstellen.» Was hätte allein Südafrika dafür erreichen können mit den 30 Milliarden US-Dollar, die es stattdessen gerade in schmutzige Stromgewinnung aus Kohle und Gas gesteckt hat?

Den meisten Afrikaner*innen mangelt es an vernünftigen Schulen, Häusern, Straßen, Strom, Gesundheitsversorgung und Trinkwasser. Die größten Investitionen in solche Infrastrukturen müssen deshalb selbstverständlich in Afrika getätigt werden. Dazu braucht es einen Bewusstseinswandel, der Afrikas gesamte Energie auf seine Infrastruktur konzentriert statt auf billige Exporte. Dafür muss ein GGND grüne Hilfsprogramme aus dem Globalen Norden in den Globalen Süden umleiten.

Dieser Artikel ist im Original in der maldeskstra erschienen – Globale Perspektiven von links: Das Auslandsjournal

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