Publication Soziale Bewegungen / Organisierung - International / Transnational - Amerikas Die Linke in El Salvador: Analyse der Regierungserfahrung der FMLN in der Hauptstadt

Beitrag zum Seminar "Linksparteien in Lateinamerika" (30.10.-1.11.2005 in Sao Paulo)

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October 2005

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Historischer Rahmen und allgemeine politische Situation

Die Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí, FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional), wurde am 14. Dezember 1992 als legale politische Partei eingeschrieben. Ihre Legalisierung war Teil der Erfüllung der Friedensabkommen, die am 16. Januar desselben Jahres zwischen der salvadoreanischen Regierung und der Frente unter aktiver Vermittlung der Vereinten Nationen unterschrieben wurden. Der Friedensprozess kulminierte mit den von der UNO überwachten allgemeinen Wahlen - Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen - in 1994. Erstmals seit ihrer Gründung im Oktober 1980 beteiligte sich die FMLN an einem Wahlprozess - im Rahmen von bei Friedensverhandlungen erhaltenen demokratischen Garantien und einer angemessenen Überwachung durch die internationale Gemeinschaft. Die Demokratie war eine wichtige Errungenschaft der Bevölkerung, gewonnen nach einem zwölfjährigen Bürgerkrieg, der fast sechs Jahrzehnte Militärdiktatur in El Salvador beendete. Die Wahlbeteiligung der in der FMLN gruppierten revolutionären Linken war der beste Beweis, dass die immensen menschlichen und materiellen Kosten des bewaffneten Konfliktes nicht vergebens waren und dass eine neue und Hoffnung gebende Periode der nationalen Geschichte ihren Anfang nahm.

Im kurzen Zeitraum von 15 Monaten sah sich die FMLN der Herausforderung gegenüber, Struktur und Programm der Märzwahl 1994 anzupassen. Mit 331 000 Stimmen, die 25 Prozent der gesamten Stimmabgabe ausmachten, konnte sie die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen erzwingen, da die Rechte im ersten Wahlgang nicht die absolute Mehrheit erreichte. Die Frente gewann ein Viertel der Abgeordnetenmandate - 21 von 84 - und 15 Bürgermeisterämter in den insgesamt 262 Landkreisen. Sie verlor den Wahlkampf um die Hauptstadt, die in den Händen der rechtsgerichteten Republikanischen Nationalistischen Allianz (ARENA, Alianza Republicana Nacionalista) blieb. Die Rechte konnte eine Reihe von Vorteilen auf dem Wahlterrain ausnutzen: ihre Wahlkampferfahrung, die riesigen ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel, die Professionalität ihrer Werbekampagnen, die Unterstützung der wichtigsten Kommunikationsmedien, die einschüchternde Benutzung des Antikommunismus sowie die Angst vieler Menschen vor einer Verschlechterung der ökonomischen Situation im Falle eines Sieges der Linken, die Hilfe der reaktionärsten Machtzirkel aus den USA und der nordamerikanischen Regierung selbst. Die Frente ihrerseits stand vor den Schwierigkeiten der problematischen Reintegration eines Großteils ihrer Aktivisten, überwiegend ehemalige Kämpfer, in Gesellschaft und Produktion, sowie der geringen Vorbereitung auf die offene politische Konfrontation und den Wahlkampf. Ebenfalls wogen ihre Unerfahrenheit in den Propagandatechniken eines Wahlkampfes und die eingeschränkten ökonomischen Mittel, diesen zu finanzieren.

Andere Schwächen waren strukturelleren Charakters und haben sich tendenziell in den seitdem vergangenen elf Jahren gehalten. Es erwies sich als komplex, ein strategisches Programm der demokratischen Revolution, das von tiefgreifenden strukturellen Transformationen im Land ausgeht, mit kurzfristigen Politiken zu vervollständigen, die auf besondere Situationen und die unmittelbaren Bevölkerungsanliegen antworten. Zweitens ist es schwierig, im Innern der Partei ein geschlossenes Gedankengut zu Taktik und Strategie zu erreichen. Das hat zur Abspaltung von Gruppen geführt, die moderatere Positionen vertreten. Drittens hat die Auswahl der Kandidaten für die verschiedenen öffentlichen Ämter häufige parteiinterne Spannungen provoziert, wenn persönliche Interessen und politische Einzelkarrieren verhindern, dass die Kandidaturen mit dem größten Bevölkerungsrückhalt vorgeschlagen werden. Die Bündnisse mit anderen oppositionellen Parteien leiden unter dem Streit um Machtquoten. Das erschwert ihren Bestand und ihre Festigung.

Zu einem Gutteil konnte all dies schon 1994 beobachtet werden, der ersten Wahlprobe für die FMLN. Die Koalition mit der Demokratischen Konvergenz (CD, Convergencia Democrática), der seit Kriegszeiten verbündeten Mitte-Links-Kraft, hielt die Niederlage von deren Präsidentchaftskandidaten nicht aus. Dieser schob die Schuld für die widrigen Ergebnisse der Frente zu und kündigte die Allianz auf. Der FMLN-Kandidat für die Hauptstadt, der Kommunist Schafik Hándal, historisches Mitglied der Generalkommandatur der Frente, war wahrscheinlich nicht die beste Option, um der Rechten das Bürgermeisteramt aus den Händen zu reißen, die mit großem Vorsprung gewann. Von den 21 Abgeordneten verlor die FMLN ein Drittel in der ersten Parlamentssitzung, denn sieben von ihnen paktierten mit der ARENA ihre Integration ins Parlamentspräsidium und gründeten ihre eigene Fraktion. Sie kamen aus zwei der fünf FMLN-Gründerorganisationen - Nationaler Widerstand (RN) und Revolutionäres Volksheer (ERP, Ejército Revolucionario del Pueblo) - und ihre antikommunistische Ideologie brachte sie dazu, sich abzuspalten und im Dezember 1994 die Demokratische Partei (PD, Partido Demócrata) mit sozialdemokratischem Diskurs zu bilden. Weitere Abspaltungen haben sich praktisch mit jeder Wahl ergeben. Keine hat sich als zukunftsfähige politische Option konsolidieren können und nach und nach sind sie verschwunden. Dabei blieb der Mitte-Links-Raum leer. Tendenziell wird er von der FMLN selbst gefüllt, obwohl es in jeder Wahlkonjunktur zum erneuten Versuch reformistischer Gruppen kommt, ihn mit Anti-FMLN-Positionen zu besetzen, die sie am Ende nach rechts ziehen.

