Publication Geschichte - Deutsche / Europäische Geschichte - Demokratischer Sozialismus - 30 Jahre 89/90 Fertige Lösungen - das wäre wieder der Anfang von alten Strukturen

Rede von Dieter Klein auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED-PDS im Dezember 1989

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Dieter Klein,

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December 1989

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Rede von Dieter Klein auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED-PDS im Dezember 1989

Über die Neuformierung einer modernen sozialistischen Partei und ihren Beitrag für eine neue sozialistische Gesellschaft

Liebe Genossinnen und Genossen!

ich trage ein von einer Gruppe von Delegierten und Wissenschaftlern ausgearbeitetes Referat vor. Es zielt nicht darauf, im Ergebnis des Parteitages etwa die Umrisse eines Parteiprogramms beschließen zu können. Uns liegen ja zwei Diskussionsangebote zum Parteiprogramm vor, keineswegs Abgerundetes, viele konstruktive, kritische Zuschriften schon jetzt, und wir werden sicherlich die Diskussion darüber bis zum nächsten ordentlichen Parteitag zu führen haben, um dann über ein Programm beschließen zu können.

Da eine ganze Reihe von Fragen gestellt wurde, denke ich mir, hätt's vielleicht einen Sinn, auf solche Fragen einfach zu antworten.

Als eine erste Frage: Warum brauchen wir denn jetzt in unserer Situation die Diskussion um ein Parteiprogramm? Vielleicht ein intellektuelles Anliegen nur? Die Sorgen des Alltags sind ja groß, so daß vielen der Sinn ganz und gar nicht nach Programmatik und langfristigen Konzeptionen steht. Und doch, gerade in dieser Lage müssen ja täglich schon Entscheidungen getroffen werden in Verhandlungen allerorten im Lande und mit ausländischen Partnern. Da werden ja zwangsläufig Weichen in die Zukunft gestellt.

Trotz des Wissens um notwendige Sorgfalt und um notwendige Einbeziehung möglichst vieler Kräfte in Entscheidungen muß ja oft schnell gehandelt werden. Aber mit welchen Zielen denn vor Augen? Welche künftige Gesellschaft soll es denn sein, die in unserer gegenwärtigen Arbeit entweder angelegt oder, wenn unsere Zukunftsvorstellungen fehlen, schon heute verschüttet wird? Die bisherige, stark stalinistisch geprägte, bürokratische und in einer Reihe von Fällen sogar kriminelle Praxis in der DDR hat eine der ältesten und größten Ideen menschlicher Zivilisationsgeschichte mit in den Schmutz gerissen.

Die weit verbreitete Ablehnung neuer sozialistischer Experimente, Modelle, ist unter diesen Bedingungen erklärlich. Und doch kann das wohl kein Grund für uns sein, auf unsere sozialistischen Zielsetzungen zu verzichten oder sie gar aus taktischem Anlaß zu verheimlichen.

Nicht vor allem das möchte ich betonen, weil wir jetzt unsere Partei profilieren wollen, sondern um, wie andere, darüber nachzudenken, welcher Weg und welches Ziel für unser Land am lebenswertesten sein könnte. Hätten wir nicht trotzdem, sind wir gefragt worden, lieber statt des Diskussionsvorschlags für ein Programm einer neuen sozialistischen Partei der DDR gar eine knappe, verständliche, konkrete Wahlplattform mit konkreten Aussagen über Umweltpolitik, Volksbildung, Gesundheitswesen, Versorgung usw. jetzt vorlegen sollen. Aber Programm und Wahlplattform, die sicherlich auf einem Wahlkongreß zu Jahresanfang zu beschließen und zu debattieren sein werden ? das sind zwei verschiedene Dinge.

Die notwendigen konkreten Aussagen, die wir natürlich treffen müssen - und Gregor Gysi wird ja über nächste Aufgaben auch noch reden; und er weiß das, was wir noch machen müssen - , also diese notwendigen Aussagen müssen ja doch eine Klammer haben, die müssen in eine Gesamtkontur hinein, und um die geht es in einem Programm.

Und deshalb ist die Diskussion darüber als Verständigung über die Richtung der einzelnen Schritte in der weiteren Arbeit wichtig, weil uns doch alle Grundfragen bewegen, was unsere Traditionen sind, aus denen wir schöpfen, und wie stehen wir zu Marx und Lenin? Und sind wir noch eine Partei der Arbeiterklasse? Und was wollen wir aus den vierzig Jahren bewahren? Und was ist denn nun eigentlich dieser demokratische Sozialismus oder der dritte Weg?

Unsere Programmatik kann natürlich nicht im luftleeren Raum entstehen. Sie muß vor allem in Rechnung stellen, was die Menschen in unserem Lande wollen. Die Oktoberrevolution der Volksbewegung hat radikal deutlich gemacht: Die Bürger dieses Landes wollen Freiheit für ihre eigenen Lebensentscheidungen. Deshalb haben sie das Machtmonopol der SED gebrochen. Revolutionen brechen ja stets die Macht der Herrschenden, und darüber sind die Herrschenden dann erbittert und böse.

In unserem Fall - das ist wohl die Dialektik an unserer Revolution - hat das in der Partei, die bisher geherrscht hat, die meisten, die sich an der Seite des Volkes sehen, befreit. Das ist eine andere Haltung, die jene, die Macht nicht mehr als Monopol haben, veranlaßt, identisch zu sein mit denen, die uns dahin gebracht haben. Viele unter denen, die nicht auf die Straße gehen, möchten endlich auf die Sonnenseite des Lebens geraten, so schlicht und einfach ist das. Sehr viele sind verunsichert und voll Sorge, und sie wollen wissen, wie die Zukunft denn überhaupt aussehen kann und welche Auswege aus der Krise möglich sind, und also muß eine neue Partei des demokratischen Sozialismus, eine sozialistische Partei, die auf diesem Parteitag ihren Geburtsprozeß beginnt, im Wissen um diese Erwartungen ihre eigenen Programmvorstellungen erarbeiten und sich damit anderen politischen Kräften und der Öffentlichkeit stellen.

