Die Tage um den 17. Juni 1953 markieren eine einschneidende Zäsur in der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte. Von Rostock bis Plauen erschütterten Streiks und Demonstrationen die noch junge DDR. Es waren vor allem Arbeiter, die ihren angestauten Unmut spontan zum Ausdruck brachten. Während das Politbüro der SED bereits am 9. Juni auf Anweisung aus Moskau für Landwirte, Handwerker und Gewerbetreibende überspitzte Maßnahmen zurücknahm, blieben ausgerechnet die Normerhöhungen in der Industrie und im Bauwesen in Kraft. Deren Rücknahme am 16. Juni kam zu spät und konnte das Misstrauen nicht mehr ausräumen. Ungefähr eine Viertel Million Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligten sich an Streiks. Die Teilnehmer an Demonstrationen und Kundgebungen wurden allein außerhalb Berlins auf ca. 370000 geschätzt. Alle Bezirke der DDR waren in unterschiedlichem Ausmaß von der Streik- und Demonstrationswelle erfasst.
In dieser, durch ökonomische Schwierigkeiten angespannten Krisensituation meldeten sich bald auch Kräfte zu Wort, die der Entwicklung im Osten Deutschlands feindselig gegenüberstanden. Besonders in der Vier-Sektoren-Stadt Berlin, die zugleich Frontstadt des kalten Krieges war, spitzte sich die Gemengelage aus sozialen Protesten der Arbeiter und politisch motivierter Konfrontation rasch zu. Aber auch in anderen Ballungsgebieten hatten stalinistische Maßregeln Zündstoff angehäuft, der sich verschiedentlich in Gefangenenbefreiungen und in Gewaltakten gegen Einrichtungen der SED und des Staates niederschlug. Die sowjetische Besatzungsmacht verhängte daraufhin vielerorts den Ausnahmezustand und präsentierte ihre militärischen Instrumente. Obwohl die Befunde der zeitgeschichtlichen Forschung den sowjetischen Truppen ein maßvolles Vorgehen bescheinigen, hält sich das Narrativ, die Unruhen seien „blutig niedergewalzt“ worden.
Unter den Bedingungen der Systemkonfrontation und des kalten Krieges unterlag die Interpretation der Ereignisse auf beiden Seiten rasch der politischen Instrumentalisierung. Während die 14. Tagung des Zentralkomitees der SED sie wenige Tage später als „faschistischen Putsch“ bewertete, begrüßten Politiker der Bundesrepublik und Westberlins den „Volksaufstand“, erklärten den 17. Juni zum „Tag der deutschen Einheit“ und erhoben ihn im August 1953 zum gesetzlichen Feiertag. Die Kennzeichnung als „Tag der deutschen Einheit“ ordnete sich lückenlos in die Politik der „Alleinvertretung“ ein, die der DDR kein Existenzrecht zubilligte und für zwei Jahrzehnte Annäherung und Verständigung ausschloss.
Die Einstufung des 17. Juni 1953 als „faschistischer Putsch“ bzw. Konterrevolution in der DDR blockierte die kritische Auseinandersetzung mit eigenen politischen Fehlern und systembedingten Ursachen. Diejenigen, die in der SED-Führung auf eine tiefer gehende Analyse ebenso wie auf personelle Konsequenzen drängten, wurden als die Partei schädigende Fraktion verurteilt und kaltgestellt. Besonders hart traf diese Einstufung Max Fechner. Der DDR-Justizminister hatte auf das in der Verfassung verankerte Streikrecht verwiesen und damit angeblich faschistischen Umtrieben Vorschub geleistet. Er wurde in einem Geheimprozess zu einer hohen Zuchthausstrafe verurteilt.
Ungeachtet des inzwischen erreichten Forschungsstandes dominieren in der Erinnerungskultur und in der politischen Bildung vielfach immer noch recht einseitige, von der politischen Instrumentalisierung des kalten Krieges geprägte Deutungsmuster des Juni 1953. Die Erfahrungen dieses Ereigniskomplexes und seiner Einbettung in das welthistorische Bedingungsgefüge erschließen sich aber erst, wenn die Diskussion darum nicht mehr politisch einseitigen Zweckdeutungen unterworfen wird. Für diese Debatte kann und muss die LINKE einen Beitrag leisten.
Diese Stellungnahme wurde von Jürgen Hofmann erarbeitet und vom Sprecherrat am 14. Mai 2013 verabschiedet. Sie knüpft an die Erklärung der Historischen Kommission der Linkspartei vom April 2003 an.