Trotz des Kraftaufwandes aufgrund ihrer nie endenden internen Debatt hat sich die FMLN in ihrer Stellung als zweite politische Kraft des Landes und als wichtigste Oppositionspartei gestärkt. Ihre Resultate sind mit jeder Wahl besser geworden und sie perfiliert sich als einzige wirkliche Alternative zum Neoliberalismus der Rechten. Die Polarisierung der Gesellschaft hat dazu geführt, dass das Parteiensysytem gleichfalls zwischen der Rechten (ARENA) und der Linken (FMLN) polarisiert ist.

Seit der Beendigung des Bürgerkrieges und dem Beginn des demokratischen Übergangs gab es in El Salvador drei Präsidentschaftswahlen - 1994, 1999 und 2004 - sowie vier Parlaments- und Kommunalwahlen - 1994, 1997, 2000 und 2003. Bei ersteren ist der Stimmenanstieg der FMLN bemerkenswert - mit Ausnahme des Jahres 1999, als die Spaltung zwischen zwei Strömungen, der "revolutionären und sozialistischen" und der selbsternannten "erneuernden" das Wählervertrauen entscheidend beinträchtigte: Während die FMLN 1994 in der Stichwahl 31,65 Prozent oder 379 000 Stimmen erreichte, bekam sie 2004 35,68 Prozent bzw. 812 000 Stimmen.  Wichtiger noch ist das Wachstum bei den Parlamentswahlen gewesen: von 21 Abgeordneten 1994 auf 27 in 1997 und jeweils 31 Mandatsträger in 2000 und in 2003, womit sie zur größten Parlamentsfraktion wurde. Noch spektakulärer war die zunehmende Kontrolle der Kommunen: von nur 15 Bürgermeisterämtern in 1994 steigerte sich die Frente auf 54 in 1997, auf 80 im Jahr 2000 und bei den Wahlen in 2003 behielt sie davon 74, zwölf innerhalb von Koalitionen. Seit 2000 kontrolliert die Frente die Mehrheit der bevölkerungsreichsten Landkreise, einschließlich acht von 14 Provinzhauptstädten. Dies bedeutet, dass sie auf Lokalebene mehr als die Hälfte der Bevölkerung regiert. Das Bürgermeisteramt der Hauptstadt San Salvador wurde 1997 erobert und befindet sich seitdem unter der Kontrolle von durch die FMLN angeführten Koalitionen. Dazu müssen eine Reihe von Umlandkommunen gezählt werden. Zusammen mit der Hauptstadt bilden sie Groß San Salvador oder die Hauptstadtzone, in der mehr als ein Drittel der Landesbewohner konzentriert ist. Von diesen insgesamt 13 Kommunen werden elf von FMLN-Bürgermeistern regiert, einige mit einer Koalition.

Die Rechte reagierte mit dem Abbröckeln ihrer vormaligen Kontrolle über die Kommunalregierungen mit dem ökonomischen Strangulierungsversuch, um zu verhindern, dass die Linke über Mittel verfügen würde, ihre Projekt vorwärts zu bringen. Diese Situation verlangte die Erhöhung der Gemeindesteuern und deren effizientere Eintreibung sowie einen politischen Kampf für eine Dezentralisierungspolitik, die die Bewilligung ausreichender Fonds durch den Nationalhaushalt einschließt. Nachdem eine günstige Kräftekorrelation im Kommunalverband COMURES erreicht wurde, gelang es, durchzusetzen, dass ein Teil des Haushaltes und ein Teil der vom Wirtschafts- und Sozialfonds eingenommenen Steuern den Gemeinderäten zufließt. Dennoch begrenzt die Kontrolle der Nationalregierung durch die Rechte weiterhin die Fähigkeiten und Möglichkeiten dessen, was die Lokalregierungen leisten können, vor allem aufgrund des von der nationalen Regierung her geförderten Wirtschaftsmodells.

