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Autorin Annette Hess über die Serie «Deutsches Haus» zu den Frankfurter Auschwitz-Prozessen

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Annette Hess
Annette Hess Foto: Disney

Vor genau 60 Jahren begannen in Frankfurt die Auschwitz-Prozesse, diese waren ein Einschnitt in die Debatte um die NS-Verbrechen. Die Serie «Deutsches Haus» thematisiert diese Geschichte und liefert ein eindrucksvolles und bewegendes Panorama der westdeutschen Verdrängungsgesellschaft und die Risse und Aufbrüche die sich andeuten.

Annette Hess ist Autorin des Buches «Deutsches Haus» und Creative Producerin der Serie, die bei Disney+ erschienen ist. Sie ist eine der profiliertesten Serienautorinnen und hat bereits mit den Serien «Weißensee» und «Ku´damm 56/59/63» die Nachkriegsgeschichte lebendig erzählt. Mit ihr sprach Henning Obens, Leiter der Politischen Kommunikation der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
 

Henning Obens: Frau Hess, Sie haben bereits viele verschiedene Stoffe der Deutschen Zeitgeschichte behandelt. Wie sind sie nun zu diesem Gegenstand gekommen, der ja ein sehr besonderer in der deutschen Geschichte ist?

Annette Hess: Im Alter von zehn Jahren habe ich zum ersten Mal vom Holocaust erfahren, und zwar durch «Das Urteil von Nürnberg», den Hollywoodfilm mit Spencer Tracy über die Nürnberger Prozesse. Im Gerichtssaal dort werden Originalaufnahmen der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen gezeigt. Diese Bilder habe ich nie vergessen. Da habe ich auch zum ersten Mal die kollektive Schuld als Deutsche empfunden, als Enkelin eines Polizisten zur Nazizeit. Ich habe immer nach Wegen gesucht, wie ich das Thema als Autorin bearbeiten kann, ich fühle eine Verpflichtung des Erinnerns, Erzählens, Aufarbeitens. Schon in meiner DDR-Serie «Weißensee» habe ich mit der Familie Kupfer, die jüdisch ist, das Thema anklingen lassen und auch in der «Ku’Damm»-Reihe gibt es Freddy Donath, den jüdischen Rock n‘ Roller. Ich habe gemerkt, dass ich keine Geschichte schreiben kann, die zur Zeit das Nationalsozialismus selbst spielt, weil ich diese einfach nicht erlebt habe. Da könnte ich nur Figuren und Haltungen reproduzieren, die ich gelesen oder gesehen habe, ich könnte kein eigenes Empfinden abbilden. Das wird dann seelenlos. Und dann habe ich vor zehn Jahren die Tonbandmitschnitte des Auschwitz-Prozesses im Internet entdeckt, die waren da gerade online gestellt worden. Das sind 400 Stunden. Die habe ich mir angehört, rauf und runter. Das war die Initialzündung. Ich bin 1967 geboren, habe zwar zur Zeit der ersten Prozesse noch nicht gelebt, aber ich habe meine Großeltern erlebt, ich weiß, wie der Ton und die Atmosphäre in den Familien war. Meine Großeltern mütterlicherseits waren Bauern und väterlicherseits war mein Großvater eben Polizist. Bauer und Polizist, mehr kleinbürgerliches Klischee geht gar nicht. Ich hatte das Gefühl: Davon kann ich erzählen, von einer typisch deutschen Familie auf der historischen Folie des Prozesses.

Ich wollte, dass man einerseits die reine Menge an Verbrechen versteht und andererseits aber auch emotional erfasst.

Das ist ja auch die starke Seite dieses Films, dass man das Gefühl hat, so viele der Charaktere sind archetypengleiche Figuren der 60er-Jahre. Eva, die Protagonistin des Filmes bietet einen spannenden Zugang, um die Geschichte zu erzählen. Wie sind sie auf die Dolmetscherin als Protagonistin gekommen, die etwas naiv in diesen Prozess reinkommt?

Auf den Tonbändern des Prozesses ist eine Dolmetscherin zu hören. Wera Kapkajew. Sie hat mit Eva erst mal nicht viel gemeinsam, weil sie älter war und Polin. Aber sie hat mich extrem beeindruckt, weil sie eine so wichtige Funktion hatte. Sie müssen sich vorstellen, die Zeuginnen und Zeugen sind zum Prozess gekommen, nach 20 Jahren, mitten ins Täterland, umgeben von deutschsprechenden Menschen, und mussten über ihre Traumata und Erlebnisse berichten, in einem Gerichtssaal. Im Angesicht der Täter, die da ausdruckslos und sogar lachend gesessen haben. Da kommt es in der Übersetzung auf Nuancen an: er hat mich gestoßen, oder, er hat mich nur geschubst. Da muss man vertrauen, dass eine präzise Übersetzung stattfindet, und das hat diese Frau geschafft. Evas naive Perspektive ist im Grunde der meiner Mutter nachempfunden. Auch meine Mutter war Anfang der 60er Jahre ausschließlich damit beschäftigt, einen Mann zu finden und zu heiraten. Am besten jemanden, der irgendwann nochmal Doktor und Professor wird, damit ihr beim Metzger die Tür aufgerissen wird, und es heißt: Guten Tag, Frau Professor! Meine Mutter hatte keine Ahnung vom Holocaust und von Auschwitz und hat auch den Prozess nicht mitbekommen. Ich habe sie gefragt. Sie war Anfang 20 und das ist an ihr vorbeigegangen, obwohl der Prozess in allen Zeitungen war. Ich denke, sie hat das ausgeblendet, weil sie es auch nicht wissen wollte, woran ihr geliebter Vater möglicherweise beteiligt war. Bei ihr hat es gedauert, bis diese Verbrechen in ihrem Bewusstsein ankamen. Meine Generation hat den Nationalsozialismus in der Schule durchgenommen. Wir alle wissen ein bisschen über Auschwitz. Vielen hängt das Thema zum Hals raus. Bei den jungen Leuten schwindet das Wissen ganz. Wie erzählt man es also neu? Ich hatte das Gefühl, man muss für diese Serie bei null anfangen, als ob ein Kind fragt: Sag mal Auschwitz, was war das? Ich wollte einem unschuldigen Menschen davon erzählen, wozu Menschen fähig sind. Evas Weg ist auch eine Coming of Age Geschichte, denn sie wird erwachsen, auf eine bittere Art und Weise, durch diese Erkenntnis. Der Name Eva ist bewusst gewählt.