Publication Geschichte - Parteien- / Bewegungsgeschichte Ein schweres Erbe

Zum 130. Geburtstag von Erich Weinert - Mit seinem künstlerischen und politischen Selbstverständnis war Weinert nicht in der Lage, die gesellschaftlichen Widersprüche in einer Weise zu reflektieren, dass in seinen Arbeiten verschiedene, alternative Handlungsmöglichkeiten sichtbar werden. Dennoch lohnt eine literatur-, kultur- und sozialgeschichtliche Aneignung der Werke Weinerts, weil sein Schaffen Anregungen geben kann und seine Biographie Fragen aufwirft, denen sich eine (selbst-)kritische Linke zu stellen hat.

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Gregor Kritidis,

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Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen-Anhalt,

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August 2020

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Denkmal Erich Weinert Frankfurt/Oder | cc-by-sa-2.5,2.0,1.0 | Foto: Sicherlich

Ein schweres Erbe

Zum 130. Geburtstag von Erich Weinert

Das Antisemeeting

Nachts um zwölfe

Versammelten sich die blonden Wölfe

Mit großem Gebelfe

Und einer hielt ein Referat:

Es dürften im Blonde-Wölfe-Staat

Die proletarischen Hammelherden

Nur von blonden Wölfen gefressen werden,

Und deshalb könne nur eines helfen:

Nieder mit den schwarzen Wölfen!

Und als man zu Tätlichkeiten schritt

Da machten sogar die Hammel mit

(1923)

Erich Weinert war einer der populärsten kritischen Köpfe der Weimarer Republik, seine Spottgedichte waren dermaßen erfolgreich, dass sich die sozialdemokratische Regierung Preußens zu einem auf ihn zugeschnittenen Auftritts- und Redeverbot veranlasst sah. Er gehörte zu der Generation Intellektueller, die sich angesichts der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, von Revolution und Konterrevolution zu radikalen Kritikern der bürgerlichen Gesellschaft entwickelten und in der Konsequenz den Weg zur KPD fanden. Die Hoffnung auf eine befreite Gesellschaft führte viele dieser Generation in die Abgründe des Moskauer Exils, in der jeder gleichzeitig zum Täter und Opfer wurde. Die Überlebenden gehörten zu denjenigen, die mit „gebrochenem Rückgrat“ (Johannes R. Becher) nach dem Zweiten Weltkrieg die DDR aufbauten.

Im vereinten Deutschland ist diese Generation selbst von der politischen Linken aus der Erinnerungskultur weitgehend ausgegrenzt worden, weil ihre Biographien untrennbar mit dem schwierigen und schmerzhaften Erbe des Stalinismus verbunden sind. Im Fall von Erich Weinert kommt jedoch noch ein literarischer Grund hinzu: Wie Rüdiger Ziemann gezeigt hat (Ziemann: 2003), sind die Gedichte Weinerts in weitreichendem Maße zeitgebunden und ohne Kenntnis des literarischen und historischen Kontextes nicht zu verstehen. Dennoch – oder gerade deswegen – lohnt eine Auseinandersetzung mit Leben und Werk Erich Weinerts, in dem die Hoffnungen und Abgründe einer Epoche zum Ausdruck kommen.

Weinert, geboren am 4. August 1890 in Magdeburg-Buckau, stammte aus einer bürgerlichen Mittelschichtsfamilie. Sein Vater, obwohl Ingenieur, sympathisierte mit der Sozialdemokratie. Aus diesem Grund schickte er seinen Sohn nicht standesgemäß auf ein humanistisches Gymnasium, sondern auf die Knabenbürgerschule, die dieser mit 13 Jahren abschloss. Er erhielt die Jugendweihe und begann – ebenfalls ungewöhnlich für einen Spross der technischen Intelligenz – eine Lehre in der Maschinenfabrik Rudolf Wolf im Lokomobilbau. Dort lernte Erich Weinert intensiv die Arbeitsverhältnisse, die Mentalität und das Denken seiner späteren Zielgruppe, der Industriearbeiterschaft, kennen. 1908 begann er ein Studium an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg, dass er 1912 in Berlin an der Königlichen Kunstschule mit einem Staatsexamen als akademischer Zeichenlehrer abschloss. Nach dem Militärdienst wurde er 1914 sofort eingezogen, es folgten vier Jahre Krieg in dem von ihm gehassten preußischen Militär.

