Heinz Vietze steht seit Dezember 2006 an der Spitze der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er war parlamentarischer Geschäftsführer der LINKEN im brandenburgischen Landtag und arbeitete jüngst am Entwurf des Grundsatzprogramms der Bundespartei mit. Der 63-jährige gelernte Dreher und Gesellschaftswissenschaftler ist verheiratet und hat drei erwachsene Söhne.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung wird 20 Jahre alt. Was unterscheidet sie von den anderen parteinahen Stiftungen?
Vietze: Das inhaltliche Profil. Es geht uns um den demokratischen Sozialismus. Wir sind nicht dem Eigentum verpflichtet, so wie andere politische Grundströmungen, und auch nicht dem Profit. Uns geht es um Alternativen. Wir folgen dabei unserer Namensgeberin Rosa Luxemburg, einer Demokratin und radikalen Realpolitikerin. Linke wollen die Gesellschaft verändern. Den Weg dorthin zeigt die Stiftung mit auf – hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, nachhaltigem Wachstum, mehr Bildung, mehr Kultur. Wir wollen Solidarität, Mitbestimmung, gleiche Rechte für die Geschlechter.
Wie können diese Ziele erreicht werden?
Vietze: Mit radikaler Realpolitik von links. Für die Linken muss es um Antworten auf die Frage gehen, wie Strukturen auf demokratischem Wege geschaffen und politische Handlungsoptionen entwickelt werden können, die Solidarität und Gerechtigkeit schaffen. Dabei ist die Stiftung als politische Akteurin gefragt. Sie muss strategische Ziele und Lösungsvarianten in ein Gesamtkonzept einbringen. Getreu dem Motto: Politik braucht Wissen. Das ist uns etwa in der Programmkommission der LINKEN schon zum Teil gelungen, wo mehrere Stiftungsmitglieder ihre Gedanken einbringen konnten. Aber damit ist das Grundproblem nicht gelöst.
An welchem Wissen mangelt es?
Vietze: Die Linken sind von einem realistischen Entwurf für eine solidarische Gesellschaft noch ein gutes Stück entfernt. Es gibt viele richtige Positionen, die von den Bürgerinnen und Bürgern geteilt werden: Raus aus Afghanistan, Hartz IV weg, Rente mit 67 weg. Aber es reicht nicht, ständig nur Protest zu artikulieren. Es muss einen Schritt weiter gehen. DIE LINKE will beim Wählerzuspruch deutlich zulegen. Die 20 oder 25 Prozent sind aber nur zu schaffen, wenn die Partei fassbar ist. Sie wird größere Massen erst mobilisieren können, wenn die Menschen sagen: deren Gesundheitsreform macht Sinn, deren Rentenreformpläne überzeugen uns. Noch läuft das nicht rund. Die Sozialdemokraten sind, seitdem sie wieder in der Opposition sind, für uns ernste Konkurrenten. Und vergessen wir nicht: Andere machen schon radikale Realpolitik – bloß mit verkehrtem Vorzeichen. Der neoliberale Zeitgeist ist kein Geist, er hat seine praktische Umsetzung. Die Rettung der Banken war ein Beispiel. Da sind die Milliarden nur so hinübergeschoben worden. Ganz real. Während die Finanzgeschäfte zuvor unreal waren. Der Staat hat aus ungedeckten Schecks und wertlosen Papieren echte Scheine gemacht.
Wie kann eine solidarische Gesellschaft aussehen?
Vietze: Wir dürfen kein Idealbild entwerfen und das dann womöglich noch zum Dogma erheben. Ein Sonnenstaat, die kommunistische Gesellschaft, wo alle Blütenträume aufgegangen sein werden – das überfordert die Leute. Ein aussichtsloser Ansatz. Wir müssen vielmehr anknüpfen an die täglichen Erfahrungen. Die Menschen müssen spüren: Das ist in unserem Interesse. Dazu brauchen wir einen realistischen Zugang. Sicher: Die kapitalistische Gesellschaft, in der wir leben, weist ein solides Potenzial an Unmoral, Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung auf. Aber zugleich ist sie innovativ, bringt ungeahnte wissenschaftlich-technische Leistungen hervor und schafft es damit immer wieder, menschliche Bedürfnisse besser zu befriedigen. Beispiel Unterhaltungselektronik, Beispiel Mobilität. Dort müssen Linke anknüpfen. Wenn wir das in Abrede stellen, sind wir nicht glaubwürdig. Dann sagen die Leute: Die haben doch wohl die Brille auf, die sehen nicht, was sich verändert hat. Es muss uns um demokratische Prozesse gehen, auch und gerade um Fragen der Bildung.
