Die Internationale Automobilausstellung (IAA) fand vom 7. bis 12. September 2021 in München statt – begleitet von einer großen Breite an Protesten und dem größten Polizeieinsatz in Bayern der letzten 20 Jahre. Während die Veranstalter*innen auf der Messe unter dem Titel IAA Mobility die «Mobilität der Zukunft» vorstellen wollten, kritisierten Aktivist*innen die Veranstaltung als «veraltete Klimakiller-Messe» und forderten eine echte Verkehrswende. An den ersten Tagen der Messe ging die Polizei hart gegen friedliche Demonstrierende und Pressevertreter*innen vor. Der Münchner Stadtrat Thomas Lechner und die Mobilitätsexpertin Merle Groneweg diskutieren über die Erfahrungen der Proteste und künftige Mobilisierungen für eine andere Mobilität.
Zum ersten Mal fand die IAA dieses Jahr in München statt. Ihr wart beide an der Vorbereitung von Camp und Gegenveranstaltungen beteiligt – lief am Ende alles wie geplant oder hat Euch etwas überrascht?
Thomas: Ich hatte nach der Kriminalisierung der Proteste im Vorfeld befürchtet, dass es wüste Szenen gibt, dass das Camp von der Polizei überrannt wird oder ähnliches. Das ist nicht passiert. Das schreibe ich zum einen der Stärke der Klimabewegung zu, und zum anderen der Tatsache, dass es uns gelungen ist, durch lange Verhandlungen im Vorfeld eine gute Kommunikation mit den Behörden aufzubauen. Und dann gab es natürlich auch ein großes mediales Interesse – die Presse hat sehr aufmerksam von Anfang an über den Polizeieinsatz berichtet. Trotzdem kam es natürlich zu massiven Polizeiübergriffen, anlasslosen Kontrollen und Verhaftungen. Das muss weiter kritisiert und aufgearbeitet werden.
Merle: Das Konzept der IAA dieses Jahr war für die Bewegung eine Herausforderung. Die Ausstellung hat nicht auf einem abgetrennten Messegelände stattgefunden, sondern in Open Spaces über die Stadt verteilt. Das war ein kluger Schachzug der IAA und hat die Kommunikation der Aktionen erschwert. Da mussten wir uns fragen: Welche Symbolik wird erzeugt, wenn solche öffentlichen Ausstellungsorte blockiert werden und die Leute, die da rumlaufen und sich das anschauen wollen, daran gehindert werden? Das steht symbolisch für die neuen Herausforderungen, die sich für die Umwelt- und Klimabewegungen ergeben, wenn das Thema der Proteste jetzt vermehrt das Auto wird.
Bei Protesten gegen Kohle war das einfacher.
Merle: Ja, bei den Protesten gegen Kohleförderung war klar: Das richtet sich gegen die großen Konzerne. Das ist beim Auto schwieriger. Weil das Auto privat genutzt wird, die Leute haben eine persönliche Beziehung dazu. Kohlestrom lässt sich einfach durch Strom aus erneuerbaren Energien ersetzten. Aber im Bereich Verkehr geht das nicht so einfach: Eine andere Mobilität erfordert wirklich eine Änderung von individuellem Verhalten.
Thomas Lechner ist parteiloses Mitglied der Fraktion DIE LINKE/Die PARTEI im Münchner Stadtrat.
Merle Groneweg ist freie Referentin für Rohstoff- und Mobilitätspolitik. Sie ist Autorin der Studie «Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit» von Brot für die Welt, Miseror und PowerShift. Die Studie findet sich hier.
Wie haben Besucher*innen oder die Menschen in München auf die Proteste reagiert?
Thomas: Es gab da eine Trennung: Die Menschen, die schon bewusst über Mobilität nachdenken, die kritisch waren gegenüber der IAA, die waren nicht vor Ort, die sind der Messe ferngeblieben. Von diesen Leuten haben wir sehr viele positive Rückmeldungen bekommen. Mit den Passant*innen und Besucher*innen vor Ort war es schwieriger. Da gab es am Rand von Polizeieinsätzen auch Rufe nach Wasserwerfern.