Der Begeisterung über die Novemberrevolution, von der sich Weinert eine sozialistische Republik erhofft hatte, erfolgte bald die Ernüchterung. Er trat eine Stelle als Lehrer an der Kunstgewerbeschule Magdeburg an, an der er studiert hatte, und beteiligte sich an der Gründung der Künstlervereinigung „Die Kugel“, über die er auch Johannes R. Becher kennenlernte. In dieser Zeit begann er, Gedichte zu verfassen, mit denen er scharfzüngig und mit viel Sprachwitz die Bigotterie und den Militarismus der kleinbürgerlichen Anhänger der Monarchie kritisierte.

Der Gottesgnadenhecht

Dem Hecht

Ging’s einmal schlecht

Er hin in der Reuse

In sichrem Gehäuse

Da gab’s nichts zu prassen und nichts zu schlarpfen

Weder Brassen noch Karpfen

Die junge Karpfenbrut

Fand das gerecht und gut

(…)

Jedoch die Älteren

Befreiten ihn aus seinen Behältern

Sie sprachen: Wir hängen am Alten,

Die eherne Tradition wird heiliggehalten

Jedem Karpfengeschlecht

Gab Gott einen Hecht

Sein Privileg ist göttliches Recht –

Der Hecht, die Situation ausnutzend,

Fraß von den jüngeren Volksgenossen

Ein gehäuftes Dutzend

Nebst Flunsch und Flossen –

Die Alten wedelten mit dem Schwanz

Und sangen: Heil Dir im Siegerkranz

Mit seinen Texten, die in linksliberalen und kommunistischen Zeitungen veröffentlicht wurden, hatte er auf Kabarett-Bühnen wie der Leipziger „Retorte“ und dem Berliner „Küka“ großen Erfolg. Treffsicher karikierte er die bürgerliche Weimarer Gesellschaft und überzog diese mit Spott wie in dem Gedicht „Republikanischer Abend“, wobei er mit Wortschöpfungen wie „Pensionetten“ (aus „Pension“ und „Marionetten“) ein Stilmittel entwickelte, das für seine Dichtungen charakteristisch werden sollte:

Im Parke schweift Frau Rechnungsrat

Mit einem Schwanz von Pensionetten

Die Mädels wandeln wie auf Draht

Und träumen heimlich von Kadetten

Gerne parodierte er bekannte nationalistische Lieder wie eine Ballade über den Sieg im deutsch-französischen Krieg in „Die Große Zeit“ (1924), die er mit Zitaten aus dem Deutschlandlied und Schillers Deutscher Muse auf den 1. Weltkrieg übertrug. Während das Flottenprogramm vor dem Ersten Weltkrieg mit dem einen Panzerkreuzer besingenden Kaiser der Lächerlichkeit preisgegeben wird, kontrastiert damit die Brutalität des Krieges, dessen Niederlage mit der Dolchstoßlegende geleugnet wird, wobei Weinert hier die verdrehten Aussagen wieder vom Kopf auf die nicht mehr vorhandenen Füße stellt:

Kaiser Wilhelm fuhr ganz heiter

nach Rominten und so weiter

Von der Etsch bis an den Belt

Deutsch im Dichten, deutsch im Trachten.

Sang am Agir, malte Schlachten

Als ein Kaiser und ein Held

Ein Augustisch Alter blühte

Unter Wilhelms Messingtüte

Dieses war die kleine Zeit

(…)

Ludendorff der edle Ritter

mähte als ein Kaiserschnitter

ganze Divisionen ab

Die das Feindland bis zum letzten

Hauch von Mann und Roß besetzten

Bis ins kühle Massengrab

(…)

Kinder so ist das gewesen!

Fragt die Leute mit Prothesen!

Wer was anderes sagt, der lügt

Deutschland steht in jeder Branche

Fest geschlossen zwecks Revanche

Hinterdolcht, doch unbesiegt.

