Publication Demokratischer Sozialismus - Soziale Bewegungen / Organisierung - Westeuropa Wie will die Europäische Linke die Politik der EU verändern?

Bericht über die Veranstaltung der „Baustelle Europa“ – „Wie will die Europäische Linke die Politik der EU verändern?“, am 02.11.2005 im Magnushaus, Berlin

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Author

Jochen Weichold,

Published

October 2005

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Zur Diskussion dieser Thematik hatte die Rosa-Luxemburg-Stiftung im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe „Baustelle Europa“ wenige Tage nach dem Ersten Parteitag der Europäischen Linkspartei (EL) in Athen ins Berliner Magnushaus geladen. Die Moderatorin, die bekannte Fernsehjournalistin Bärbel Romanowski, ging im Gespräch mit Dag Seierstad, europapolitischer Berater der Parlamentsfraktion der Sozialistischen Linkspartei Norwegens, und Helmut Scholz, gerade wieder gewähltes Mitglied des Vorstandes der EL, vor allem der Frage nach, wie die Europäische Linkspartei Einfluss auf die Politik der Europäischen Union (EU) nehmen will und kann. Helmut Scholz betonte, dass die Gründung der EL im Jahre 2004 im Kontext der Erweiterung der EU um zehn neue Mitgliedsstaaten erfolgt sei und gerade von dieser Problemstellung getragen war, wie die europäische Linke Einfluss auf den Erweiterungs- und Vertiefungsprozess der europäischen Integration nehmen könne. In diesem Zusammenhang seien zwei Aspekte bemerkenswert:
Erstens gibt es unter den europäischen linken Partei unterschiedliche Vorstellungen von einer Zusammenarbeit der Linken, die sich auf die Frage zuspitzen lassen: Soll die EL lediglich ein Dachverband sein oder eine (wirkliche) neue Partei? Die EL will mehr sein als ein Dachverband, so Helmut Scholz.


Zweitens müsse sich die EL mit der Krise der EU befassen. Sie müsse Antworten auf die Fragen der Massenarbeitslosigkeit, der fehlenden Perspektive für die Jugend, der Wirtschafts- und Sozialpolitik insgesamt finden. An dieser Aufgabe müssten die Mitgliedsparteien der EL gemeinsam arbeiten – mit trotzkistisch orientierten Parteien wie mit Parteien, die – wie die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens – aus dem Transformationsprozess in Osteuropa andere Schlussfolgerungen gezogen hätten als beispielsweise die Linkspartei in Deutschland. Dabei stünden Aktivitäten im Zentrum: der Kampf gegen die Bolkestein-Richtlinie, das Ringen um Mindestlöhne etc. Die europäische Linke müsse ihre Positionen gesellschaftlich mehrheitsfähig machen.


Helmut Scholz verwies in diesem Zusammenhang auf die Thesen der Europäischen Linkspartei, die gerade auf dem Parteitag der EL in Athen verabschiedet worden sind. In diesen Thesen zeichne die EL unter den Stichworten „Frieden schaffen“, „Ein anderes ökonomisches Modell für ein soziales Europa“, „Basisdemokratie“ und „Allianzen“ Leitlinien für ein sozialeres und demokratischeres Europa. In der nächsten Zeit gelte es, diese Rahmenvorstellungen zu untersetzen. Die Europäische Linkspartei wolle ein politisch handelndes Subjekt auf der europäischen Ebene werden. Sie wolle Einfluss nehmen auf die Veränderung der Rahmenbedingungen in Europa. Es gehe um nicht weniger als um die Neuverhandlung des Gesellschaftsvertrages für das 21. Jahrhundert. Eine Verfasstheit der EU sei notwendig, weil sonst der Durchmarsch des blanken Neoliberalismus droht.


In einem zweiten Block ging es in der Podiumsdebatte um die Frage, warum Norwegen nicht Mitglied der EU ist. Dag Seierstad unterstrich, dass die Sozialistische Linkspartei Norwegens (Sosialistik Venstreparti – SVP) die Mitgliedschaft Norwegens in der Europäischen Union vor allem wegen der neoliberalen Politik der EU (Maastricht, Nizza) ablehnt. Er trat zugleich der verbreiteten Vorstellung entgegen, die Norweger hätten deshalb in zwei Referenden gegen den Beitritt ihres Landes zur EU gestimmt, weil sie von ihrem nicht zuletzt auf dem Erdöl basierenden Reichtum und dem daraus resultierenden hohen Lebensstandard nichts abgeben wollen. Dag Seierstad verwies auf die engen (wirtschaftlichen) Verflechtungen Norwegens mit der EU, auf die finanzielle Unterstützung für die seinerzeitigen EU-Beitrittsländer Spanien, Portugal und Griechenland und auf den Anteil der norwegischen Entwicklungshilfe von einem Prozent des Bruttonationalprodukts (Deutschland: 0,27 Prozent). Der Grund für die Ablehnung einer Mitgliedschaft Norwegens in der EU liege vielmehr darin, dass Norwegen nur 4,5 Millionen Einwohner hat (etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung der heutigen EU). Damit wäre der Einfluss Norwegens auf die Politik der EU verschwindend gering.