Die rechtsgerichtete ARENA ist in El Salvador seit 1989 an der Regierung, inzwischen zum vierten Mal in Folge. Dies hat ihr erlaubt, einen Großteil ihres neoliberal zugeschnittenen politischen Programmes umzusetzen. Die erste ARENA-Regierung blockierte die Agrarreform, und reprivatisierte die Banken und den Außenhandel, indem sie die von der Christdemokratie zu Anfang der Dekade als Teil des von den USA unterstützten Aufstandsbekämpfungsplanes durchgeführte Verstaatlichung rückgängig machte. Die Regierung von Alfredo Cristiani (1989-1994) führte mit einer klar rückwärts gewandten Steuerpolitik auch die Mehrwertsteuer ein und schaffte Vermögenssteuern sowie Unternehmenssteuern ab. Die folgende ARENA-Regierung hob die Mehrwertsteuer von 10 auf 13 Prozent an, mit unseligen Auswirkungen auf den Preis des Grundwarenkorbs und der Einkommenniveaus der Bevölkerungsmehrheit. Dies provozierte eine starke Migration der Unterschichten. Von 1994 bis 1999 vernachlässigte die Regierung von Armando Calderón Sol die Interessen des Landbaus, ruinierte viele Bauerngenossenschaften, förderte die Unternehmen der Textil-Teilfertigung und ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse, die diese Art ausländischer Investitionen begünstigt. Gleichzeitig hielt sie die einheimische Währung zugunsten der Interessen des Handelskapitals unterbewertet. Die folgende Regierung von Francisco Flores (1999-2004) verfolgte die Dollarisierung des Land, erhöhte die Schulden durch hohe internationale Kredite in bedeutendem Ausmaß, begann die Verhandlung mittelamerikanischen Freihandelsvertrages (CAFTA) mit den USA und schickte ein salvadoreanisches Truppenbataillon auf Wunsch des Imperiums in den Irak. Der gegenwärtige Präsident Antonio Saca gibt dieser Politik Kontinuität, indem er die parlamentarische Ratifizierung von CAFTA erreichte, die salvadoreanische Militärpräsenz im Irak aufrecht erhält und auf internationaler Ebene El Salvador ständig auf eine Linie mit den USA bringt.

Von einem Land mit einer Agröxport-Ökonomie und dem Kaffee als Hauptprodukt ist El Salvador innerhalb weniger Jahre zu einer Dienstleistungswirtschaft geworden, in der das Handels- und Bankkapital bei stagnierendem Wirtschaftswachstum und starken Migrationsströmen dominieren. Der beschleunigte Prozess der Kapitalkonzentration lässt sich im Bankensystem beobachten. Das von diesem gemanagte Kapital macht 40 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes (BIP) aus. 2001 wiesen die bestehenden zehn Banken 14 000 Aktionäre auf. 2005 sind es 7 000 Aktionäre. Unter diesen haben nur sechs Großaktionäre die Kontrolle über eine zehnprozentige Kapitalbeteiligung. 2001 gab es 86 Aktionäre mit einprozentiger Beteiligung, in 2005 reduzierte sich diese Zahl auf 26. Die Auslandsschuld betrug im Juli 2005 genau 8,583 Milliarden Dollar bei einem BIP von 15,824 Milliarden Dollar im Dezember 2004. Die Exporte machen 2,041 Milliarden aus, davon entfallen auf den Maquila-Sektor 1,046 Milliarden, während der traditionelle Export sich auf 178 Millionen Dollar reduziert. Die Importe belaufen sich auf 3,874 Milliarden, was ein Defizit von 1,833 Milliarden bedeutet. Diese Summe wird in weitreichendem Maße mit den Auslandsüberweisungen (remesas) finanziert, die in 2004 bei mehr als 2,5 Milliarden Dollar lagen. Der jüngste UNDP-Bericht über menschliche Entwicklung verortete das Land auf Platz 104, schlechter als in 2004 (Platz 103). Dieses Zahlenbündel spiegelt die Auswirkungen des im Verlauf von 16 Jahren aufgezwungenen neoliberalen Modells wider.

Im Land trifft die ökonomische und soziale Krise die Arbeiterklassen hart und sie dehnt sich auf die Mittelschichten, die Freiberufler sowie die kleinen und mittelständischen Unternehmen aus. Die Unsicherheit der Bürger wächst aufgrund steigender Kriminalität und der Verbreitung von Jugendbanden. Die Auswanderung nimmt auf inzwischen bereits mehr als zwei Millionen Landsleute zu. Sie führt zu Überweisungen aus dem Ausland, mit denen ein Drittel der Familien überlebt. Dieser Dollarfluss erlaubt es, das starke Defizit in der Handelsbilanz zu finanzieren. Das neoliberale Modell ist dabei gescheitert, eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen und die Bedingungen für ein würdiges Leben der Bevölkerung zu schaffen. Es nährt sich jedoch von seinem eigenen Versagen und fördert willentlich eine Vertreibungspolitik derjenigen, die vom System ausgeschlossen werden und versuchen, abseits vom herrschenden Konsumismus zu überleben. Die Situation ist bisher dank dieses von der Auswanderung gebildeten Fluchtventils nicht explodiert. Aber das wird zu einem zukünftigen Zeitpunkt geschehen, wenn der Neoliberalimus nicht demontiert und von einem anderen Modell ersetzt wird, das die Interessen der Arbeitermehrheiten in den Mittelpunkt stellt. Gegenwärtig schickt sich die Oligarchie des Großkapitals an, vom Freihandelsvertrag zu profitieren obwohl dies die sozialen Widersprüche verschärft und und die Demokratie untergräbt.


Eine Charakterisierung der Partei FMLN

Die wichtigsten aktuellen sozialen Konflikte in El Salvador sind direkte Konsequenz der vom Staat verfolgten neoliberalen Politiken und des neuen Wirtschaftsmodells, das die Finanz- und Handelsoligarchie durchgesetzt hat. Die Landwirtschaftskrise verschärfte sich mit dem Verfall der internationalen Preise für Kaffee, dem Hauptexportprodukt seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die ländliche Arbeitslosigkeit nahm ebenso zu wie der Bankrott vieler Genossenschaften, die während der von der Christdemokratie 1980 durchgeführten Landreform entstanden waren. Die Baumwollproduktion geriet in der Dekade der achtziger Jahre in die Krise, beim Zuckerrohr wirkte sich ebenfalls der Zusammenbruch des internationalen Preises aus. Der Subsistenzanbau der armen Bauernmassen, vor allem im Bereich der Getreide für die Grundversorgung, sieht sich den Wettbewerbsnachteilen gegenüber den Großimporteuren gegenüber. Eine Situation, die sich mit der Umsetzung der Freihandelsabkommen verschärfen wird.

