Die Hochschulen in Deutschland sind im Umbruch. Die Studienreform, das so genannte „Hochschulfreiheitsgesetz“ in Nordrhein-Westfalen und der Bologna-Prozess haben die Universitäten radikal verändert. Darum wurde es Zeit, eine kritische Zwischenbilanz zu ziehen. Unter dem Titel „Die unternommene Hochschule: Studium, Lehre und Forschung als Ware“ rief die Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW in Kooperation mit dem AStA der Universität Bonn, dem Bund Demokratischer WissenschaflerInnen (BdWi), dem Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs), den StudentInnen in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Vereinigung Demokratischer JuristInnen (VDJ) zur Diskussion und Reflexion auf. In „Bonner Thesen“ legten Sprecher/innen der Veranstalter ihre Sicht und ihre Forderungen zur Situation an den Hochschulen vor.
Eingeleitet wurde der eintägige Kongress von dem Rektor der Universität Bonn, Professor Matthias Winiger. Er räumte ein, dass sich die Hochschulen „im Mahlstrom unterschiedlicher Ideologien“ befänden und dass sich die Politik nicht einfach aus der Verantwortung ziehen dürfe. Zur Verblüffung vieler Teilnehmer stellte er ausdrücklich fest, er teile viele Aussagen der „Bonner Thesen“.
Weniger zaghaft formulierte der erste Redner des Tages von der Universität Frankfurt/M., der Jurist Professor Peter-Alexis Albrecht, seine Anliegen: Er sprach gar von der „verkommenen und zerstörten Hochschule“. Lehrende würden gegeneinander ausgespielt, Curricula an Institute verteilt und die freie Wissenschaft würde vernichtet. Die Studenten seien Objekte von Lehre und Prüfung geworden. Die Universität sei eine behördlich geführte Schule mit einem Rest von Selbstverwaltung. Nicht nur den Studenten, sondern auch den Professoren würde die Zeit geraubt, nachzudenken. Sie würden gezwungen, als Bittsteller Drittmittel einzuwerben. Es könne nicht sein, dass der Senat faktisch abgeschafft sei und die Professoren von externen Kollegen evaluiert würden. „Die Leistung der Professoren wird in Frage gestellt“, kritisierte Albrecht scharf.
An diese Meinung knüpfte auch Wolfgang Lieb, ehemaliger Staatssekretär im Wissenschaftsministerium von NRW an: „Pinkwart hat ein anderes Verständnis von Wissenschaft.“ Für den gegenwärtigen Wissenschaftsminister in NRW sei Wissen ein Produkt, die Studierenden Investoren und Kunden, die Uni ein Unternehmen und die Hochschullehrer das Personal. „Der Staat zieht sich aus seiner Verantwortung zurück, der Bertelsmann-Konzern steht mit Geld über dem politischen System“, ärgerte sich Lieb. Sein Fazit: Marktwirtschaftlicher Wettbewerb zur Steuerung der Hochschule sei ein falscher Weg.
Kritik an den so genannten Elite-Universitäten gab es reichlich vom Darmstädter Elitenforscher Professor Michael Hartmann: „Die Unis, die im Wettbewerb als Sieger dastehen wollen, werden aus dem Problem der übervollen Lehre Konsequenzen ziehen und die Zulassung der Studenten begrenzen.“ Eine Elitehochschule sei bald nur noch wenigen Menschen, nämlich denen aus den oberen Schichten zugänglich. Besonders verärgert äußerte sich Hartmann über die fehlende Solidarität der Professoren. Proteste gäbe es nur von den Studierenden, wie in Hessen, wo die StudentInnen vor einem Fußballspiel die Autobahn blockierten.
Im Anschluss an die Vorträge diskutierten die über 100 TeilnehmerInnen in parallelen Foren mit renommierten ReferentInnen beispielsweise über den Bologna-Prozess, die gesellschaftliche Funktion der Universität, über Studiengebühren und die Steuerung der Hochschule. Das Thema „Hochschulsteuerung zwischen Management und Selbstverantwortung“ war besonders kontrovers – schließlich leiteten es der Geschäftsführer der CHE-Consult (Bertelsmann-Stiftung) Professor Ziegele, der langjährige Rektor der Universität Wuppertal Professor Ronge und Bärbel Rompeltien (GEW), Mitglied im Hochschulrat der Universität Duisburg-Essen ein.
Die Zukunft der „unternommenen Hochschule“ wurde im Schlussplenum diskutiert. Andreas Keller (GEW) wies darauf hin, dass das Rad nun nicht zurück gedreht werden könne. Positiv sei die verbesserte Mobilität, jedoch nicht das Studium an sich. Bianka Hilfrich (fzs/AStA Bonn) fand es problematisch, dass den StudentInnen neben dem Lernen keine Zeit für gesellschaftliches Engagement bleibe und widersprach heftig dem Prorektor der Universität Bonn und NRW-Vorsitzendem des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) Professor Löwer, der die Situation der Hochschulen bei aller Kritik nicht katastrophal fand.
Torsten Bultmann (BdWi) forderte die demokratische Selbstverwaltung der Hochschulen zurück. Ressourcen gehörten nicht an wenige, sondern an alle. Wissenschaft dürfe nicht als Ware oder Produkt verstanden werden.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ruft dazu auf, die mit dem Kongress und den „Bonner Thesen“ begonnene Diskussion fortzuführen. Die Thesen, kritische Kommentare, einige Beiträge der Konferenz und Hinweise auf weitere Veröffentlichungen und Materialien finden sich auf der Website der RLS.
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Julia Killet (Promotionsstipendiatin der RLS, Mitglied im Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW