Text der Woche 13/2004Die Präsidentenwahlen in Russland am 14. März riefen international großes Interesse hervor. Ist es doch nicht ohne Belang, wer dieses Riesenland in den kommenden vier Jahren regieren wird. Das bewog auch die OSZE, auf Einladung der Zentralen Wahlkommission Beobachter in alle Gegenden des Landes zu entsenden. Mir fiel dabei die Aufgabe zu, den Wahlvorgang in der Republik Adygeja am Rande des Nordkaukasus in Augenschein zu nehmen.
Adygeja gehört mit 7.600 km² und 650.000 Einwohnern zu den kleinsten der 89 Subjekte der Russischen Föderation. Mit dem seit zwei Jahren amtierenden Präsidenten Chasrat Sowmen, der sein Geld als Geschäftsmann in Sibirien gemacht hat und als einer der reichsten Männer Russlands gilt, verbanden viele Menschen die Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung. Der ist bisher ausgeblieben. Zahlreiche Betriebe mussten schließen, Investoren fehlen. Wertvoller Schwarzerdeboden im Kuban-Gebiet, früher von Kollektivwirtschaften bearbeitet, liegt brach. Jugendliche wandern in die vergleichsweise besser gestellte benachbarte Region Krasnodar ab. Große Erwartungen werden in die Entwicklung des Tourismus in diesem kulturhistorisch wertvollen und mit Naturschönheiten gesegneten Fleckchen Erde gesetzt, aber noch fehlt dafür die Infrastruktur.
Adygeja gilt im Unterschied zu anderen Republiken des Nordkaukasus - Tschetschenien ist nicht weit entfernt - noch heute als eine Insel der Stabilität. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass die Titularnation, die ethnischen Adygejer (Tscherkessen), ganze 23 % der Bevölkerung ausmachen, während über zwei Drittel Russen sind. Man hat gelernt, miteinander umzugehen und unterschiedliche Bekenntnisse zu respektieren. Vor dem Präsidentenpalast in der Hauptstadt Maikop steht noch immer das riesige Lenin-Denkmal. Nicht weit entfernt erhebt sich der imposanteste Neubau, eine mit arabischen Ölgeldern finanzierte Moschee für die (moslemischen) Adygejer...
Wie im übrigen Russland, so war auch in Adygeja von Wahlkampf nichts zu spüren. - zu eindeutig waren die Erwartungen. Ein einheimischer Beobachter meinte: "Das ist keine Wahl, sondern ein Referendum für Putin. Die anderen Kandidaten spielen ja doch nur eine Statistenrolle". Von Interesse war daher vor allem die Wahlbeteiligung. Hätte doch eine Teilnahme von weniger als der Hälfte der Bevölkerung bedeutet, dass laut Verfassung Neuwahlen auszuschreiben wären - und zwar mit neuen Kandidaten. Das wäre für die Russische Föderation einer Katastrophe gleich gekommen, abgesehen vom großen organisatorischen und finanziellen Aufwand. Also zogen die Verantwortlichen alle Register: von der Agitation in den staatlichen Medien über entsprechende Unterrichtsstunden in den Schulen bis hin zu Geschenken für die Erstwähler. Präsident Sovmen rief ziemlich offen zur Wiederwahl Putins auf, nicht ohne Anspielung auf seine guten persönlichen Beziehungen, die Adygeja zum Nutzen gereichen würden. Die anderen fünf Kandidaten hatten dabei kaum Chancen - eines der Defizite im russischen Demokratieverständnis, das von der OSZE zu Recht gerügt wurde.
Wurde in der Vorwahlperiode bisweilen mit zweifelhaften Methoden gearbeitet, so war die Wahlhandlung selbst gut organisiert. Die Vorstände, erprobt in zahlreichen Wahlen der letzten Jahre, arbeiteten korrekt. Das speziell entwickelte Computersystem "GAS-Vybory" übermittelte die Ergebnisse aus den territorialen Wahlkommissionen direkt nach Moskau und ermöglichte von der Tschuktschen-Halbinsel im Fernen Osten bis Kaliningrad im Westen über zwölf Zeitzonen hinweg eine sofortige Auswertung - bei der Ausdehnung des Landes eine bemerkenswerte technische Leistung. Einer Tradition aus sowjetischen Zeiten folgend, nutzten die Menschen die Wahl überall zu zwanglosen Treffen, beglückwünschten einander "s prasdnikom", hörten Musik und kauften an zahlreichen Ständen verbilligte Lebensmittel.
Das Wahlergebnis war denn auch für niemanden eine Überraschung. Die Mehrheit war es zufrieden. Es überwog die Meinung, Russland brauche einen starken Präsidenten, um das Riesenland zusammenzuhalten. Diese Rolle traut man am ehesten Putin zu. Es gab aber auch nachdenkliche Stimmen: Wie wird Putin nach diesem Votum und mit einer großen Duma-Mehrheit im Rücken agieren? Wir er nicht versucht sein, zu sattsam bekannten autoritären Methoden zurückzukehren? Die Antwort werden die kommenden Jahre geben.