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Die Stahlindustrie in Europa steht vor einem weitreichenden Transformationsprozess

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Uwe Witt,

Ein Stahlarbeiter im Schutzanzug entnimmt eine 1500 Grad heisse Roheisenprobe beim Abstich am Hochofen bei ThyssenKrupp Steel, Duisburg, 15.4.2019
Der größte Teil an CO2-Emissionen in der Stahlindustrie entsteht bei der Produktion des Roheisens aus Eisenerz. Hochofen bei ThyssenKrupp Steel, Duisburg, 15.4.2019, Foto: IMAGO / Rupert Oberhäuser

Die Stahlindustrie ist für fast ein Drittel der CO2-Emissionen der deutschen Industrie verantwortlich. Die Emissionen aus der Stahlherstellung zu senken, ist jedoch eine große Herausforderung. Gelingen könnte es mit Hilfe von Wasserstoff – klimafreundlicher ist das nur, wenn dieser tatsächlich mit Strom aus Erneuerbaren Energien hergestellt wird.

Geert van Poelvoorde machte im Februar eine klare Ansage. «Grüner Wasserstoff ist zu teuer für den Einsatz in unseren EU-Stahlwerken», so der der Chef der europäischen Niederlassung von ArcelorMittal, einem der größten Stahlkonzerne der Welt. Dabei wollte das Unternehmen eigentlich seine vier deutschen Standorte auf die neue Technologie umstellen. Grüner Wasserstoff statt Kohlekoks – das ist seit ein paar Jahren die große Hoffnung europäischer Industriepolitiker*innen und Umweltschützer*innen, denn damit könnte Stahl künftig deutlich klimafreundlicher produziert werden.

Ein paar Jahre mag die Linie für ArcelorMittal aus Unternehmenssicht vielleicht noch gutgehen. Doch je weiter die Zeit Richtung 2050 vorrückt, umso stärker wird zumindest in Europa der Druck wachsen, die Stahlproduktion CO2-frei zu machen. Schließlich will die EU bis dahin laut ihrem Klimaschutzgesetz treibhausgasneutral sein. Für die Emissionen der europäischen Stahlindustrie, die für fast ein Drittel aller Industrieemissionen Europas verantwortlich zeichnet, ist da kein Platz.

Hohe Emissionen

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstaltete am 13. April 2024 eine Tagung in Salzgitter, die sich dem Transformationsprozess in der Stahlindustrie widmete. Salzgitter ist ein guter Ort dafür, denn am grünen Wasserstoff hält der deutsche Stahlkonzern Salzgitter AG, der dort seinen Sitz hat, im Gegensatz zu ArcelorMittal weiterhin fest, ebenso wie Deutschlands größter Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel. Die Unternehmen beschreiten damit einen notwendigen, aber auch herausfordernden Umstellungsprozess ihrer Produktionsstandorte, der die Zukunft von Unternehmen und Beschäftigung weitgehend sichern soll. Bis 2033 will die Salzgitter AG ihre Stahlproduktion vollständig umgebaut haben. Noch 2022 emittierte allein die Salzgitter Flachstahl GmbH 3,65 Millionen Tonnen CO2. Das ist mehr als ein Drittel dessen, was die ganze Stadt Hamburg im selben Zeitraum verursachte.  

Uwe Witt ist Referent für Klimaschutz und Strukturwandel der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Das Gros des CO2 entsteht bei der klassischen Stahlproduktion an zwei Stellen. Der größte Posten fällt in der «Hochofenroute» an, bei der Reduktion von Eisenoxid im Eisenerz. Dabei entsteht Roheisen als Ausgangsmaterial für die Stahlproduktion (siehe Kasten). Lediglich in Elektro-Stahlwerken (zirka 30 Prozent der weltweiten Stahlproduktion) kann das Treibhausgas weitgehend vermieden werden; ein Elektrolichtbogenofen emittiert fünfmal weniger CO2 als die Hochofenroute.

Dies gilt allerdings nur, was die direkten Emissionen angeht. In den strombetriebenen Öfen wird ein hoher Anteil von Schrott eingeschmolzen und zu neuem Stahl veredelt. Ein Teil der Emissionen ist darum nur verlagert in die großteils noch fossilen Kraftwerke, die den Betriebsstrom für die Öfen erzeugen. Die Elektrostahlherstellung ist somit die zweite wichtige Treibhausgasquelle des Stahlsektors.