Eine zweite Frage: Warum konnten wir denn nicht schneller sozusagen etwas halbwegs Fertiges, was man nach Hause nehmen kann - schwarz auf weiß ist immer gut - , möglichst schnell auf den Tisch bringen? Weil es ein wahres und auch höchst verdächtiges Wunder wäre, wenn wir nach diesem Bruch und mitten in diesem Bruch, den wir jetzt vollziehen, nun alle urplötzlich eine einheitliche Meinung darüber hätten, wie der Sozialismus auszusehen hat den wir wollen und wenn wir schon absolut endgültig bestimmen könnten, wie unsere Partei ab sofort auszusehen hat.

Ein so tiefer Bruch wie der für uns notwendige ist ein längerer Prozeß, über die Schwierigkeit, zu solchem Wissen zu kommen, darf man sich nichts vormachen, zumal wir unseren Weg aus einer tiefen und gefährlichen Krise heraus in Angriff nehmen müssen. Und ohnehin, der wird ja nur gemeinsam gefunden werden mit allen anderen Kräften im Lande, die sich um dieses Land sorgen, und wir werden nur eine davon sein. Aber mit unserem Programm werden wir mitentscheiden, welche unter diesen. Wenn wir es also mit der innerparteilichen und der Demokratie überhaupt ernst meinen, können wir jetzt nicht mit fertigen Positionen aufwarten, aber wir sollten uns dessen schon bewußt sein, daß solche Erwartungen in vielen von uns immer noch stecken. Viele Mitglieder wollen jetzt, daß wir nach Hause kommen, und dann sollen wir sagen: So muß das sein. Und ich denke, unser Parteitag morgen wird dann schon eine Grundorientierung abgezeichnet haben, manches haben wir ja schon gezeichnet. Aber fertige Lösungen? das wäre schon wieder der Anfang von den alten Strukturen.

Drittens. Wie halten wir es mit unseren Traditionen? Manche, die mit uns gesprochen haben, sind über die Breite der Traditionen gestolpert, von denen in dem einen Diskussionsangebot die Rede war, von den demokratisch-kommunistischen, den sozial-demokratischen, sozialistischen, antifaschistischen und pazifistischen. Und manche haben auch gefragt: Was haben wir denn mit Bernstein und Kautsky gemein? Aber: War nicht die Einengung auf wenige Traditionen, auf eine womöglich, die gerade unter Stalin vollzogen wurde, Teil der Formierung einer ideologischen Konzeption, die Marxismus-Leninismus genannt wurde und mit diesem Namen den administrativen Sozialismus sowie das Machtmonopol mehr oder weniger rechtfertigte? Lenin veranlagte noch die Errichtung eines Denkmals 1918 in Rußland, auf dem neben dem Namen von Marx der des ärgsten Widersachers in der 1. Internationale, Bakunin, Platz war und der des Anarchisten Kropotkin.

Ich bin jetzt nicht für den Anarchismus, damit ihr mich nicht mißversteht, aber das war so ein Wink, wie Lenin mit verschiedenen Strömungen umging. Und war nicht in der DDR über Jahrzehnte die prophetische Schrift von Rosa Luxemburg zur russischen Revolution doch sehr verschwiegen? Was auch das folgende Zitat erklärt: "Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben, in der die Bürokratie allein das tätige Element bleibt. Das öffentliche Leben schläft allmählich ein, einige Dutzend Parteiführer von unerschöpflicher Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und regieren ..., und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit zu Versammlungen aufgeboten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen ... "(1)

Wir haben das lange Zeit nicht so gelesen, und wir müssen aufhören, es gäbe die eine, die wahre, die stets absolute Linie der einen, der wahren Partei, die alles weiß. Gerade deshalb stehen wir doch in den Traditionen Lenins, weil der uns immer wieder neu bewußt werden läßt: Sozialistische Politik der letzten 150 Jahre war der Versuch vieler Bewegungen, den Kapitalismus zu attackieren und eine freie solidarische Gesellschaft zu schaffen. Und jede der linken Parteien hat dabei das ihre eingebracht und jede hat auch oft versagt.

Wir sehen uns in den Traditionen der Kommunisten gegen Ausbeutung, Kolonialismus, Krieg und Faschismus. Aber wir vergessen auch nicht linksradikales Sektierertum, das der Bildung einer antifaschistischen Einheitsfront Abbruch tat. Wir vergessen nicht den Kampf aufrechter Sozialdemokraten gegen den Faschismus, nicht auch ihren Widerstand gegen Stalinismus, und wir sehen die Erfolge ihrer Reformpolitik auch für mehr Demokratie in der Gegenwart. Aber natürlich war da auch der Verrat der rechten Sozialdemokratie 1914 und 1918/19. Und unser Respekt gilt dem Einsatz von Pazifisten gegen den Krieg als Mittel der Politik, aber nicht der Illusion, den Frieden durch Appelle an die Vernunft der Herrschenden allein zu erhalten.

Wir wollen weder die reformistische Anpassung im Kapitalismus noch das einfache Zerschlagen von modernen Wirtschaftssystemen und parlamentarischer Demokratie und Öffentlichkeit. Wir kämpfen um einen Weg, der uns über den Kapitalismus hinaus - und nicht in den administrativen Sozialismus zurückführt. Und dazu brauchen wir alle Traditionen, die demokratisch sind, die sich auf ihre Weise mit dieser Alternative herumgeschlagen haben. Das ist unser Bewertungsmaßstab.

Viertens. Es gibt viele Fragen danach, was uns von der Sozialdemokratie und anderen Konzepten denn nun unterscheidet.

Sollte nicht die erste Frage sein, ob die von uns zu bedenkenden Konzepte hier und heute richtig sind? Ist Profilierung gegen andere die Hauptsorge? Ich möchte deutlich machen, daß es den Autoren dieses einen Diskussionspapiers eben nicht darum ging, sich von anderen Kräften abzugrenzen.

Im Angesicht der Krise in unserem Land kommt es nach meiner Ansicht darauf an, herauszufinden, was für das Land notwendig scheint, und genau das zum Programm der Partei zu machen, so gut wie wir es verstehen. Diejenigen, die mit ihrer Arbeit die materiellen Werte produzieren, sind die Arbeiter. Ihrem Interesse ist die Partei besonders verpflichtet. Das möchte ich hier stärker herausarbeiten, als das in dem ersten Diskussionspapier der Fall war.

Es kann aber nicht Aufgabe an sich sein, originär gegen andere zu sein oder zu scheinen. Wir haben allen Anlaß, alles Realistische und Konstruktive anderer Kräfte und unserer eigenen Geschichte in unsere heutige Konzeption dialektisch aufzunehmen, wie das für Marx selbstverständlich war, wenn ihr einmal nachlest.

Wir haben viel von anderen zu lernen. Aufgabe unserer programmatischen Diskussion muß es jedoch sein, dies mit unseren Traditionen, mit unseren Werten, den konkreten Interessen der Arbeiter, der Bauern, der anderen Werktätigen und den spezifischen Bedingungen unseres Landes zu verbinden. Unsere Identität kann nur darin bestehen ? das möchte ich jetzt betonen -, daß wir in unseren Programmen, in unserer Politik uns mühen, die Lebensinteressen der Werktätigen in ihrer vielfältigen Ganzheit zu erfassen und zu vertreten, nicht darin, daß wir ökologische Ziele den Grünen, demokratische Aufgaben den Sozialdemokraten, soziale Werte den Gewerkschaften, feministische Interessen den Frauengruppen usw. zuschreiben.

Es geht dabei nicht um eine Vereinnahmung der anderen Kräfte, sondern es geht um die Notwendigkeit einer ganzheitlichen progressiven Gesellschaftskonzeption, ohne die wirksame Antworten auf einzelne aktuelle Herausforderungen unmöglich sind. Und im übrigen wird es auch unser Interesse sein müssen, daß unsere Programme, Vorschläge und Argumente von anderen unvoreingenommen geprüft und dort, wo das gemeinsamen Interessen des Landes entspricht, unterstützt werden. Wer das ablehnt und wer unsere Partei aus einem Bündnis aller Kräfte für die Stabilisierung dieses Landes ausgrenzt und sich dabei selbst profilieren will, der hat kaum verstanden, wie groß die Verantwortung ist, die auf allen lastet.

Also, ich hebe hervor: Wir sollten uns mit einer ganzheitlichen Politik profilieren. Das scheint mir die eine Seite der Antwort auf die Frage nach dem Profil zu sein. Aber die Antwort hat auch eine andere Seite. Denn wir müssen uns zugleich mit aller Entschlossenheit, mit Solidarität, mit Traditionsbewußtsein doch abgrenzen gegen rechte Kräfte, gegen Nationalismus, gegen Ausländerhaß, gegen Bewegungen für eine weitgehend und dominierend privatisierte Wirtschaft, dagegen, daß eine Volksbewegung, die mit "Gorbi, Gorbi!" Rufen begann, etwa von Strömungen überrannt werden könnte, durch die sie bei dem unseligen Ruf "Deutschland erwache!" landen könnte.

Zu einer fünften Frage: Wir haben viele Briefe und Anrufe erhalten, wie wir es denn mit dem Marxismus-Leninismus halten in unserer Partei. Eigentlich verteidigen wir damit - das klingt jetzt bestimmt für viele sehr merkwürdig, daß wir den Begriff Marxismus-Leninismus nicht so strapazierten - Marx und Lenin gegen jene, die ihren Namen für sich und ihr Machtsystem missbrauchten.

Die Marxsche Theorie, obwohl als dialektisch?materialistische und historische Denkweise glänzend für vorurteilslose Analysen und entwicklungsoffene Wissenschaft geeignet, wurde gerade deshalb - trotz vieler Erkenntnisfortschritte auf ihrer Grundlage auch während der vergangenen Jahrzehnte - weitgehend durch eine Bestätigungspropaganda für eine Sackgassenpolitik ersetzt. Nun ist unendlich viel zu tun, damit diese Marxsche Theorie, verbunden mit der Offenheit unserer Partei für die Erkenntnisse anderer neuer Theorieansätze, unserer Partei zu gesellschaftswissenschaftlichem Vorlauf verhelfen kann. Das und nichts anderes wollen wir. Das sollte die Position unserer Partei für den Umgang mit Marx, Engels, Lenin und anderen Theoretikern sein.

Wir dürfen hier nicht vergessen, daß die Formel "Diktatur des Proletariats", die ursprünglich eine Losung der Pariser Arbeiter von 48 war, benutzt wurde, um ein Machtmonopol weniger zu legitimieren, das zu einem Kernstück des Marxismus-Leninismus stilisiert wurde. Viele Erkenntnisse von Marx, Engels und Lenin zu Fragen der Demokratie dagegen wurden vergessen, und schon Marx selbst sagte zu jenen, die ihn ideologisch für sich mißbrauchten: Wenn das Marxisten sind, dann bin ich keiner! Aber: Ich möchte darüber hinaus sagen, unsere Partei muß überhaupt aufhören, wissenschaftliche Theorien so in politisch-ideologische Ismen zu verwandeln.

Wissenschaftliche Erkenntnisse unterliegen der innerwissenschaftlichen Diskussion und der Bewährung in der Praxis und der Politik, und Politik muß vorurteilsfrei und ausgehend von den realen Interessen der Menschen diese Erkenntnisse nutzen. Aber sie kann nicht über deren Wahrheitsgehalt sozusagen in der Obrigkeit befinden. Und sie braucht alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, sie braucht den öffentlichen Streit der Wissenschaft.

Ewige Wahrheiten in Form eines fertigen Systems des Marxismus-Leninismus, die gibt es nicht, aber es gibt ein Weiterdenken mit der Denkstruktur von Marx, Engels und Lenin über ihre Zeit hinaus, und das ist unser Denken.

Sechstens: Viele haben sich auch mit der besorgten Frage an uns gewandt. Warum sagt ihr denn nicht klar, daß wir eine Arbeiterpartei sind und bleiben wollen? - Arbeiterparteien entstanden zu einer Zeit, wo sich das ganze Elend, die ganze Not und vieles andere Schlimme, aber auch der Veränderungswillen in einer Klasse, der Arbeiterklasse, gegen eine andere, die Kapitalisten, konzentrierte. Und deshalb mußte eine revolutionäre Partei eine Arbeiterpartei und überhaupt nichts anderes sein.

Aber heute sind die Dinge etwas problematischer, die Sozialstrukturen sind differenzierter, und ich möchte das einmal ein bißchen provokatorisch zuspitzen. Konzentrieren sich heute nicht sehr viele gesellschaftliche Nöte bei den Frauen, auch in unserem Lande? Ich denke dabei an die oftmals niedrigeren Löhne, schlechtere Arbeitsbedingungen, den Handel, wo "Jagen und Sammeln" bis abends auf der Tagesordnung stehen, die vielen Probleme in der Familie und anderes mehr. Und selbst die Probleme der Umwelt und des Gesundheitswesens merken die Frauen oft an den kranken Kindern am meisten.

Und dies soll uns natürlich nicht dazu bringen, eine Partei zu werden, die auf die historische Mission der Frauen setzt. Wir müssen die Interessen, die Nöte, die Hoffnungen aller Hauptgruppen unserer Gesellschaft, ganz ernst nehmen, und da allerdings stehen dann die Menschen in den Betrieben, die Arbeiter in der Produktion ganz vornan.

Aber wir müssen um ihre Interessen solcher Weise kämpfen, daß dabei die Bauern und die Intelligenz mit berücksichtigt werden, und mehr noch: Viele Interessen, so die an bewohnbaren Städten, an einer gesunden Umwelt, das sind nun einmal heute nicht schlicht Arbeiterinteressen, sondern indem sie dies sind, sind sie die Interessen aller Menschen.

Und deshalb sollten wir uns als eine Partei profilieren, die machbare Wege für uns alle gemeinsam aufweist, von den demokratischen Kräften niemanden ausgrenzt, keine soziale große Gruppe zurückläßt, keinen wesentlichen gesellschaftlichen Bereich vergißt und dabei den Arbeitern besonders verpflichtet ist.

Eine siebente Frage: Wie halten wir es mit dem in der Republik Errungenen? - Die vierzig Jahre DDR-Geschichte betrachtend, gibt es nach meiner Ansicht zwar Grund, das bisherige Gesellschaftsmodell, jedoch keinen Grund, die Arbeit der Nachkriegsgenerationen für gescheitert zu erklären.

Die Menschen der DDR haben unter außerordentlich schwierigen Bedingungen dieses Land aufgebaut. Wir hatten keinen Marshallplan. Wir konnten uns auch infolge des kalten Krieges nicht in eine starke Weltwirtschaft integrieren und mußten statt dessen trotz engster Spielräume riesige Ressourcen für ein destruktives Wettrüsten aufwenden.

Wir haben in unvergleichlich höherem Maße als die Bundesrepublik die Reparationen für den verbrecherischen Krieg des deutschen Imperialismus gezahlt. Sie betrugen für die BRD in Preisen von 1953 2,2 Milliarden DM, für die DDR 99,2 Milliarden DM. Andere rechnen damit, daß die Bundesrepublik uns nur eigentlich 21 Milliarden DM schulden sollte. Der Ende der sechziger Jahre erreichte relativ hohe Standard wirtschaftlicher Entwicklung, das auch danach weiter ausgebaute Maß an sozialer Existenzsicherung, die erkämpften Werte einer friedlichen und solidarischen Gesellschaft sollte wohl niemand übersehen, aber die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte hat vieles davon überdeckt und zerstört und gründlich diskreditiert.

Es fällt schwer, unter diesen Bedingungen jene Errungenschaften unseres Landes zu benennen, die wir bewahren, die wir frei weiterentwickeln müssen.

Heute will das im Moment, in der Stimmung, niemand so recht hören und doch, dazu gehört der Gedanke und das Gefühl des Internationalismus und der Solidarität in unserer Gesellschaft, natürlich zutiefst diskreditiert durch die unentschuldbare Verwendung zum Beispiel von Solidaritätsgeldern für das Pfingsttreffen, und doch so wichtig für die Menschen und Völker, die in Not sind. Dazu gehört die Verbundenheit der Bevölkerungsmehrheit mit friedensorientierter Politik, die politische Kultur der gewaltfreien und souveränen Volksbewegungen vom Oktober, die hoffentlich so bleibt. Dazu gehört alles, was an Solidarität, Kultur und Wärme in zwischenmenschlichen Beziehungen existiert, sicherlich vieles davon auch im Zusammenschluß gegen die Widrigkeiten eine Bürokratengesellschaft entstanden, aber bewahrenswert in anderer Weise heute für eine demokratische und menschliche Gesellschaft.

