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Arbeitgeber Universität – über die Initiative #IchbinHanna

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Martin Höfig ,

Die Initiative #IchbinHanna hat im vergangenen Sommer die prekären Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft nachhaltig in den öffentlichen und politischen Fokus gerückt. Bis heute hält die Intensität der Diskussion an, das zeigt etwa die aktuelle Debatte um die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) im Anschluss an eine Konferenz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) Ende Juni.

Nach langem Schweigen sah sich Anfang Juli endlich auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als Arbeitgeber*innenseite gezwungen, einen offiziellen Vorschlag zur Reform des WissZeitVG zu beschließen. Ein Kernelement ihres «Diskussionsvorschlags», wie die Rektor*innen ihn selbst bezeichnen, ist demnach ein einheitlicher maximaler Qualifizierungszeitraum von 10 Jahren. «Spätestens danach», heißt es in dem Papier wörtlich, «folgen planbare Karrierewege entweder auf einer Juniorprofessur, einer Dauerstelle neben der Professur oder – was der weitaus häufigste Fall ist – außerhalb der Wissenschaft». Von den genannten zehn Jahren dürfen nach dem Willen der HRK maximal sechs zum Abschluss der Promotion dienen. Für die Postdoc-Phase bleibe so in jedem Fall ein Zeitraum von mindestens vier Jahren. Die so erreichte «Flexibilität» trage den unterschiedlichen Fachkulturen und individuellen Bedarfen Rechnung. «Die Vorschläge zeigen, dass auch eine Verschlimmbesserung des WissZeitVG möglich ist», sagt dazu Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Gewerkschaft fordere hingegen seit langem eine Reform des Gesetzes, «die Dauerstellen für Daueraufgaben und verlässliche Karriereperspektiven nach der Promotion bringt», so Keller weiter. Man wolle daher den Druck für eine solche Reform weiter erhöhen.

Martin Höfig ist Redakteur für Wirtschaft und Soziales bei der Tageszeitung «nd».

Auch Amrei Bahr, Juniorprofessorin an der Universität Stuttgart und Mitinitiatorin von #IchbinHanna, kritisiert den Vorschlag der HRK scharf. «Durch eine Verkürzung der Höchstbefristungsdauer würde der Druck auf Wissenschaftler*innen nur noch weiter steigen. Sie müssten in kürzerer Zeit das leisten, was für eine dauerhafte Beschäftigung in der Wissenschaft gefordert ist», sagte sie. Wie die GEW fordert auch die Wissenschaftlerin im Gegenteil «eine enorme Zunahme von Dauerstellen». Und: «Was es statt dieser Vorschläge der HRK braucht, ist eine echte Reform: Das Gesetz sollte auf die Promotion beschränkt werden und dafür Mindeststandards festlegen.» Die Promotion sei eine fertige Ausbildung und ein Postdoc nicht mehr in einer Qualifizierungsphase, argumentieren Bahr und ihre Mitstreiter*innen.

Die Wissenschaft in der Krise

Bereits im Vorfeld dieser aktuellen Diskussion hatten verschiedene Gewerkschaften und Hochschulinitiativen erneut Alarm geschlagen. «Die Wissenschaft in Deutschland ist in einer Krise und merkt es nicht», hieß es in dem gemeinsamen Aufruf. Ein Jahr, nachdem die drei Wissenschaftler*innen Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon die Internetkampagne #IchbinHanna lostraten, habe sich nichts an der katastrophalen Situation wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen an den deutschen Hochschulen geändert.

Ein Erklärvideo des BMBF, in dem anhand des fiktiven Charakters Hanna die bis heute gängige Befristungspraxis im universitären Mittelbau gepriesen wird, hatte damals den Anstoß zu der Kampagne und einer daraufhin breit geführten Debatte über prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft gegeben.

