Die Reformen des sog. Prager Frühlings von 1968 werden von der tschechischen Öffentlichkeit heute bestenfalls als naiver Versuch wahrgenommen, das Unreformierbare zu reformieren, der zwangsläufig scheitern musste. Diese Interpretation, die die tschechische Diskussion über das Jahr 1968 in den letzten 30 Jahren dominierte, ist jedoch sehr begrenzt und vereinfachend. Der historisch einmalige Prozess des Prager Frühlings war nicht nur ein Versuch, unter den Bedingungen eines Ostblockregimes zu den klassischen Bürgerrechten zurückzukehren, sondern brachte auch einige revolutionäre sozialistische Konzepte hervor - insbesondere die sog. Arbeiterräte, die in konkreter Form in der Praxis umgesetzt wurden. Dies ist daher nicht nur für die sozialistische Bewegung von großer historischer Bedeutung, sondern sollte auch eine Inspiration für heute sein.
Pavel Šnajdr ist Aktivist und Mitglied von Socialistická Solidarita (Sozialistische Solidarität).
Unmittelbar nach der sowjetischen Invasion am 20./21. August 1968, der den Reform- (und Revolutions-) -prozess des Prager Frühlings auf tragische Weise beendete, wurde eine Debatte über dessen Interpretation angestoßen. Bereits um die Jahreswende 1968/69 kam es in den tschechoslowakischen Literaturzeitschriften zu der berühmten «Diskussion über das tschechische Schicksal» zwischen den Schriftstellern Milan Kundera und Václav Havel – Kundera betonte in seiner Reflexion Tschechisches Schicksal[1] die Einzigartigkeit des Prager Frühlings für die Weltgeschichte, worauf Havel mit einer Polemik[2] antwortete, in der er den gesamten Prager Frühling ironisch als bloße Forderung nach der Rückkehr zur Normalität, d.h. zu den Bürgerrechten und dem demokratischen Rechtsstaat, abtat, was nichts Weltbewegendes sei.
Nach der Samtenen Revolution im Jahr 1989, als Václav Havel Präsident wurde, ist diese Sichtweise zur allgemein akzeptierten historischen Interpretation der Ereignisse von 1968 geworden. Wir hören hier immer wieder, dass die Reformen des Prager Frühlings früher oder später sowieso zur Wiederherstellung der liberalen Demokratie geführt hätten, wenn sie nicht durch den tragischen Einmarsch im August unterbrochen worden wären, denn das sei das einzig mögliche funktionierende Modell. «Die Achtundsechziger» sind also eine eher spöttische oder geradezu negative Bezeichnung für die naiven, realitätsfernen Menschen jener Zeit.
Dieser Ansatz ist jedoch eine unbefriedigende Reduzierung. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass sich die Forderungen von 1968 nicht nur auf Bürgerrechtsfragen beschränkten, sondern viel tiefer und komplexer waren. Völlig vernachlässigt werden die Arbeiten zahlreicher Wissenschaftler (wie des Ökonomen Ota Šik oder des Philosophen Karel Kosík), die Arbeit von Expertenteams, die sich mit Fragen der Ökonomie, der Politik oder der Rechtstheorie befassten, sowie die spontane Aktivität, durch die revolutionäre sozialistische Elemente in der Praxis umgesetzt wurden, zum Beispiel in Form der sog. Arbeiterräte. Ihre Forderungen gingen in ihrer Konsequenz über die liberale Demokratie hinaus und zielten ganz im Gegenteil auf deren Überwindung, auf eine Vertiefung der Demokratie in Form einer gesellschaftlichen Selbstverwaltung mit wahrhafter Beteiligung der einfachen Menschen an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten ab, so dass sie viele Akteure von 1968 als Fortsetzung der antikapitalistischen Revolution sahen.
