Unter dem Diktum der „Anwendungsorientierung“ schwindet das Bewusstsein für die Bedeutung einer philosophischen und theoretischen Reflexion von Bildung. Die Frage „Wozu brauchen wir das?“ erscheint häufiger in erziehungswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen. Doch stellt für pädagogische Theorie und Praxis der Bildungsbegriff eine unverzichtbare Orientierungskategorie dar. Oder lässt sich auch ohne den Bezug auf eine Idee von Bildung verantwortliches pädagogisches Handeln denken? Eine neue, Handeln und Philosophieren verbindende, Diskussion des Begriffs und der Aufgabe von Bildung erscheint unverzichtbar, wenn die (Selbst-)Verpflichtung der Pädagogik der Ermöglichung der Entfaltung jedes und jeder Einzelnen und damit der Emanzipation aus persönlicher und gesellschaftlicher Unfreiheit ernst genommen werden soll. In Anbetracht des aktuellen Stands der bildungs- und subjekttheoretischen Diskussion können jedoch – gerade auch in herrschaftskritischer Absicht – neben dem Bildungsbegriff selbst, auch einstmals hoffnungsvolle Kategorien wie «Emanzipation» und «Entfaltung» von einer grundlegenden Verunsicherung und einer notwendigen reflexiven Befragung nicht ausgenommen werden. Der Band versammelt Beiträge, die den Zusammenhang aus allgemeinpädagogischer, ungleichheitstheoretischer und kompetenzkritischer Perspektive diskutieren.
Inhalt
1. Einführung
Stephan Geuenich / Daniel Krenz-Dewe / Janek Niggemann / Robert Pfützner / Kathrin Witek
'Wozu brauchen wir das?' – Eine suchende Einleitung
Michael May / Michael Winkler
Wozu Bildungsphilosophie? – ein Dialog
2. Bildung und Praxis – Verhältnisbestimmungen
Stephan Geuenich / Kathrin Witek
Bildungsbegriff und das Theorie-Praxis-Verhältnis
Ricarda Biemüller
Bildungsphilosophie und Soziale Arbeit. Problematisierung eines verdrängten Zusammenhangs
Janek Niggemann
Wozu brauchen die das? Bildung als gelebte Philosophie der Praxis
Robert Schneider
Bildung als Form wie Menschen ihr Leben gestalten. Ein Versuch zum kritischen Potenzial der Bildungsidee und ihrer Bedeutung zur Fundierung pädagogischer Praxis
Markus Fath
Zum Zusammenhang von Liebe, Gewaltlosigkeit und Bildung
Thomas Mikhail
Pädagogische Handlungsqualität. Zur Bedeutung von Theorie für Praxis
3. Bildung und Praxis – Ungleichheiten und Differenzen
Katarina Froebus / Daniel Krenz-Dewe
Hoffnungen – Verstrickungen – Kämpfe. Perspektiven auf Bildung und die Reproduktion von Differenz und Ungleichheit
Vildan Aytekin / Mai-Anh Boger
Subalterne Vorstellungen von Bildung
Maximilian Waldmann
Bildung als pathisches Antwortgeschehen. Bildungsphilosophische Anmerkungen zum Verhältnis von Pädagogischem und Politischem
Cindy Ballaschk
Zur (Re-)Produktion von Ungleichheit im Bildungssystem am Beispiel schulischer Sexualerziehung
Nadia Wehrle
„Und genau das haben die nämlich immer mit uns gemacht“ – zur Positionierung von Pädagog*innen und ihrer Praxis im Kontext von Antiziganismus und Bildungsentfernung
Katharina Herrmann
Zum solidarischen Potenzial Kritischer Bildungstheorie. Eine subjektkritische Analyse der Bedingungen des Widersprechens
4. Bildung und Praxis – Verkürzungen und Erweiterungen
Diana Grote / Robert Pfützner
Der Seufzer der Bildung. Schule zwischen Bildungsideal, Kompetenzorientierung und Utopie
Carsten Roeger
Was nützt philosophische Bildung?
Marion Pollmanns
Zur Bildung der unterrichtlichen Praxis. Empirische Rekonstruktionen dieses pädagogischen Grundbegriffs
Gabriela Kugler
Lesefördertypen. Im Verhältnis von Bildung und Lesekompetenzförderung
Maxi Steinbrück
Zwischen Utopie und Dystopie: Vom fliegenden Klassenzimmer zur Digital School
Holger Hagen
Konkurrenz, Exklusion und instrumentelles Denken: ‘Bildung’ als widersprüchliche soziale Praxis
5. Reflexion
Kathrin Witek
Selbstthematisierung als Bildungspraxis? Reflexion der Tagung 'Bildungsphilosophie und pädagogische Praxis'
Wozu brauchen wir das? |