Am 6. Juli hatten wir zu einem Gespräch über die aktuelle Lage der Gleichstellungspolitik in Polen ins Autonome Frauenzentrum in Potsdam eingeladen. Zu Gast waren Małgorzata Tarasiewicz (Network of East-West-Women (NEWW), Gdańsk) und Dr. Joanna Gwiazdecka (Leiterin des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau). Die Gleichstellungsbeauftragte Brandenburgs, Monika von der Lippe, moderierte das Gespräch. Małgorzata Tarasiewicz ist eine feministische Aktivistin der ersten Stunde und ihre Biografie ist eng mit den Ereignissen in Polen um die Gleichstellungsfrage verflochten. Anfang der 90er Jahre leitete sie die Frauensektion der Gewerkschaft Solidarność. Als sich die Gewerkschaft allerdings Mitte der 90er Jahre entschloss, den sog. „Abtreibungskompromiss“ mitzutragen, trat sie aus Protest aus. Dieser „Abtreibungskompromiss“ gilt bis heute und ist ein fast ausnahmsloses Abtreibungsverbot, für dessen weitere Verschärfung von der katholischen Kirche und rechten Kräften weiter mobilisiert wird. Inzwischen leitet Małgorzata Tarasiewicz die inzwischen 25-Jahre alte Nichtregierungsorganisation „Network of East-West-Women“, die ihren Sitz in Gdańsk hat und zu den wichtigsten außerparlamentarischen Akteuren in der Gleichstellungspolitik in Polen zählt. Zu den Aufgaben von «NEWW» gehören die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Initiativen und unabhängigen Frauenorganisationen, die Unterstützung von Frauen bei den Versuchen, stärker und nachdrücklicher auf die Politik einzuwirken. Małgorzata Tarasiewicz berichtete von ihren Aktivitäten in Polen und informierte über die weitere Verdrängung von gleichstellungspolitischen Aktivitäten aus dem politischen Raum unter der jetzigen rechtskonservativen PIS-Regierung. So sei die eine landesweite Gleichstellungsbeauftragte inzwischen durch einen Familienbeauftragten ersetzt worden. Fragen der Geschlechtergerechtigkeit würden von den derzeit Regierenden als von außen übergestülpte – von „Brüssel“ oder „Berlin“ verordnete – Probleme dargestellt, welche die nationale Identität beschädigen könnten. Małgorzata Tarasiewicz berichtete von dem spürbar zunehmenden Hass, der sich gegen feministische Akteurinnen richte und sich u.a. durch Hetze im Internet bemerkbar mache.
Joanna Gwiazdecka betonte, dass die Lage in Polen schon schlecht sei, dass Polen aber keine Ausnahme sei. Auch in anderen Ländern der Region, wie Litauen und der Slowakei sei die Lage der Frauen und der sexuellen Minderheiten sehr schlecht. Als besonders erfolgreiches Projekt des RLS-Büros in Warschau sei die Zusammenarbeit mit der „Kampagne gegen Homophobie“ zu bewerten. Besonderen Eindruck habe diese Kampagne in Polen in der öffentlichen Wahrnehmung gemacht, als Eltern sich öffentlich zur Unterstützung ihrer LGBT-Kinder bekannten. So leistet die Kampagne wichtige Fortschritte darin, die Akzeptanz von sexuellen Minderheiten Stück für Stück in der Gesellschaft zu verankern.
Ein Thema von großer Aktualität, dass an diesem Abend beschäftigte, ist die Situation von geflüchteten Frauen, die sehr häufig in einer doppelten Zwangslage sind, da sie neben den Diskriminierungen und Repressalien, die sie als Geflüchtete erleben, oft noch schutzlos sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Joanna Gwiazdecka berichtet bespielhaft von den „unsichtbaren“ ukrainischen Geflüchteten in Polen, von denen viele keinen Aufenthaltsstatus haben und in der Illegalität leben. Die Frauen seien hier besonders betroffen, da sie häufiger Opfer von Gewalt werden, sich aber dann nicht an die Polizei wenden könnten und z.B. im Falle von Schwangerschaften noch nicht einmal ärztliche Betreuung in Anspruch nehmen könnten. Auch die Arbeit von NEWW ist derzeit stark von der Situation der geflüchteten Frauen geprägt. Die Organisation engagiert sich darin, die Kontaktaufnahme solcher Frauen zu Frauenorganisationen zu unterstützen. Die Situation von geflüchteten Frauen wird sicher in der nächsten Zeit noch ein wichtiges Thema bleiben, das eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Vernetzung und Erfahrungsaustausch umso wichtiger macht.
Einigkeit bestand darin, dass die Bedeutung solcher Veranstaltungen hinsichtlich der internationalen Vernetzung kaum zu unterschätzen ist. So wurde der Wunsch geäußert, auch weiterhin solche Gelegenheiten zu grenzüberschreitendem Austausch und Vernetzung zu organisieren. So könnten sich solche Kontakte vielleicht auch in Form von Partnerschaften zwischen Frauenzentren oder –organisationen verstetigen.