Merle: Es gab aber auch viele Menschen, die nichts gegen die IAA an sich hatten, aber es sehr kritisch sahen, wie die IAA den öffentlichen Raum besetzt hat. Da wurde nicht nur der Marienplatz für die Ausstellung genutzt, oder der Odeonsplatz – die ganzen großen Plätze in der Innenstadt waren von der IAA blockiert, mit entsprechenden Einschränkungen.
Thomas: Da wurden Plätze der Bevölkerung weggenommen, die wir wegen Corona ganz dringend brauchen. Wir ringen in der Stadt seit eineinhalb Jahren um öffentliche Räume, wo Jugendliche sich treffen und feiern können – und nichts passiert. Dann kommt die Industrie und bekommt diese Plätze überlassen, mit allen Konsequenzen. Auf dem Odeonsplatz hatten Aktivist*innen ein Transparent aufgehängt und eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch bekommen – de facto hat die Stadt den Platz vermietet und das Hausrecht lag bei Mercedes. Das ist sehr bedenklich, wenn Konzerne auf diese Weise Zugriff auf den öffentlichen Raum bekommen und entscheiden, was da gezeigt werden darf und was nicht.
Auch das kann man als Symbol sehen: Autos nehmen auch sonst sehr viel öffentlichen Raum ein. Ist das der Grund, dass sich die Bewegungen jetzt vermehrt dem Thema zugewandt hat?
Merle: Hintergrund ist auch der Beitrag zum Klimawandel: Der Verkehr macht ein Fünftel der deutschen Emissionen aus, und es ist der einzige Sektor, in dem es nicht gelungen ist, diese gegenüber 1990 zu senken – trotz des technischen Fortschritts. Das Thema Mobilität ist aber auch deshalb zentral, weil es mit vielen anderen Aspekten verknüpft ist. Mit feministischen Fragen etwa: Welches Verkehrsmittel gehört eigentlich wem, wer nutzt welches vor allem, welche Verkehrsmittel werden von der Politik bevorzugt und welche benachteiligt? Es ist ein persönliches Thema, das die Leute im Alltag betrifft. Das macht es schwieriger, aber auch greifbarer. Jeder benutzt Verkehrsmittel, jeder hat eine Meinung dazu. Und es bietet die Chance, Gruppen einzubeziehen, die gar nicht direkt zur Klimathematik arbeiten. Fahrradaktivist*innen etwa. Oder die Kiezblock-Initiativen, die sich für verkehrsberuhigte Wohnviertel einsetzen – das sind häufig Eltern, die wollen, dass Ihre Kinder draußen auf den Straßen spielen können.
Solche Kiezblock-Initiativen können sozial aber sehr ungleiche Auswirkungen haben: In den Kiezen wird der Verkehr beruhigt, und die Wohnlagen an den großen Straßen, wo ärmere Menschen wohnen, bekommen noch mehr Verkehr ab.
Merle: Das zeigt, dass die Kämpfe hier zusammengedacht werden müssen, etwa im Fall Verkehr und Gentrifizierung. Verkehrsberuhigte Kieze sind ja nicht der Grund, dass die Mieten steigen und Leute wegziehen müssen. Da geht es um Spekulation, um Eigentumsverhältnisse, die Regelung von Investitionen. Das Thema Mobilität birgt auf jeden Fall sozialen Sprengstoff.
Thomas: Wir haben eine massive soziale Krise, und die verschärft sich derzeit weiter. Dass Klimapolitik mit der sozialen Frage zusammengedacht werden müssen, haben viele Gruppen erkannt. Wir haben im Bündnis auch Gruppen, die das Thema Mobilität aus einer sozialen Perspektive angehen. Viele Menschen können sich kein Auto leisten, und auch diese haben ein Recht auf Bewegungsfreiheit.
Auf der IAA hat die Automobil-Industrie gezeigt, dass sie vor allem auf Elektro-Autos setzt.
