Text der Woche 6/2005Es scheint so, als habe die Bundesregierung dieser Tage Managern deutscher Spitzenkonzerne ein neues Pflichtfach verordnet: Wirtschaftsethik. Da greift der SPD-Generalsekretär Müntefering den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank AG, Josef Ackermann, scharf an, da dieser soeben eine Gewinnsteigerung von 2,5 Mrd. Euro verkündet und gleichzeitig den Abbau von 6400 Arbeitsplätzen, davon 2000 im Inlandsgeschäft, verkündet hat. Die hessische SPD-Chefin Ypsilanti ruft gar zum Boykott des größten deutschen Finanzkonzerns auf und empfiehlt den erbosten Bundesbürgern den Gang zur Sparkasse. Rührend, vielleicht sollte sich Frau Ypsilanti einmal erkundigen, wie viele Bundesbürger aus dem Massengeschäft mangels Ersparnissen überhaupt noch eine andere Wahl haben. Grünen-Chef Bütikofer schreibt dem kühlen Eidgenossen Ackermann ins Stammbuch, dass es in Deutschland auch so etwas wie staatsbürgerliche Pflichten gäbe. Man möchte gar im kruden marxistischen Dialekt antworten, Kapital kenne eben kein „Vaterland“ oder mit dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, die Deutschen seien halt „Heulsusen“.
Macht sich da etwa Verwunderung und Hilflosigkeit breit, dass der von den Chefideologen der dominanten Wirtschaftstheorie und Ihren Nachhilfeschülern in der rot-grünen Bundesregierung propagierte Glaubenssatz ins Wanken gerät, dass sprudelnde Unternehmensgewinne automatisch zu mehr Beschäftigung führen? Vielleicht sollte die Bundesregierung ja doch eher dem Procedere an den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten folgen und vor dem Besuch des wirtschaftsethischen Seminars einen Grundkurs der volks- und betriebswirtschaftlichen Theorie belegen. Dort könnte sie dann erfahren, dass Gewinnmaximierung zumindest ein bedeutendes Ziel eines privatwirtschaftlichen Unternehmens ist und Löhne bzw. Arbeitseinsatz zu den variablen Größen gehören. Und dies um so mehr, wie die Erosion der Tarifverträge (welche den Wettbewerb auf Qualität und Wirtschaftlichkeit von Produkten statt auf Dumpinglöhne lenken), des Kündigungsschutz (der die langfristige Qualifizierungsbereitschaft von Beschäftigten sichert und konjunkturelle Einbrüche mildern kann, wenn die Arbeitslosenversicherung schwach ausgebildet ist), Kostensenkungsdruck (der bei stagnierenden Märkten an Bedeutung gewinnt) , Unternehmenskonzentration, Liberalisierung der Finanzbeziehungen und mangelnde effektive Nachfrage sich durch die Regierungspolitik wechselseitig verstärken.
Herr Ackermann unterliegt also nicht einer staatsbürgerlichen Pflicht, sondern einer unternehmerischen Verpflichtung, mit dem geringsten Aufwand den höchstmöglichen Ertrag zu erwirtschaften. Wenn dies auch mit weniger Beschäftigten möglich ist, so ist es mit Verlaub seine verdammte Pflicht. Es mag zwar durchaus Ermessensspielräume geben, wann die Freisetzung des „Humankapitals“ aufgrund der erworbenen Qualifikationen der Beschäftigten wirklich sinnvoll ist, dies zu bewerten ist jedoch nicht Aufgabe der Bundesregierung. Da helfen auch alle lobbyistischen Bestrebungen um den Verkauf des Produkts „Neue Soziale Marktwirtschaft“ nichts. Eine Marktwirtschaft ist immer nur so sozial wie ihre Architekten und die gleichnamige Initiative der Arbeitgeberverbände mit willfähriger Unterstützung diverser Bundespolitiker trommelt ja mit hohen propagandistischem Aufwand seit geraumer Zeit für ein Abrissunternehmen.
