Publication Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Selber machen - Feminismus - Jugendbildung - Politische Weiterbildung Intersektionalität

Wie umgehen mit sozialen Ungleichheiten in Bildungsprozessen?

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Bildungsmaterialien

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December 2016

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Schon bei einem flüchtigen Blick auf unsere Gesellschaft ist zu erkennen, dass sie ein in sich verschachteltes Gebilde ist. Nicht erst der globalisierte Neoliberalismus hat durch fortschreitende Deregulierungsmaßnahmen und damit einhergehenden Sozialabbau zu vielfältigen gesellschaftlichen Verwerfungen geführt.

Auch weitere, lang eingeübte gesellschaftliche Praxen wie Sexismus, Rassismus oder Klassismus sorgen für eine ungleiche gesellschaftliche Machtverteilung und tragen zu einer Schlechterstellung vieler Bevölkerungsgruppen bei.

Viele Menschen sehen sich in ihrem alltäglichen Leben nicht nur mit einem einzelnen Unterdrückungsverhältnis, wie zum Beispiel sexistischen Strukturen, konfrontiert, sondern befinden sich zur selben Zeit in einer prekären ökonomischen Situation und sind zusätzlich als (Post-)Migrant_innen negativ von Rassismus betroffen. Um derartige Formen mehrdimensionaler Benachteiligung sichtbar zu machen, dafür zu sensibilisieren und in der Folge politische Handlungsstrategien entwickeln zu können, wurde das Konzept der Intersektionalität entwickelt. Der Begriff, der auf die Schwarze* Juristin Kimberlé Crenshaw zurückgeht (siehe hierzu auch den Artikel von Mart Busche in diesem Heft), bezeichnet die Überlappung (engl. intersection = Schnittpunkt, Schnittmenge) von verschiedenen Diskriminierungserfahrungen in einer Person, die sich nicht einfach addieren, sondern zu eigenständigen Diskriminierungserfahrungen führen.

Was bedeutet das für eine politische Bildungsarbeit, die sich selbst als emanzipatorisch und links versteht?

Seit den 1980er Jahren haben in der Bundesrepublik Selbstorganisationen von Menschen, die in ihrem Alltag mit mehrdimensionalen Formen von Diskriminierung konfrontiert sind, damit begonnen, gemeinsame politische Handlungsstrategien zu entwickeln, um ihre Situation und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu verändern und sich selbst zu empowern. In den vergangenen Jahren haben unterschiedliche (linke) Bildungsträger an diese Bildungsansätze angeknüpft und Projekte und Bildungskonzepte entwickelt sowie Publikationen veröffentlicht, die eine intersektionale Perspektive in der politischen Bildungsarbeit einnehmen. Mit diesen Ansätzen soll dreierlei erreicht werden:

  • Erstens geht es darum, Personen mit (mehrdimensionalen) Diskriminierungserfahrungen in ihren Kämpfen zu unterstützen und ihnen geschützte Räume zur Verfügung zu stellen, in denen sie ihre Erfahrungen teilen sowie gemeinsam nach (kollektiven) Handlungsstrategien suchen können.
  • Zweitens soll eine politische Bildungsarbeit, die sich als emanzipatorisch versteht, die komplexen gesellschaftlichen Lebensbedingungen unterschiedlicher Gruppen in den Blick nehmen. Dabei sollten sowohl die damit einhergehenden Besser- und Schlechterstellungen als auch die (Ohn-) Machtverhältnisse reflektiert werden. Damit kann zum einen für spezifische gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse sensibilisiert werden. Zum anderen wird in einem weiteren Schritt angestrebt, gemeinsame Handlungsoptionen für gesellschaftliche Veränderung zu entwickeln. Dies gilt sowohl für heterogene als auch für (vermeintlich) homogene Lerngruppen.
  • Drittens sind Bildungskontexte – seien es nun Schule oder Universität als klassische formale Bildungseinrichtungen, aber auch Workshops und Seminare der schulbezogenen und außerschulischen politischen Jugend- und Erwachsenenbildung, die sich selbst als emanzipatorisch und links verstehen – nicht frei von gesellschaftlichen Machtund Unterdrückungsverhältnissen. Auch hier wirken bestehende soziale Ungleichheiten fort. Das kann nicht nur Heterogenitäten innerhalb einer Lerngruppe betreffen, sondern auch das Verhältnis der politischen Bildungsarbeiter_ innen zur Lerngruppe, zu einzelnen Teilnehmenden oder die ausgewählten Lerninhalte. Es ist die Aufgabe von Pädagog_innen und Bildungsarbeiter_ innen, mit diesen Gegebenheiten machtkritisch und differenzsensibel umzugehen und daraus Lernanlässe zu generieren – für die Gruppe und immer wieder auch für sich selbst. Je nach Lerngruppe und thematischem Kontext kann das Bildner_innen mitunter vor große Herausforderungen stellen, für die es keine Patentlösungen gibt. Diese Anforderungen gilt es immer wieder – vorab, während und nach einer Bildungsveranstaltung – zu reflektieren.

Mit diesem Bildungsheft möchte die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die sich in diesem Feld selbst als lernende Organisation sieht, dazu beitragen, eine solche intersektionale Perspektive in einer politischen Bildungsarbeit, die sich selbst als kritisch, emanzipatorisch, partizipativ und links versteht, stärker zu verankern. Nach unserer Auffassung muss beim Planen und Gestalten von Bildungsprozessen der Anspruch leitend sein, bestehende gesellschaftliche Macht- und Ungleichheitsverhältnisse – innerhalb und außerhalb des Seminarraums – in den Blick zu nehmen, die eigene Bildungsarbeit kritisch zu hinterfragen und sich auf die Suche nach Veränderungsmöglichkeiten zu begeben. Das vorliegende Bildungsmaterial will auch Pädagog_innen und Bildungsarbeiter_innen, die mit dem Thema Intersektionalität noch nicht (so) vertraut sind, die unterschiedlichen Aspekte einer intersektionalen Perspektive in der Bildungsarbeit nahebringen und dafür werben, bekanntes Terrain zu verlassen und neue Wege auszuprobieren. (...)

Claudia de Coster, Niklas Prenzel, Nora Zirkelbach Berlin, Dezember 2016