Während in der Frage der EU-Mitgliedschaft die Position der SVP mit der der Mehrheit der Bevölkerung Norwegens übereinstimmt, ist das in der Frage der Mitgliedschaft des skandinavischen Landes in der NATO keineswegs der Fall. Die Forderung der SVP nach Austritt Norwegens aus der NATO wird lediglich von ca. 15 Prozent der Bürgerinnen und Bürger geteilt und war daher auch nicht in dem Koalitionsvertrag zu verankern, den die SVP mit der Zentrumspartei und der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Det Norske Arbeiderparti – DnA) in diesem Herbst abgeschlossen hat. Für die Mehrheit der politischen Parteien Norwegens und für die Mehrheit der Bevölkerung gehört die NATO zur Sicherheitsarchitektur des Landes. Durch die Beteiligung an der Regierung konnte die SVP jedoch erreichen, dass im Koalitionsvertrag der Rückzug der Truppen Norwegens aus dem Irak und aus Afghanistan festgeschrieben wurde.


Das Berliner Publikum interessierte sich besonders für die Frage, unter welchen Bedingungen sich eine linke Partei an der Regierung eines europäischen Staates beteiligen darf bzw. sollte. Dag Seierstad erzählte, dass er sich vor vier Jahre eine Beteiligung seiner Partei an einer von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei geführten Regierung nicht hätte vorstellen können. Damals verfolgte die Arbeiterpartei einen neoliberalen Kurs, für den sie dann bei den Parlamentswahlen vom September 2001 von den Wählerinnen und Wählern abgestraft wurde. Die DnA stand vor der Frage, ob sie sich in Richtung einer Zentrumspartei entwickeln wolle, oder ob sie ihrer bisherigen sozialdemokratischen Wählerklientel folgen wolle. Die DnA habe sich für die zweite Möglichkeit entschieden und eine Abkehr vom bisherigen neoliberalen Kurs eingeleitet. Dies ermöglichte die Zusammenarbeit von Arbeiterpartei und SVP in einer Koalitionsregierung.


Dazu komme ein zweiter Gesichtspunkt: Die SVP habe in der Vergangenheit unbefriedigende Erfahrungen mit Minderheitsregierungen gesammelt, die sich in sozialen Fragen auf die Unterstützung durch die SVP verlassen hätten. In Fragen einer neoliberal geprägten Struktur- und Wirtschaftspolitik hätten die Minderheitsregierungen jedoch mit den Konservativen kooperiert, und die SVP habe dem ohnmächtig zusehen müssen. Nun haben DnA, SVP und Zentrumspartei einen Koalitionsvertrag unterzeichnet, in dem weiteren Deregulierungen und Privatisierungen staatlicher Leistungen in Norwegen eine klare Absage erteilt wird. Auf dieser Basis sei eine Regierungsbeteiligung einer linken Partei wie der SVP möglich.


Mit seinen fundierten Ausführungen konnte Dag Seierstad das Auditorium offensichtlich überzeugen. Umso unverständlicher erschien vielen Zuhörern, dass die SVP nicht Mitglied der Europäischen Linkspartei geworden ist. Dag Seierstad erläuterte geduldig, dass die SVP von ihrem Charakter her sowohl eine sozialistische als auch eine grüne Partei sei. Sie unterhalte gute Kontakte sowohl zur EL als auch zur Europäischen Grünen Partei. Eine Mitgliedschaft der Sozialistischen Linkspartei Norwegens in der EL würde das Fundament der Beziehungen der SVP zur Europäischen Grünen Partei erschüttern. Die SVP sehe ihre Position als die eines Mittlers zwischen den Roten und den Grünen: „Nehmen Sie einen Apfel. Erst ist er grün; wenn sein Reifungsprozess fortschreitet, wird er rot.“