News | Sozialökologischer Umbau Atomkraft verhindert Energiewende

Friedlicher, aber entschiedener Protest kann einen sozialökologischen Lernprozess anstoßen.

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Am Wochenende werden im Wendland zehntausende Atomkraftgegner zu Protesten gegen den Castortransport erwartet.

Allein zur zentralen Kundgebung am Sonnabend (6. November) im niedersächsischen Dannenberg rechnen die OrganisatorInnen mit bis zu 50.000 Menschen. «Der Versuch, den Castor zu stoppen,.ist weit mehr als eine Demonstration für eine saubere Natur», ist der Referent für politische Ökonomie, Lutz Brangsch, überzeugt. Im Wendland artikuliere sich massenhaft der große Ärger in weiten Teilen der Bevölkerung über die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung. Mit dem jüngsten Ausstieg aus dem Atomausstieg habe ein Block aus Energieindustrie und RegierungsvertreterInnen das Signal gesetzt: Zu Gunsten des Profits gehen wir die schwerwiegenden Gefahren der Atomkraft ein. Erneut setzten eine Lobby und die Regierenden knallhart ein einseitiges Interesse durch – wie zuvor schon bei der Mehrwertsteuersenkung für das Hotelgewerbe oder gegenwärtig bei der Privatisierung des Gesundheitswesens. Ähnlich sehe es beim Bahnhofsprojekt S21 in Stuttgart aus – wenn auch dort der starke Bürgerwille ein einfaches Durchpauken des Projekts bislang verhindert habe.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe den Ausstieg aus dem Ausstieg schon zu ihren Zeiten als Oppositionsführerin im Bundestag zum programmatischen Vorhaben gemacht, ergänzt der wissenschaftliche Mitarbeiter für Nachhaltigkeit, Steffen Kühne. Die schwarz-gelbe Energiepolitik führe langfristig ökonomisch sowie ökologisch in die Sackgasse. «Atomenergie ist keineswegs billig.» Die wahren Kosten der Gewinnung und Nutzung seien astronomisch und – korrekt eingepreist – unbezahlbar. «Müsste die Industrie eine Versicherung gegen Schäden durch einen GAU abschließen – die Prämie wäre so gigantisch, dass sofort alle AKW geschlossen würden», so Kühne. Aber auch ohne den größten anzunehmenden Unfall seien die Belastungen enorm – und zwar dauerhaft und weltweit. So werde Uran etwa unter katastrophalen Bedingungen abgebaut. Hier zu Lande müsse die Allgemeinheit für Forschung, teure Schutzmaßnahmen bei Anlagen und Transporten sowie für die Lagerung des Atommülls aufkommen. Es sei absurd, dass Kürzungen in den sozialen Sicherungssystemen oder die Einführung der Schuldenbremse mit einer imaginären Generationengerechtigkeit begründet würden – die Risiken der Kernenergie aber hingenommen werden, so auch Brangsch. Sie gingen garantiert auf Kosten der künftigen Generationen.

Auch wenn der rot-grüne Atomausstieg halbherzig gewesen sein mag – er war doch ein Schritt in die richtige Richtung. Denn die sozialökologische Wende, einhergehend einerseits mit der Begrenzung wirtschaftlichen Wachstums und somit von Energieproduktion und –verbrauch, anderseits mit Stromgewinnung aus komplett erneuerbaren Energien – ist überfällig. Sie werde durch die Laufzeitverlängerungen verhindert, sagt Kühne – ebenso wie durch ein Festhalten an der Kohleverstromung. Lutz Brangsch ergänzt: «Das Hinausschieben einer Lösung ist eine Bedrohung für alle Menschen.»

Der Protest gegen Castor ist somit Aufforderung, die Tragweite heutiger Entscheidungen zu einem Maßstab der Politik zu machen. «Die Legitimität der Castor-Proteste entspringt einer offensichtlichen Unfähigkeit des politischen Systems, auch gegen den Widerstand von Teilen der Wirtschaft die simple physische Existenz und die Gesundheit der Menschheit zu erzwingen.» Die bestehenden politischen Mechanismen seien nicht in der Lage, die Verunsicherung in breiten Teilen der Bevölkerung aufzunehmen. Der Filter der repräsentativen Demokratie scheide Bedenken und Fragen wie auch unkonventionelle Alternativlösungen aus. Selbst Bedenken aus dem herrschenden Block scheiterten in der Atomfrage an dem Bündnis von Industrie und Teilen der Exekutive. Die einzige Lösung sei die Stärkung direktdemokratischer Verfahren bei Entscheidungen über den Einsatz von Technologien, die so tief in die Existenzfragen jedes einzelnen eingreifen.

Vor einiger Zeit war die Losung von der «Bildungsrepublik Deutschland» populär. Brangsch: «Es ist an der Zeit, dass die Herrschenden das für sich verinnerlichen - und lernen.» Die Rosa-Luxemburg-Stiftung sehe in dem friedlichen, aber entschiedenen Protest den im Moment offenbar einzigen Weg, diesen Lernprozess anzustoßen. Nach der Gewalt von Stuttgart Ende September würden die kommenden Tage im Wendland auch zeigen, wie viel das Recht auf friedlichen Protest noch Wert sei.

Redaktion: Henning Heine