Diskussionsangebote des Gesprächskreises »Philosophie und Bildung« der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Rosa-Luxemburg-Stiftung, Reihe: Manuskripte, 79
ISBN 978-3-320-02164-1
185 Seiten, Broschur
Inhalt
Vorwort des Herausgebers
REINHARD MOCEK: Linke Positionen zu modernen Technologien und zur Technologiepolitik. Thesen zur Diskussion
HANS-GERT GRÄBE: Wissenschaftspolitik – ein blinder Fleck der Linken(dot)
GERHARD BANSE: Neue Medien, Kultur, Demokratie. Ergebnisse aus zwei TA-Studien für den Deutschen Bundestag
MARTIN HOLTZHAUER: Gentechnik? Ja, danke!
WALTER KRACHT, KARL KRIEGHOFF: Gentechnologie und moderne Landwirtschaft
GOTTHARD KLOSE: Perspektiven der Atomenergietechnologien
RAINER HOHLFELD: Das Dogma von der „Unschuld der Produktivkräfte“
PETRA SITTE, TOBIAS SCHULZE: Wachstum statt Nachhaltigkeit. Zur Hightech-Strategie der Großen Koalition
Aus dem Vorwort
Wir haben lange diskutiert, ehe wir diese Schrift auf den Weg brachten. Die erste Debatte zu dieser Thematik in unserem Gesprächskreis „Philosophie und Bildung“ im Rahmen der Berliner Rosa-Luxemburg-Stiftung fand bereits im Herbst 2006 statt. Der Ausgangspunkt für unsere Gespräche war damals die weitgehende Nichtbeachtung der Technologiethematik in den Gründungsdokumenten für die in Aussicht stehende neue Linkspartei. Das deckte sich weitgehend mit unserer Wahrnehmung einer zunehmenden Skepsis in den Reihen der mittleren und oberen Funktionärskreise der PDS gegenüber einer politischen Zustimmung zu einzelnen modernen Technologien, in erster Linie hinsichtlich neuer Entwicklungen in den Biotechnologien und in der Kerntechnik.
Daneben glaubten wir, einen Trend zur Nachformulierung „grüner“ Grundsätze als technologiepolitische Leitlinie der PDS beobachten zu können. Das ist natürlich für sich genommen kein Kritikpunkt und kein Vorwurf an die Adresse der Linkspartei, aber entschuldigt nicht deren konzeptionelle Zurückhaltung in Sachen Technologie- und Ökologiepolitik.
Für unsere Begriffe Grund genug, die Technologiethematik von Grund auf zu hinterfragen. Das war allein schon aus gesellschaftstheoretischer Sicht nötig, wenn man denn die marxistischen Wurzeln der linken Bewegungen heute nicht ganz ins Abseits stellen will. Es ist jedoch – auch ohne den Bezug auf die marxistische Denkgeschichte der Linken – für uns keine Frage, dass die Gestaltung einer humanen und gerechten zukünftigen Welt ohne die Kalkulation der Potentiale moderner Technologien nicht gelingen kann. Dabei rechnen wir zu den naturwissenschaftlich getragenen Technologien die gestaltende Kraft einer dritten Technologielinie hinzu - das ganze Bündel neuester Sozialtechnologien, die sich zunächst im vielfältigen Gebrauch der jeweils neuesten Möglichkeiten der Informationstechnologie zeigen, aber bald schon weit über diese hinauswachsen werden.
Das Problemlösungsgewissen aller Parteien ist durch diese technologiepolitische Situation herausgefordert. Es ist dies ein ganzes Bündel neuer Probleme, die sich keineswegs in der Atomfrage und der Grünen Gentechnik erschöpfen. Sondern wir haben es hier mit einer Grundfrage humaner Zukunftsgestaltung zu tun, die früher oder später alle Lebensbereiche ergreift. Vor allem aus diesem Grunde darf sich Technologiepolitik keineswegs auf das Abwägen von Einzelfragen und Faktenensembles beschränken. Für die Zukunftsdebatten in der PDS wie natürlich nun auch in der Linkspartei wird eine gesellschaftstheoretische Erörterung der sozialen Räume rund um die technologischen Gestaltungskräfte für unsere Begriffe unabdingbar. Und hier geht es nicht um parteiorientierte Meinungen, sondern vorrangig um sozialwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, den sich keine Partei aus den Fingern saugen kann.
Sondern dieses Problem kann nur gemeistert werden, wenn der ganze Komplex sozialwissenschaftlicher, ökonomischer, anthropologischer und kulturtheoretischer Wissenschaften ausgewertet wird bzw. der Dialog der einschlägigen Wissenschaftsgebiete zustande kommt. Ein zu gründendes wissenschaftliches Institut im Umkreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung fände hier ein hochwichtiges Arbeitsfeld vor. Nichtsdestoweniger geht diese Thematik alle Weltanschauungen und Parteien an. Die Linkspartei liegt uns dabei besonders am Herzen. Insofern erheben wir nicht großsprecherisch „Vorwürfe“ an die Adresse dieser Partei und übersehen auch nicht die jüngst auf den Weg gebrachten technologiepolitischen Vorschläge. Doch auch in diesen Materialien werden die wirklich kritischen Punkte nicht diskutiert; viele Vorhaben werden lediglich aufgezählt und wie selbstverständlich hingestellt. Der nächste Schritt aber muß nun sein, alle diese dort angesprochenen Punkte vor das Gremium der Wissenschaft zu bringen.
Wir sind uns sicher, dass der beste Weg zu Erkenntnissen das Kundigmachen ist, das Umschauen in den Labors, Hörsälen und Publikationen der Wissenschaft. Und dann kommt der Diskurs. Das interdisziplinäre Gespräch – wobei Wissenschaft und Wertebewußtsein als gleichberechtigte Disziplinen in dieser Diskussionspartnerschaft betrachtet werden müssen – bietet für unsere Begriffe allein die Chance, die derzeitige Unsicherheit und relative Antwortlosigkeit zu bändigen. Und sicher ist es nicht der richtige Weg, wenn persönliche Ansichten zu wissenschaftlich relevanten Fragen zur Parteimeinung erhoben werden, was zwar keiner der Beteiligten in dieser krassen Form beansprucht, was aber dann vorliegt, wenn Meinungen unausdiskutiert in programmatische Schriften transportiert werden.