Dazu gehört die erreichte soziale Sicherheit und Gerechtigkeit, befreit von allem Parasitären, wobei wir wissen; daß die soziale Herausforderung gerade in den nächsten Monaten und Jahren außerordentlich groß sein wird. Dazu gehört, daß es keine Hungernden und Obdachlosen gibt, ein international vergleichsfähiges System von Kinderkrippen und Kindergärten, kostenlose Bildung, Gesundheitsbetreuung, Möglichkeiten für den Zugang zu Kultur und Kunst, vergleichsweise niedriger Stand der Kriminalität, um dessen niedrigen Stand wir uns jetzt sehr bemühen müssen, das System der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, dessen wirtschaftliche Effektivität durch die Beseitigung der zentralistischen Administration zu erhöhen ist und das demokratische Potenzen in sich birgt, aber sich bewährt hat usw. ...

Ich habe nun bisher ordentlich versucht, Ausgangspunkte für ein programmatisches Nach? und Vordenken deutlich zu machen, aber ein ganz entscheidender Ausgangspunkt für die Zielsetzungen unserer Partei ist die nächste Frage.

Achtens: Was ergibt sich aus der globalen Situation der Menschheit für den programmatischen Standpunkt der Partei? Wir müssen begreifen: In diesem kleinen Land kann man nicht eine Strategie isoliert für sich machen. Wir können, so nahe das in unserer Lage liegt, keine Kleines-Land?Strategie fabrizieren. Gerade die Abkoppelung von vielschichtigen Weltprozessen hat mit in die Krise hineingeführt, und das Herauskommen aus dieser Krise wird unweigerlich in den Prozeß des Hineinkommens in ein kooperatives, entmilitarisiertes, demokratisches Europa eingebunden sein. Innerhalb dieses Prozesses - nicht abgekoppelt von ihm und nicht vorgezogen vor ihn - werden die beiden deutschen Staaten in der reichen Ausgestaltung einer Vertragsgemeinschaft aufeinander zuzugehen haben.

Aber es gibt noch größere Dimensionen als die Europas. Die globalen Menschheitsprobleme haben sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verschärft, und globale Probleme existieren ja nicht an sich, sie existieren, indem wir hier bei uns mit der Umwelt fertig werden oder nicht, indem wir hier uns in die Lage versetzen, indem wir auch andere dazu bringen, abzurüsten oder nicht und mit den Menschen so oder anders umzugehen. Wir existieren ja nicht an sich. Es geht heute um eine neue Entwicklungslogik der Menschheit. Es geht darum, daß wir unsere Politik danach formulieren, so hochtrabend das vielleicht in unserer gegenwärtigen Situation klingt.

Worum geht es? Es geht um einen Weg von der blinden Jagd nach dem technisch Machbaren an sich in der Welt hin zu einer sozial und ökologisch orientierten Entwicklung. Sicherlich müssen wir auch in materieller Hinsicht ein stabiles und vor allem qualitativ hohes Niveau der Bedürfnisbefriedigung erreichen, aber eine, sagen wir, unbedachte Ausrede von Konsumtionsbedürfnissen und der Entwicklung sowie Befriedigung von Bedürfnissen, die nicht den eigentlichen notwendigen menschlichen Reichtum ausmachen, hinter dem man hinterher jagt um hinterher auch nicht so viel zu machen, die sind tödlich für die menschliche wie für die übrige Natur auf unserem Planeten, und das bereits in wenigen Jahrzehnten.

Ebenso können wir nicht Überkonsumtion der einen und soziale Abseitsstellung der anderen, Arbeit für die einen und Arbeitslosigkeit für die anderen oder das Andauern der benachteiligten Stellung der Frau akzeptieren, also nicht das technologisch Machbare an sich - sozial und ökologisch wollen wir die Entwicklung beherrschen, und das gilt für die ganze Welt.

Und weiter: Weg von einem Wachstum zu Lasten anderer Klassen, Schichten und Völker! Wir wollen nicht so leben, daß im Jahr 40 Millionen in den Entwicklungsländern auch für uns verhungern.

Es geht um ein Hin zur gemeinsamen Entwicklung und zu solidarisch orientiertem Wachstum. Der ungerechte Charakter gegenwärtiger Entwicklungen im Inneren von Staaten und in den internationalen Beziehungen und das unbeschreibbare Elend von Hunderten Millionen Menschen in Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas sind Bedrohungen für die ganze Menschheit und müssen von ihr als Ganzes überwunden werden.

Und weiter: Weg von den zu späten Reparaturen blindlings angerichteter Schäden in der Psyche der betroffenen Menschen, im sozialen Leben der Gesellschaft, in der Natur, hin zu vorausschauend und also auch planend beherrschter Entwicklung, gestützt auf die demokratische Teilhabe und den vielfältigen Erfahrungsreichtum aller Interessengruppen bei gesamtgesellschaftlichen Entscheidungen.

Und weg von einem zwischen den Systemen konfrontativ verlaufenden Prozeß, hin zu einer kooperativen Entwicklung in Frieden, denn noch stehen ja qualitative Hochrüstung und Abschreckungskonzeptionen und COCOM-Listen einer Freisetzung der Mittel für dringliche zivile Zwecke und für unbelastete Coevolution entgegen. Und ohnehin besteht die größte brachliegende Reserve international in dem Miteinander der Völker.

An dieser Entwicklungslogik, diesem Weg und diesem Hin, kommt keines der Gesellschaftssysteme vorbei. Da ist bei Strafe des Untergangs keine Zeit zu verlieren. In den kapitalistischen Industriestaaten treten dabei bereits breite alternative Bewegungen für die Abkehr von der Dominanz des Profits in der Regulierung der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung ein. Ihren Zielen sind wir verbunden, fühlen uns als ein Teil europäischer Linker.