Die Dialektik des Prager Frühlings
Der zeitgenössische tschechische Autor Michael Hauser beschreibt den Prager Frühling von 1968 als einen historisch einmaligen dialektischen Prozess, in dem die Vertreter der offiziellen Macht, d. h. der regierenden Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSČ), einerseits und die breiten Volksmassen und die wissenschaftliche Gemeinschaft andererseits aufeinander einwirkten und sich gegenseitig beeinflussten. Hauser beschreibt diese Dialektik theoretisch als einen vierphasigen Prozess: In der ersten Phase initiierten die Anführer der Regierungspartei Reformen und luden zur öffentlichen Debatte ein. In der zweiten Phase ergriffen dann verschiedenartig zusammengesetzte Expertenteams und Vertreter der Öffentlichkeit spontan die Initiative und gaben ihre Vorschläge an die herrschende Partei zurück, die dann in der dritten Phase einen Teil dieser Anregungen in Form der Verabschiedung entsprechender Gesetze umsetzte. In der vierten Phase jedoch entglitt die spontane Volksbewegung den Händen der herrschenden Partei und wuchs in ihren Forderungen über deren offizielle Reformlinie hinaus, was faktisch eine Revolution bedeutete – die ursprünglich von oben initiierten Reformen wurden so zu einer von unten geführten Revolution. Hauser vergleicht diesen Prozess mit dem Mai 1968 in Frankreich, wo eine solche Dialektik nicht stattfand und im Sinne der politischen Philosophie von Ranciere eine Kluft zwischen dem Gesetz (oder der «polizeilichen Ordnung») und der Politik (d. h. einer Art öffentlicher Interaktion) bestehen blieb.[3]
Das Datum, das am häufigsten als Beginn des tschechoslowakischen Reformprozesses genannt wird, ist der 5. Januar 1968, als Alexandr Dubček zum Vorsitzenden der regierenden Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSČ) gewählt wurde. Die Ereignisse setzten sich im März dynamisch in Bewegung, als innerhalb weniger Tage die Zensur faktisch abgeschafft und eine bis dahin unvorstellbar freie gesellschaftliche Debatte entfesselt wurde. In Wirklichkeit war dies jedoch lediglich die Folge und der Höhepunkt der sozialen und politischen Prozesse, die sich in der Tschechoslowakei seit Anfang der 1960er Jahre vollzogen hatten und deren historische Einzigartigkeit wahrscheinlich durch die Erfüllung mehrerer Voraussetzungen ermöglicht wurde.
Obwohl sich die tschechoslowakische Gesellschaft zu jener Zeit strukturell nicht wesentlich von der westlichen Industriegesellschaft unterschied (wie eine zeitgenössische soziologische Untersuchung einer Expertengruppe unter der Leitung von Pavel Machonin[4] zeigte) und auch weiterhin große soziale Ungleichheit herrschte, wurde der klassische Klassenantagonismus zumindest teilweise überwunden - die Klassen, die dem Sozialismus traditionell feindlich gegenüberstanden, waren in den zwei Jahrzehnten seit dem Umsturz von 1948 praktisch verschwunden, was auch eine Meinungsumfrage zeigt, der zufolge sich 1968 nur 5 Prozent der Bevölkerung eine Rückkehr zum Kapitalismus wünschten. Die Bürger forderten lediglich eine Liberalisierung und Demokratisierung des Regimes. Das Interesse konzentrierte sich im Allgemeinen auf die Menschenrechte, und selbst aus Sicht des herrschenden Regimes schien nach der Beseitigung der feindlichen Klassen der Wiederherstellung der klassischen «zivilen», d.h. bürgerlichen und politischen Rechte nichts mehr im Wege zu stehen. In dieser Situation versuchte die auf dem Leninismus basierende Dubček-Führung, die Ideale der Oktoberrevolution zu entstauben und wagte es, die Politik auf der spontanen Bewegung der Massen statt auf einer zentral diktierten Doktrin zu gründen (sog. offensiver Sozialismus, der auf Diskussion und Verbesserung beruht, im Gegensatz zum defensiven Sozialismus).