Welchen Herausforderungen muss sich die Stiftung seit der Fusion von PDS und WASG zur LINKEN stellen?
Vietze: Sie steht nun einer neuen Partei nahe – einer Partei, die darüber hinaus deutlich an Gewicht gewonnen hat. Früher lag sie bundesweit bei unter fünf Prozent, bei den jüngsten Bundestagswahlen waren es knapp zwölf Prozent. Dadurch hat sich die finanzielle Basis der Stiftung erheblich vergrößert. Es ist ein Unterschied, ob man über acht Millionen Euro redet oder über 40. Zugleich sind die Erwartungen gewachsen, inhaltlich an die Qualität unserer Arbeit, aber auch organisatorisch. Darauf haben wir reagiert.
Wie?
Vietze: Vier Beispiele: Vor zwei Jahren haben wir das Institut für Gesellschaftsanalyse geschaffen. Es betreibt Forschungsarbeit zu den dringend nötigen gesellschaftlichen Alternativen. Ein Ausbau steht bevor. Zweitens: Neben dem Institut entstand die Akademie für politische Bildung mit der Kommunalakademie. Das steht im Zusammenhang mit unseren bundesweiten Aktivitäten. In enger Kooperation mit den Landesstrukturen kommen wir auf jährlich mehr als 2.000 Abendveranstaltungen, Seminare und Konferenzen zwischen Kiel und Konstanz, Stralsund und Suhl, Essen und Eberswalde. Das sind gut sechs Bildungsangebote pro Tag. Große Veranstaltungen finden nicht mehr nur in Berlin statt, wie die Autokonferenz in Stuttgart und das Forum zur Friedenspolitik in Wiesbaden zeigen. Drittens: Wir geben mehr Geld für Projekte und ehrenamtliche Arbeit. Derzeit haben wir 17 Gesprächskreise, mehrere neue sind im Entstehen oder in der Planung. Diese Gremien, besetzt mit ExpertInnen und AktivistInnen aus dem gesamten linken Spektrum, sind ein Gewinn für uns, auch bei der öffentlichen Positionierung. Viertens: Das Erscheinungsbild der Stiftung hat sich seit vergangenem Jahr grundlegend geändert. Mit dem neuen Logo, mit der Neugestaltung unserer Publikationen präsentieren wir uns als moderne Institution.
Welche Entwicklungen haben das Studienwerk und die internationale Arbeit genommen?
Vietze: Das Studienwerk betreut heute fast 800 Stipendiatinnen und Stipendiaten. Um die Jahrtausendwende bekamen gerade einmal ein Dutzend junge Leute eine Förderung. Zudem gibt es mehr als 110 Vertrauensdozentinnen und -dozenten. Das ist wichtig für die wissenschaftliche Vernetzung, für die Nachwuchsgewinnung, auch für die ehrenamtliche Arbeit. International haben wir 2003 mit vier Büros im Ausland angefangen, bald sind es 16 auf fünf Kontinenten. Johannesburg, Sao Paulo, Moskau, Tel Aviv, demnächst Neu Delhi und Dar es Salaam gehören zu den Standorten. Unsere Projektpartner finden sich in 54 Ländern, Tendenz steigend. Wir setzen dabei Akzente, etwa mit einer sehr differenzierten Bewertung des Konflikts im Nahen Osten oder bei den Rechten von Minderheiten. Über das Netzwerk Transform! und Kontakte zu Brüsseler Parlamentariern sind wir auch in die EU-Debatten integriert. Der Schlusshöhepunkt meines Wirkens in der Stiftung wird hoffentlich die offizielle Eröffnung eines Büros in New York, die wir für 2012 planen. Das wäre das Zeugnis, dass die Linke überall als Gesprächspartnerin und Impulsgeberin akzeptiert ist.
Warum existieren keine Auslandsbüros in Kuba und Venezuela?