Die städtischen Unterschichten wohnen in Randsiedlungen, in denen es in der Regel keine oder sehr defizitäre Grundversorgung gibt. Die Menschen verlangen nach einer effizienten Trinkwasserversorgung, der Reparatur der Zugangsstraßen, öffentlichem Transport oder Gesundheitsmaßnahmen. Viele Viertel und Siedlungen befinden sich in gefährdeten oder stark risikoanfälligen Zonen, die bei jedem heftigen Sturm Opfer von Überflutungen, Verschüttungen und Erdrutschen sind. Ein großer Teil der Arbeiterbevölkerung in den Städten findet keinen Ausweg aus der Langzeitarbeitslosigkeit und muss sich daher Aktivitäten in der sogenannten informellen Wirtschaft suchen, vor allem im Straßenverkauf und verschiedenen Dienstleistungsbereichen. Der Mindestlohn deckt den Grundwarenkorb nicht ab, so dass jede Familie mehrere Verdiener braucht, um die Lebenshaltungskosten einzubringen. Die Lehrerschaft verdient beispielsweise einen Reallohn, der einem Drittel der Bezahlung zu Beginn der achtziger Jahre entspricht. Der Verfall der von der Regierung vernachlässigten Dienstleistungen im Gesundheits- und Bildungswesen bei dort gleichzeitig zunehmender Privatisierung macht diese Leistungen unzugänglich für diejenigen, die die hohen Kosten für die Privatschulen, den Arztbesuch, die Laboruntersuchungen und die Medikamente nicht bezahlen können.

Schutz und Förderung der landwirtschaftlichen Aktivitäten, mit einem angemessenen Kreditzugang sowie die Stadtreform und eine beschäftigungswirksame Politik müssen vorrangig sein. Zu den strategischen Zielen der FMLN gehört es, die Rechte an der Regierung abzulösen, damit sie nicht weiter das neoliberale Modell einführen kann, das objektiv die Krise verschärft; ein neues Wirtschaftsmodell und einen neuen Rahmen staatlicher Politik im Dienst der Interessen der Bevölkerungsmehrheiten umzusetzen; sowie bei der Bildung einer organisierten gesellschaftlichen Kraft zu helfen, die zum wichtigsten Motor und Garantie der Veränderung wird. Im Dienst dieser Ziele steht das Programm der FMLN, in dem die geschichtliche Ausrichtung auf ein eigenes Modell des demokratischen Sozialismus und die mittelfristigen auf die demokratische Revolution - die eine wirkliche und partizipative Demokratie im Land bedeuten wird - konzentrierten Ziele fest gelegt sind. Und schließlich das unmittelbare Programm: den Neoliberalismus und die neoliberalen Kräfte besiegen, das heißt im Wesentlichen, die Finanzoligarchie und die Gruppen in deren Diensten.

Das Programm der Frente richtet sich an breite Gesellschaftsgruppen, Arbeiter auf dem Land und in der Stadt, Mittelschichten, Freiberufler und Intellektuelle, Verwaltungspersonal und Angestellte, kleine und mittelständische Unternehmen. Es findet dort auch breite Unterstützung. Die Partei ist zu dem Schluss gekommen, dass das Konzept der "Antriebskräfte der Revolution" für die Eigenschaften der salvadoranischen Sozialstruktur angesichts der pluralen und unterschiedlichen Charakters des historischen Subjekts angemessener ist als die traditionelle, klassische Konzeption des "Proletariats" oder des "Arbeiter-und-Bauernbündnisses". Da es bei der gegenwärtigen historischen Etappe um die demokratische Revolution geht, werden sowohl das soziale Subjekt als auch der Hauptfeind durch deren Charakterisierung bestimmt. Dies führt zu einer breiten und pluralen Bündnispolitik, die sich auf Mitte-Links-Parteien, des Zentrums oder sogar einer nicht neoliberalen Rechten erstreckt sowie auf soziale Organisationen, Gewerkschaften und Verbände. Die salvadoranische soziale Bewegung ist im Wesentlichen autonom und hängt von der Frente weder bezüglich der Leitung noch der Mobilisierungskapazität ab. In der Nachkriegszeit hat die FMLN mehr Einfluss in den Städten als auf dem Land gehabt und wird deswegen aus einer Wahlperspektive sogar als Partei der städtischen Mittelschichten bezeichnet, während ARENA ihre Wählerbasis in der Oberschicht und oberen Mittelschicht sowie in den wirtschaftlich und politisch am zurück gebliebensten Landzonen hat.

Die Frente hat vor allem mit anderen Mitte-Links angesiedelten politischen Kräften eine Politik der Wahlbündnisse beibehalten, die sich gezielt auf bestimmte Gemeinderäte richtet. Koalitionen auf kommunaler Ebene hat es mit dem Demokratischen Zentrum, der Christdemokratischen Partei sowie mit nicht parteigebundenen Gruppen wie beispielsweise der Bürgerinitiative und fortschrittlichen Berufsgruppen und Intellektuellen ohne Parteianschluss gegeben. Im Parlament sind die Bündnisse situationsbedingt und schließen in bestimmten Situationen sogar die rechtsgerichtete Partei der Nationalen Versöhnung ein, wenn die Opposition gegen die regierende ARENA geeint werden konnte, um deren Aufzwängungspolitik zu verhindern. In Schlüsselthemen pflegt die Frente die einzige parlamentarische Opposition zu sein.

Die neue historische Etappe, die mit den Friedensabkommen eröffnet wurde, begründete eine Neudefinition der Partei FMLN. Dies ist ein verschiedene Momente umfassender Prozess gewesen. Im Dezember 1994, als die Führung von ERP und RN die Partei verließ, definierte sich die FMLN als eine um die Eigenschaften "demokratisch, revolutionär und pluralistisch" geeinte Partei. Im Juni 1995, im Rahmen eines neuen internen ideologischen Kampfes, nahm sie den Charakter Sozialistische Partei an und strukturierte sich gleichzeitig als Partei mit verschiedenen Strömungen. Im Dezember desselben Jahren ging sie zur Auflösung der Parteistrukturen über, die seit ihrer Gründung 1980n durch fünf in der Frente zusammen gefassten Organisationen überdauert hatten. Ab 1997 verstärkte die Existenz zweier Denkströmungen, der "revolutionären und sozialistischen" einerseits, sowie der "erneuernden" andererseits, die interne Konfrontation. Diese löste sich Ende 1999 mit dem Austritt einer Gruppe von Führungspersönlichkeiten", die die politisch kurzlebige Erneuerungsbewegung gründeten. Im Dezember 2000 wurde beschlossen, die organisierten Strömungen innerhalb der Partei aufzulösen und es wurde die Organisation interner Wahlen für die Kandidaturen bei Bevölkerungswahlen vorbereitet. Diese sind seit November 2001 Praxis. Im September 2003 verabschiedete die Frente das gegenwärtig gültige Soziale und Demokratische Programm, das ihr gemeinsames Gedankengut ausdrückt. Die Kandidaturen werden nun von der Leitung im Konsens vorgeschlagen. Nur, wenn dieser nicht erreicht wird, wird intern über getrennte Listen abgestimmt. Dissidenten der Erneuerungsbewegung, die in der Frente verblieben waren, haben sie im Kontext einer von der Rechten applaudierten und unterstützten Zermürbungsstrategie mit Unterbrechungen verlassen.

Das Programm für den Wechsel, mit dem die FMLN bei den Präsidentschaftswahlen 2004 antrat, und das im September 2003 vorgestellt wurde, skizziert die soziale, wirtschaftliche und politische Reform. Was die soziale Reform angeht, werden mit der Philosophie "Zuerst die Menschen" Maßnahmen für eine Reform des Gesundheitswesens als Alternative zur von der Rechten begonnenen Privatisierung heraus gestellt, ebenso für den Bildungs-, Wohnungs-, Jugend-, Kultur- und Sportsektor. Die Wirtschaftsreform legt den Schwerpunkt auf mehr Beschäftigung und die Reaktivierung der produktiven Wirtschaft mit Unterstützung des kleinen und mittelständischen Unternehmertums. Die politische Reform dreht sich um die substantielle, repräsentative und partizipative Demokratie, Dezentralisierung des Staates und die Bekämpfung der Korruption eingeschlossen. ARENA und ihr Neoliberalismus haben den Demokratisierungsprozess gelähmt und zurück gefahren. Die FMLN schlägt daher vor, den Geist der Friedensabkommen zu retten und erneut eine Entwicklung in Richtung neuer Demokratie in Gang zu bringen, die es schafft, die Bevölkerung für die Partizipation in der Politik des Landes zu begeistern. Die große Schwäche der Frente ist ihre Politik für die Massen, für die sie wenige ökonomische und menschliche Mittel eingesetzt hat, weil sie stets dem Wahlkampf den Vorrang gab. Wahrscheinlich hat es daran gefehlt, das Prinzip "Auf beiden Füßen schreiten" anzuwenden, damit auf diese Weise Proteste und Massenmobilisierung den Wahlkampf begleiten und stärken und letzterer die sozialen Kämpfe nährt und sich in deren Dienst stellt. Die Versuche, die Bevölkerungsforderungen für Wahlen zu instrumentalisieren, hat in einigen Fällen dazu beigetragen, die soziale Bewegung zu entschärfen und gegenseitiges Misstrauen zu schaffen. Darum muss dringend die Beziehung zu den Massenorganisationen korrigiert werden.


Die FMLN an der Regierung in der Hauptstadt

Seit eine von der FMLN angeführte Linkskoalition 1997 die Bürgermeisterwahlen in der Hauptstadt gewannt, hat es eine pluralistische, oppositionelle und demokratische Kommunalregierung gegeben. Das Wahlbündnis umfasste mehrere Mitte-Links-Parteien und eine Bürgervereinigung. Es gab einen Stadtrat, in dem keine politische Kraft automatisch eine Mehrheit hatte. Darum setzte sich die Konzertierung durch. Dieser Regierungsstil ist seitdem beibehalten worden. Die Stadträte haben nicht als Abgesandte der Parteien agiert sondern über Autonomie verfügt, um ihre eigenen Entscheidungen im Rat zu diskutieren und zu treffen. Das Oppositionsprofil hat sich in einer Kommunalpolitik für die Menschen konkretisiert, mit der Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den großen wirtschaftlichen Machtgruppen, um den Interessen der Mehrheiten Geltung zu verschaffen. Der demokratische Charakter der Lokalregierung drückt sich vor allem im Impuls für die Bürgerbeteiligung aus.

