News | GK Geschichte Neuerscheinung: Richard Müller. Der Mann hinter der Novemberrevolution. Berlin 2008

Von einem Richard Müller wissen zumeist nur noch Fachhistoriker, dass er
in der Novemberrevolution von 1918 eine zentrale Rolle spielte: Richard
Louis Müller (1880-1943) war als Leiter der „Revolutionären Obleute“
wesentlich an der Vorbereitung des 9. November beteiligt. Im Deutschen
Metallarbeiter-Verband, seinerzeit der größten Gewerkschaft der Welt,
galt Richard Müller als der Anführer des linken Flügels. Schon die
großen Berliner Massenstreiks der Jahre 1916 bis 1918 hatte er illegal
organisiert.

In der Revolutionsregierung von 1918 war Müller Vorsitzender des
„Vollzugsrats der Arbeiter- und Soldatenräte“, also der Kopf des
ranghöchsten Räteorgans. Formal war Richard Müller damit sogar das
Staatsoberhaupt der „Deutschen Sozialistischen Republik“ – einer
Republik, die allerdings nur einige Monate unter diesem Titel firmierte
und heute als „Weimarer Republik“ in den Geschichtsbüchern verzeichnet ist.

Müller Einfluss in Berlin überstieg 1918 bei weitem den von Karl
Liebknecht, der über Müller scharf fluchen konnte, wenn er und die
Spartakusgruppe sich wieder einmal in eine Nebenrolle verwiesen sahen.
Das Kräfteverhältnis zwischen den Revolutionären Obleuten und der
Nach-Liebknecht-KPD sollte sich freilich drehen. Unabhängiger
Sozialismus und Rätesystem, jene Prinzipien die Richard Müller vertrat,
wurden zwischen den Mühlsteinen von Sozialdemokratie und
Marxismus-Leninismus zermahlen. Auch Richard Müller selbst geriet in
diesen Sog. Nach seinem schnellen politischen Aufstieg ab 1916 musste er
schon 1921 alle politischen Ämter niederlegen. Die KPD, in die er nach
dem Zerfall der USPD eingetreten war, verließ er wie viele der
Rätesozialisten aus dem USPD-Umfeld schon nach wenigen Monaten. Trotz
anfänglicher Unterstützung durch Clara Zetkin und sogar Lenin
persönlich wurden er und seine Genossen geopfert, weil sie sich der
bedingungslosen Parteidisziplin nicht unterordnen wollten.
Anders als Liebknecht geriet deshalb Müller, obwohl er  diesen überlebte
und die entscheidenden Gründerjahre der Weimarer Republik mitgestaltete,
 beim breiten Publikum in Vergessenheit.

Trotzdem beeinflusst Müller bis heute noch das Denken der Historiker.
Seine dreibändige Revolutionsgeschichte mit dem Obertitel „Vom
Kaiserreich zur Republik“, in den Jahren 1924 und 1925 erschienen,
bildet die wichtigste zeitgenössische Revolutionsdarstellung aus
marxistischer Sicht. In den 60er Jahren wurden diese Werke
wiederentdeckt. Müllers Schriften beeinflussten in Form unzähliger
Raubdrucke zuerst das Geschichtsbild der Studierendenbewegung, bevor
sie ab 1974 auch mehrere „offizielle“ Neuauflagen erlebten.

Seine mitreißend geschriebenen, von zahlreichen Originalquellen
gestützte Trilogie , fehlt auch heute noch in keiner Literaturliste zur
Novemberrevolution und ist unentbehrliche  Stütze  vieler aktueller
Darstellungen dieser Zeit. Dennoch wusste man bisher kaum etwas über die
Herkunft und den Werdegang ihres Autors. Diese Lücke wird mit der
vorliegenden Arbeit geschlossen. Ralf Hoffrogge verfolgt Müllers
Lebensweg von der Kindheit in der Thüringischen Provinz über die
politische Karriere in Berlin bis zum Rückzug ins Privatleben in den
dreißiger Jahren. Zahlreiche, auch in der Forschung bisher unbekannte
Details zu Müllers Leben  fügen sich  hier erstmals zu einem Gesamtbild
dieser historischen Persönlichkeit.


Ralf Hoffrogge: Richard Müller. Der Mann hinter der Novemberrevolution.
Band VII der Reihe „Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus"
Ca. 240 Seiten mit Abb., 16,90 € (externer Link in neuem Fenster folgtDietz Verlag)


Der Autor Ralf Hoffrogge, geboren 1980, ist Historiker und Mitglied des Gesprächskreises Geschichte der RLS. Er studierte Geschichte, Politik und Psychologie an der FU Berlin und an der Washington University in St. Louis (USA) - und war lange Zeit bildungspolitisch aktiv, u. a. als Hochschulreferent des AStA FU Berlin.