Ein tiefgreifender evolutionärer Wandel, der marktorientierte Rentabilität mit neuen sozialen und ökologischen Ansprüchen verbindet, ist dort in diesen Ländern unabdingbar, und der muß da gegen Militär-Industrie-Komplex, gegen transnationale Unternehmen, gegen die Träger des Neokolonialismus erkämpft werden, kann aber auch an Überlebens- und Geschäftsinteressen von Unternehmern anknüpfen.

Es geht nicht so, wie wir früher dachten, darum, daß immer mehr Länder vom Kapitalismus vermittels einer explosiven Revolution in das Lager des Sozialismus hinüber zu wechseln haben, weil das der objektive Geschichtsablauf so vorsieht, sondern bei Strafe des Untergangs muß in den Ländern des Kapitals ein tiefgreifender Reformprozeß die neue Entwicklungslogik der Menschheit durchsetzen, ein Reformprozeß, der so fundamental den Profit als Maß aller Dinge zurückdrängen wird, daß sich als Fortschrittsrichtung die neue Entwicklungslogik der Menschheit auch dort durchsetzen muß: demokratischer Sozialismus, ein anderer Weg als der, der vom Profit diktiert wird.

Und auf der anderen Seite ist der Weg des administrativ-zentralistischen Sozialismus gescheitert. Das wurde hier heute ausführlich behandelt. Und wir sind dabei, mit ihm zu brechen. Es geht also nicht um den einen, kapitalistisch bestimmten und nicht um den anderen Weg, mit dem wir gebrochen haben. Und deswegen haben wir einfach gesagt: Es geht um einen anderen, es geht um einen dritten Weg, der demokratischer Sozialismus heißt. Er ist die Fortschrittsrichtung für die Werktätigen, die den stark stalinistisch geprägten Sozialismus hinter sich lassen, und für die linken Kräfte in den kapitalistischen Ländern, in den Entwicklungsländern.

Das ist keine Konvergenz der bestehenden Systeme, sondern die Entwicklungsrichtung der ganzen Menschheit, die ihren Überlebenszwängen entspricht, und das ist eine ganz und gar revolutionäre Entwicklung.

Und neuntens: Worum nun geht es auf diesem Wege in unserem Land, unter unseren Bedingungen? Was, ist der dritte Weg bei uns? Da muß ich nun ein paar Anstriche setzen:

Erstens. Die Öffnung unserer Wirtschaft zur Weltwirtschaft, wodurch sie den Leistungskriterien des noch weitgehend durch transnationale Monopole bestimmten Weltmarktes ausgesetzt wird, ist ein Risiko und eine Chance zugleich. Wir brauchen diese Öffnung für unsere Gesellschaft, aber wir dürfen dabei nicht um sozialen und ökonomischen Hinterhof der von transnationalen Unternehmen beherrschten, reichen entwickelten kapitalistischen Industrieländer werden! Wir wollen ja einen anderen Weg.

Mit besonderer Sorge erfüllt uns die Tatsache, daß unsere Betriebe und Kombinate antreten, enge Beziehungen zu westlichen Unternehmen herzustellen, ohne daß wir funktionierende Gewerkschaften gegenwärtig und ohne daß wir Betriebsräte haben, ohne daß wir ein diesen Herausforderungen gewachsenes Sozialsystem der Arbeiter haben.

Da ist es an unserer Partei, daß wir im Interesse der Arbeiter und aller anderen Werktätigen alle Kräfte unserer Partei mobilisieren, um schnell diese notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Sonst besteht die reale Gefahr, daß wir hinter die von uns erreichten sozialen Maßstäbe wieder zurückfallen. Hier wird deutlich, der dritte Weg jenseits von administrativem Sozialismus und profitdominierter Wirtschaft ist keine weltfremde Theorie, sondern er ist der real jetzt zu führende Kampf der Werktätigen gegen die Macht der Monopole, für die sozialen Interessen der Werktätigen, für eine lebenswerte Zukunft, aber bei Nutzung der beiderseits vorteilhaften Kooperationsmöglichkeiten mit westlichen Unternehmen. Das muß auch unser Kampf sein. Hier haben wir Bündnispartner, hier setzen auch linke und demokratische Kräfte Europas Hoffnungen in uns.

Ja, wir wollen und müssen die Planung administrativer und bürokratischer Art abschaffen, aber wir wollen und dürfen nicht auf sozialistisch orientierte Gestaltung des wirtschaftlichen Lebens, der Arbeitsweit und auch des Konsumgütermarktes verzichten, wenn wir jetzt in diese Kooperation gehen. Und das ist ein Moment des anderen Weges.

Zweitens. Der andere, nicht von Monopolprofit und nicht vom Machtmonopol der Partei bestimmte Weg ist ein solcher, in dem die Wiederherstellung und Bewahrung des ökologischen Gleichgewichts, der solidarische Umgang mit der Natur auch im Interesse unserer Kinder und Kindeskinder ein erstrangiges Gewicht haben.

Sonst werden unsere Kinder und Enkel umgehen mit toten Gewässern, mit gestorbenen Wäldern, und sie werden viele Tiere und viele Pflanzen nur noch als Uraltfilm und aus den Erzählungen der Großmütter kennen.

Entsprechend zentral, und das ist neu für unser Land, muß die Aufmerksamkeit für die Umweltpolitik in unserer Programmatik und Gesamtpolitik sein. Das ist ein zentrales Problem für die Wirtschaftsreform, für die Wirtschaftspolitik, aber auch für das öffentliche Problembewußtsein.

