Die Berufswelt: männlich dominiert. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: immer noch ein Traum. Sexismus am Arbeitsplatz oder in der Sprache: keine Seltenheit. In Deutschland werden zu wenige Kinder geboren: Die Frauen sind schuld. Abtreibung ist rechtswidrig: Der Kampf muss weiter gehen. Die Verhütungsforschung stagniert: Hormone sind nach wie vor Standard. Die Sorge um Kinder, Alte und die Natur: Frauensache. Zurück an den Herd: Das fordern weibliche Prominente.
Im Jahr 2011 ist es um die Gleichberechtigung in Deutschland noch immer schlecht bestellt. Längst überholt geglaubte Rollenmuster werden wieder salonfähig. Geschlechterspezifische Diskriminierung lässt sich in vielen Lebensbereichen finden – selbst in politischen Organisationen und Parteien. Die Aushebelung der Quotierung (wenn es überhaupt eine gibt) ist ein Dauerbrenner und wird oft selbst von Frauen unterstützt.
Doch die Frauen geben nicht auf: Sie kämpfen weiter für Themen, die längst eine Selbstverständlichkeit sein sollten. Neue Ideen bekamen 50 politische Aktivistinnen aus dem Bundesgebiet vom 4. bis zum 7. August bei der zweiten bayrischen Frauensommerakademie 2011 im fränkischen Lichtenfels. Unter dem Motto „Handlungsstrategien von Frauen in (politischen) Organisationen“ reflektierten sie ihre Erfahrungen in verschiedenen Politikfeldern und bekamen Anregungen von Wissenschaftlerinnen, Feministinnen, Politikerinnen und Gewerkschafterinnen.
Eröffnet wurde die Frauensommerakademie von der frauenpolitischen Sprecherin der LINKEN Bundestagsfraktion Cornelia Möhring. Sie berichtet aus ihren Erfahrungen in Gewerkschaft, Partei und Fraktion. In allen Bereichen zeige sich deutlich, dass Frauen und Männer sich in ihren politischen Handlungsweisen unterscheiden würden: „Männer haben in der Regel Hausmächte, die sie weitervererben. Frauen brauchen Netzwerke um in Organisationen handlungsfähig zu bleiben.“ Darin erkennt Möhring einen Schlüssel um aus individuellen Handlungsstrategien kollektive werden zu lassen. Die Sommerakademie sei ein solches Beispiel für stützende Netzwerke. Möhring warb auch dafür, die meist Frauen zugewiesenen „Stärken“, wie die Sorge um andere, das Einbeziehen aller, das Kümmern um Bedürfnisse, Güte, Freundlichkeit und Geborgenheit, nicht als wesensartige Eigenschaften zu verstehen, sondern als aktive Handlungen, als Tätigkeit und Prozess. Dann würden sich die Einzelnen nicht einschließen und blockieren, sondern könnten als Merkmale einer alternativen solidarischen Gesellschaft Handlungsoptionen mit einer Utopie bereichern.
Mit individuellen Handlungsstrategien beschäftigten sich die Teilnehmerinnen am ersten Seminartag. In drei verschiedenen Workshops suchten und festigten sie ihre eigenen Fähigkeiten. Frauke Schaefer leitete den Workshop „Arbeit an und mit der Stimme“. Sie stellte die These voran, dass jeder Mensch seine Stimme durch Vorbilder nachahmt und dadurch Stimm-Muster verinnerlicht, die häufig nicht der eigenen stimmlichen Wohlfühllage entsprechen. Die Wissenschaftlerin wies darauf hin, dass Frauen, die sich auf politischen Redebühnen Gehör verschaffen wollen auf keinen Fall „besonders laut oder gar männlich tief sprechen sollten.“Beim „Forumtheater“ nahm die Theaterpädagogin Nadin Kretschmer die Frauen mit auf eine Reise in deren eigene Biografien. Wer bin ich? Was ist mein Ziel? Besonderen Wert legte sie auf das eigene Ziel, denn (und damit bezog sie sich auf Adorno): „Strategien sind sinnlos, wenn kein Ziel besteht.“
Unter Anleitung von der Soziologin Carolin Küppers beschäftigten sich die Teilnehmerinnen im Workshop „Gendertraining“ mit ihrer eigenen Sozialisation als Frau. Was hat mich geprägt? Was hat mich emanzipiert? Diese Erfahrungen unterfütterte Küppers mit soziologischen Theorien, die als „doing Gender“ bezeichnet werden: Beispielsweise gehe jeder sozialen Interaktion eineGeschlechtszuordnung voraus. Diese Zuordnung sei an kulturellen und gesellschaftlichen Normen sowie Regeln orientiert und erfolge über Kleidung, Sprache, Gestik oder Mimik. Die Konsequenz sei, dass Geschlecht zu einer grundlegenden Kategorie im Alltag würde, was ein eingeschränktes Verhaltensrepertoire mit sich bringen würde.
Am Ende des Workshops sammelten die Frauen Vor- und Nachteile einer geschlechtergerechten Sprache. Das Ergebnis: Frauen und oder andere Geschlechter werden direkt angesprochen. Schwierigkeiten ergeben sich bei Reden. Außerdem werden frauspezifische Probleme unsichtbar. Eine geänderte Sprache ist nicht die Lösung für eine gleichberechtigte Welt.
