News | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Commons / Soziale Infrastruktur - Gesundheit und Pflege Die abgesagte Revolution

Lauterbachs Krankenhausreform

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Kalle Kunkel,

Demonstration von Pflegekräften des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gegen den Personalmangel, 4.3.2022
Die Fallpauschalen werden nicht fallen, im Gegenteil: Lauterbachs Vorschläge bedeuten eine Profitorientierung in neuem Gewand. Demonstration von Pflegekräften des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gegen den Personalmangel, 4.3.2022, Foto: IMAGO / Hanno Bode

Krankenhauspolitik ist für ein breiteres Publikum ungefähr so zugänglich wie die Jugendsprache für die Redaktion der Tagesschau. Zwischen «DRGs», «Relativgewichten», «Fixkostendegressionsabschlag» und «Sicherstellungszuschlag» verlieren auch langjährige Beobachter*innen der Gesundheitspolitik schnell den Überblick. Das ist ein politisches Problem. Denn obwohl Krankenhauspolitik von hohem gesellschaftlichen Interesse ist, sind die Fachdiskussionen dazu schon seit Jahren nur noch einem esoterischen Kreis zugänglich. Vielleicht ist das aber auch ein gern in Kauf genommener Nebeneffekt des neoliberalen Umbaus der letzten Jahrzehnte: Das System entzieht sich faktisch einer breiten politischen Debatte.

Diesen Effekt machte sich jüngst auch der aktuelle Gesundheitsminister Karl Lauterbach zunutze, als er vor einigen Monaten eine Krankenhausreform ankündigte, die vermeintlich das Ende der Ökonomisierung einläuten und das Fallpauschalensystem der Krankenhausfinanzierung abschaffen werde. Nichts weniger als eine «Revolution» wurde der Öffentlichkeit versprochen. Wer jenseits der großen Überschriften den technokratischen Erläuterungen folgte, konnte allerdings schon früh ahnen, dass es eher eine Nummer kleiner werden würde.

Kalle Kunkel hat den ersten Streik für mehr Personal an der Charité mitorganisiert und arbeitet wissenschaftlich aktuell zu gewerkschaftlicher Krankenhauspolitik.

Nach so viel Theaterdonner legte dann eine von Lauterbach eingesetzte Kommission ihre Reformvorschläge vor. Ergebnis: Die Revolution bleibt aus. Das Fallpauschalensystem wird nicht abgeschafft, sondern lediglich umgebaut. Die Vorschläge umfassen jedoch viel mehr als die Krankenhausfinanzierung. Die Bewertung kann deshalb nicht nur auf die Frage der Fallpauschalen beschränkt bleiben.

Eine kurze Geschichte der Krankenhauspolitik

Um das, was jetzt vorgelegt wurde, besser verstehen zu können, ist es sinnvoll, einen Blick auf die Vorgeschichte zu werfen. Seit 20 Jahren – seit seiner Einführung 2002/03 – prägt das Fallpauschalensystem (Diagnosis Related Group-, DRG-System) zur Krankenhausfinanzierung ideologisch wie materiell die Krankenhauslandschaft. Es ermöglicht systematisch, im Krankenhausbereich Profite zu erwirtschaften. Seither sorgen die wirtschaftlichen Anreize für Personalabbau auf der einen Seite und für die Fokussierung auf lukrative Behandlungen auf der anderen Seite. Dies führt zu einem Nebeneinander von Unter-, Über- und Fehlversorgung. Die zweite große Baustelle betrifft die Krankenhausplanung und die damit zusammenhängenden Investitionen. Letztere müssen eigentlich von den Bundesländern finanziert werden. Diese haben sich aber zunehmend aus einer wirklichen Planung der Krankenhausstruktur zurückgezogen und sich – parallel dazu – auch von der Investitionsfinanzierung zunehmend verabschiedet: Die Planung überließ man lieber den Gewinnkalkülen der Krankenhäuser, Investitionen sollten sie aus ihren Überschüssen selbst finanzieren. Aus Personalstellen wurden Baustellen.