Und da soll auch unsere Partei die Offenlegung der entscheidenden ökologischen Daten fordern. Das hat viele Dimensionen. Wir brauchen ein prinzipielles Überdenken unserer Energiepolitik. Produktions- und Konsumtionsweise müssen überaus energiesparend angelegt werden. Wir brauchen ein neues Sicherheitsdenken im Umgang mit den Hochtechnologien, so mit der Kernenergie, der Biotechnologie, brauchen ein geschärftes öffentliches Bewußtsein für Gefahren, aber wir brauchen nicht Panik. Sachkompetenz muß sich mit öffentlicher praktischer Meinungsbildung im Vorfeld von strategischen Entscheidungen verbinden. Nur so kann Akzeptanz für das erreicht werden, was dann als richtig erkannt wird. Und hier handelt es sich wiederum um ein entscheidendes Feld sozialistischer Demokratieentwicklung, um ein Feld, wo bisher nur von oben verordnet und vor allem verschleiert wurde.

Drittens. In den 70er Jahren ist es gelungen, vor allem das materielle Lebensniveau unserer Bevölkerung zu erhöhen. Sicherlich, wir streben weiter an, diesen relativ hohen Lebensstandard zu erhalten und jetzt an vielen Stellen erst mal auch zu rekonstruieren, und müssen uns aber darüber im klaren sein, daß wir diesen Lebensstandard mit wachsendem Aufwand und mit steigenden - und nicht nur mit ökonomischen - Kosten erreicht haben.

Auch sind wir den neuen Bedürfnissen, zum Beispiel nach Kommunikation, vielen Bedürfnissen junger Leute nach Technisierung des Alltags usw. nur ganz unzureichend gerecht geworden. Die Strukturen stimmen nicht, sind nicht modern. Herkömmliche Bedürfnisse, wie z. B. die Ernährung mit hohem Fleisch? und Fettkonsum, werden in hohem Maße befriedigt. Aber die Verwandlung von pflanzlicher Produktion in tierische Produkte ist äußerst unökonomisch durch die anfallenden Güllemassen, und unökologisch. Viel vernünftiger, viel erfreulicher und gesünder wäre eine anspruchsvolle kontinuierliche Versorgung mit Obst und Gemüse, ein besseres Angebot fettarmer Milchprodukte, Joghurt und Quarkspeisen in Vielfalt. Es werden da mehr als ein Drittel zu viel Kalorien in oft gesundheitsschädigender Form verkonsumiert, und der Reichtum der Gesellschaft wird verschleudert. Und so fühlen wir uns oft relativ arm, weil keine Ressourcen für die qualitative Entwicklung des Konsums übrigbleiben, beispielsweise Eisenbahnnetz und Telefon.

Allgemeiner: Unsere gesamte Konsumtions- und Lebensweise ist auf ihre Vernunft hin in öffentlicher Diskussion gründlich zu prüfen, damit es in ökologisch, gesundheitlich und sozial verträglicher Weise verbessert wird, aber eben vielfach anders als bisher. Und auch hier geht es wiederum nicht einfach um Marktwirtschaft, aber auch nicht um von oben verabreichte Sozialpolitik.

Viertens. Natürlich brauchen wir eine rentabel arbeitende Wirtschaft. Und gemessen an internationalen Maßstäben haben wir sie nicht. Aber wie, auf welchem Weg erreichen wir eine an guter Lebensqualität orientierte, also andere Effektivität, die der administrative Sozialismus nicht kennt und die dem Profit Grenzen setzt. Senken wir die Kosten durch massenhaften Einsatz unqualifizierter Arbeit, oder schaffen wir Möglichkeiten für inhaltsreichere Arbeit Sollen neue Technologien weiter auf Kosten der Knochen derer in der Produktion entwickelt werden, die an uralten Maschinen schwere Arbeit verrichten müssen? Oder trägt unsere Arbeit und unsere Partei durch die Tätigkeit der Ingenieure, Arbeiter, Wissenschaftler und Meister unter ihren Mitgliedern zu vernünftigen Modernisierungskonzeptionen bei? Orientieren wir uns auf Technologien, die kommunikationsarm sind, Isolierung oder Monotonie bringen, oder auf ein Arbeiterinteresse an der Verbindung technologischer Entwicklung mit höchstmöglicher Eigenverantwortung, mit Selbstbestimmung der Kollektive über Arbeitsbedingungen, auch über die ihnen zustehenden Fonds, nach der Leistung, die sie am besten beurteilen können? Das alles muß in sozialen Auseinandersetzungen durchgesetzt werden.

Beteiligen wir uns also an dieser Auseinandersetzung? Nutzen wir dazu die Möglichkeiten, die uns staatliches Eigentum ja besonders gut bietet? Beteiligen wir uns an der Herausbildung neuer Maßstäbe für Effektivität, die eben nicht nur Kostensenkung heißt? Es geht eben um eine andere, um eine sozial und ökologisch effektive Ökonomie.

Und fünftens. Wenn wir uns den hier skizzierten Anforderungen stellen, dann muß unser Wirtschaftssystem künftig reguliert und gesteuert werden durch Marktmechanismen, deren Geltungsbereich aber durch politische Zielsetzungen und die Art der staatlichen Geld?, Finanz? und Kreditpolitik bestimmt wird, durch eine Planung, die von unten ausgeht und die zugleich auf Vorgaben orientierender Art beruht, die den Einfluß der Werktätigen auf Strategien und Produktionsabläufe aber in sich auf nehmen muß, durch politische Demokratie in den Betrieben gesteuert werden muß, auch durch eine demokratische Öffentlichkeit, durch die wichtige ökonomische Entscheidungen von verschiedenen Standpunkten aus diskutiert und bewertet werden können und sich dann als Konsens herausbilden können. Das ist eine Wirtschaft, die mit Plan, und mit Markt umgeht, aber keine verplante und keine nur vermarktete ist.