Die Kontrolle der Stadtregierung von San Salvador und eines großen Teiles der metropolen Zone durch die Opposition hat den Zwangscharakter durchbrochen, mit dem ARENA agierte, die neun Jahre lang das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt inne hatte, aber es immer der Logik und den Prioritäten der Zentralregierung unterordnete. Zu einer der ersten Maßnahmen des neuen Stadtrates gehörte es, gerechtere und weniger regressive Kommunalsteuern vorzuschlagen, da die Bankfilialen und großen Geschäfte zuvor entweder die Gemeindesteuern umgingen oder lächerliche Beiträge bezahlten. Es kam zu einer Vereinbarung mit diesen Sektoren, da die von der Kommune angestrebte und finanzierungsbedürftige Neuordnung und Rettung des historischen Zentrums in ihrem Interesse war. Obwohl die anfängliche Beziehung zum Großkapital konfrontativ war, erlaubte der Dialog einen Minimalkonsens, um das Vorhaben mit dem Beitrag dieser direkt davon profitierenden Gruppen anzugehen. Die Mehrheit der mittleren und kleinen Geschäftsleute hat die Zweckmäßigkeit ebenfalls eingesehen, denn das Geschäft wird in dem Maße angeregt, in dem das Problem der Invasion der Straßenverkäufer gelöst wird, sich die Sicherheit in der Zone erhöht und Plätze und öffentliche Wege angemessen ausgestattet und gesäubert sind. Der Konflikt mit den tausenden von Straßenverkäufern war so gut wie unvermeidlich, obwohl das Gespräch mit ihnen bei behalten wurde und ihnen mit dem Bau neuer und der Erweiterung bestehender Märkte Alternativen angeboten worden sind. Die Bürger in ihrer Gesamtheit haben die Anstrengungen, das Stadtzentrum vor der herrschenden Unordnung, dem Schmutz und der Unsicherheit zu retten, unterstützt. Kein Stadtrat zuvor hatte sich dem Problem gestellt. Doch die Verschärfung der Wirtschaftskrise wirft neue Kontingente von Verkäufern auf die Straße, wiederholt ist es zu Zusammenstößen mit der Gemeindepolizei gekommen, denn es ist unmöglich, auf kommunaler Ebene eine Problem zu lösen, dessen Wurzeln in der Volkswirtschaft und der Regierungspolitik begründet liegen.

Ein anderes vorrangiges Projekt war die Lösung des Müllproblems, denn es gab kein modernes und ökologisches System für den Umgang mit Festmüll. Gleichzeitig stand die benutzte Mülldeponie kurz vor dem Kollaps. Zusammen mit anderen Kommunen des Hauptstadt-Großraums kam es zu einer mutigen Initiative, die in der Gründung des gemischten Unternehmens MIDES bestand, an dem sich 14 Kommunen und eine kanadische Expertenfirma beteiligten. Es entstand eine moderne Fabrik für integrale Müllbeseitigung. In irrationaler Weise stellte sich die Rechte gegen das Vorhaben. Sie verbot ihren zwei Bürgermeistern der metropolen Zone, sich anzuschließen und führte eine starke Verleumdungskampagne in den Medien. Es wurde die Rechtmäßigkeit des Unternehmens hinterfragt, mit der angeblichen Existenz von Korruptionsbelegen spekuliert und schließlich klagte man die Eigentümer der kanadischen Firma an, der Mafia nahe zu stehen. Die Staatsanwaltschaft begann eine Ermittlung, die zu keiner einzigen gerichtlichen Aktion führte. Die kanadischen Unternehmer entschlossen sich zum Rückzug von der im Land getätigten Investition und verkauften ihren Anteil an ein norwegisches Unternehmen. Dieses hat vorgeschlagen, die zehn Prozent Anteile in der Hand des Bürgermeisterrates der Metropolen Zone (COAMSS) zu kaufen und die Mülldeponie von Nejapa vollständig zu übernehmen. Der Vorschlag soll nach einem Beschluss akzeptiert werden. Damit wird zukünftig der Kraftaufwand vermieden, den die fortlaufende Anschuldigungskampagne der Rechten verursachte. Ist das Vorhaben einmal vollständig privatisiert, wird die Politisierung des Themas überwunden.

Politisch erfolgreicher als eine konkrete Form der Demokratiebildung von der Basis aus ist das Programm für die stärkere Bürgerpartizipation gewesen. Der Schwerpunkt lag darauf, die geschichtliche Tradition der "Bürgerversammlungen" neu zu beleben, eine Einrichtung, die im letzten Jahrhundert der Kolonialzeit entstand, im Verlauf des 19. Jahrhunderts außer Mode kam und im Kommunalgesetzbuch von 1983 wieder aufgenommen, aber niemals aktiviert wurde. Die Bürgerversammlung ist "eine von der Kommunalregierung einberufene Versammlung, zu der die Einwohner und die gremialen, sozialen und kulturellen Organisationen der Gemeinschaft eingeladen werden". Das Gesetzbuch sieht für diese Instanz keine Entscheidungsmacht vor, sondern nur konsultativen Charakter. Doch es ist die politische Entscheidung der Frente gewesen, sie in ein Organ der Bürgerregierung zu wandeln, in dem die kommunalen Autoritäten die Macht mit der Bürgerschaft teilen.

Im August 1997 gab es die erste Bürgerversammlung in San Salvador und dort wurde beschlossen, sieben Zonen zu bilden, damit in jeder von ihnen eine Versammlung stattfinden sollte. San Salvador hat etwa eine halbe Million Einwohner und 539 Gemeinden, die sich auf Vierteln, Siedlungen und Bebauungsgebieten zusammen setzen. Die sieben runden Tische, einer pro Zone, erlauben einen besseren Dialograum und die Konzertierung mit der Bevölkerung. Jeder runde Tisch besteht aus etwa 150 Delegierten, die die verschiedenen Gemeinden der Zone repräsentieren.

