Weltweit kämpfen verschiedene Bewegungen für Demokratie und eine sozial-ökologische Wende, gegen wachsende Ungleichheit und Unterdrückung.
Immer wieder in der Geschichte sind Ideen zur materiellen Gewalt geworden und haben auf der ganzen Welt Menschen in Bewegung gebracht. Revolten, Revolutionen und Arbeiter*innenkämpfe im 19. und frühen 20. Jahrhundert, antikoloniale Kämpfe in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zeugen davon. Neue Protestformen entstehen. Die Schwierigkeit in einer globalisierten Welt, die doch nicht eins ist: Wie lassen sich gemeinsame Interessen finden und bündeln? Das Kapital agiert global und in Konkurrenz, jedoch übereinstimmend, wenn es darum geht, Angriffe abzuwehren. Globalen Protesten ist diese Einigkeit nicht per se eigen. Selbst der bescheidene Wohlstand der einen nährt sich oft aus dem Elend der anderen. Und doch gibt es gemeinsame Interessen – schließlich leben wir nicht auf verschiedenen Planeten.
Verstummen oder: sich bewegen
Bevor die Corona-Pandemie zum fast alles bestimmenden Thema wurde, demonstrierten weltweit Menschen für den Klimaschutz. Eine globale Bewegung, die Hoffnungen weckte, weil sie auf allen Kontinenten viele Menschen unterschiedlichster sozialer Herkunft, aller Altersgruppen und mit sehr verschiedenen Interessenlagen vereinte und auf die Straßen und Plätze brachte. Und vielleicht war und ist es in ihrem Ausmaß eine der größten globalen Bewegungen überhaupt, auch wenn die Geschichte viele und viele große widerständige Aufbrüche kennt, die den Globus erschütterten und epochal waren. Dario Azzellini formulierte es 2014 so: «In diversen historischen Epochen sind neue Impulse und Ideen, Praktiken und Hoffnungen in massiver Weise über den Globus gefegt und haben nahezu überall (über kurz oder lang) Parameter des Denkens und der gesellschaftlichen Verfasstheit verändert.»
Dies beschreibt die Messlatte dafür, ob eine Bewegung, ein Protest wirklich als global und weltverändernd aufgefasst werden kann. Verändert sich das Denken und verändert sich die Gesellschaft? Die Klimaproteste können für sich in Anspruch nehmen, genau das bewirkt zu haben. Wir denken, dass die Welt gerettet werden muss und dass dafür nicht mehr allzu viel Zeit zur Verfügung steht. Politiken verändern sich, weil sie massiv in der Kritik stehen oder für unwählbar erklärt werden, nähmen sie sich des Themas nicht an. Das Kapital – weiterhin die größte globale Bewegung der Gegenwart – sucht nach Erklärungen, Schlupfwinkeln und systemimmanenten Lösungen, um auf seine Margen nicht verzichten zu müssen und trotzdem als «Klimaretter» und «Problemlöser» angesehen zu werden. Der globalisierte Kapitalismus hat für eine «Vereinheitlichung der Lebens- und Ausbeutungsbedingungen» (Azzellini) gesorgt, während zugleich Ungleichheit gewachsen ist und somit auch die Ungleichheit bei den Ausgangsbedingungen für globale Kämpfe. Ein Widerspruch? Ja und nein.
Die Pandemie kann als Katalysator angesehen werden für eine Verschärfung sozialer, ökonomischer und ökologischer Konflikte, aber auch als Möglichkeit gelten, politische und gesellschaftliche Transformation einzufordern.
An der Spitze globaler Proteste und Bewegungen stehen keine Parteien mehr und keine Gewerkschaften, traditionelle Organisationen sind nicht in der Lage, über Ländergrenzen hinaus zu mobilisieren, andere Organisationsformen füllen die Leerstellen, die repräsentative Demokratie befindet sich in einer tiefen Krise. Wer sich von ihr nicht mehr repräsentiert fühlt, verstummt oder bewegt sich, wobei auch Bewegung in jene Richtung gemeint ist, die global zu einer der größten Gefahren für Demokratie und Erneuerung geworden ist. Die Krise der Demokratie und ihrer herkömmlichen Institutionen hat sie angreifbar gemacht für rechtes, nationalistisches, rassistisches Gedankengut und weltweit florierende Verschwörungstheorien. Und die Rückschläge nach hoffnungsvollen Aufbrüchen, wie es sie zum Beispiel vor zehn Jahren in arabischen Ländern gab, sind dramatisch.
Lässt sich an die umfassenden, machtvollen sozialen Proteste der vergangenen Jahre anknüpfen, wenn es wieder möglich sein wird, Plätze zu besetzen, zu kommen und zu kämpfen, um zu bleiben? Schließlich ist die Welt während der Pandemie nicht besser geworden, sind Ungleichheiten nicht verschwunden, zeigt sich das Kapital nicht einsichtiger, ist die Umwelt nicht weniger bedroht, Ausbeutung nicht verschwunden oder moderater geworden, ertrinken Geflüchtete weiterhin im Mittelmeer, sind die Reichen dieser Welt nicht verpflichtet worden, abzugeben, sind Gesundheit, Bildung, Recht auf Unversehrtheit, Schutz und gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen nicht garantiert.
Es gibt also ausreichend Gründe für globale Proteste.
Kathrin Gerlof