Die Arbeitsverhältnisse der Promovierenden und Postdocs werden überwiegend nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz geregelt. Dieses ist 2007 in Kraft getreten und 2016 schon einmal novelliert worden. Doch eine kürzlich vom BMBF veröffentlichte Studie machte deutlich, dass die Novelle nicht gewirkt hat. «Eine Trendwende hin zu mehr Dauerstellen ist über die Jahre gänzlich ausgeblieben und auch die Laufzeiten der Zeitverträge haben sich nicht nachhaltig verlängert», resümiert Hochschulexperte Keller von der GEW. Vor allem die Instrumente zum Nachteilsausgleich bei Kinderbetreuung, Behinderung oder chronischer Erkrankung sowie zu pandemiebedingten Beeinträchtigungen liefen weitgehend ins Leere. Eine grundlegende Reform des Befristungsrechts in der Wissenschaft sei daher überfällig. «84 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Universitäten werden nach wie vor mit einem Zeitvertrag abgespeist, über 40 Prozent von ihnen mit einer Vertragslaufzeit, die kürzer als ein Jahr ist», rechnet Keller vor.

Konkret fordert er, der Begriff der wissenschaftlichen Qualifizierung, die gemäß WissZeitVG die Befristung eines Arbeitsverhältnisses erlaubt, müsse präzise definiert werden. So dürfe nach der Promotion eine Befristung allenfalls dann in Frage kommen, wenn diese mit einem planbaren Entfristungsverfahren verknüpft wird. «Vertragslaufzeiten müssen gewährleisten, dass das Qualifizierungsziel tatsächlich erreicht werden kann. Niemandem ist geholfen, wenn Promovierende mit einer halbfertigen Doktorarbeit auf die Straße gesetzt werden», so der GEW-Vorstand.

Was passiert gerade?

Bei der Konferenz des BMBF Ende Juni unter dem Titel «Gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft – Auf dem Weg zu einer Reform des WissZeitVG» forderte Keller Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) auf, rasch einen Gesetzentwurf für eine radikale Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorzulegen. Er wählte dabei scharfe Worte und sprach von einer «Qualifizierungslüge» und «krimineller Energie der Arbeitgeber». Bis zur GEW-Wisschenschaftskonferenz «Perspektiven für Hanna: Dauerstellen für Daueraufgaben – Gleiche Chancen für alle» vom 21. bis 24. September in Dresden solle ein vollständiger Gesetzentwurf für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz vorliegen, forderte er zudem.

Nach dem Beschluss der HRK vergangene Woche geht Keller allerdings nicht mehr ganz so hart mit den Rektor*innen und Uni-Präsident*innen ins Gericht und findet in diesem auch gute Ansätze: «Positiv an den Vorschlägen ist, dass auch die HRK Mindestlaufzeiten für Promotionsverträge für sinnvoll hält. Diese greifen aber mit drei Jahren zu kurz. Sie müssten sich vielmehr an den tatsächlichen Qualifizierungszeiten orientieren und dürfen vier Jahre nicht unterschreiten.» Ebenso sei die Offenheit der HRK zu begrüßen, auch bei Drittmitteln für stabile Beschäftigungsbedingungen und mehr Dauerstellen zu sorgen.

Die Politik habe den GEW-Slogan «Dauerstellen für Daueraufgaben» längst übernommen, sieht Keller sowohl bei der Koalition als auch den Oppositionsparteien einen breiten Reformwillen. Bei einer von der Gewerkschaft organisierten Abgeordneten-Runde zum Thema «Entfristet Hanna! » in der vergangenen Woche zeigte sich tatsächlich eine parteiübergreifende Zustimmung für die Vorschläge der GEW.

Es sei dringend an der Zeit, dass diesen Worten nun endlich auch Taten folgen, mahnt Amrei Bahr. Denn so, wie es jetzt sei und mit den neuen Vorschlägen der HRK sich abzeichnet zu werden, mache es Wissenschaft als Beruf in Deutschland nur noch unattraktiver. «Diese zahlreichen Kettenverträge mit kurzer Laufzeit und mangelnde dauerhafte Perspektiven erschweren die Lebensplanung massiv und erzeugen ständige Ängste um die Zukunft», beschreibt sie die Situation der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen hierzulande. Und: «Alle, die sich diese Unsicherheit nicht leisten können, werden systematisch von der Arbeit in der Wissenschaft ausgeschlossen.»