Mit der Stabilisierung der Weimarer Republik ab 1923 war Weinerts Kritik in linksbürgerlichen Kreisen weniger gefragt. Mehr und mehr trat er in sozialdemokratischen Versammlungen auf. Da er kein Blatt vor den Mund nahm und auch die Sozialdemokratie als „Weimarxisten“ verspottete, erfolgten bald keine Einladungen mehr. Ein Stein des Anstoßes wurde für sozialdemokratische Organisationen das Gedicht „Bannerträger der Republik“ (1924), in dem es heißt:

Denn wer es auf Sympathiegewinnung

Des Gegners absieht, rede nicht zu scharf

Es bleiben ja, trotz taktischer Verdünnung

Noch reichlich Bodensätze von Gesinnung

Und das genügt schon für den Hausbedarf

Vor dem Hintergrund der Konflikte mit den linksliberalen und sozialdemokratischen Veranstaltern näherte sich Weinert der KPD an und trat mit großem Erfolg vor Arbeiterversammlungen auf. Auf den „Erich-Weinert-Abenden“ im Rahmen der KPD-Kulturarbeit erlangte Weinerts Talent als Sprechdichter einen legendären Ruf. Seine Kunst, quasi eine Mischung aus Kabarett, Poetry-Slam und Hip-Hop, war unter Arbeitern äußerst populär und gleichzeitig Agitation im aufklärerischen Sinne. So heißt es 1926 in dem Gedicht „Der Akademokrat“ über die linken bürgerlichen Intellektuellen

Ist er auch innen noch verburschenschaftlicht

So ist er doch nach außen abgeklärt

Er ist ein Kämpfer mit beschränkter Haftpflicht

Der Revolutionär am eignen Herd

Neben ebenso scharfer wie geistreicher Kritik an den Verhältnissen der Weimarer (Klassen-)gesellschaft, die sich häufig an konkreten politischen Ereignissen festmachten, verteidigte er pathetisch und ohne kritische Distanz die KPD und die Sowjetunion gegen antikommunistische Angriffe wie in den berühmten, von Hans Eisler vertonten Gedichten „Der heimliche Aufmarsch“ (1927) oder dem „Roten Wedding“ (1930).

(…)

Arbeiter horch, sie ziehen ins Feld!

Doch nicht für Nation und Rasse!

Das ist der Krieg der Herrscher der Welt

Gegen die Arbeiterklasse!

Denn der Krieg, der jetzt vor der Türe steht,

Das ist der Krieg gegen dich, Prolet!

(…)

https://www.youtube.com/watch?v=8S0I0J_fXLo

Vor allem im „Roten Wedding“ liegt die inhaltliche und sprachliche Problematik, die das Selbstverständnis der kommunistischen Bewegung zum Ausdruck brachten, auf der Hand:

(…)

Wir tragen die Wahrheit von Haus zu Haus
Und jagen die Lüge zum Schornstein hinaus.
Wie Karl Marx es und Lenin gelehrt.
Und schlug auch der Feind unsre Besten tot,
Der Wedding kommt wieder, Berlin bleibt rot,
Damit Deutschland den Deutschen gehört.

Roter Wedding grüßt euch, Genossen,
Haltet die Fäuste bereit!
Haltet die roten Reihen geschlossen,
Dann ist der Tag nicht mehr weit!
Kämpfen wir als Sozialisten
Endlich in einer Front!
Arbeitsbrüder, Kommunisten,
Rot Front! Rot Front!

(…)

https://www.youtube.com/watch?v=zr30Zycil_4

Sein großer Erfolg rief schließlich die Justiz auf den Plan. Eine erste Verurteilung erfolgte 1927 wegen „Beleidigung der Reichsmarine“, weil er in dem Gedicht „Die Bierreise“ des Kreuzers „Hamburg“ den Militarismus lächerlich gemacht hatte. Es folgten Auftrittsverbote wegen „Aufreizung zum Klassenhass“ und „Aufhetzung zu Gewalttaten“, die schließlich in ein generelles Redeverbot im roten, sozialdemokratisch regierten Preußen mündeten, das auf ihn zugeschnittene „Lex Weinert“. Selbst von Dritten durften Weinerts Gedichte nicht mehr vorgetragen werden, sodass zum Spott der Behörden in Versammlungen seine neuen Gedichte als die eines „namenlosen Autoren“ vorgetragen wurden.

