Die Linke in der Arabischen Welt steht vor enormen Herausforderungen: In Zeiten drängender politischer und sozio-ökonomischer Probleme und Umbrüche befindet sie sich in einer tiefen Krise. Historisch gesehen hatten vor allem die kommunistischen Parteien in der Region einen großen Einfluss auf zentrale Debatten und auf die Herausbildung politischer Strukturen. Diese historisch einflussreiche Rolle linker Gedanken in der arabischen Welt ging in den letzten Jahrzehnten spürbar verloren – unter anderem durch die dominante Rolle progressiv-nationalistischer Regierungen und die einhergehende Repression der Linken, durch lokale Konflikte und Bürgerkriege, den Zusammenbruch der Sowjetunion, den Aufstieg des politischen Islam, aber auch durch Spannungen und Spaltungen innerhalb der linken Parteien und Gruppierungen.
In dem nun erschienenen Sammelband „Mapping of the Arab Left: Contemporary Leftist Politics in the Arab East“, einer vom Palästina-Büro der Rosa Luxemburg Stiftung initiierten zweisprachigen Publikation (arabisch-englisch), skizzieren verschiedene arabische Wissenschaftler sowie eine Wissenschaftlerin aus Deutschland die Situation, Herausforderungen und Perspektiven der arabischen Linken im Arabischen Osten (Mashriq). Vorgestellt und kritisch reflektiert werden darin linke Parteien und Bewegungen in Palästina (Hassan Ladadweh), Syrien (Akram Al-Bunni), Jordanien (Musa Shteiwi), im Libanon (Hussein Yacoub) und im Iraq (Karin Mlodoch) sowie die palästinensische Linke in Israel (Raef Zreik). Jamil Hilal, einer der Herausgeber der Publikation, leitet das Buch mit einem Überblick über Geschichte und Gegenwart, Charakteristika und Diversität linker Politik im Mashriq ein. Die Idee des Mappings ist es, nicht nur den Informationsstand über die Linke jenseits von Stereotypen und Slogans zu verbessern, sondern vor allem zu einer Auseinandersetzung und Diskussion über die Zukunft linker Politik in der Region beizutragen.
Am 18. März 2014 wurde das Buch in Ramallah vorgestellt. Neben einer Einführung in die Thematik durch Jamil Hilal referierten Hassan Ladadweh und Raef Zreik zur palästinensischen Linken in den Palästinensischen Gebieten und in Israel. Das Interesse an der Thematik war groß, mehr als 60 Leute, die allermeisten Linke aus verschiedenen palästinensischen Parteien und Bewegungen, WissenschaftlerInnen, AktivistInnen und MitarbeiterInnen von NGOs, waren gekommen und beteiligten sich leidenschaftlich an der Diskussion.
Jamil Hilal beschäftigte sich in seinem Eingangsstatement mit der Frage, was es heute in der Region bedeut, links zu sein. Aus seiner Sicht sei die Orientierung an den Ideen und an dem Ausgleich von Freiheit und Gleichheit ein gemeinsamer Nenner. Zusätzlich beinhalte links auch eine demokratische und säkulare Perspektive sowie einen Fokus auf soziale Gerechtigkeit. Auch wenn es sicherlich nie eine homogene arabische Linke gegeben habe, gruppieren sich doch die verschiedenen linken Bewegungen um diese Aspekte. Gleichzeitig sähe sich die Linke in der Region, so Jamil Hilal, momentan mit zwei Herausforderungen konfrontiert: Zum einen mit den materiellen Gegebenheiten der neoliberalen Entwicklung des Kapitalismus, zum anderen mit der kulturellen Hegemonie des politischen Islam. Dazu kämen interne Spaltungen und Konflikte in den Bewegungen und Parteien. Für ihn scheint die arabische Linke wenig auf diese Herausforderungen vorbereitet zu sein und kaum Alternativen anzubieten. Allerdings sieht Jamil Hilal auch positive Signale und Anlass für Hoffnung, insbesondere aufgrund der Politisierung des Arabischen Frühlings und der Herausbildung neuer progressiver linker Bewegungen, vor allem im Jugendbereich.
