In der Migrationspolitik zeichnet sich der Einfluss der AfD auf das Regierungshandeln immer deutlicher ab. In diesem Sommer schrieb die AfD im Leitantrag für ihr Europawahlprogramm: «[Wenn] Asylbewerber trotz des Grenzschutzes nach Deutschland gelangen, müssen ihre Asylverfahren in einem dazu bereiten Drittstaat durchgeführt werden, wo sie im Falle der tatsächlichen Schutzbedürftigkeit auch Aufnahme finden». Ein solcher Drittstaat ist für die Rechtsaußenpartei das ostafrikanische Ruanda. Und nun wurde bekannt, dass die Bundesregierung beschlossen hat zu prüfen, «ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind. Geprüft werden soll, ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann.»
Andreas Bohne leitet das Afrika-Referat der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Katrin Voß ist Leiterin des Regionalbüros in Daressalam, Tanzania.
Damit ist das hierzulande bislang nur wenig bekannte «Ruanda-Modell», welches in den letzten Monaten unter europäischen Konservativen und Rechtsradikalen viel Zustimmung erfahren hat, endgültig in der deutschen Politik angekommen.
Worum geht es?
Im April 2022 gab die britische Regierung unter dem damaligen Premierminister Boris Johnson bekannt, dass sie ein Abkommen mit Ruanda abgeschlossen habe. Im Rahmen eines fünfjährigen Programms sollten Asylbewerber*innen mit einem One-Way-Ticket nach Ruanda geschickt werden, um dort – statt in Großbritannien – Asyl zu beantragen. Daraufhin erhob sich im Vereinigten Königreich, aber auch in afrikanischen Ländern, scharfer Protest gegen das Vorhaben. Aufgrund eines Gerichturteils wurde der erste geplante Abschiebeflug nur wenige Minuten vor seinem Start abgesagt. Vor wenigen Tagen bestätigte nun ein Berufungsgericht, dass das Vorhaben der britischen Regierung rechtswidrig ist, weil die Abschiebung von Asylsuchenden nach Ruanda gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt.
Diese Entscheidung versetzte der umstrittenen Politik einen Rückschlag. Weil das Gericht aber keine abschließende Wertung darüber vornahm, ob es sich bei Ruanda um ein «sicheres Drittland» handelt, sehen die Befürworter*innen keinen Grund, Abstand von der Abschiebeinitiative zu nehmen. Es kann weiterhin dem Muster gefolgt werden, dass zum Zweck der sogenannten Migrationsabwehr weiterhin mit autoritären Staaten zusammengearbeitet werden darf, die euphemistisch als «politische Stabilitätsanker» oder «investitionsfreundliche Aufsteigernationen» bezeichnet werden.
Dabei ist Ruanda – das derzeit bereits 135.000 Geflüchtete, überwiegend aus der Demokratischen Republik Kongo, aufgenommen hat – bekanntlich alles andere als ein demokratisches Land. Der autoritäre Präsident, Paul Kagame, regiert in Kigali bereits seit über zwanzig Jahren mit harter Hand. Auch wenn die westlichen Staaten und internationalen Finanzinstitutionen das Land als Beispiel erfolgreicher Entwicklung darstellen, ist es in Wirklichkeit ein Ort systematischer staatlicher Brutalität.
Um Abschiebungen nach Ruanda dennoch zu rechtfertigen, müssen die Befürworter*innen diese Tatsache ausklammern. Sie greifen stattdessen auf Argumentationsmuster zurück, die aus der europäischen Migrationsabwehr bekannt sind: Durch eine solche Politik würden die gefährlichen Überfahrten über das Mittelmeer und den Ärmelkanal verhindert, potenzielle Flüchtlinge abgeschreckt, den Schleuser*innen das Handwerk gelegt und ein geordnetes Asylverfahren garantiert. Das sei allemal besser, als Geflüchtete beispielsweise in libyschen Lagern schmachten zu lassen.
Diesen Kniff bemühte unlängst auch der Migrationsforscher Gerald Knaus im ARD-Morgenmagazin. Und er brachte die bisherigen Erfahrungen mit Ruanda ins Spiel: Denn bereits seit 2019 habe das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) bis zu 2000 Geflüchtete aus Libyen nach Ruanda gebracht. Dass bereits über die Hälfte von ihnen in nicht genannte Drittländer umgesiedelt wurden, verschweigt Knaus jedoch ebenso wie die Tatsache, dass das UNHCR das britische «Ruanda-Modell» ablehnt. Und er bedient sich eines rhetorischen Kniffs: Man möge doch zumindest darüber reden, bevor man das Konzept ablehne.
«Postfaschistisch» ausgelagert
Zynischer können Flüchtende kaum gegeneinander ausgespielt werden. Ferner löste die Ankündigung der Ruanda-Politik Anfang Juni 2022 bei den Flüchtlingen in Calais Panik aus, die Zahl der Migrant*innen stieg sprunghaft an. Hinzu kommt: Das Vereinigte Königreich zahlte der ruandischen Regierung im Rahmen des Abkommens 140 Millionen Pfund (rund 161 Millionen Euro), und der britische «Guardian» berichtete kürzlich, dass die Abschiebung von Asylbewerber*innen nach Ruanda 169.000 Pfund pro Person kosten würde. Das sind Gelder, die besser anders angelegt werden könnten – zur Unterstützung und Integration der Geflüchteten, beispielsweise. Bei Abschiebungen, so scheint es, scheuen die Befürworter*innen weder Kosten noch Mühen. Fest steht aber auch, dass sie damit auf eine rechtswidrige Politik setzten.
Dennoch erfreut sich das «Ruanda-Modell» unter Konservativen und Rechtsradikalen in Europa – wie auch die Beispiele Dänemark und Österreich zeigen – anhaltend großer Beliebtheit. Und es wird immer mehr zum Synonym für die geplante Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten. Ob es in den Gedankenspielen letztlich um Ruanda, nordafrikanische oder andere Länder geht, spielt für die Rechten dabei nur eine untergeordnete Rolle. Für die «postfaschistische» italienische Regierungschefin Giorgia Meloni etwa können, wie sie jüngst bekannt gab, die Asylverfahren auch nach Albanien ausgelagert werden.