Sechstens. Die wichtigste Garantie für die Realisierung dieses dritten Weges ist die Schaffung eines neuen politischen Systems, in dem das Volk wirklich herrscht, nicht einfach die Kopie des bürgerlichen Parlamentarismus, auch nicht dort, wo er fortgeschritten ist, sondern ein politisches System, das auf den persönlichen und politischen Rechten jedes Menschen aufbaut, sich auf das Volkseigentum stützt, muß die Artikulation mannigfaltiger Interessen ermöglichen, muß dafür Parteien, Interessenverbände, Bürgerinitiativen einbeziehen, und das ganz schnell an den vielen runden Tischen, auf den vielen Ebenen hier und heute. Denn politische Demokratie heißt auch immer, die Verantwortung mit wahrzunehmen, und zwar gesetzlich auf solche Weise garantiert, daß ein wirksamer öffentlicher Einfluß auf alle wichtigen staatlichen Entscheidungen durchgesetzt wird.

Siebentens. Dieser Weg muß die bisherige verfassungswidrige Machtlosigkeit der Volksvertretungen überwinden, wird beruhen auf der Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung, Ausführung (Regierung), Rechtsprechung. Da haben die Bürger vieles entwickelt, wo man hinsehen kann. Auch eine vierte Gewalt - die Öffentlichkeit, die stark durch Medien vermittelt wird. Wir brauchen in diesem Zusammenhang eine Mediengesetzgebung, die freie Information durchsetzt, aber unter sozialistischen Bedingungen erlaubt, sich auch von der Vorherrschaft von Medienmonopolen freizumachen, und auch von daher eine neue, eine sozialistische Demokratie durchzusetzen.

Und schließlich scheint uns in diesem politischen System außerordentlich wichtig, daß da eine Wirtschaftsdemokratie etabliert wird, ehe die von uns gewünschte Kooperation und Kapitalbeteiligung von westlichen Unternehmen dann auf ein Volk trifft, das nicht ausreichend geschützt ist durch den ganzen Funktionsmechanismus sowohl von innen, der Gewerkschaften und der Betriebsräte, als auch von, sagen wir, Wirtschafts- und Sozialräten, In denen die Kommunen Einfluß haben, in denen die Ökologiebewegungen Einfluß haben, ohne in alle Wirtschaftsentscheidungen überall hineinzupfuschen, die aber dort ihr Veto setzen können, wo es sozusagen an die soziale Substanz geht.

Und zehntens schließlich., Wie bestimmen wir denn nun nach alledem den von uns erstrebten demokratischen Sozialismus? Das ist bestimmt keine endgültige Definition. Eigentlich ist dies alles jetzt beschrieben.

Dies ist ja ein Prozeß, und den werden wir alle gemeinsam mit anderen gestalten, aber wichtig wird wohl unter anderem sein: Sein Ziel ist die freie Entfaltung der Individualität des Menschen. Und das wollen die Menschen in unserem Lande, solidarisch mit allen anderen und nicht zu Lasten anderer Klassen, Schichten und Völker. Die Grundlage dafür ist die Gewährleistung der Menschenrechte in ihrer Ganzheit. Und was wir einbringen in diesem Land, ist, daß wir viel an sozialen Grundrechten schon mitzunehmen haben, die andere noch nicht haben.

Und: Der demokratische Sozialismus ist eine humanistische, soziale und ökologisch orientierte Leistungsgesellschaft nach dem Prinzip "Jeder noch seinen Fähigkeiten ? jedem nach seiner Leistung". Und ferner: Seine innere Entwicklung ist bewußt eingebunden in die Lösung globaler Menschheitsprobleme, in diesen Kampf um einen dauerhaften Weltfrieden und die Bewahrung der Natur, für die Zurückdrängung der Unterentwicklung in den Entwicklungsländern, und er beruht auf der Kombination von einem Volkseigentum, das durch die Verfügung derer, die mit Ihm arbeiten, wirkliches Volkseigentum wird, von genossenschaftlichem und privatem Eigentum an den Produktionsmitteln und bindet alle diese Formen in eine politische und Wirtschaftsdemokratie ein, die von den so Interessen der Werktätigen geprägt ist.

Für viele in unseren Reihen ist der Aufbruch zu einer sozialistischen Partei des demokratischen Sozialismus ja kein Tagesbeschluß. Es sind Erfahrungen dieser Partei als Ganzes und vieler ihrer Mitglieder, die uns in diesen Wandel hineinwerfen.

Viele der älteren Generation knüpfen damit an ihre Hoffnungen von vor 1945 und von unmittelbar nach 1945 an. Für andere ist es die Wiederaufnahme der Bestrebungen von 1968. Für die meisten ist dieser Wandel in Produkt jener oftmals quälerischen, Selbstverständigung miteinander, die seit 1985 und besonders 1987 die ganze Partei erfaßte.

Der sich vollziehende programmatische Wandel wird deshalb zum Schlußstrich einer Bewegung in dieser Partei, die von der bisherigen Parteiführung massiv unterdrückt wurde. Heute fassen wir die gewaltsam isolierten und gegen ständigen Widerstand erreichten Positionen vieler Genossen zusammen, geben ihnen öffentlichen Ausdruck und stellen sie nun unseren Grundorganisationen zur Diskussion. Wirken wir künftig als eine sich in harter Arbeit zur Bewältigung der eigenen Vergangenheit erneuernde und schließlich als eine neue sozialistische Partei der DDR!

Wirken wir nie wieder für eine Partei an sich! Wirken wir für die DDR, für die Menschen in diesem Land!

(1) Rosa Luxemburg: Zur russischen Revolution. In: Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1987, S. 362