Hassan Ladadweh analysierte die Linke in Palästina, deren Situation im Wesentlichen von der israelischen Besatzung geprägt sei. Gleichzeitig seien aber auch innerpalästinensische Herausforderungen und Entwicklungen bedeutsam: So sei eine in viele kleinere Parteien gespaltene Linke mit der Dominanz der Fatah in der PLO konfrontiert und deren Politik ausgesetzt. Die palästinensische Linke habe es nicht geschafft, einen wirksamen dritten Pol zwischen der dominanten und von Korruption geprägten Politik der Fatah und der Politik der islamistischen Hamas aufzubauen. Zusätzlich habe mit den Oslo-Verträgen und der Schaffung der Palästinensischen Autonomiebehörde ein Prozess zunehmender neoliberaler Politik und einer damit einhergehenden Fragmentierung der palästinensischen Gesellschaft begonnen. Zu diesen Entwicklungen habe die palästinensische Linke noch keine klare Position gefunden und könne somit auch keine Alternativen anbieten. Auch bei den Sozialprotesten im Jahr 2012 habe die Linke keine wichtige Rolle gespielt.
Die palästinensische Linke innerhalb Israels, so analysierte Raef Zreik, sähe sich dagegen vor allem mit der Situation der PalästinenserInnen in Israel konfrontiert. Als Minderheit in einem als jüdisch definierten Staat seien PalästinenserInnen politisch, sozial und wirtschaftlich ausgegrenzt. Diese Diskriminierung, aber auch die Situation der Besatzung von Westbank und Gazastreifen seien die zentralen Themen der palästinensischen Linken in Israel, verbunden mit einer progressiven Perspektive gegen kapitalistische Strukturen. In diesem Kontext sei die palästinensische Linke in Israel auch mit der Frage konfrontiert, ob autonome Repräsentationsstrukturen für PalästinenserInnen benötigt würden.
Die im Anschluss an die Vorträge geführte engagierte Diskussion drehte sich vor allem um die Frage, wie es angesichts der dargestellten Situation und der vielen Herausforderungen für die Linke weitergehen müsse. Welche Rolle und welche strategische und inhaltliche Ausrichtung müsse die Linke einnehmen? Und was genau wären die Perspektiven der arabischen Linken? Betont wurde die Forderung, dass sich die fragmentierte Linke in der Region, insbesondere aber in Palästina, vereinigen müsse. Unterschiede müssten überwunden und Gemeinsamkeiten – durch gemeinsame Aktionen sowie kreative und innovative Visionen – gesucht und hergestellt werden. Dabei müssten Probleme effektiver angesprochen und klarere Positionen gefunden werden, um die Bevölkerung zu erreichen. Mit Blick auf Palästina müssten beispielsweise Themen wie die Neustrukturierung der PLO, die Rolle von Geberorganisationen und NGOs sowie die israelische Besatzung stärker öffentlich verhandelt werden. In diesem Zusammenhang sollte auch nach alternativen Gesellschaftsmodellen gesucht werden, wobei der Fokus weniger auf westliche Ideen als vielmehr auf Alternativen etwa aus Lateinamerika oder Indien gerichtet werden sollte. Da die objektiven Bedingungen vorhanden seien, um Menschen von linker Politik begeistern zu können, müsse es nun darum gehen, linke Politik stärker auf die marginalisierten Gruppen auszurichten und linke Politik in konkreten Projekten umzusetzen. Damit müsste sich die arabische Linke von der Fokussierung auf Ideologie hin zur Bewältigung konkreter Probleme bewegen. Die Entstehung neuer Bewegungen außerhalb der Parteien sei dabei von besonderer Bedeutung.
Viele Themen konnten nur angerissen werden, viele Fragen bleiben offen, im Buch und auf der Veranstaltung. Aber es wurde mehr als deutlich, dass das Interesse, sich diesen Fragen zu widmen, sich mit der Zukunft linker Politik kritisch und selbstkritisch auseinanderzusetzen, vorhanden ist. Die Notwendigkeit, linke Politik weiter zu denken, zu beleben, neu zu gestalten, steht außer Frage. Die Thematisierung von Problemen, Herausforderungen und Perspektiven findet bereits statt, in vielen Gruppen, Treffen, öffentlich und in den alltäglichen Gesprächen. Inwieweit diese verschiedenen Fäden aufgenommen und zusammengeführt werden, bleibt abzuwarten. Die Frage nach der Zukunft der Linken im Mashriq kann nur von ihnen selbst beantwortet werden.
Die Publikation «Mapping the Arab Left» gibt es hier zum Download in Englisch und Arabisch.http://www.rosalux.de/publication/40325
Zum Autor:
Christian Sowa hat einen B.A. in Politikwissenschaft. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Politische Theorie und Politik des Nahen Ostens. Zurzeit ist er Praktikant im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Ramallah.