Die runden Tischen habe bisher folgende Aufgaben gehabt: Problemdiagnose der Zone und eine entsprechende Prioritätenliste, Identifikation von Lösungen, Ausarbeitung eines örtlichen Entwicklungsplanes, Mittelverwaltung und öffentliche Rechnungsprüfung des Kommunalhaushaltes. Seit Mitte 2001 ist der partizipative Haushalt eingeführt worden, so dass die Bürger die Leitlinien des Investitionsplanes analysieren, diskutieren und ausarbeiten, die die Stadtregierung für das kommende Jahr aufstellen wird. Es finden eine Reihe von Informationsveranstaltungen, Seminaren und workshops statt, um Entscheidungen mitzuteilen, für die gerechte Verteilung des Haushaltes unter den sieben Kommunalbezirken zu sorgen sowie Transparenz und Effizienz zu garantieren. Diese Aktivitäten führen zu politischer Bildung der Bevölkerung. Sie fördern einen neuen Typ von Führerschaft, der es den Bürgern erlaubt, Akteure der örtlichen Entwicklung zu sein.

Hervor zu heben ist die Arbeit des Kommunalen Jugendrates, der die Folgen von Ausschluss, Unverständnis, Gleichgültigkeit und Intoleranz gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden bekämpfen will. Er arbeitet mit vier Strategien: Organisation, Bildung, Gesundheit sowie Freizeit und Kultur. recreación y cultura. Es sind sechs Kulturkomitees, fünf Volkskunstschulen, zwölf ständige Sportkomitees und 13 kommunale Fußballschulen eingerichtet worden. Ebenfalls sind Programme zur Gesundheitsvorsorge in den neun Marktkliniken angelaufen, eine HIV-AIDS-Vorsorge- und Kontrollprogramm und eine weiteres Vorsorge- und Kontrollprogramm für das Dengue-Fieber. In diesem Jahr und in Erinnerung an den 25. Todestag von Monseñor Romero fand das Internationale Jugendforum unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" statt. Es nahmen 250 Jugendliche aus Mexiko, Guatemala, Nicaragua, Costa Rica, Venezuela, Brasilien und Paraguay teil. Es gibt Weiterbildungen zum Meschenrecht Kindheit und die Frauenberatungsstelle hat ihre Fürsorge-, Beratungs-, Ausbildungs- und Organisationsarbeit für die Frauen vervielfacht. Es sind Maßnahmen zur Umweltverbesserung ergriffen und drei Naturschutzgebiete etabliert worden.

Bei all diesen Initiativen stehen die bewusstseinsbildenden und organisativen Aspekte im Vordergrund, damit es die organisierten Menschen selbst sind, die sich über ihre Interessen und Fähigkeiten klar werden,  um die notwendigen Änderungen durchzuführen. Das Wachstum der Parteiorganisation und der Einfluss der FMLN in der Bevölkerung konnten gestärkt werden. Diese Arbeit an der Basis ist entscheidend in dem Einsatz gewesen, die gewonnenen Bürgermeisterämter zu halten, auch in den Kommunen, in denen es nicht möglich war, die Wahlkoalitionen fort zu führen oder wo der Bürgermeister mit der Partei brach und seine Wiederwahl mit einer anderen Parteienformation suchte. Die Menschen haben gezeigt, dass ihr politisches Vertrauen und ihre Loyalität in erster Linie der Organisation und deren Gedankengut gilt, nicht den persönlichen Führungsrollen.  

Die Widersprüche, die sich im parlamentarischen Kampf und in der Bundespolitik ergeben, wirken sich direkt auf die kommunale Ebene aus. Besonders stark im Fall der Hauptstadt, da es sich um die mit Abstand größte Stadt des Landes handelt. Für Mitte-Links-Gruppen, die häufig wenig Präsenz im Rest des Landes besitzen, ist ihre Kommunalpolitik praktisch ihre Bundespolitik. Sie neigen dazu, auf der Suche nach ihrem eigenen Handlungsspielraum, eingegangene Bündnisse instabil zu halten. Zudem hat die Geschichte gezeigt, dass das Bürgermeisteramt von San Salvador ein gutes Trampolin sein kann, um auf eine Präsidentschaftskandidatur aufzusprigen. Dies nährt persönliche Ambitionen, die manchmal mit der politischen Ethik in Konflikt geraten.