Etwa ab den Jahren 2015/16 geriet das Fallpauschalensystem auch in der offiziellen Politik jedoch mehr und mehr in die Kritik. Die durch die Krankenhausstreiks und die Kampagne zur gesetzlichen Personalbemessung von ver.di sichtbar gemachte Misere bei den Arbeitsbedingungen verband sich dabei mit den praktischen Problemen bei der Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung auf dem flachen Land. Der erste systematische Reformvorschlag kam bezeichnenderweise von einem Gesundheitsminister, der in einem Bundesland regiert, das durch kleine Städte und eine dünne Besiedelung geprägt ist. Der schleswig-holsteinische Gesundheitsminister forderte trotz FDP-Parteibuch eine Reduzierung der Wirkung des Fallpauschalensystems und schlug vor, die Finanzierung teilweise über sogenannte Vorhaltepauschalen sicherzustellen – vereinfach gesagt: Die Krankenhäuser bekommen einen bestimmten Betrag dafür, dass sie da sind, unabhängig von den vorgenommenen Behandlungen. 2020 fand diese Grundidee auch ihren Weg in das neue Grundsatzprogramm der Grünen, in dem die etwas nebulöse Forderung nach einem «neue[n] Finanzierungssystem für die Kliniken, das eine relevante strukturelle Finanzierung beinhaltet», zu finden ist.

Bei der SPD dagegen blieben die krankenhauspolitischen Vorstöße eher situativ. Nachdem in Mecklenburg-Vorpommern eine Kinderklinikstation durch einen privaten Krankenhauskonzern geschlossen wurde, ergriff Manuela Schwesig im Jahr 2000 zusammen mit ihrem Landesgesundheitsminister von der CDU die Initiative und forderte die Abschaffung der Fallpauschalen in Kinderkliniken. Dieser Vorstoß wurde vom SPD-Vorstand aufgegriffen und schaffte es von dort aus auch ins Wahlprogramm der SPD von 2021. Die daraus hervorgegangene Bundesratsinitiative starb in den entsprechenden Ausschüssen einen leisen Tod.

Der erste wirklich materielle Eingriff in das Fallpauschalensystem erfolgte unter der letzten schwarz-roten Koalition durch CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn. Im Jahr 2018 wurde die Finanzierung von Pflegekräften auf Normal- und Intensivstationen (die sogenannte Pflege am Bett) aus der Finanzierung durch die Fallpauschalen herausgelöst und auf eine kostendeckende Finanzierung umgestellt: Die Krankenhäuser bekommen alle Kosten erstattet, die nachgewiesenermaßen in diesem Bereich für Personal angefallen sind.

Kritiker*innen aufseiten der Krankenkassen sprachen von einem «Meteoriteneinschlag» ins Fallpauschalensystem und kritisierten, «dass dieser ganz grundlegende Einschnitt in das Vergütungssystem gänzlich ohne konzeptionelle Vorarbeiten erfolgte. In keinem der zahlreichen Vorschläge zur Weiterentwicklung des DRG-Systems findet sich dieser Vorschlag.» (Wulf-Dieter Leber/Charlotte Vogt)

Etwa 20 Prozent der Krankenhausfinanzierung wurden so aus dem Fallpauschalensystem zugunsten einer bedarfsorientierten Finanzierung herausgelöst. Zugleich führte diese Reform zu neuen Widersprüchen, denn sie spaltete die Krankenhausbelegschaften auf der Ebene der Finanzierung. Weil mit der «Pflege am Bett» keine Gewinne mehr gemacht werden konnten, richtete sich das betriebswirtschaftliche Augenmerk nun auf die zweite große Berufsgruppe im Krankenhaus: die Ärzt*innen. Sie stehen – insbesondere bei privaten Krankenhauskonzernen wie Helios – verstärkt unter Kostendruck. Das wiederum verstärkte auch in dieser Berufsgruppe die Forderung, ebenfalls vom Fallpauschalensystem befreit zu werden. Aus neoliberaler Sicht drohte ein Domino-Effekt: Immer mehr Teile der Krankenhausbelegschaft werden zugunsten einer kostendeckenden Finanzierung aus den Fallpauschalen herausgelöst. Die Ausgaben für Personal machen in den Krankenhäusern rund 65 Prozent der Kosten aus.

Mit der Reform von 2018 wurde die Kritik am Fallpauschalensystem – für die meisten Beteiligten völlig überraschend – politisch konkret. In dem Moment, in dem ein Ende des DRG-Systems politisch denkbar wurde, begannen deshalb auch diejenigen vom Fallpauschalensystem abzurücken, die es bislang verteidigt hatten. Hierfür ist es wichtig zu verstehen, dass das Fallpauschalensystem nur eine von mehreren Möglichkeiten ist, Krankenhäuser über Gewinnanreize und Wettbewerb zu steuern. Dennoch machen viele (linke) Beobachter*innen und Aktivist*innen – aus guten Gründen – ihre Kritik an der Kommerzialisierung des Krankenhauswesens am System der Fallpauschalen fest.

