Kommentar | USA / Kanada - Israel - Palästina / Jordanien - Krieg in Israel/Palästina Bidens Nahost-Dilemma

US-Nahostpolitik nach dem 7. Oktober

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11. Dezember 2023: Jüdische Organisationen lassen vor dem Weißen Haus eine Chanukkia leuchten, um einen Waffenstillstand in Gaza zu fordern.
Die Kritik an der Politik Joe Bidens in den eigenen Reihen wächst. Mehr als 50 Mitglieder des Repräsentantenhauses und eine Handvoll Mitglieder des Senats haben sich bereits einer Forderung nach einem Waffenstillstand angeschlossen. 11. Dezember 2023: Jüdische Organisationen lassen vor dem Weißen Haus eine Chanukkia leuchten, um einen Waffenstillstand in Gaza zu fordern., Foto: picture alliance / NurPhoto | Allison Bailey

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel und dessen zahlreiche Opfer in der Zivilbevölkerung, darunter viele Menschen, die gegen illegale Siedlungen und für den Frieden eingetreten sind, schlug ein weiteres furchtbares Kapitel in der jahrzehntelangen Gewaltgeschichte der Region auf. In den USA, dem Land, in dem mehr Jüdinnen und Juden leben als in Israel selbst, war und ist das Entsetzen darüber seit dem 7. Oktober mit Händen zu greifen.

Andreas Günther Aguayo leitet das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York City. Stefan Liebich folgt ihm in dieser Position am 1. März 2024.

Zunehmend nimmt auch die Kritik am Krieg der israelischen Armee im Gazastreifen einen immer breiteren Raum in der öffentlichen Diskussion ein. Die hohe Zahl der zivilen Opfer in der palästinensischen Bevölkerung führt zu einer Protestbewegung in den USA, deren erstes Ziel ein Waffenstillstand ist. Die bisherige Strategie dieser und der letzten US-Administration, einzelne bilaterale Vereinbarungen Israels mit arabischen Staaten zu forcieren und zu hoffen, dass sich die palästinensische Frage «managen» lässt, ist offenkundig gescheitert. Erstmals seit langer Zeit wird nun wieder über die Zwei-Staaten-Lösung in der Region gesprochen. Der Preis an Menschenleben dafür ist jedoch viel zu hoch.

Richtungswechsel der US-Nahostpolitik

Die Rolle der USA im Nahen Osten hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Durch das Fracking im eigenen Land war die Abhängigkeit von den Rohstoffen der Region eigentlich zurückgegangen. Allerdings hatte Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Sanktionspolitik dagegen auch Konsequenzen für die Energiepreise in den USA. Zudem wechselten die Agenden der USA in schneller Folge. Die Obama-Administration bemühte sich um ein Atomabkommen mit dem Iran, Trump stoppte dies, Biden bemühte sich, wenn auch erfolglos, erneut. Trumps erste Auslandsreise ging nach Saudi-Arabien, Biden führte Wahlkampf mit dem Ziel, das Land zum «Paria» zu erklären und reiste dann aber wegen der Energiepreise doch dorthin. Trump verlagerte die US-Botschaft in Israel nach Jerusalem und erkannte die syrischen Golan-Höhen als Teil Israels an, Biden fand das zwar falsch, machte es aber auch nicht rückgängig. Auch der Richtungsschwenk der USA während und nach dem «Arabischen Frühling» gegenüber Ägypten wurde nicht vergessen. Es entstand bei den arabischen Herrschern das Bild eines Landes, das nicht weiß, was es will. Den entstandenen Raum versuchen die VR China und Russland für sich zu nutzen. Und auch die Europäische Union (EU) in all ihrer Vielstimmigkeit spielt natürlich eine Rolle. Aber unter dem Strich sind die USA nach wie vor die wirtschaftlich und militärisch stärkste Akteurin der Region und werden dies wohl auch erst einmal bleiben.

Außenpolitik vor innenpolitischen Hintergründen  

Innerhalb der USA hat internationale Politik keinen hohen Stellenwert. Den größeren Teil ihrer Geschichte war die Stimmung im Land isolationistisch. Die meisten Präsidenten in der jüngeren Zeit, mit Ausnahme von Donald Trump, haben das jedoch anders gesehen. Oft werden daher außenpolitische Debatten vor innenpolitischen Hintergründen geführt. So auch jetzt.

Am 6. Dezember scheiterte im US-Senat die Behandlung eines Sicherheitsgesetzes, das die militärische Unterstützung für Israel und humanitäre Hilfe für Gaza mit Geldern für die bewaffnete Verteidigung der Ukraine und der Abschottung der Grenze zu Mexiko verband. Damit wurde deutlich, wie in Washington nicht erst seit gestern, aber besonders in diesen Tagen Außenpolitik gemacht wird: in der Verbindung verschiedener Themen, im Geben und Nehmen unterschiedlicher Interessenvertreter und vor allem immer mit Blick auf die Innenpolitik. Der Vorschlag aus dem Weißen Haus, alle Themen miteinander zu verknüpfen, hat sich als ein Bumerang erwiesen, da nun zunächst gar nichts beschlossen wurde.