Thomas: Die lösen aber kein einziges dieser Probleme. Die Automobilbranche baut jetzt Elektro-Autos, aber sie baut sie als SUVs: Wieder ein Auto, das Unmengen Platz in der Stadt verbraucht, tonnenschwer ist und durch den Rohstoffverbrauch die Umwelt belastest. Wir steuern da direkt auf die nächste Krise zu.
Merle: VW plant, dass bis 2025 jedes zweite verkaufte Auto ein SUV ist. Das geht natürlich in die völlig falsche Richtung.
In einer kürzlich veröffentlichten Studie an der du beteiligt warst, Merle, zeigt Ihr, wie hoch der Ressourcenverbrauch bei der Autoproduktion ist und welche Folgen das für Menschen vor allem im Globalen Süden hat.
Merle: Die Debatte um die Ökobilanz von E-Autos ist auch eine Chance: Das Thema Rohstoffverbrauch bekommt jetzt insgesamt mehr Aufmerksamkeit. In die Automobilproduktion gehen Unmengen Stahl und Aluminium und der Abbau der nötigen Rohstoffe führt zu Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen. Das wird durch einen neuen Antrieb nicht gelöst. Wir haben 48 Millionen Autos in Deutschland – und wir müssen unbedingt verhindern, dass alle diese Autos jetzt alle durch Elektroautos ersetzt werden. Das oberste Ziel muss sein, die Zahl der Autos zu reduzieren. Trotzdem ist klar, dass auf absehbare Zeit noch Autos fahren werden. Das müssen E-Autos sein – aber E-Autos, bei deren Produktion strenge ökologische und soziale Standards eingehalten werden. Autos, die möglichst klein und leicht sind und nach Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft produziert werden. Und die nicht die meiste Zeit des Tages ungenutzt rumstehen, sondern von möglichst vielen Menschen gemeinsam genutzt werden.
Thomas: Das werden die Konzerne allein aber nicht richten. Das sind kapitalistische Unternehmen, und sie haben genug Geld, um sich trotz all der Skandale der letzten Jahre fortschrittlich darzustellen. Auf den Schildern, die am Odeonsplatz ausgestellt wurden, stand es in dem Sinn: Lasst uns mal machen, wir bekommen das in den Griff. Aber das funktioniert nicht. Dieser Übergang muss durch massive staatliche Eingriffe geregelt werden. Dafür ist die Klimabewegung so wichtig: Um trotz der engen Verbandelung der Automobilindustrie mit der Politik Druck für Veränderungen zu machen.
Welche Dinge würdet Ihr Euch von einer neuen Regierung konkret wünschen, die zeitnah beschlossen werden könnten?
Merle: Ein Zulassungsverbot von Verbrennungsmotoren bis 2025. Ein massives Investitionspaket, um den öffentlichen Nahverkehr, Bahn, Fahrrad- und Fußwege auszubauen. Der Bundesverkehrswegeplan bis 2030 sieht derzeit noch 20 Milliarden mehr für den Straßenbau vor als für die Schiene. Wenn man hier umdenken würde, wäre schon viel Geld frei. Das würde auch bei den Unternehmen für Planungssicherheit sorgen: Derzeit warten Nahverkehrsunternehmen bis zu fünf Jahre auf neue Busse oder Bahnen. Die Firmen produzieren diese erst nach Bestellung, weil es keine gesicherte Auftragslage gibt, also nicht klar ist ob und wann sie in nächster Zeit Fahrzeuge verkaufen können Und wir brauchen strikte Obergrenzen für die Produktion von Autos, was ihre Größe und den Ressourcenverbrauch angeht.
Thomas: Ich schließe an: Der Nahverkehr muss ausgebaut werden – und er muss ticketfrei nutzbar sein. Wir brauchen einen viel schnelleren Ausstieg aus der Kohle, damit der Strom, den auch Elektro-Autos nutzen, nicht für mehr Emissionen sorgt. Und die massive Förderung, die derzeit an Automobilindustrie geht, muss eingestellt werden – diese Gelder sind dann frei für den Umbau der Unternehmen und die soziale Absicherung der Beschäftigten.