Sobald ein bestehendes System allerdings in die Krise gerät, stellt sich die Frage nach Alternativen und die Frage danach – und das ist entscheidend –, wer die Deutungsmacht darüber gewinnt, was überhaupt als Problem definiert wird und welche Lösungsmöglichkeiten sich daraus ergeben. Von neoliberaler Seite wurde deshalb natürlich nicht die Profitorientierung thematisiert. Stattdessen wurde und wird das Problem der Mengenausweiterung (dass Behandlungen durchgeführt werden, weil sie lukrativ sind) in den Mittelpunkt gerückt. Diese Problemdiagnose, die ein reales Problem adressiert, passt gut zum gesundheitspolitischen Evergreen der vermeintlichen Überkapazitäten im Krankenhaussektor.

Als Alternative zum Finanzierungssystem über Fallpauschalen wird seit einigen Jahren über das sogenannte Capitation-Modell geredet. Kern des Modells ist es, dass nicht mehr für die Behandlung bezahlt wird, die ein Krankenhaus oder ein*e niedergelassene Ärzt*in durchführt. Stattdessen bekommen die Leistungserbringer einen pauschalen Betrag für jede*n potenzielle*n Patient*in, der bzw. die bei ihnen registriert ist, egal ob die Person eine Behandlung in Anspruch nimmt oder nicht. Das ideologische Versprechen hinter diesem Modell: Durch den garantierten Betrag für alle eingeschriebenen Patient*innen entfalle der Anreiz zur Leistungsausweitung, vielmehr bekämen die Krankenhäuser ein Interesse an einem möglichst hohen Gesundheitsstand der Patient*innen, denn wenn diese keine Behandlungen in Anspruch nehmen müssten, entstünden den Krankenhäusern weniger Kosten und sie könnten die Differenz als Profite einstreichen. Die Gefahr dieses Finanzierungssystems liegt auf der Hand: An die Stelle der bisherigen Anreize zur Leistungsausweitung tritt nun die Gefahr einer Vorenthaltung von notwendigen Leistungen und eine Konkurrenz um die gesündesten Patient*innen: Rosinenpickerei.

Unter den gesundheitsökonomischen Berater*innen der Bundesregierung werden jedoch nicht diese Gefahren diskutiert. Stattdessen wird problematisiert, dass in Deutschland zahlreiche Voraussetzungen dafür fehlen, um ein solches System umsetzen zu können. Zum einen bräuchte es Anbieter, die die gesamte Behandlungskette abdecken: vom Hausarzt über das Krankenhaus bis hin zu Reha und pflegerischer Nachsorge. Denn wenn Patient*innen zum Beispiel ständig im Krankenhaus aufgenommen werden müssen, weil die Hausärzt*innen sie immer wieder dorthin überweisen, funktioniert das Modell nicht, Leistungserbringern dafür Gewinne zu ermöglichen, dass sie von den Patient*innen gar nicht erst aufgesucht werden. Eine ganzheitliche Verantwortung gibt es in Deutschland aber wegen der sogenannten Sektorentrennung nicht. Das betrifft insbesondere die Zusammenarbeit zwischen den niedergelassenen Ärzt*innen und den Krankenhäusern – was tatsächlich ein gesundheitspolitisches Problem darstellt. Zum anderen müsste für ein solches System die freie Arztwahl aufgegeben werden: Patient*innen müssten sich festlegen, welche Anbieter sie im Krankheitsfall aufsuchen würden. Beide Voraussetzungen liegen in Deutschland nicht vor, doch es gibt Initiativen, dies zu ändern: Vor allem dringen immer mehr Privat-Equity-Gesellschaften, also Kapitalbeteiligungsgesellschaft, in den Bereich der niedergelassenen Ärzt*innen vor und versuchen, sich als integrierte Versorger zu etablieren. Die auch aus linker Perspektive zu kritisierende Sektorentrennung wird also gerade unter der Hegemonie der Finanzmärkte aufgebrochen. Ein Capitation-System könnte in Deutschland nur schrittweise eingeführt werden. Die aktuellen Reformvorschläge – so die hier vertretene These – sind als Versuch zu verstehen, diesen Systemwechsel einzuleiten.