„Der Feminismus und seine Öffentlichkeiten – Analyse und Kritik medialer Inszenierung und De/Thematisierungen von Geschlecht“ war das Thema eines Vortrages von Imke Schmincke am nächsten Seminartag. In den Medien würde Geschlecht meist im Zusammenhang mit Frauen auftauchen: sie „werden, anders als Männer, tatsächlich primär als geschlechtliche, als körperliche Wesen wahrgenommen“, so die Soziologin. Dies gelte in besonderer Weise auch für die politische Sphäre. Im Mittelpunkt der medialen Inszenierungen von Politikerinnen stünden eher das Aussehen sowie das Privatleben als politische Anliegen. Hinzu käme, dass Frauen auch mit qualitativen Diskriminierungen zu kämpfen hätten: „Anders als Männern wird Frauen nämlich viel eher die Kompetenz zur fähigen Politikerin abgesprochen“, was die Aufstiegschancen enorm erschwere.
Nochmals schwerer hätten es Politikerinnen, die sich zum Feminismus bekennen würden. Feminismus sei nicht nur in der politischen, sondern allgemein in der medial vermittelten öffentlichen Sphäre ein Reizwort. Nach Schmickes Ansicht sei es notwendig, einen Begriff einer feministischen Kritik neu zu besetzen, der Feminismus als ein gesellschaftskritisches Projekt verstehe und Engführungen und Ausschlüsse selbstkritisch reflektiere. Wichtig sei es auch als kritische Intervention in Debatten einzugreifen, um gerade auch die neoliberalen Varianten des Feminismus als problematisch, weil falsch individualisierend und gesellschaftliche Zusammenhänge ausblendend zu kritisieren.
Auf konkrete Handlungsstrategien gingen die Professorin Paula-Irene Villa und die Organisationssoziologin Jasmin Siri ein. Villa stellte dar, dass Gemeinschaft wichtig sei. Coaching Programme würden die Frauen individualisieren. Viel wichtiger sei es abgeschlossene Räume zu ermöglichen, wo klassische aber auch neue feministische Themen besprochen werden könnten. Siri ergänzte weitere Punkte: Erstens Quoten einhalten, zweitens autonome Frauenstrukturen stärken, drittens: netzwerken.
Aber auch die Teilnehmerinnen brachten gute Ideen ein: So berichtete eine Frau zum Beispiel von dem „Quotensack“ (Inhalt: Perücke, Stöckelschuhe und Lippenstift) in NRW, der auf den Tisch kommt, wenn nur Männer auf dem Podium sitzen. Eine andere gab den Tipp Schlüsselpositionen und Schaltstellen (z.B. Flyer- oder Poster-Desinger*innen) zu suchen und einzubeziehen. Weitere Vorschläge waren: Die „Weiblichkeit“ in den richtigen Situationen, vielleicht sogar überzogen einsetzen, sich mit anderen Bewegungen wie z.B. Streikenden oder Atomkraft-Gegner*innen zu solidarisieren, Ziele zu definieren, frauen- und genderpolitische Themen zu verankern, erfolgreiche Kampagnen mit anderen zu teilen, neue Sitzungsmethoden auszuprobieren und einen Pool feministischer Strukturen anzulegen.
Zum Ende des Seminars stellten drei Referentinnen bei einer Podiumsdiskussion „gesellschaftliche Realität und Utopie“ aus verschiedenen Perspektiven dar. Petra Fichtner, Ver.di Frauensekretärin in Mittelfranken, wies darauf hin, dass frauenspezifische Themen in der Gewerkschaft nach wie vor gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Mindestlohn und flexiblere Arbeitszeit seien. Ihre Utopie für eine gerechtere Gesellschaft ist eine radikale Arbeitszeitverkürzung und das Sichtbar machen sowie Entlohnen der unbezahlten Arbeit.
Katharina Weise, Referentin für kommunalpolitische Bildung bei der RLS, gab eine Übersicht von verschiedenen Studien zum Thema „Frauen in der Kommunalpolitik“. Dargestellt würden meist strukturelle Wertungen und Handlungsanleitungen wie z.B. die Unterrepräsentanz von Frauen in Fraktionen oder Räten oder auch die Forderung nach einer Änderung des Wahlrechts, denn mit kumulieren und panaschieren könnten Frauen bessere Chancen haben. Zum Teil werde dies noch durch die Betrachtung der Biografien von weiblichen Ratsmitgliedern ergänzt. Ausgespart würden jedoch zumeist qualitative Fragen, u.a. Gesprächs- und Sitzungskultur oder was Frauen generell abhalte, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren. Für eine Gesellschaft in der die Frage nach dem biologischen Geschlecht keine Rolle mehr spielt, müssten die derzeitigen Strukturen von Kommunalpolitik abgeschafft werden, so Weises Utopie. In der jetzigen Situation sollten Linke jedoch auf verpflichtende Quoten bestehen und eine stärkere gesamtgesellschaftliche Akzeptanz der Beteiligung von Frauen und solchen Menschen, die sich nicht über Geschlecht definieren lassen wollen, in der Gesellschaft fordern.
Die Wissenschaftlerin Friederike Habermann rief schließlich dazu auf, einen anderen Weg zu finden als die vorgelebte Gesellschaft es tut, also anders zu wirtschaften, Eigentumsverhältnisse aufzubrechen, anders mit der Zeit umzugehen: „Die 68er-Bewegung ist eine Revolution geworden, weil sie anders gelebt haben“. Wichtig sei, kleine Schritt zu gehen, kleine Veränderungen zu beobachten und versuchen sie herbeizuführen, kleine Gruppen zu bilden und dabei das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren. Feminst*innen sollten ein Bewusstsein haben für die unterschiedlichen Räume des Handelns – im Alltag, aber auch auf der Straße und in Institutionen – und verstehen, dass diese miteinander verwoben seien. Habermann endete mit einem treffenden Zitat von Ingrid Kurz-Scherf, die sagte: „Nur noch Utopien sind realistisch."