Eine weitere wichtige Voraussetzung war das allgemeine tiefe Vertrauen in die Wissenschaftler und Experten, das für die 1960er Jahre in der gesamten hochentwickelten Welt typisch war (im Vergleich zu heute, wo beispielsweise ein zunehmendes Misstrauen gegenüber Wissenschaftlern herrscht, wie die jüngste Coronavirus-Pandemie gezeigt hat, bei der die Stimmen der Experten nicht nur von irrationalen Masken- und Impfgegnern, sondern auch von einigen Regierungsbeamten abgelehnt wurden, die unverantwortliches Mikromanagement bevorzugten). Bereits seit dem Beginn der 1960er Jahre wurden in der Tschechoslowakei mit dem Segen der Regimevertreter verschiedene Expertenteams gegründet, denen eine vom bis dahin bestehenden Dogmatismus weitgehend losgelöste Forschungsfreiheit garantiert wurde – zu den 4 wichtigsten Teams gehörten die Gruppe von Ota Šik für Wirtschaftsreformen, die Gruppe von Zdeněk Mlynář für rechtliche und politische Reformen sowie die Gruppen von Pavel Machonin (soziologische Forschung zur sozialen Differenzierung) und Radovan Richta (Fragen der wissenschaftlich-technischen Revolution). Das damalige Vertrauen in die Wissenschaft war jedoch auch mit dem Beginn der technokratischen Forderung nach einer «Regierung der Experten» verbunden, die auf mehr Effizienz abzielte.
Systemische Widersprüche und Lösungsansätze
Die Fragen, mit denen sich die beiden erstgenannten Expertenteams befassten, gingen meines Erachtens von zwei Streitpunkten aus, die jedes sozialistische Regime zwangsläufig mit sich bringt. Diese Streitpunkte sind die wirtschaftliche Effizienz eines solchen Systems einerseits und das Maß an Demokratie andererseits.
Eine Expertengruppe unter der Leitung von Zdeněk Mlynář befasste sich mit dem vollkommen offensichtlichen Demokratiedefizit in der Tschechoslowakei. Sie stellte die Forderung nach politischem Pluralismus auf, die schließlich 1968 in das Aktionsprogramm der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei aufgenommen wurde (insbesondere im zweiten Teil mit dem Titel «Für die Entwicklung der sozialistischen Demokratie»).[5]. Zusammen mit dem Gesetz vom 26. Juni, das die (faktisch nicht mehr existierende) Zensur formell abschaffte, war dies ein Beispiel für die Umsetzung von öffentlichen Anregungen durch die Regierungspartei, d.h. der dritten Phase des dialektischen Prozesses nach Hauser. Es blieb jedoch die Frage, inwieweit ein solcher politischer Pluralismus in der sozialistischen Gesellschaft verwirklicht werden sollte. Das Hauptproblem ist hier eine Art moralisches Dilemma – im Falle der Einführung eines freien politischen Wettbewerbs besteht die Gefahr, dass antisozialistische Kräfte die Oberhand gewinnen und das gesamte sozialistische Projekt zum Stillstand bringen. Mlynář plädierte für einen möglichst breiten Pluralismus, der durch ein einfaches verfassungsrechtliches Korrektiv ergänzt werden sollte: Die Tätigkeit der politischen Parteien sollte nicht im Widerspruch zur sozialistischen Verfassung stehen, in der beispielsweise die gesellschaftliche Form des Eigentums verankert ist. Das würde die führende Rolle der Partei überflüssig machen, meinte er.