Weinert gehörte 1928 der zu den Gründern des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS), 1929 trat er der KPD bei. Der BPRS war von Beginn an von erbitterten Deutungs- und Machtkämpfen geprägt, was unter revolutionärer, proletarischer Kunst eigentlich zu verstehen sei. Während Literaten aus bürgerlichem Elternhaus wie Johannes R. Becher die Qualitätsansprüche bildungsbürgerlicher Traditionen hochhielten und das bürgerliche Ideal des Dichters verteidigten, meldeten Arbeiterschriftsteller wie Willi Bredel, der über die Arbeiterkorrespondenzbewegung zum BPRS gekommen war, eigene Ansprüche an und propagierten eine neue, realistische „proletarische“ Kunst. Zeitweise kippte die Kritik an der bürgerlichen Literatur um in Selbstbezichtigungen derjenigen Literaten, die keine proletarische Herkunft als Qualitätszeugnis vorweisen konnten.

Entschieden wurden diese Auseinandersetzungen schließlich durch die Interventionen von Georg Lukács und Karl August Wittfogel, die das Ideal des bürgerlichen Realismus des 19. Jahrhunderts und vor allem das Bekenntnis zur Partei als Kriterium marxistischer Ästhetik propagierten. Diese Vorwegnahme der Kanonisierung eines „sozialistischen Realismus“ richtete sich allerdings vor allem gegen unabhängige Künstler wie Erwin Piscator oder Bert Brecht, deren ästhetische Experimente der parteikommunistischen These von der Zwangsläufigkeit historischer Prozesse diametral entgegenstanden.

Obwohl er dem Vorstand des BRPS angehörte, beteiligte sich Weinert an diesen Auseinandersetzungen im Verbandsorgan „Linkskurve“ nicht, obwohl er dem „proletarischen“ Ansätzen nicht abgeneigt war und von Becher, der sich zwar zeitweise an den Proletkult anbiederte, als „Agitator, aber kein Dichter“ herabgesetzt wurde.

Die Motivationen Weinerts lassen sich aus der vorhandenen Literatur nicht rekonstruieren. Möglicherweise fühlte er sich als literaturtheoretischer Autodidakt ohne klassisch-bildungsbürgerliche wissenschaftliche Hochschulbildung den Genossen Wittfogel und Lukács nicht gewachsen. Andererseits hatte er auch qua Ausbildung und Erfahrung keine Veranlassung, in Verkehrung elitären Standesdünkels sich als besonders proletariatsnah auszuweisen, weil er genau wusste, wie er sein Arbeiterpublikum ansprechen konnte. Vielleicht war aber auch ein anderer Aspekt von Bedeutung: Weinerts politische Dichtung war von der Frontstellung gegen die Mentalität, die Ideologie, die Institutionen und die Alltagskultur der bürgerlichen Gesellschaft geprägt; innerlinke Differenzen traten dahinter als weniger bedeutsam zurück. Ein Irrtum, wie sich im Moskauer Exil zeigen sollte.

Nach der faschistischen Machtübernahme blieb Weinert, der per Haftbefehl gesucht wurde, zunächst in der Schweiz, wo er sich auf einer Vortragsreise befand. Seine Bibliothek wurde von der Polizei verwüstet, wobei zahlreiche nicht publizierte Gedichte verloren gingen. Neben den häufigen, tagesaktuellen Umarbeitungen mag das ein Grund dafür sein, dass es viele Gedichte wie etwa den „heimlichen Aufmarsch“ in unterschiedlichen, teilweise stark voneinander abweichenden Fassungen gibt.

Auch wenn er seine Haut gerettet hatte, war seine Flucht nach eigenem Bekunden für ihn ein Schock. Abgeschnitten von seinem (Massen-)Publikum war die Dicht- und Sprechkunst Weinerts quasi halbiert. Diese Phase währte jedoch nicht lange. Über Paris unternahm er Reisen ins Saargebiet, wo er, obwohl steckbrieflich gesucht, auf Massenversammlungen gegen den Anschluss an das „Reich“ agitierte.

Nach dem Saar-Plebiszit 1935 ging er über Paris ins Moskauer Exil, wo er in das Geflecht von gegenseitigen Verdächtigungen, Denunziationen und erniedrigender Selbstkritik der kommunistischen Künstler verstrickt war. Das von Reinhard Müller herausgegebene Stenogramm der geschlossenen Parteiversammlung der deutschen Kommission des Sowjet-Schriftstellerverbandes vom 4. bis 8. September 1936 ist ein in jeder Hinsicht erschütterndes Dokument (Müller: 1991). Mit seiner Kritik an dem jungen kommunistischen Literaten Samuel Glesel („Schandfleck der deutschen Literatur“) trug Weinert zum Ausschluss Glesels aus dem Schriftstellerverband und der KPD bei. Glesel wurde schließlich 1937 zum Tode verurteilt und erschossen.

