Symmetrien und Widersprüche (dt. u. engl.)
Manuskripte 40 der RLS
Vorwort
Neoliberale Rezepte oder der Weg des Volkes
Dies scheinbar kleine Studie von Yash Tandon hat es in sich. Sie unterzieht sachlich und präzise eines der wichtigsten entwicklungspolitischen Dokumente unserer Zeit, die NEAPD (die Neue Partnerschaft für Afrikanische Entwicklung), einer Analyse und deckt den Widerspruch zwischen den “hehren Zielen”, so Yash Tandon, und den neoliberalen Mitteln zur Erreichung dieser Ziele auf – wieder einmal sei der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert. Die Wege der Regierenden seien nicht die des Volkes.
Yash Tandon ist einer der bemerkenswertesten afrikanischen Ökonomen und Intellektuellen. Aus Uganda gebürtig, hat er an der London School of Economics studiert und unter anderem in Kampala, Dar es Salaam, Nairobi und auch an der London School of Economics gelehrt. Er kämpfte gegen das Regime von Idi Amin, war nach dessen Sturz kurz in der Regierung und musste nach einem neuen Militärputsch wieder ins Exil, erst nach Kenia, dann nach Simbabwe. Seit 1982 hat er mit landwirtschaftlichen Kooperativen, Gewerkschaften, Bauernverbänden und Organisationen von Behinderten gearbeitet. Er hat breit zu den Fragen der Nord-Süd-Beziehungen, der Menschenrechte, von Frieden und Konfliktprävention, zu Demokratie und nachhaltiger Entwicklung publiziert.
Yash Tandon ist einer der Gründungsmitglieder der International South Group Network (ISGN) und gegenwärtig dessen Direktor. Er leitet SEATINI, eine Organisation zur Beratung afrikanischer Organisationen mit Bezug auf die Welthandelsorganisation (WTO). Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist froh, dass sie im Rahmen ihrer internationalen Arbeit das Wirken von SEATINI unterstützen kann.
Yash Tandons gesamtes Wirken prädestiniert ihn, mit dem Werkzeug der modernen Ökonomie und jenseits moralisierender Anklage jener “Sachzwänge” zu rekonstruieren, die durch NEPAD in Afrika endgültig etabliert werden sollen. Seine Schrift ist im besten Sinne entideologisierend. Er setzt Ziele und Mittel von NEPAD in jene Beziehung, die dem verabschiedeten Dokument selbst fehlt. Er weist nicht nur darauf hin, dass ganz im Gegensatz zu den Zielen NEPAD selbst undemokratisch entstanden ist und nun als Oktroy funktionieren soll, als ein Oktroy, den Regierungen afrikanischer Länder nun gegenüber ihren eigenen Völkern und denen der anderen afrikanischen Ländern vornehmen würden. Die afrikanische Zivilgesellschaft wurde von der Erarbeitung und Konsultation – ganz im Unterschied zu westlichen Experten – ausgeschlossen.
Das Ziel der Studie ist es, die zentrale Behauptung von NEPAD argumentativ zu demontieren, die These, dass der Schlüssel zur weiteren Entwicklung Afrikas darin läge, den Kontinent fit zu machen für ausländische Investitionen. Hauptziel der Reformen müsse es sei, so NEPAD, ein jährliches Ressourcendefizit von 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (rd. 64 Mrd. Dollar) vornehmlich durch Kapitalimport zu decken. Yash Tandon vermag es, diese Behauptung als einen Mythos zu entziffern, als ein Mythos, gegen den historische und aktuelle Erfahrungen (er nennt unter anderem Argentinien, Indien und Südafrika), reale Interessen, Macht- und Eigentumsverhältnisse, die innere Situation in den afrikanischen Ländern und die Logik einer globalisierten Ökonomie sprächen. Er legt dar, dass die Ressourcenakkumulation eines Landes von vielen Faktoren abhängig ist und Afrika real vor allem unter der Kapitalflucht leide, die durch eine neoliberale Strategie nur verstärkt werden würde.
Die verordnete Medizin würde die Krankheit nur noch verschlimmern. Afrika sei schon heute mehr als die USA in den Weltmarkt integriert, aber zu Bedingungen, die nicht Kapitalimport, sondern Kapitalexport, nicht nachhaltige soziale Entwicklung, sondern Auflösung und Zerstörung der wichtigsten sozialen Systeme nach sich ziehen.
NEPAD, so Yash Tandon, nähme die internationalen Bedingungen als unveränderbar und würde die alleinige Verantwortung auf die afrikanischen Länder verlegen, die eine Anpassung und weitere Unterordnung unter die vom Norden beherrschten globalen Märkte vornehmen müssten. Diese Strategie basiere auf dem Neoliberalismus und stelle “die ‚Integration’ in die globalisierten Wirtschaft auf der Grundlage der Liberalisierung der Märkte und der freien Mobilität von Kapital ins Zentrum des Entwicklungsparadigmas”. Yash Tandon fragt: “Kann die weitere Integration Afrikas in ein asymmetrisches, globalisiertes und von einigen wenigen Ländern kontrolliertes System wirklich die Grundlage bilden für die Renaissance Afrikas?”
Yash Tandons Studie ist deshalb von Bedeutung, weil sie in überzeugender Weise NEPAD als eine Strategie zu interpretieren vermag, bei der Ziele und Mittel im krassen Gegensatz zueinander stehen, wo sich unter der Verkündigung einer Renaissance Afrikas eine neue Ausplünderung des Kontinents und Zerstörung der wichtigsten Lebensgrundlagen seiner Völker sich vollziehen wird. Er entwickelt Ausgangspunkte für Wege des Volkes, Wege, die dort beginnen, wo festgestellt wird, dass Menschen Grundgüter brauchen, um frei und selbstbestimmt leben zu können. Wasser, Nahrung, Wohnung, Bildung und Verkehr dürften nicht den Launen des Profits unterworfen werden, da dies zur “Zerrüttung der Menschenrechte des Volkes” führe. Genau an diesem Punkt berührt sich Yash Tandons Kritik neoliberaler Strategien für Afrika mit der Kritik an kapitalistischer Globalisierung überhaupt und an ihren Ausprägungen in den Ländern der Metropolen.
Berlin, im März 2003
Michael Brie