Mit seinem Buch «Maschinenstürmer. Autonomie und Sabotage» sammelt Gavin Mueller im Herbst 2022 ein Panorama der Perspektiven auf Geschichte und Gegenwart des konkreten und abstrakten Widerstands gegen Vernutzungs-«Fortschritt» und Maschinen-Herrschaft.
Sein Ziel formuliert er dabei sehr klar: «Ich will Menschen, die der Technik und Technologie kritisch gegenüberstehen, zu Marxist*innen machen» (S. 15). Mueller interessiert sich hier vor allem für die «Kämpfe unterhalb und außerhalb der offiziellen Institutionen und Ideologien der Linken» (S. 7). Der Wissenschaftler und Autor im englischsprachigen Redaktions-Kollektivprojekt «Viewpoint Magazine» (gegründet 2011 in nahem Umfeld zu den Entwicklungen von «Occupy») möchte anhand von Beispielen das Herzstück marxistischer Philosophie kritisieren, dass nämlich Technologie, Wissenschaft und Fortschritt objektiv und zwangsläufig seien. Die erfolgreichsten marxistischen Bewegungen der Geschichte seien von diesem Glauben, dass technischer Fortschritt und menschlicher Fortschritt dasselbe seien, angetrieben, wenn nicht befeuert worden.
Mueller setzt dem die These entgegen, dass Geräte, Maschinen und Prozesse, die vom Kapitalismus entwickelt wurden, auch dessen Ziele vorantreiben. Er weist darauf hin, dass «das Ziel der Marx‘schen Kapitalismuskritik es nicht [war], eine Anleitung zur Verwaltung der Wirtschaft zu geben, sondern die Widersprüche und Risse aufzuzeigen, die Stellen, an denen soziale Kämpfe wahrscheinlich waren» (S. 44 f.). Deswegen seien heute nur noch die ketzerischen Strömungen der Linken interessant, die gegen das Fließband und den Taylorismus gekämpft hätten, etwa die anarchistischen Wobbliesder Industrial Workers of the World (IWW). Der bereits 1915 verstorbene Frederick Winslow Taylor, der als Begründer der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation gilt, sei auch in der Sowjetunion nach 1918 positiv rezipiert worden, als dort im Stalinismus Industrialisierung zum Synonym für Sozialismus wurde. In den USA wiederum wurde beginnend mit dem Zweiten Weltkrieg die Kybernetik zur neuen Leitwissenschaft, alles sollte nun gesteuert werden.
Mueller thematisiert zuerst den Luddismus, also die Bewegung zur Sabotage der Webstühle zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Der Mythos der fiktiven Arbeiterfigur namens «King Ned Ludd» prägte diesen Begriff und Namen für den «Maschinensturm» der Textilarbeiter*innen gegen die quälenden Produktionsmittel in Händen eines industrialisierten Manufaktur-Systems. Nach diesem Blick in die Geschichte der bekennenden Sabotage als Mittel der Befreiung folgen, in unterschiedlicher Tiefe, die Beispiele «Fließband», «Container» und «Computer». Diese drei Neuerungen leiteten jeweils einen Abschnitt in der Entwicklung der kapitalistischen Ökonomie ein: der Container vereinzelt die Hafenarbeiter und ist z.B. die Voraussetzung für die Globalisierung. Der Computer ist Ausgangspunkt der Digitalisierung, die zentral die Produktion berührt. Nun sind ganz andere Formen der Steuerung, und vor allem der Überwachung und Dokumentation des Verhaltens der Arbeiter*innen möglich. Mueller streift die durch die Technik veränderte Zusammensetzung der Arbeiter*innenklasse, referiert auch die lange Geschichte feministischer Technikkritik und die durch die Digitalisierung ausgelösten Diskussionen und Kämpfe um geistiges Eigentum, Privatsphäre und Überwachung.
Zum Schluss des Bandes fordert Mueller, die (radikale) Linke solle eine Politik der Entschleunigung propagieren, statt dem in Großbritannien sehr modischen «Fully Automated Luxury Communism» den Weg zu bereiten. Er verweist auf die Vielzahl und Vielfalt von Kämpfen im und gegen den High-Tech- und Plattformkapitalismus und sieht Schnittmengen zwischen einem Neo-Luddismus und der Degrowth-Bewegung.
Das Buch umfasst einen Zeitraum von 200 Jahren, und kann dabei auf seinen rund 230 Seiten gezwungenermaßen nur an einigen Stellen in die Tiefe gehen. So stellt sich hier und da die Frage , ob die gewählten Beispiele wirklich bedeutend genug sind, um für eine Tendenz relevant sein zu können. Selbstverständlich ist das auch ein Quellenproblem, denn die in den verschiedenen Epochen und Kämpfen Handelnden hatten kein Interesse daran, erkannt zu werden. Es fehlt mitunter also die Überlieferung. Gleichwohl fügt Mueller seinem Text ein Personenverzeichnis bei. Die sicht- und nachvollziehbaren schreibenden Akteur*innen zumindest sind also gut zu finden. Zugleich erschwert oder verengt ein bestimmter Blickwinkel die Lektüre für hiesige Leser*innen aber ein wenig. Denn wie etwa die Bibliographie deutlich macht, ist Muellers Bezugsrahmen die anglophone radikale Debatte, sein Buch ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Die mittlerweile verschüttete, bereits in den 1970er Jahren begonnene deutschsprachige Diskussion um Sabotage, die «andere Arbeiterbewegung» und den operaistisch grundierten «Kampf gegen die Arbeit» kennt Mueller hingegen nicht, kann er wohl nicht kennen1.
Insgesamt ist «Maschinenstürmer» ein etwas unzugängliches, stellenweise auch diffuses Buch zu einem höchst spannenden und relevanten Thema. Ob das an seinem Gegenstand, der auf jeden Fall weitere Erforschung verdiente, liegt?
Gavin Mueller: Maschinenstürmer. Autonomie und Sabotage; Edition Nautilus, Hamburg 2022, 232 Seiten, 20 Euro.
1 In Deutschland waren bzw. sind die Zeitschriften AUTONOMIE.Neue Folge; Materialien für einen neuen Antiimperialismusund wildcatdie Kerne dieser Debatten.