Im Kreml brennt noch Licht (1940)

(…)

Ich schau’ aus meinem Fenster in der Nacht;
zum nahen Kreml wend ich mein Gesicht.
Die Stadt hat alle Augen zugemacht.
Und nur im Kreml drüben ist noch Licht.

(…)

Andererseits versuchte Weinert, der zermürbenden, allseits beklagten, bedrohlichen und belastenden „Atmosphäre“ auf den ständigen Parteisitzungen zu entfliehen und die Energien produktiv in den antifaschistischen Kampf zu lenken. Wie so vielen bot der spanische Bürgerkrieg dazu die Gelegenheit, auch wenn de facto die Kontrolle der Partei in Spanien nicht weniger strikt ausfiel. Aus der Literatur ist nicht ersichtlich, ob Weinert in irgendeiner Hinsicht Zweifel an der „gemeinsamen Sache“ des Weltproletariates hegte. Das erbarmungslose Vorgehen gegen Abweichler und der innerlinke Bürgerkrieg gegen die in Spanien dominierende anarchosyndikalistische CNT und die „trotzkistische“ POUM, die George Orwell in „Mein Katalonien“ so eindringlich geschildert hat, dürften ihm kaum entgangen sein.

Weinert arbeitete als Journalist und Propagandist in den Internationalen Brigaden, bis er 1939 nach Frankreich fliehen musste, wo er im Konzentrationslager Saint-Cyprien interniert wurde. Im Sommer 1939 konnte er – die Biographie von Werner Preuß (Preuß: 1969) gibt über die Umstände keine Auskunft - in die Sowjetunion zurückkehren. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt übte sich Weinert in der von der KPD-Führung bemängelten Flucht aus der Tagesaktualität in historische Themen, er nahm ein nie abgeschlossenes Epos über den Bauernkrieg in Angriff und betätigte sich verstärkt in Nachdichtungen, etwa von Werken Eugène Pottiers oder Taras Schewtschenkos.

Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 entlastete von der absurden Situation, den deutschen Faschismus nicht mehr kritisieren zu dürfen, und brachte neue Aufgaben mit sich. Weinert verfasste Gedichte, die auf Flugblättern hinter den deutschen Linien abgeworfen wurden. In Stalingrad betrieb er mit Lautsprechern direkte Propaganda zur Zersetzung der deutschen Truppen. 1943 wurde er zum Präsidenten des Nationalkomitees Freies Deutschland gewählt.

Im Januar 1946 – Willi Bredel war der einzige Schriftsteller, der mit der „Gruppe Ulbricht“ bereits im Mai 1945 nach Deutschland zurückkehrte – kam Erich Weinert politisch und gesundheitlich angeschlagen nach Deutschland zurück. Er übernahm in der Zentralverwaltung für Volksbildung die stellvertretende Leitung der Abteilung für Kunst und Literatur. Am 20. April 1953 starb er an Lungentuberkulose in Berlin.

An Erich Weinert lässt sich weder politisch noch ästhetisch bruchlos anknüpfen - dennoch ist das bei der Weinert-Rezeption vieler antifaschistischer Gruppen und Organisationen der Fall. Zu sehr ist seine Dichtung mit dem Mainstream der kommunistischen Bewegung und damit dem abgeschlossenen hegelianischen, gegen jegliche empirische Erfahrung abgedichteten Denken eines Georg Lukács verbunden. Die kommunistische Massenbewegung der 1920er und frühen 1930er Jahren mit ihrem radikalen, aber simplifizierten Antikapitalismus ist bis heute ein Faszinosum, trotz ihrer folgenreichen Defizite, die sich auch bei Weinert finden: Zentrale soziale und politische Widersprüche sind bei ihm ausgeklammert, eingeebnet oder totgeschwiegen. Eine historische Alternative dazu stellt das Schaffen von Bert Brecht dar, der sich auf die dissidenten Denker im Umfeld des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wie etwa Karl Korsch gestützt hat. Mit seinem künstlerischen und politischen Selbstverständnis war Weinert nicht in der Lage, die gesellschaftlichen Widersprüche in einer Weise zu reflektieren, dass in seinen Arbeiten verschiedene, alternative Handlungsmöglichkeiten sichtbar werden. Dennoch lohnt eine literatur-, kultur- und sozialgeschichtliche Aneignung der Werke Weinerts, weil sein Schaffen Anregungen geben kann und seine Biographie Fragen aufwirft, denen sich eine (selbst-)kritische Linke zu stellen hat.