Die wirtschaftliche Ineffizienz der zentral geleiteten Wirtschaft wurde in der Tschechoslowakei mit dem Scheitern des 3. Fünfjahresplans Anfang der 1960er Jahre, was den ersten Anstoß zu Reformen gab, vollends deutlich. Bereits 1963 wurde daher im Wirtschaftsinstitut der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften eine Expertengruppe unter der Leitung von Ota Šik gebildet, die einen Vorschlag für eine Wirtschaftsreform ausarbeitete, der schließlich 1965 vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (wenn auch in begrenztem Umfang) tatsächlich angenommen wurde. Die Reform bestand in der Einführung von Marktelementen in die Wirtschaft unter Beibehaltung der Wirtschaftsplanung und der sozialistischen Form des Eigentums an Produktionsmitteln. Der Kern lag in der Dezentralisierung der Wirtschaft – die nationalen Unternehmen erhielten in den meisten Branchen Autonomie bei der Planung und Steuerung der Produktion, der zentrale Plan spielte nur noch die Rolle einer Art staatlicher Nachfrage. Das persönliche Interesse der Arbeitnehmer an den Wirtschaftsergebnissen sollte durch eine Beteiligung am Gewinn (oder Verlust) des Unternehmens sichergestellt werden, die sich in den Löhnen niederschlug. Ein weiteres wesentliches Element sollte die Einführung der sog. Unternehmensdemokratie in Form der Einrichtung von sog. Arbeiterräten in den einzelnen Unternehmen sein.
Arbeiterräte in der Tschechoslowakei
Im Zusammenhang mit der anstehenden Reform gab es in der Tschechoslowakei von Anfang an eine komplizierte Diskussion über die Zusammensetzung und den Umfang der Befugnisse der Arbeiterräte. Der konservativen Linie, die das bürokratische System der zentralen Verwaltung beibehalten wollte, standen die Reformisten gegenüber, die sich in drei Strömungen aufteilten, von denen eine jede in einem bestimmten Entwicklungsstadium in den Vordergrund trat. Zu Beginn herrschte die technokratische Strömung vor, deren Ziel es war, die Leitung des Unternehmens ernannten Fachleuten, d.h. fähigen Managern, anzuvertrauen (es sollte eine Art Analogie zu der im Westen stattfindenden «Managerrevolution» sein); die Arbeitnehmer sollten nur zu einem Drittel in den Arbeiterräten vertreten sein. Ziel war es, die wirtschaftliche Effizienz auf Kosten der Unternehmensdemokratie zu fördern, was von den Gegnern als bloße Ersetzung der bürokratischen Elite durch eine Managerelite kritisiert wurde (es ist nicht uninteressant, dass einer der Befürworter dieser Strömung der rechtsgerichtete Wirtschaftswissenschaftler und spätere tschechische Präsident Václav Klaus war[6]). Dagegen setzte sich allmählich die radikal reformistische Strömung durch, der sich später der Urheber der Reform, Ota Šik, und führende Reformkommunisten anschlossen, die für eine Mehrheitsvertretung der Arbeitnehmer in den Arbeiterräten eintraten, die die Unternehmensleitung selbst wählen, die dann ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig sein sollte. Die Arbeitnehmer würden somit den Status von De-facto-Eigentümern des Unternehmens erlangen (ähnlich wie Aktionäre auf Hauptversammlungen), und zwar ganz im Sinne der marxistischen Forderung nach Kontrolle der Arbeitnehmer über die Produkte ihrer eigenen Arbeit.
Im Jahr 1968 begann man in der Tschechoslowakei mit der Ausarbeitung eines Gesetzes über sozialistische Unternehmen, um diese Arbeiterräte einzuführen. Die einzelnen Vorschläge spiegeln die Dynamik der damaligen Entwicklung wider – während das Aktionsprogramm der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei vom April noch implizit das Konzept eines Drittels (d.h. technokratische Lösung) vorsah, legten die Rahmengrundsätze der Regierung vom 29. Juni bereits einen Kompromiss vor und veränderten das Verhältnis der Vertretung in den Räten zugunsten der Arbeitnehmer (natürlich mit zahlreichen Ausnahmen). Der endgültige Gesetzesentwurf, der am Nationalfeiertag, am 28. Oktober, formell verabschiedet werden sollte (was von der Bedeutung zeugt, die ihm beigemessen wurde), basierte vollständig auf dem von der radikal reformistischen Strömung propagierten Konzept der Selbstverwaltung. Ihm zufolge sollten die Arbeiterräte aus 3 bis 30 Mitgliedern bestehen, wobei die ernannten Experten nicht mehr als ein Fünftel der Mitglieder ausmachen sollten, der Rest sollte sich aus Arbeitnehmervertretern zusammensetzen. In Hausers Konzept war dies die dritte Phase des dialektischen Prozesses, d. h. die Umsetzung von Anregungen (aus Wissenschaft und Öffentlichkeit) durch die Regierungspartei in Form der Verabschiedung entsprechender Gesetze. In der Zwischenzeit hatten sich jedoch bereits vor der offiziellen Verabschiedung des Gesetzes in verschiedenen Betrieben spontan Arbeiterräte gebildet, so z. B. bei der Prager ČKD auf Initiative von Rudolf Slánský Junior (Sohn des ehemaligen Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, der während der stalinistischen Säuberungen 1952 hingerichtet wurde).