Die aktuelle Reform

In den letzten Jahren haben sich verschiedene Wege zur Überwindung des Fallpauschalensystems abgezeichnet. Politisch interessant ist, welche Ansätze fallengelassen worden sind und an welche angeknüpft wird.

Die Herauslösung der «Pflege am Bett» aus dem System der Fallpauschalen im Jahr 2018 hat je nach Perspektive die Befürchtung oder die Hoffnung geweckt, dass weitere Berufsgruppen folgen könnten. Mit der kostendeckenden Finanzierung des Personals hätte sich automatisch auch die Diskussion über die Personalbedarfsermittlung weiterentwickelt. Denn unter den Bedingungen einer kostendeckenden Finanzierung haben nicht nur die Beschäftigten ein Interesse an einer Bedarfsermittlung, sondern auch die Krankenkassen und -häuser. Denn auch sie bräuchten einen Maßstab, um zu entscheiden, was als bedarfsnotwendig finanziert werden müsste. Die Fallpauschalen hätten in Fortsetzung der Reform von 2018 weiter ausgehöhlt werden können, indem sämtliche Berufsgruppen im Krankenhaus kostendeckend finanziert und Personalbedarfsermittlungsinstrumente zumindest für alle größeren Berufsgruppen entwickelt worden wären. Über 60 Prozent des Krankenhausbudgets wären damit dem Gewinnkalkül und dem ruinösen Wettbewerb entzogen worden. Insbesondere die Ärzteschaft und die Gewerkschaften machten sich für entsprechende Forderungen stark.

Die von der Lauterbach-Kommission entwickelten Reformkonzepte knüpfen jedoch überhaupt nicht an diesen Pfad an. Zudem sind sie nicht nur auf die Krankenhausfinanzierung ausgerichtet, sondern mindestens ebenso auf die Struktur der Krankenhauslandschaft. Das macht eine differenzierte Bewertung notwendig.

Struktur der Krankenhauslandschaft

Im Mittelpunkt der Vorschläge zur Krankenhausstruktur steht die Definition von drei verschiedenen Versorgungsstufen, in die alle Krankenhäuser eingeteilt werden sollen:

  1. lokale Grundversorgung,
  2. regionale Regelversorgung und
  3. Maximalversorgung.

Diese Stufen definieren, welche Behandlungen ein Krankenhaus überhaupt durchführen darf. Krankenhäuser der Versorgungsstufe II oder III müssen dafür spezielle Anforderungen an die personelle Ausstattung, aber auch an die Ausstattung etwa mit medizinischen Geräten erfüllen und eine bestimmte Breite an medizinischen Fachrichtungen anbieten.

Diese Aufteilung ist sinnvoll und knüpft an ein Schema an, das schon früher im Rahmen der Krankenhausplanung der Bundesländer Anwendung fand. Je stärker die Länder jedoch die Gestaltung der Krankenhauslandschaft dem Markt überlassen haben, desto geringer wurde ihr Planungsanspruch. Damit verloren auch die Planungsmaßstäbe ihre Bedeutung. Die nun vorliegenden Vorschläge zielen also darauf ab, die Krankenhauslandschaft wieder stärker anhand von planerischen Kriterien zu gestalten. Bleibt die Frage, wie diese Kriterien umgesetzt werden sollen, das heißt, wer darüber entscheidet, welche Häuser welcher Versorgungsstufe zugeordnet werden, und wie diese Entscheidung dann durchgesetzt wird. Und genau hier wird es problematisch.

Vorstellbare wäre eine öffentliche Krankenhausplanung, in der die Länder zusammen mit den Gemeinden Kriterien für die Bedarfsermittlung festlegen und sich darauf einigen, an welchen Standorten welche Krankenhäuser benötigt werden. Für den dann möglicherweise notwendigen Umbau der Häuser müssten die Bundesländer die entsprechenden Gelder bereitstellen. Die Länder müssten jedoch auch gesetzlich die Möglichkeit erhalten, anhand ihrer planerischen Entscheidungen Krankenhäusern das Recht auf die Erbringung bestimmter Leistungen zu entziehen und sie anderen Häusern zuzuordnen.

Bisher gilt hier nach höchstrichterlicher Rechtsprechung das Prinzip, dass die Krankenhäuser allein durch das Erbringen einer bestimmten Leistung bereits nachgewiesen haben, dass ein Bedarf besteht. Daraus erwächst für sie das Recht, die Leistung auch weiterhin vor Ort zu erbringen. Auf dieses Prinzip werden sich insbesondere private Klinikbetreiber berufen, wenn sie aufgefordert werden, auf lukrative Behandlungen zu verzichten.