Die zitierte Passage des Gedichts „Roter Wedding“ stammt nicht von Erich Weinert. Der ursprüngliche, für eine Agitprop-Gruppe geschriebene Text wurde mehrfach verändert und bekam erst nach dem Zweiten Weltkrieg seine betont nationale, vermutlich von Ernst Busch stammende Fassung. Vgl. Gregor Kritidis, Zwischen Vergessen und verschämter Erinnerung. Leben und Werk des kommunistischen Arbeiterdichters Erich Weinert, in: Arbeit – Bewegung – Geschichte 2021/II, S. 83-99. (Anmerkung vom 28.06.21)

Literatur

Bois, Marcel/Wilde, Florian, Ein kleiner Boom: Entwicklungen und Tendenzen der KPD-Forschung seit 1989/90. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2010. S. 309-322.

Bois, Marcel, Hermann Weber und die Stalinisierung des deutschen Kommunismus. Eine Rezeptionsgeschichte. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2018. S. 143-162.

Brüggemann, Heinz, Literarische Technik und soziale Revolution – Versuche über das Verhältnis von Kunstproduktion, Marxismus und literarischer Tradition in den theoretischen Schriften Bertolt Brechts. Reinbek bei Hamburg 1973.

Ders., Bert Brecht und Karl Korsch. Fragen nach Lebendigem und Totem im Marxismus. In: Jahrbuch Arbeiterbewegung Bd. 1. Über Karl Korsch. Hrsg. Von Claudio Pozzoli. Frankfurt/Main 1973. S. 177-188.

Ders., Das Geschlossene und das Offene - Dialektik bei Korsch und Brecht. In: Gregor Kritidis/Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Hrsg.), Zur Aktualität von Karl Korsch und seine Bedeutung für die Entwicklung der sozialistischen Linken. Hannover 2013. S. 9-21. Online unter https://www.sopos.org/buecher/Korsch2013.pdf

Buckmiller, Michael, Gewalt und Emanzipation in der Arbeiterbewegung. Unerledigte Fragen. In: Loccumer Initiative Kritischer Wissenschaftler (Hrsg.), Gewalt und Zivilisation in der bürgerlichen Gesellschaft. Kritische Interventionen Bd. 6. Hannover 2001. S. 242-257.

Deborin, Abram/Bucharin, Nikolai, Kontroversen über dialektischen und mechanischen Materialismus. Eingeleitet von Oskar Negt. Frankfurt/Main 1969.

Engel, Rudolf (Hrsg.), Erich Weinert erzählt. Berlin 1955.

Fähnders, Walter/Rector, Martin, Linksradikalismus und Literatur. Untersuchungen zur Geschichte der sozialistischen Literatur in der Weimarer Republik. 2Bd. Reinbek bei Hamburg 1974.

Gallas, Helga, Marxistische Literaturtheorie. Kontroversen im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftstellen. Neuwied und Berlin 1971.

Jünke, Christoph, Der lange Schatten des Stalinismus: Sozialismus und Demokratie gestern und heute. Köln 2007.

Müller, Reinhard (Hrsg.), Die Säuberung. Moskau 1936: Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung. Reinbek bei Hamburg 1991.

Preuß, Werner, Erich Weinert. Eine Bildbiographie. Berlin 1970.

Ders., Erich Weinert. Sein Leben und Werk. Berlin 1971.

Weinert, Erich, Das Lied vom roten Pfeffer. Hundert Gedichte. Berlin und Weimar 1968.

Ders., Das pasteurisierte Freudenhaus. Satirische Zeitgedichte. Berlin und Weimar 1978.

Ziemann, Rüdiger, Ein Sänger, der nicht mit dem König geht. Zu Erich Weinerts Dichtung. In: Literaturbüro Sachsen-Anhalt (Hrsg.), Genauso hat es damals angefangen. Ein Erich-Weinert-Lesebuch. Auswahl von Rosemarie Arnswald. Halle 2003