News | Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen - Westeuropa Nach dem Ende des Dialogs - gegen den Bürgerkrieg

Mario Candeidas über die Erklärung der Unabhängigkeit in Katalonien und Rajoys Reaktion

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Mario Candeias,

Die Gewerkschaft der Bauern platziert am 27.Oktober 2017 Traktoren in Barcelona um die Unabhängigkeit zu unterstützen. Declaració de la República Catalana Independent, CC BY-NC-ND 2.0, Fotomovimiento

Das katalanische Parlament hat die Unabhängigkeit erklärt. Die spanische Zentralregierung antwortet mit der Anwendung des Artikel 155 der Verfassung, der Aufhebung der Autonomie Kataloniens. Die Lage ist verfahren. Beide Regierungen steuern auf eine entweder-oder-Entscheidung zu. Der Weg zum Dialog scheint abgebrochen.

Zuvor war der Kompromiss an der Taktieren beider Seiten gescheitert. Doch zuletzt hatte der katalanische Ministerpräsident eingelenkt und Neuwahlen zugestimmt. Als Gegenleistung wollte er nur noch die Freilassung der politischen Gefangenen und die Zusicherung vor Strafverfolgung wegen der Abhaltung des Referendum. Der spanische Ministerpräsident wollte ihm das nicht gewähren. Ende des Dialogs. Fraglich war ohnehin, ob Puigdemont Neuwahlen überhaupt durch das katalanische Parlament gebracht hätte.

Es hätte eine Alternative gegeben: ein konstitutiver, partizipativer Prozess für eine neue katalanische Verfassung, von den Vierteln bis ins Parlament - so wie er von der radikalen Unabhängigkeitslinken vorgeschlagen und nun ohnehin verfolgt werden soll. Freilich ohne gleich einseitig die Loslösung von Spanien zu erklären, sondern parallel den Dialog zu verfolgen. Doch Puigdemont setzte alles auf eine Karte. Um nicht missverstanden zu werden: Die Unabhängigkeit ist nicht illegal weil sie mit der existierenden Verfassung bricht. Vielmehr ist ein Bruch mit einer überkommenen Verfassung wie dieser notwendig. Die Frage ist, wie vollzieht man den Bruch und für wen?

Die Lage ist verfahren. Die Unabhängigkeit lässt sich derzeit nicht gegen die geballte Macht der Zentralregierung, gestützt durch die Europäische Union, durchsetzen. Umgekehrt lässt sich die Aufhebung der Autonomie legalistisch erklären - sie durchzuführen ist eine andere Sache. Man kann eine Regierung absetzen. Doch eine komplette Verwaltung, Polizei, Justiz, über 700 Kommunen etc. von außen zu steuern und mit Zehntausenden von Polizeikräften, aber auch Beamten in Katalonien «einzumarschieren», dürfte ebenso undurchführbar sein. Eine gut organisierte und mobilisierte Zivilgesellschaft würde sich dem entgegenstellen. Natürlich kann man die Köpfe der Unabhängigkeit verhaften, die politischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen verbieten. Dies ist aber ohne ein in Westeuropa unvergleichliches Maß an Repression und Erklärung des Ausnahmezustands und Militarisierung des Alltags nicht durchzuhalten. Bürgerkriegsähnliche Bilder wären die Folge.

Beide Seiten haben sich in eine Sackgasse manövriert. Es ist dringend erforderlich wieder einen Kanal für Verhandlungen zu öffnen. Zweifelhaft, ob dies mit Puigdemont auf der einen und Rajoy auf der anderen Seite noch möglich ist. Bei Neuwahlen in Katalonien ist fraglich, ob Puigdemont noch eine Mehrheit bekäme. Schon jetzt gibt es Abtrünnige aus seiner Partei, die vor der aktuellen Konfrontation zurück schrecken. Unklar ist allerdings, wie sehr die massive Repression in der Bevölkerung die Gewichte zugunsten des Widerstands und für die Unabhängigkeitsparteien (etwa die ERC) gestärkt hat - oder aber vielen verdeutlicht hat, dass dieser Weg nicht gangbar, das Vorgehen vielmehr verantwortungslos war. Dies würde die Kräfte von En Comú Podem stärken, die immer für ein Recht auf Abstimmung, aber gegen die einseitige Unabhängigkeit eingetreten waren.

Auf der anderen Seite wäre ein Sturz von Rajoy zu wünschen. Bisher unterstützt die sozialistische PSOE alle Maßnahmen der Zentralregierung. Doch tritt sie für eine neue spanische Verfassung ein. Diese könnte sie in einer Regierung mit Unid@s Podemos verwirklichen, einen konstitutiven Prozess einleiten. Unid@s Podemos fordert den Übergang in eine föderale Republik. Soweit wird die PSOE nie gehen. Aber eine Verfassung, die die Plurinationalität in einem gemeinsamen Staat beinhaltet schon. Nur, trotz rechnerischer Mehrheit, die spanische Sozialdemokratie traut sich nicht. Die Frage ist, wie lange sie ihr Schicksal an die rechte PP von Rajoy bindet - auch dann noch, wenn dieser zu immer repressiveren Mitteln greift, die Gewaltspirale eskaliert. Doch in die PSOE kann man keine Hoffnung setzen.

Eine verfahrene Lage, die nur aufzulösen ist, wenn eine Dritte Option geöffnet wird. Dafür bräuchte es vielleicht ein neues Aufbegehren wie zu Zeiten des 15. Mai 2011, eine gesellschaftliche Mobilisierung, die das Projekt «wirklicher Demokratie» auf neuer Stufenleiter aktualisiert. Andernfalls drohen diese Errungenschaften von 2011, die die politische Landschaft im spanischen Staat und in den Kommunen umgewälzt haben, zwischen der Gewalt zweier Nationalismen unterzugehen. Ein sterbender Neoliberalismus, der in seinem Kampf um die Macht alle liberalen Reste opfert. Übrig bleibt ein autoritäres Regime. In jedem Fall ist die gesellschaftliche Linke dazu aufgerufen, praktisch solidarisch zu sein - nicht mit der katalanischen Regierung - aber offen gegen die Anwendung des Artikels 155 und die Gewalt zu seiner Durchsetzung einzutreten.