Den Republikanern und vielen ihrer Wählerinnen und Wähler ist die ferne Ukraine zunehmend egal. Sie stellen die Militärhilfe für das Land in Europa einer von ihnen herbeifantasierten «Invasion» an der südlichen Grenze der USA gegenüber, deren Abwehr Vorrang hätte. Obwohl Politikerinnen und Politiker aus ihren Reihen bis hin zum früheren Präsidenten keine Probleme hatten, sich mit Antisemiten zu treffen bzw. selbst antisemitische Äußerungen zu tätigen, stellen sie sich doch als jene Partei dar, die fest an der Seite Israels stünde. Aber auch hier geht es ihnen vor allem um Innenpolitik. Sie setzen darauf, damit bei der christlichen Rechten und bei jenem Teil der Jüdinnen und Juden in den USA zu punkten, die ohne Wenn und Aber hinter der israelischen Regierung stehen. Angesichts der wachsenden Kritik an Netanjahus Kriegsführung in der Demokratischen Partei versprechen sie sich einen weiteren Vorteil im Parteienwettbewerb.

War die vorbehaltlose Solidarität mit Israel in der Vergangenheit eines der wenigen verbindenden Elemente beider Parteien im Kongress, hat sich das in den letzten Jahren gewandelt. Zwar ist Präsident Joe Biden grundsätzlich weiter ein starker Unterstützer des Landes, wie er mit seinem Zitat, «man muss kein Jude sein, um Zionist zu sein», kürzlich unterstrich. Das hinderte den Katholiken jedoch nicht, den Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza einzufordern. Folgerichtig verzichteten die USA im Sicherheitsrat im November auf ihr Veto, als Malta eine Resolution für ausgedehnte humanitäre Pausen und Korridore im gesamten Gazastreifen für eine ausreichende Anzahl von Tagen einbrachte. Diese Resolution wurde dann auch beschlossen und auch wenn der humanitäre Zugang zu spät und zu gering und die Waffenpause zu kurz war, zeigte das auch, dass die USA nach wie vor einen großen Einfluss haben.

Zunehmende Kritik an Politik von Biden

Als allerdings vor wenigen Tagen eine tatsächliche Waffenruhe gefordert wurde, blockierten die USA wie so häufig die Entscheidung und stimmten auch in der Generalversammlung gegen die große Mehrheit. Derweil wächst die Kritik an der Politik Joe Bidens in den eigenen Reihen. Mehr als 50 Mitglieder des Repräsentantenhauses und eine Handvoll Mitglieder des Senats haben sich bereits einer Forderung nach einem Waffenstillstand angeschlossen. Auch der Wortführer der Linken im US-Kongress, der parteilose Senator aus Vermont, Bernie Sanders, der trotz massiven Drucks seiner Anhängerinnen und Anhänger lange zögerte, schrieb nun an Joe Biden: «Ich bitte Sie, die Bemühungen der Vereinten Nationen zur Beendigung des Blutvergießens zu unterstützen, wie z.B. die jüngste, von den Vereinigten Staaten abgelehnte Resolution, die einen sofortigen humanitären Waffenstillstand gefordert hätte.» Joe Biden glaubt jedoch, dass seine Unterstützung Israels ihm mehr Druckmittel geben würde, um Benjamin Netanjahu zur Zurückhaltung zu drängen. Die US-Regierung setzt darauf, dass beide Palästinensergebiete – die Westbank und der Gazastreifen – nach dem Krieg gemeinsam von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) regiert werden und es erneut einen Friedensprozess gibt. Die Erkenntnis, dass es dafür anders als bei Oslo auch volle Selbstbestimmung und Souveränität für die Palästinenser und Palästinenserinnen geben muss, ist aber entweder noch nicht eingetreten oder wird zumindest nicht ausgesprochen. Und offenkundig ist das auch nur mit einer anderen israelischen Regierung möglich, denn Benjamin Netanjahu sagt, er würde es Israel nicht erlauben «den Fehler von Oslo zu wiederholen. Gaza wird weder Hamastan noch Fatahstan werden». Und auch die PA muss sich ändern. Die korrupte Regierung von Mahmud Abbas mit Sitz in Ramallah genießt keinerlei Unterstützung mehr.

Bidens Dilemma

Joe Bidens Dilemma liegt auf der Hand. Einerseits ist er Unterstützer Israels, dessen Regierung aber einen anderen Kurs verfolgt als seine. Um bei den nächsten Wahlen eine Chance zu haben, braucht er aber eine breite Koalition, zu der auch die linken Demokraten gehören. Zudem zeichnet sich bereits jetzt ein Rückgang der Unterstützung von arabisch-stämmigen Wählerinnen und Wählern in wichtigen Swing States ab. Dass die Alternative, Donald Trump, für die Palästinenserinnen und Palästinensern noch schlechter ist, spielt offenbar bei vielen keine ausreichende Rolle bei der Entscheidungsfindung.

Die USA muss jetzt ihre Möglichkeiten nutzen, auf die aktuelle israelische Regierung dahingehend einzuwirken, dass sie sich auf einen Waffenstillstand einlässt. Und dann gibt es hoffentlich neue Akteure auf der palästinensischen und israelischen Seite, die mit Unterstützung der USA, der arabischen Staaten und gern auch der EU, Russlands, Chinas und aller, die daran mitwirken wollen, ernsthafte Verhandlungen für einen dauerhaften Frieden für alle Menschen, die zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer leben wollen, zu führen. Zu wünschen wäre es ihnen.