Vietze: Kuba arbeitet aufgrund der Embargos von USA und EU nicht mit öffentlich finanzierten Institutionen aus diesen Ländern zusammen. Aber für Bildungsarbeit ist es ja nicht zwingend, vor Ort zu sein. Man muss im Gespräch sein, und das sind wir. In Kuba gibt es einen Dialog mit der Kommunistischen Partei und anderen gesellschaftlichen Organisationen. Zu Venezuela: Möglich war nur ein Büro für die gesamte Andenregion, und die Ansiedlung im ecuadorianischen Quito war die praktikabelste Lösung. In Caracas sind wir mit einer Ortskraft vertreten. Wir unterstützen Projekte, zudem halten sich Stipendiatinnen und Stipendiaten zur Forschung dort auf.
Reicht die Anzahl der Regionalbüros für die bundesweite Arbeit?
Vietze: Gegenwärtig ja. Wir sind in jedem Bundesland präsent. Der Aufbau ist zudem noch im Gange. Bereits der Beschluss für Büros im Bundesgebiet mit hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – neben den ehrenamtlich geführten Clubs und den Landesstiftungen – fiel nicht leicht. Ein dichteres Netz ist dennoch wünschenswert. Mit dem Einzug der LINKEN in westliche Landtage verbessert sich die finanzielle Lage für die dortigen Stiftungen, da es nun auch Landesmittel gibt. Das ermöglicht uns die Erweiterung. In einem so großen Land wie Nordrhein-Westfalen zum Beispiel reicht ein Regionalbüro in Duisburg einfach nicht. Da sollten auf jeden Fall eine weitere Präsenz entstehen und spezifische Angebote für die Metropolen und Universitätsstädte hinzukommen. Ein Ausbau in Baden-Württemberg und Bayern ist ebenfalls wünschenswert, wo die LINKE noch nicht in den Landtagen vertreten ist.
Welche Rolle kommt künftig dem Ehrenamt zu?
Vietze: Das Ehrenamt war die wichtigste Säule unserer Arbeit – und wird es auch in Zukunft sein. Wir haben demnächst rund 150 fest angestellten Beschäftigte, aber bestimmt das Zehn-, wenn nicht gar das 20-fache an ehrenamtlich Tätigen. Dazu gehören viele Mitglieder in den Landesstrukturen, aber auch die Vertrauensdozentinnen und -dozenten und die Stipendiatinnen und Stipendiaten. Ein Hauptamtlicher kann Ansprechstelle, Kommunikationsknoten sein. Aber alles lebt vom ehrenamtlichen Engagement. Dafür ist die Stiftung dankbar. Daneben sollte die Zusammenarbeit mit den Strukturen der Partei, mit den Fraktionen in Europa, Bund und den Ländern sowie mit den Vertretungen in den Kommunalparlamenten ausgebaut werden. Denn dort existiert ebenfalls ein großes Netz von haupt- und ehrenamtlichen Kräften, das wir nutzen können.
Die «LuXemburg» hat vergangenes Jahr die Stiftungszeitschrift «Utopie kreativ» ersetzt. War die Entscheidung richtig?
Vietze: Ja. Die «Utopie kreativ» war nicht mehr das Produkt, das sich eine jünger werdende Leserschaft wünschte. Freilich muss sich auch die «LuXemburg» erst auf dem Markt bewähren und ihre Qualität dauerhaft unter Beweis stellen. Das ist mit einem Beschluss nicht getan. Aber wir wollen sie und geben ihr die Zeit sich zu etablieren.
Die Fusion von WASG und PDS ist nicht reibungslos verlaufen. Wie beurteilst du den Integrationsprozess bei der Stiftung?
Vietze: Die Einbindung ist gut gelungen, wie ich finde. Frühere Vertreter der WASG sind Vereinsmitglieder und in der Führung vertreten. Der Europaparlamentarier Thomas Händel etwa ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Das hat einen positiven externen Effekt: Die bei uns dabei sind, zeigen auch in der Partei füreinander mehr Aufgeschlossenheit. Selbst zu jenen, die den Parteizusammenschluss nicht mitmachen wollten, pflegen wir eine enge Beziehung. Die Stiftung kooperiert mit der Wolfgang-Abendroth-Stiftungsgesellschaft, dem Bildungsverein ehemaliger WASGler.
Wo siehst du Nachholbedarf in der Stiftungsarbeit?