Wie verhält es sich aber mit dem Vorwurf des den Arbeitgeberverbänden nahestehenden Steuerrechtlers Joachim Lang, der Ackermanns Äußerungen, dass der Stellenabbau der hohen deutschen Unternehmensbesteuerung geschuldet sei, als „saudumm“ bezeichnete. Recht hat er, die effektive Unternehmensbesteuerung liegt in Deutschland nämlich nicht nur seit jeher im Mittelfeld des OECD-Rankings, sondern die Steuerlast für Konzerne wie die Deutsche Bank AG ist dank der jüngeren „Reformen“ der rot-grünen Bundesregierung noch einmal dramatisch gesunken. Herr Langs Besorgnis, dass die Bundesbürger weiterer Geschenke an deutsche Spitzenkonzerne überdrüssig werden könnten, ist daher nur verständlich. So schließt sich der Kreis: Es scheint so, als seien die schrillen Töne aus der Politik nicht nur den bevorstehenden Landtagswahlkämpfen als vielmehr auch einer gewissen Scham geschuldet, dass die Ackermänner dieses Landes, mit milden Gaben der Regierung überhäuft, nach Victory-Zeichen im Mannesmann-Prozess und satter Gewinnsteigerung einfach nicht so funktionieren wollen, wie es in der Agenda 2010 vorgesehen war.
Man fühlt sich an einen alten Klassiker erinnert, die Kritik an der deutschen Ideologie bei Karl Marx. Da belächelte dieser die aufgeregten Reaktionen der Massen und ihrer Repräsentanten, die sich gegen die Einführung des Webstuhls auflehnten (öffentliche Verbrennung des Ungetüms eingeschlossen), da durch die neue Technologie Arbeitsplätze verloren gingen. So etwas nennt sich technischer Fortschritt. Der regt bekanntermaßen das Wachstum des Sozialprodukts an und kann, wenn nicht in Arbeitszeitverkürzungen umgesetzt, die Beschäftigung in andere Sektoren lenken. Für eine solche Beschäftigungswanderung bedarf es aber einer brummenden Konjunktur und neuer Wachstumskeime oder ,wie bereits bei John Maynard Keynes diskutiert, einer Ausweitung des öffentlichen Wirkungsbereiches (sprich: staatlicher Investitionen in öffentliche Dienstleistungen und sozial-ökologische Infrastruktur). Dies ist in einem solchen ökonomischen Umfeld auch ohne weiteres möglich, da die Quelle der Steuereinnahmen bei immer neuen Gewinnmeldungen sprudelt. Die Konjunktur ließe sich aber bereits durch eine andere Geld- und Haushaltspolitik stimulieren, die in einem deflationären Umfeld nicht noch restriktive Signale setzt. Wir befinden uns in Deutschland in einer Situation, in der jener Eifer, mit dem die Vorgaben der wettbewerbsbeherrschenden Unternehmen nach Reduzierung der Arbeitkosten zu Lasten einer Stimulierung der Nachfrage erfüllt werden, die die Gewinne des Unternehmenssektors selbst in Gefahr bringt(bis auf wenige Leuchttürme). Trotz Gewinnmeldung der Deutschen Bank AG bleibt die hiesige Wachstumsperformance aufgrund lahmender Binnennachfrage daher unter ihrem Potential. Die Fähigkeit einer Regierung, die Konjunktur zu beeinflussen steht und fällt mit den Steuereinnahmen sowie mit einer sozialen Sicherung, die durch Beschäftigungsverlust verursachte Nachfrageschocks überdauern hilft. Die verfügbare Substanz ist begrenzt, da die Steuerlast immer mehr auf den Schultern der Arbeitnehmer und der erodierenden „Mittelklasse“ lastet, während gleichzeitig eifrig Geschenke an Großkonzerne verteilt werden.
Nun mag der Einwand erhoben werden, dass Lohnabschlüsse, also Tarifpolitik, nicht unter dem Einfluss der Bundesregierung steht. Dies ist nur bedingt richtig. Erstens zählt ja bekanntlich, was hinten rauskommt, und dies wird eben steuerpolitisch entschieden oder über die Verteilung der Abgabenlasten (Stichwort Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme). Zweitens gibt es neben Mindestlohn und Arbeitszeitgesetz eine Menge Stellschrauben, an denen die Regierung drehen kann. Und drittens belegen die hohen Lohnzuwächse im United Kingdom, dass eine expansive Konjunkturpolitik für die Lohnquote viel wichtiger ist als die strukturelle Stärke der jeweiligen Gewerkschaften.
Es wäre nur verständlich, wenn sich Herr Ackermann darüber ärgert, dass er nun zum Bauernopfer für eine Politik gemacht wird, in der er es sich nett eingerichtet hat. Vielleicht sollte er ja auf der nächsten Bilanzpressekonferenz Marx zitieren, der davon sprach, dass auch der Unternehmer der „Peitsche der Konkurrenz“ ausgesetzt ist. Herr Müntefering, Herr Bütikofer, willkommen in der Marktwirtschaft.
Fabio De Masi ist Diplom-Volkswirt (Bachelor of Honours) der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik und war Stipendiat der Rosa Luxemburg Stiftung