News | Ungleichheit / Soziale Kämpfe Ein Papst geht

Eine der mächtigsten und ältesten Institutionen formiert sich neu? Michael Ramminger zum Papst-Rücktritt.

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Nicht durch Tod, sondern durch Rücktritt muss ein neuer Papst in der römisch-katholischen Kirche bestimmt werden. Benedikt XVI. ist der zweite Papst, der nach Coelestin V. im Jahr 1294 sein Pontifikat vorzeitig beendet. Was könnte einen an diesem Ereignis, selbst, wenn es so singulär in der Geschichte einer Institution ist, als Linken, in diesem Fall als linken Katholik interessieren?

Eine Papstneuwahl bedeutet in einer so extrem hierarchisch strukturierten Organisation immer eine Neuformierung. Inwieweit sie aber für die Geschichte und Gegenwart emanzipatorischer und egalitärer Bewegung bedeutsam ist, hängt nicht nur von der im März zu erwartenden Neuwahl ab, sondern auch von der Frage, für wie bedeutsam man die römisch-katholische Kirche heute noch hält.

In Deutschland ist die Zeit der formierten Gesellschaft, in der die katholische Kirche noch ihren gewichtigen Anteil an der ideologischen Hegemonie hatte, längst vorbei. Schleichende Distanzierung und Kirchenaustritte sind nicht erst seit dem Amtsantritt des jetzigen Papstes leise Wirklichkeit. Seit seinem Amtsantritt aber hat die fehlende Distanzierung von der Pius-Brüderschaft, die verweigerte Annäherung an die lutherische Kirche, der Umgang mit dem Judentum (die Wiedereinführung des Karfreitagsgebets, in der für die «Erleuchtung der Juden» gebetet wird) und nicht zuletzt die Inkompetenz im Umgang mit den Missbrauchsvorwürfen auch bei den eigenen Mitgliedern zu fortschreitendem und erheblichem Loyalitätsschwund geführt.

Der damit verbundene Bedeutungsschwund trifft aber nicht nur Deutschland. Auch Südamerika ist davon betroffen. Hier sind es aber vor allem die Pfingstkirchen, die der katholischen Kirche und dem Volkskatholizismus den Rang ablaufen. Es wäre eine eigene Analyse wert, dem Bedeutungsverlust der katholischen Kirche weltweit (vielleicht mit Ausnahme des afrikanischen Kontinents) in all seinen Facetten auf die Spur zu kommen. Der Noch-Papst jedenfalls hatte eine Ahnung von der Gefährdung der Institution, die er freilich völlig absurd in seine «Relativismustheorie» (die Gleichgültigkeit der Menschen in ethischen Fragen und damit verbunden ihrer Gleichgültigkeit gegenüber der «Gottesfrage») fasste, und er hatte zugleich in seiner Politik auch gehörigen Anteil daran.

Die Beibehaltung und Stärkung des mittelalterlich-feudalen institutionellen Selbstverständnisses bei gleichzeitigen neoliberalen Strukturreformen (Gemeindereformen bei Beibehaltung der klerikalen Grundstruktur) unter seinem Pontifikat verweist jedenfalls auf die dramatische Unfähigkeit der Kirche, sich in einer kapitalistisch-globalisierten, einerseits religiös und weltanschaulich differenzierten und andererseits vom Einheitsdenken bestimmten Welt zu verorten. Ganz anders das II. Vatikanische Konzil von 1962 bis 1965. Es war der Versuch der katholischen Kirche, sich aus diesem Ungleichzeitigkeitsverhältnis zu befreien und einen neuen, einen eigenen Ort in der Welt, in den unterschiedlichen Gesellschaften der Moderne für sich zu bestimmen.

Die Angst hinter allem – das Alleinvertretungsmonopol auf Hoffnung und Sinn zu verlieren

Der Optimismus in Bezug auf die Freiheitsmöglichkeiten, die Fortschrittsfähigkeit und die Demokratiepotenziale der damaligen Zeit war offenbar zu groß und rief deshalb die vatikanischen Gralshüter auf den Plan. Leise und fast unbemerkt wurde jedes Risiko, das die Konzilskirche einzugehen bereit war, um einen messianischen Ort in der Welt zu finden, hintergangen: durch Bischofsersetzungen, Entmachtung von Bischofskonferenzen und nicht zuletzt durch Verrat, wie im Fall von Bischof Romero, der 1980 als entschiedener Gegner der Militärdiktatur in El Salvador von der Soldateska des Landes ermordet wurde. Die verzweifelte Suche nach Legitimität lässt Angst erkennen: Angst, das Alleinvertretungsmonopol auf Hoffnung und Sinn, wie auch immer sie aussehen, zu verlieren; Angst, diesmal sehr weltlich gedacht, dieses Monopol als gesellschaftliche Institution, als wichtiger Faktor gesellschaftlicher Meinungs- und Hegemoniebildung zu verlieren (ohne zu begreifen, dass es schon längst verloren ist).