Vietze: Die Stiftung ist im Umbruch. Vor wenigen Jahren hatte sie gut 50 Beschäftigte, jetzt sind wir bald bei 150. Wir sind somit aufgefordert, nach einer optimalen Struktur zu suchen. Dass es in einem solchen Prozess knirscht, halte ich für normal. Aber mitunter wünsche ich mir mehr Verständnis. Es gibt einen bestimmten Gewöhnungsfaktor in der Stiftung. Nach dem Motto: «Das haben wir aber mal so festgelegt.» Manches entwickelt sich indes schneller als vorgesehen. Da muss man flexibel reagieren. Die Neuen haben auch mit Rahmenbedingungen und manchen Ritualen zu kämpfen, die sie bislang nicht kannten. Bei der Kommunikation untereinander sowie mit dem Umfeld läuft es daher noch nicht optimal. Wir müssen uns zudem selbst noch auf die neue politische Situation einstellen. Der theoretische Vorlauf ist nicht ausreichend. Die solidarische Gesellschaft sollte zudem zum Projekt der gesamten Stiftung werden. Wir müssen mit unserem Bildungsangebot auch näher heran an die Bündnispartner sowie die Mitglieder und Beschäftigten der LINKEN. Nicht zuletzt: «Politik braucht Wissen» – das gilt auch für uns selbst. Beim medialen Angebot etwa muss sich die Stiftung den enormen technologischen Entwicklungen stellen. Wer kauft noch ein Buch, wer liest eine gedruckte wissenschaftliche Zeitschrift – oder wer liest das alles im Internet? Und: Trotz der Zuwächse reicht die internationale Präsenz nicht aus. Wir brauchen eigentlich mehr Standorte. Istanbul, Kiew, Paris und Helsinki sind im Gespräch. Sie lassen sich gegenwärtig aber nicht realisieren, weil wir dafür nur auf Mittel des Auswärtigen Amtes zurückgreifen können – dieser Topf ist sehr klein im Unterschied zu den Zuschüssen aus dem Entwicklungshilfeministerium, mit denen wir den Großteil unserer Auslandsarbeit finanzieren können.
Verträgt sich radikale Realpolitik mit Rot-Rot-Grün?
Vietze: Für Veränderung in der Gesellschaft müssen wir um parla-mentarische Mehrheiten ringen. Die LINKE hat bundesweit noch nicht den Platz, den Sozialdemokraten und Grüne haben. Im Osten sind wir Volkspartei. Aber das ist eben territorial beschränkt. Deshalb ist es wichtig, das Angebot zum übergreifenden Gespräch zu unterbreiten und gemeinsame Themen zu finden. Mit dem Institut Solidarische Moderne sind wir in Kontakt, auch das Diskursprojekt «Mit Linksreformismus aus der Krise?» wird von der Stiftung unterstützt.
Welche Anknüpfungspunkte siehst du für die Stiftung?
Vietze: Die gegenwärtige Krise fordert Linke, Sozialdemokraten und Grüne zu einem Crossover heraus. Das Hauptproblem ist doch, dass vor allem die Masse der sozial Schwächeren für das Finanzdesaster der Banken und dessen Kosten bezahlen soll. Die Vermögenden dagegen achten darauf, dass sie nicht zu stark zur Kasse gebeten werden. Das ist unsolidarisch. Beim sozialökologischen Umbau bieten sich insbesondere die Grünen an. Sie haben mit dem Green New Deal ein dominantes Gesellschaftskonzept entwickelt, das sich an etlichen Stellen mit unseren Überlegungen deckt. Allerdings fehlt insgesamt noch die Lockerheit im Umgang miteinander. Die möglichen demokratischen Instrumente werden nicht ausreichend genutzt.
Muss die Stiftung auch mehr Partner im außerparlamentarischen Raum gewinnen?
Vietze: Ja. Die Autokonferenz Ende Oktober in Stuttgart war ein Angebot an die Gewerkschaften, ebenso das Forum zur Mitbestimmung in Nürnberg zwei Wochen zuvor. Mit der Hans-Böckler-Stiftung brauchen wir eine neue Qualität der Zusammenarbeit. Das gilt auch für die Sozialverbände. Eine Erfolgsgeschichte sind die Linke Medienakademie und die Vernetzung von mittlerweile mehr als 1.000 ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten.
Wie ist das Verhältnis zu den sozialen Bewegungen?