Von Reformen zur Revolution
In dieser Situation trat die vierte Phase des dialektischen Prozesses ein, in der die Forderungen des Volkes bereits über den Reformprozess hinausgingen und sich zu einer Revolution entwickelten. Nun begann sich die dritte reformistische Strömung, die sog. radikaldemokratische Strömung, in der öffentlichen Debatte durchzusetzen und forderte, dass die Arbeiterräte auch zu einem politischen Organ werden sollten, das an der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten, einschließlich des Staates, beteiligt ist – dieses Modell der sozialen Selbstverwaltung war in der Tat eine Art moderne Analogie zu den ursprünglichen Sowjets, die im Revolutionsjahr 1917 in Russland eingerichtet wurden, und sollte somit eine Fortsetzung der sozialistischen Revolution darstellen. Zu den Anhängern dieser Strömung gehörten marxistische Philosophen wie Karel Kosík, Ivan Sviták, Robert Kalivoda und Zbyněk Fišer (alias Egon Bondy).
Mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes am 20./21. August wurde der Reformprozess in der Tschechoslowakei gewaltsam unterbrochen, und die Verabschiedung des Gesetzes über das sozialistische Unternehmen kam nie zustande. Die Zahl der spontan gegründeten Arbeiterräte nahm jedoch noch mehr zu, und in der Ausnahmesituation eines passiv Widerstand leistenden besetzten Landes begann sich das radikaldemokratische Konzept durchzusetzen, das darauf abzielte, Arbeiterräte als eine Art Parallelstruktur, als von der Zentralregierung unabhängige politische Selbstverwaltungsorgane zu etablieren. Der Höhepunkt dieser Bemühungen war ein Kongress von Arbeiterrätevertretern am 9. Januar 1969, der sogar die Bildung einer gemeinsamen Koordinierungsgruppe beschloss, was bei den Regierungsbeamten Entsetzen hervorrief. Gleichzeitig kam es zu einer einzigartigen Verbindung zwischen der Arbeiter- und Studentenbewegung (im Vergleich z.B. zum Mai 1968 in Frankreich, wo dies nicht sehr erfolgreich war), die in der Beteiligung der Arbeiter am Streik der Studenten vom 18. bis 21. November 1968 und dem anschließenden Abschluss eines Abkommens zwischen dem Studentenverband und der Metallarbeitergewerkschaft (die zusammen 60.000 Studenten und 900.000 Arbeiter vertraten) mit gemeinsamen Forderungen gipfelte, darunter die radikale Forderung nach der Bildung einer unabhängigen Expertengruppe aus Arbeitern und Ökonomen, die ein alternatives Wirtschaftsprogramm vorschlagen sollte. Damit würden die Befugnisse der Arbeiterselbstverwaltungen um die Frage der Umverteilung des nationalen Reichtums ausgedehnt, was ein Schritt in Richtung der angestrebten sozialen Selbstverwaltung wäre.