Für die Wahlen 1997 bestimmte die von der FMLN angestoßene breite Koalition, um das Bürgermeisteramt zu gewinnen, Héctor Silva als Kandidaten. Er war von Beruf Gynäkologe, kam aus der sozialchristichen Volksbewegung und hatte als Abgeordneter die Demokratische Konvergenz repräsentiert. Er trat der Frente bei und wurde im Jahr 2000 als Bürgermeister der Hauptstadt wieder gewählt, nachdem seine Präsidentschaftskandidatur scheiterte, für die die Erneuergungsbewegung innerhalb der FMLN eintrat. Die Medien rühmten sein "Charisma" und die Rechte gestand ihm das Image mit der meisten "Popularität" zu. All dies trug dazu bei, seine Arroganz und zunehmende Autonomie gegenüber der Partei zu stärken, und auf eigene Rechnung mit der Rechten zu verhandeln, ohne sich mit der Parteiführung zu beraten noch sich der Parteidisziplin zu unterwerfen. Im September 2002 brach der Ärztestreik im Sozialversicherungsinstitut (ISSS) aus, der von der Arbeitergewerkschaft des Insituts und dem Ärztekolleg begleitet wurde. Die FMLN unterstützte diesen sozialen Kampf vollständig. Sein Hauptziel war es, die Privatisierung der Sozialversicherung zu verhindern. Der erfolgreiche Streik bestimmte die neun Monate seiner Dauer die Konjunktur. Er schaffte es, die Privatisierung des Gesundheitswesen zu bremsen und ARENA zahlte einen hohen politischen Preis, weil ihre Privatisierungsabsicht offen zu Tage trat und sie nicht bereit war, mit den Ärzten zu verhandeln. Zwei Monate nach Streikbeginn bot sich Héctor Silva überraschend als Vermittler an. Nur Stunden nach dieser Ankündigung wies die Frente diese Initiative zurück und machte bekannt, dass der Bürgermeister zu Treffen in die Präsidentenresidenz gekommen war und sich für eine Lösung des Konfliktes angeboten hatter, der Präsident Flores in Bedrängnis brachte. Silva weigerte sich, seine Position zu korrigieren, obwohl die Streikenden sein Vermittlungsangebot zurück wiesen, und wurde aus der FMLN ausgeschlossen. Die Medien gingen davon aus, dass die Partei das Bürgermeisteramt von San Salvador verlieren würde, weil sie ohne Kandidaten geblieben war. Doch es kam anders. Mit Carlos Rivas Zamora wurde ein für das große Publikum völlig unbekannter Stadtrat aufgestellt, der dennoch mit breitem Vorsprung gewann. Es zeigte sich, dass die Menschen für die FMLN abstimmen und nicht so sehr für den aufgestellten Kandidaten an sich.

Ähnliches wiederholte sich vor Kurzem nach dem Parteiaustritt des Bürgermeisters Rivas Zamora am 2. September, nachdem er wusste, dass die FMLN sich nicht für seine Wiederwahl einsetzen, sondern die Kandidatur für das Bürgermeisteramt der Ärztin Violeta Menjívar übertragen würde, die eine anerkannte Vorgeschichte in den Reihen der FMLN hat. Den noch amtierenden Bürgermeister begleiten sechs dissidente Stadträte, die bereits ihren Eintritt in die sich in der Gründung befindende Demokratische Revolutionäre Front (FDR) angekündigt haben. Damit hat die Partei vorübergehend die Kontrolle über die Hauptstadtregierung verloren, denn sie verbleibt mit fünf Stadträten und weitere sechs sind unabhängig. Der reformistische Sektor betreibt momentan eine Zermürbungsstrategie, die in gestaffelten Austritten ihrer Anhängern besteht: Bisher haben sieben Abgeordnete und vier Bürgermeister ihren Austritt erklärt. Im Verlauf der Wahlkampagne sind weitere Austritte abzusehen, um Ansehen und Glaubwürdigkeit der Frente zu minieren. Das Argument besteht in der Unzufriedenheit mit den Auswahlverfahren der Kandidaten, vor allem bei denjenigen, die auf eine Wiederwahl hofften und nicht aufgestellt werden.

Dennoch ist es für die Parteimitglieder und die Bevölkerung allgemein immer klarer, dass es keinen Sinn macht, Kandidaturen von Figuren zu fördern, die den Prinzipien und der Ideologie der Partei nicht verpflichtet sind und später dem politischen Projekt und der FMLN den Rücken kehren würden. Die Haltung, Genossen mit bewährter Disziplin und Loyalität gegenüber der Partei auszuwählen, ist zu einer Notwendigkeit geworden und wird von der Mehrheit akzeptiert und verstanden. Darum wird diese Strategie der verbliebenen reformistischen Reste, die Geschlossenheit der Partei zu untergraben und ihr Ansehen zu schädigen, kaum politischen Gewinn für sie abwerfen. Einmal außerhalb der FMLN sind sie aufgrund ihrer Verortung im politischen Zentrum dazu verurteilt, die Linke stärker als die Rechte zu attackieren, denn letzterer werden sie keine Stimmen abnehmen und ihre einzige Hoffnung besteht darin, der Frente Wählerstimmen zu rauben. Aber eine Anti-FMLN-Politik stößt auf Ablehnung in der Bevölkerung, die damit sofort eine rechtsgerichtete Haltung identifiziert. Zur Zeit sind es fünf kleine Gruppierungen, einige im Gründungs- und Legalisierungsprozess, die sich als politisches Zentrum sehen: PDC, FDR, PNL, CD y PPSC. Sie alle sind wie die Überbleibsel eines Schiffbruches, das, was von der vielfachen Fragmentierung der Christdemokratie, den sozialdemokratischen Gruppen, dem einst in der FMLN teilnehmenden anti-kommunistischen Reformismus und den minoritären gegen den Neoliberalismus eingestellten klassischen liberalen Gruppen übrig geblieben ist. Eine Politik, einige dieser Gruppen für Wahlkoalitionen an sich zu binden, ist sinnvoll, um zu verhindern, dass ihr Zusammenschluss gegen die FMLN ihnen politisch etwas nützt und die Wählerbasis der Linken geschwächt wird. Die Bürgermeister- und Abgeordnetenwahlen in 2006 können entscheidend für einen neuen politischen Kontext im Land sein. Bestätigt sich die Tendenz zu einer Polarisierung der Gesellschaft und zum Zwei-Parteiensystem, werden sich FLMN und ARENA von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, mit ihren zwei strategischen Proyekten für den Moment der allgemeinen Wahlen in 2009. Dann wird die Richtung der Nation gewählt werden: neoliberal oder sozial und demokratisch.