Wie die Länder in dieser Auseinandersetzung gestärkt werden könnten, dazu findet sich in den Kommissionsvorschlägen jedoch keine Zeile. Auch im Hinblick auf die Frage, wie die notwendigen Investitionen finanziert werden sollen, bleibt die Kommission überzeugende Antworten schuldig. Stattdessen plädiert sie für ein Festhalten am sogenannten Strukturfonds. Aus diesem Fonds wurden in den vergangenen Jahren die Abwicklung und Umwidmung (z. B. in medizinische Versorgungszentren) von Krankenhäusern finanziert. Der Haken: Dieser Fonds finanziert sich aus Geldern der Krankenkassen, die eigentlich ausdrücklich nicht für Investitionen vorgesehen sind. Diese Zweckentfremdung der Versichertengelder soll also nach dem Willen der Kommission einfach fortgesetzt werden.

Die Kommission bleibt bei der Frage der Durchsetzung der Kriterien erstaunlich schmallippig. Ihr scheint aber ein Modell vorzuschweben, das nicht in erster Linie auf das Planungsrecht der Länder setzt. Vielmehr scheint sie davon auszugehen, dass allein die Definition der Versorgungsstufen und der damit verbundenen Anforderungen Anreize bei den Krankenhausbetreibern schafft, in eine Art Tauschhandel über das Recht auf die Behandlung in bestimmen Fachrichtungen (ausgedrückt in sogenannten Leistungsgruppen) einzutreten. Ähnlich wie in dem berühmten Brettspiel «Die Siedler von Catan», bei dem die Spieler*innen zwei Mal Wolle gegen ein Mal Holz tauschen, um ein Haus bauen zu können, sollen sich die Krankenhäuser durch den Tausch bei den Leistungsgruppen upgraden können. Krankenhaus A braucht noch eine neurochirurgische Abteilung, um in Versorgungsstufe II aufsteigen zu können. Dafür tauscht es eine neurochirurgische Leistungsgruppe mit Krankenhaus B und gibt ihm dafür die lukrativen Kniegelenksprothesen. Versucht wird hier die Quadratur des Kreises: die Marktakteure unter Konkurrenzbedingungen zur Kooperation zu zwingen. Ob das realistisch ist, darf bezweifelt werden. Sicher ist allerdings, dass die öffentliche Planung in den Händen demokratisch legitimierter Instanzen damit eher geschwächt wird. Am Ende könnte durch die neuen Vorgaben vor allem der Druck entstehen, dass Häuser schließen müssen, wenn sie bestimmte Kriterien nicht erfüllen können. Dies ist der Hintergrund, warum die Reform auch in den Bundesländern auf Skepsis stößt – auch wenn bei den sehr lautstarken Wortmeldungen aus Bayern oder Nordrhein-Westfalen eine gehörige Portion Parteipolitik eine Rolle gespielt haben dürfte.

Weitere Probleme bei den Vorschlägen zur Verzahnung von niedergelassenen Ärzt*innen und den Krankenhäusern der Versorgungsstufe I können hier aus Platzgründen nicht vertieft werden.

Die Fallpauschalen werden nicht fallen

Durch die Ankündigungen von Lauterbach selbst lag die Aufmerksamkeit vor allem auf der vermeintlichen «Revolution» in der Krankenhausfinanzierung. Tatsächlich sind die vorgelegten Vorschläge der Kommission sehr viel Reform und wenig Revolution. Dies gilt insbesondere im Vergleich zu der Reform von Jens Spahn aus dem Jahr 2018, durch die erstmals wieder das Prinzip der Kostendeckung für einen – viel zu kleinen – Bereich eingeführt wurde. Dieser Weg wird jedoch durch die Kommission nicht weiter beschritten.

Sie schlägt stattdessen eine Modifikation des aktuellen Systems vor: Die bisherige Trennung von Fallpauschalenfinanzierung und Finanzierung der «Pflege am Bett» nach Selbstkostendeckung (20 Prozent des Budgets) bleibt erhalten. Zusätzlich werden weitere 20 Prozent (bzw. 40 Prozent für die Intensiv-, Notfallmedizin, Geburtshilfe und Neonatologie) über eine sogenannte Vorhaltepauschale finanziert. Das heißt umgekehrt, dass für 40 bis 60 Prozent des Budgets auch weiterhin die Finanzierung über Fallpauschalen gilt.