Vietze: Attac, BUND, Anti-Atom-Bewegung, die Sozialforen, der Kirchentag sind ja bereits seit vielen Jahren unsere Ansprechpartner. Wir fördern deren Anliegen inhaltlich wie finanziell und sind auch da, wenn es um die Arbeit zwischen den Großereignissen geht. Denn häufig sind die Bewegungen nicht so stabil, da sie zu Einzelanlässen mobilisieren. Siehe G8. Da droht dann immer wieder die Zerfaserung.
Du kennst die Geschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung seit ihren Anfängen. Rückblickend: Hatte sie 1990 überhaupt eine realistische Chance auf ein 20-jähriges Dasein?
Vietze: Wir sind schon immer glühende Optimisten gewesen und nicht angetreten, um an unserem Ende zu arbeiten. Linke haben einen unbändigen Überlebenswillen, da heißt es immer wieder: Es geht weiter. Und so ist es ja auch: Gesellschaftliche Entwicklung geht weiter und muss weitergehen.
Worum ging es anfangs?
Vietze: Um die Demokratisierung der Verhältnisse in der DDR. Aber das war nur eine kurzfristige Aufgabe. Schnell standen die deutsche Einheit und die Nutzung der Möglichkeiten in diesem System im Mittelpunkt. Wir waren überzeugt: Nachdem sich die Sache mit der DDR erledigt hatte, mussten wir uns in die gesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik einbringen. Wir wollten nicht einfach nur Betroffene des Einigungsprozesses sein. Wir wollten mitmachen, mitgestalten. Dieser Behauptungswille war immer da. Dafür stehen Namen wie Evelin und Dietmar Wittich, Dieter Klein, Lutz Brangsch, Michael Brie und Jochen Weichold, die zu den Stiftungsmitgliedern der ersten Stunde zählen. Die finanzielle Ausstattung war allerdings erbärmlich. In den ersten Jahren gab es ja öffentliches Geld nur für einzelne Projekte.
Vielen Linke aus dem Osten wird ihre DDR-Vergangenheit vorgeworfen. Wie geht die Stiftung damit um?
Vietze: Wer keine Sachargumente hat, wird diese historische Krücke noch ein paar Jahre nutzen. Er oder sie muss sich dann ja keinen Kopf über Linke und ihre Stiftung machen. Aber die Vorurteile nehmen ab. Vor wenigen Wochen etwa war der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering, bei uns. Wir haben ein sehr vernünftiges Gespräch geführt. Bürgerrechtler wie Friedrich Schorlemmer kommen zu unseren Büroeröffnungen. Wir sind offener – und daher auch stärker akzeptiert. Das ist noch keine Massenerscheinung, aber es wird doch zunehmend Normalität. Dazu trägt ein realistischer Umgang mit Geschichte bei: Hinterfragen der DDR, aber auch Kritik am Einigungsprozess, etwa an der Treuhandpolitik. Die Auseinandersetzung hat in der Stiftung von Anfang an stattgefunden, anfangs geführt von Hermann Klenner, Reinhard Mocek, Jens-Uwe Heuer, Michael Schumann, Hans Modrow und Christa Luft. Nun beschäftigen sich jüngere Leute damit.
Wo kann die Stiftung dieses Geschichtswissen einbringen?
Vietze: Es gibt die Eigentumsfrage, über die die LINKE gerade diskutiert. In der DDR gab es Formen öffentlichen Eigentums. Sie versprachen mehr Produktivität. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Andererseits: Viele Bauern zum Beispiel haben sich gar nicht als Eigentümer gefühlt und ihre Flächen in kollektives Eigentum eingebracht. Ohne Zwang. Da muss man doch fragen: Woran lag das? Zugleich geht es um aktuelle Dimensionen: Es gibt ja öffentliches Eigentum, große Gesellschaften in Staatshand – die Bahn in Deutschland, Vattenfall in Schweden. Unterscheidet sich diese Form groß von privatem kapitalistischem Eigentum? Nicht sonderlich. Diese Erkenntnis muss in die Debatte eingehen.
Wo steht die Stiftung im Jahr 2030?
Vietze: Mit hochkarätiger Arbeit an der Seite einer öffentlich akzeptierten LINKEN. Die gesellschaftliche Debatte wird viel linkes Gedankengut enthalten – und Deutschland wird bereits gerechter und solidarischer sein, da Linke ein gewichtiges Wort mitsprechen.
DIE FRAGEN STELLTEN AXEL KRUMREY UND HENNING HEINE