Strategien für emissionsfreien Stahl

Aus diesen Prozessen ergeben sich die zwei Hauptstrategien dafür, die Stahlerzeugung emissionsfrei zu machen: Zum einen muss statt Koks ein Reduktionsmittel eingesetzt werden, welches am Ende kein CO2 erzeugt. Wasserstoff eignet sich dafür ideal, er reagiert direkt mit dem Eisenoxid (darum wird das Verfahren als «Direktreduktion» bezeichnet, englisch Direct reduced iron, DRI). Als Reaktionsprodukt entsteht neben Roheisen nur Wasserdampf. Zum anderen wird Stahl umso klimafreundlicher, je höher der Anteil von Ökostrom am zur Herstellung benötigte Strom ist. Das gilt nicht nur für das Elektrostahlverfahren, sondern auch für den Einsatz von Wasserstoff im DRI-Prozess als Ersatz für Koks im Hochofen. Denn emissionsfrei wird der Reduktionsprozess nur dann wirklich, wenn der Wasserstoff über einen Elektrolyse-Prozess mittels Ökostrom aus Wasser gewonnen wird (so genannter grüner Wasserstoff), und nicht etwa mittels Kohlestrom oder aus reformierten Erdgas (siehe unten).

Die Krux: Für etwa die Hälfte der deutschen Hochöfen steht eine Reinvestition bis zum Jahr 2030 an. Die Unternehmen müssen sich also zeitnah entscheiden, in welches Verfahren sie wo investieren. Und dies vor dem Hintergrund, dass noch unsicher ist, wie viel grüner Wasserstoff künftig verfügbar sein wird – und zu welchen Preisen.

Die Wirkung des europäischen Emissionshandels

Klarer ist, dass der europäische Emissionshandel für die Energiewirtschaft und Industrie (EU-ETS) die Stahlproduktion absehbar verteuern wird. Seit der Überarbeitung des Emissionshandels im Jahr 2022 ist festgelegt, dass die Emissionsberechtigungen nicht nur deutlich knapper sind, sondern ab 2026 auch für die Industrie versteigert statt kostenlos vergeben werden. In der Energiewirtschaft ist diese Auktionierung schon seit dem Jahr 2013 vorgeschrieben. Für die Stahlunternehmen greift sie nun schrittweise. In der Dekade zwischen 2026 und 2034 steigt der zu ersteigernde Anteil jährlich um einen wachsenden Betrag auf letztlich 100 Prozent. Abschmelzen werden damit gleichzeitig die leistungslosen Extragewinne (windfall profits), die die europäische Stahlindustrie bislang mit dem EU-ETS machen konnte. EU-weit wurden diese beispielsweise für den Zeitraum 2008 bis 2019 auf gigantische 16,1 Milliarden. Euro geschätzt. Eine Folge vor allem davon, dass der Handelswert von kostenfrei bezogenen Emissionsberechtigungen teilweise auf die Produktpreise übergewälzt werden konnte.

Im Zusammenhang mit der künftigen Auktionierung wird ab 2026 ein Grenzausgleichmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) eingeführt. Auf importierte Waren aus dem Nicht-EU-Ausland, also auch auf Eisen und Stahl, wird eine CO2-Abgabe erhoben. Diese soll Wettbewerbsunterschiede zwischen den Produkten heimischer Produzenten und vergleichbaren ausländischen Produkten ausgleichen, die aufgrund unterschiedlich starker oder gar fehlender CO2-Bepreisung existieren. Die Abgabe wird zeitgleich und reziprok zum Abschmelzen der freien Zuteilung, also ebenfalls schrittweise erhoben. Erst im Jahr 2034 wirkt sie voll. Der Stahlindustrie nutzt CBAM aber nur teilweise. Es baut einen Schutz vor Öko-Dumping-Importe auf, entlastet aber keine Exporte von europäischen CO2-Kosten.

Der Treibhausgas-Minderungspfad des EU-ETS sieht vor, dass nach 2038 überhaupt keine neuen Emissionsberechtigungen mehr versteigert werden. Im Prinzip dürfte dann die Stahlindustrie auch kein CO2 mehr emittieren. Da absehbar eine CO2-Abscheidung am Hochofen und anschließende unterirdische Verpressung des Klimagases als wenig realistische Option gilt, bleiben Wasserstoff-DRI und Elektrostahl die favorisierten Verfahren zur Treibhausneutralität.