Der Kern der Finanzierungsreform besteht also darin, dass zusätzliche 20 bis 40 Prozent des Budgets zukünftig über eine Vorhaltepauschale finanziert werden sollen. Und wie soll das funktionieren? Die naheliegende Variante wäre, alle realen Kosten, die dem Krankenhaus unabhängig von der Durchführung einzelner Behandlungen entstehen – z. B. für Strom, Miete, Unterhalt der Geräte, aber auch Personalkosten –, zu erstatten. Das wäre aber eine kostendeckende Finanzierung, die die Kommission grundsätzlich ablehnt. Stattdessen sollen die Vorhaltekosten lediglich als Pauschale finanziert werden. Das macht die Sache kompliziert. Denn damit muss unabhängig von den realen Kosten der Krankenhäuser festgelegt werden, wie hoch diese Pauschale sein soll. In die komplizierte Berechnungsmethode soll einbezogen werden, wie viele potenzielle Patient*innen im Einzugsgebiet des Krankenhauses leben (Bevölkerungsbezug), wie viele Patient*innen das Haus tatsächlich aufsuchen (Mengenbezug) und wie die Qualität der Versorgung aussieht (Qualitätsbezug) – auch wenn die Kommission feststellt, dass es für eine rechtssichere Bemessung von Qualität auch nach Jahren entsprechender Versuche noch immer keine anwendbaren Methoden gibt. Ohne auf die Widersprüche dieser Berechnungsform tiefer einzugehen, lassen sich vor allem zwei Punkte festhalten:

  1. Mit dem sogenannten Bevölkerungsbezug wird ein Experimentierraum geschaffen, um die Finanzierung nach dem oben beschriebenen Capitation-Modell zu erproben. Zwar kann dieses Modell in der jetzigen Form seine erhoffte Wirkung noch nicht entfalten. Doch auch mit den Fallpauschalen wurde vor ihrer finalen Einführung bereits 15 Jahren lang experimentiert. Es liegt nahe, hier von einer ähnlichen Form der Implementierung auszugehen.
  2. Die Einführung der Säule «Vorhaltekosten» ist kein Bruch mit der Kommerzialisierung. Denn die Pauschalfinanzierung ermöglicht es auch hier, Gewinne zu machen, indem die Kosten unter die Erlöse durch die Pauschale gedrückt werden. Da Krankenhäuser auch weiterhin einen Teil der Investitionen aus den Geldern der Krankenkassen finanzieren müssen, müssen auch nicht gewinnorientierte Krankenhäuser Überschüsse erwirtschaften. Damit bleibt der Druck bestehen, beim größten Kostenblock zu sparen: dem Personal. Zudem sorgt das Festhalten an den Fallpauschalen – auch wenn sich ihr Umfang reduziert – dafür, dass das Interesse der Häuser an eher lukrativen Fällen bestehen bleib

Vorschläge bedeuten Profitorientierung in neuem Gewand

Auf der Ebene der Krankenhausstruktur ist der Vorschlag der Lauterbach-Kommission ambivalent. Die Einführung klarer Planungskriterien in Form von Versorgungsstufen ist sinnvoll. Jedoch macht die Kommission keinerlei Vorschläge dazu, wie die Planungskompetenz der Länder gegenüber den Krankenhausbetreibern, insbesondere denen mit Gewinnabsichten, gestärkt werden soll. Gleiches gilt für die Frage, wie der notwendige Umbau der Krankenhausstrukturen finanziert werden soll. Werden die Versorgungsstufen jedoch nur eingesetzt, um Häuser unter Druck zu setzen, die die Anforderungen nicht erfüllen können, drohen weiter ungeplante Schließungen und Konzentrationsprozesse unter der Hegemonie kapitalkräftiger Akteure, die die notwendigen Investitionen finanzieren können.

Auf der Ebene der Finanzierung ist die Kommission deutlich daran interessiert, das 2018 aufgestoßene Fenster hin zu einer kostendeckenden Finanzierung des Personals nicht weiter zu öffnen. Im Gegenteil: Durch die Einführung der bevölkerungsbezogenen Vergütungssäule werden neue Finanzierungsmodelle erprobt, die es auch in Zukunft ermöglichen, Gewinne mit den Krankenhäusern zu erzielen. Die Revolution von oben bleibt aus – sie muss weiterhin von unten erkämpft werden.