Ergebnisse und historisches Vermächtnis
Im Jahr 1969 wurden die Arbeiterräte schließlich von den neuen sog. Normalisierern aufgelöst. Die Gründe für die letztendliche Unterdrückung ihrer vielversprechenden revolutionären Aktivitäten sind noch nicht hinreichend erforscht (die Arbeiterbewegung und die Gewerkschaften blieben dennoch die letzten Inseln des Volkswiderstandes, der erst nach den massiven Säuberungen, die 1971 vom Zentralrat der Gewerkschaften unter dem neuen Vorsitzenden Karel Hoffmann eingeleitet wurden, endgültig gebrochen wurde). Leider macht es die kurze Zeit ihres Bestehens auch unmöglich, das praktische Funktionieren dieses außergewöhnlichen historischen Experiments objektiv zu bewerten, dennoch sind einige interessante Daten aus den Jahren 1968 bis 1969 bekannt. Insgesamt waren 800.000 bis 900.000 Arbeiter an den Aktivitäten der Arbeiterräte beteiligt. So wurden z. B. bei Škoda Plzeň (das damals 45.000 Mitarbeiter beschäftigte) überwiegend technische Experten und Mitarbeiter mit höherer Bildung in den Arbeiterrat gewählt (die in der Tat professioneller waren als das bisherige, bürokratisch eingesetzte Management), und die Ergebnisse der Tätigkeit über einen Zeitraum von mehreren Monaten zeigten tatsächlich ein besseres Wirtschaften und eine bessere Managementeffizienz, so dass sich die Befürchtungen der Technokraten hinsichtlich der Inkompetenz der Arbeiterräte und der Durchsetzung der egoistischen Interessen der Arbeiter nicht bewahrheiteten.
Die Diskussion zum Thema 1968 sollte sicherlich nicht nur zu melancholischen Reflexionen wie «wo hätten wir sein können, wenn...» führen, sondern in erster Linie sollte sie als Anregung für die heutige Zeit dienen, in der wir mit einer sich verschärfenden Krise der repräsentativen Demokratie und wiederkehrenden wirtschaftlichen und sozialen Krisen konfrontiert sind, denen langfristig nur durch einen radikalen Wandel der Gesellschaftsordnung begegnet werden kann. Der historische Versuch um einen Sozialismus in den Ostblockländern ist tragisch gescheitert und hat sich in eine Karikatur seiner selbst verwandelt - mit einer neuen herrschenden Klasse in Form der Parteibürokratie – er unterschied sich letztlich nicht wesentlich vom westlichen Kapitalismus, und der gemeinsame Geist des Jahres 1968 war gerade der Versuch, beide Systeme revolutionär zu überwinden. Demgegenüber steht die Alternative in Form des Sozialismus von unten, der keine Leugnung der Demokratie wäre, sondern vielmehr eine Vertiefung derselben. Die Einführung der Selbstverwaltungsräte in Betrieben und anderen Kollektiven, die unabhängige Entscheidungen in wirtschaftlichen und politischen Fragen treffen, würde zu einer selbstverwalteten Gesellschaft führen, in der sich die Demokratie nicht auf die gelegentliche Teilnahme an Wahlen beschränkt, sondern zu einem wesentlichen Bestandteil des Lebens wird.
Empfohlene Literaturquellen:
HAUSER, Michael (Ed.): Pražské jaro. Logika nového světa: od reforem k revoluci. Prag: Filosofia, 2022. ISBN 978-80-7007-727-6
KOVANDA, Karel: Zápas o podnikové rady pracujících 1968-1969. Prag: Institut für Zeitgeschichte der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, 2014. ISBN 978-80-7285-177-5.
[1] Milan Kundera: Český úděl. Listy (Nr. 7 – 8/1968)
[2] Václav Havel: Český úděl?. Tvář (Nr. 2/1968)
[3] HAUSER, Michael (Ed.): Pražské jaro. Logika nového světa: od reforem k revoluci. Prag: Filosofia, 2022. ISBN 978-80-7007-727-6
[4] MACHONIN, Pavel: Československá společnost: sociologická analýza sociální stratifikace. Bratislava: Epocha, 1969
[5] Aktionsprogramm der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, das auf der Plenartagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei am 5. April 1968 angenommen wurde. [Prag: ÚV KSČ], 1968
[6] KLAUS, Václav: K jednomu pojetí „výrobní demokracie“. Práce, 8.5.1968