Diese Angst Ratzingers und die damit verbundene sich fundamentalistisch-abschließende Politik reichten weit hinter seinen Amtsantritt als Papst zurück, als er Chef der sogenannten Glaubenskongregation (1981–2005) unter dem polnischen Papst Johannes Paul II war.

Dazu gehören vor allem die verurteilenden Instruktionen zur Befreiungstheologie von 1984, die Verhängung des Rede- und Lehrverbotes für den brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff 1985 und die zweite Instruktion zur Befreiungstheologie 1986. Dieses setzte sich 2007 fort mit der «notificatio» (Anmerkungen zum «unkatholischen» Gehalt) zu einigen Schriften des salvadorianischen Jesuiten und Befreiungstheologen Jon Sobrino und 2009 mit der Kritik am fortschrittlichen brasilianischen Bischof Luis Carlos Eccel. Anlässlich eines Kontrollbesuchs in Brasilien kritisierte der Papst wiederholt die «von einigen Theologen betriebene unkritische Übernahme von Thesen und Methoden des Marxismus».

Dies alles wurde vom immer als «Theologenpapst» bezeichneten Ratzinger auch durch eine konsequente Politik konservativer Bischofs- und Kardinalsernennungen in aller Welt sowie kluger Stellenpolitik im Machtzentrum der katholischen Kirche im Vatikan begleitet. Das alles passt allerdings gar nicht zum öffentlichen Bild vom empfindsamen, intellektuellen Benedikt XVI.

Ein neuer Papst?

Es ist müßig, sich um die potenzielle Figur eines neuen Papstes Gedanken zu machen. Tatsächlich hatten die wenigsten mit diesem Rücktritt gerechnet. Wer hätte da schon mit ausreichendem Vorlauf potenzielle Kandidaten in Stellung bringen können? Am ehesten noch der Papst und seine ideologische Linie der Bewahrung und Abschließung, die in den langen Jahren seines Einflusses in der katholischen Kirche vorrangig geworden ist.

Dafür würde sprechen, dass Ratzinger persönlich 90 Kardinäle ernannt hat, von denen 67 wahlberechtigt sind. 117 Kardinäle insgesamt wählen den neuen Papst, damit hat seine Linie eine absolute Mehrheit. Allerdings hat Benedikt XVI. sogar das Papstwahlrecht so verändert, dass eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, also eine im weitesten Sinne Konsensentscheidung gebraucht wird.

Es ist es m. E. im Übrigen zurzeit egal, ob ein neuer Papst alt oder jung ist, aus Europa, Lateinamerika oder Afrika kommt. Keines dieser Kriterien würde eine Öffnung der katholischen Kirche garantieren, wie sie wünschenswert wäre und wie sie bereits in den 1970er Jahren unter Johannes XXIII. möglich war. Damals berief dieser Papst in Zeiten unerträglicher Stagnation ein weltweites Konzil ein, das sich den Herausforderungen der Zeit zu stellen suchte und im Zusammenhang der politischen Aufbrüche der damaligen Zeit nicht nur in Lateinamerika eine katholische Kirche hervorbrachte, die an der Seite der Armen stand.

In Erinnerung an dieses Konzil versammelten sich im Oktober 2012 über 500 ChristInnen in Frankfurt am Main und erklärten, wir «widersetzen (uns) einem Denken und Handeln in Politik und Wirtschaft, das uns weismachen will, es gebe keine Alternative zur kapitalistischen Weltordnung. Die Gewissheit, dass eine andere Welt möglich ist, steht unserer Überzeugung nach in engster Verbindung mit der Reich-Gottes-Botschaft Jesu, die vom Konzil neu zu Bewusstsein gebracht wurde. Diese andere Welt Gottes scheint dort zeichenhaft auf, wo Menschen das, was zu einem würdigen Leben notwendig ist, miteinander teilen. (…) Uns trägt die Verheißung Jesu eines ‹Lebens in Fülle› (Joh. 10,10) für alle. Eine andere, eine prophetische und diakonische Kirche ist nötig und möglich; eine andere Kirche, die Gleichstellung aller Geschlechter und Lebensformen, Partizipation und Dialog, radikale Demokratie und tiefe Schöpfungsverbundenheit verwirklicht!»

Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein neuer Papst eine solche Öffnung der katholischen Kirche in Gang setzt, wie sie Ziel des II. Vatikanischen Konzils ist. Sie wird wahrscheinlich weiter an den Rändern und jenseits der Institution zu finden sein. Aber wer weiß, die Geschichte ist immer für Überraschungen gut, oder, wie Katholiken sagen: Der Geist weht, wo er will.

Der Autor Dr. Michael Ramminger, ist Theologe und Mitarbeiter am Institut für Theologie und Politik in Münster.