Die Nischen sind heute leichter zu finden
Am 16.10.2009 lud die RLS NRW im Rahmen der Programmreihe „Genderwerkstatt“ zum gemeinsamen Besuch der Ausstellung „Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919-1969“ ein. Die Ausstellung ist der Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe „Verdammt starke Liebe“, initiiert u.a. von Rosa Strippe e.V. Die in ihrem Umfang einzigartige Ausstellung bietet einen Überblick über die Verfolgung homosexueller Frauen und Männer in Hamburg während der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik bis 1969. Anhand von Schautafeln und Tondokumenten gewährt sie exemplarisch Einblicke in individuelle Schicksale, ergänzt durch Beispiele und Forschungsergebnisse aus dem Ruhrgebiet.
Die Ausstellung veranschaulicht unterschiedliche Phasen in der Geschichte der Homosexuellen-Verfolgung von Weimar bis heute. Während es in den 1920er Jahre noch Nischen gab, in denen homosexuelle Subkultur gelebt werden konnte, änderte sich das Klima unter den Nationalsozialisten drastisch. Die verschärfte Praxis der Hamburger Polizei beispielsweise war dafür symptomatisch. Hatte sie sich in den Jahren vor der Machtübernahme der Nazis noch in relativer Toleranz geübt, nutzte sie danach gnadenlos jede Möglichkeit zur Repression.
Zahlreiche Einzelschicksale werden erzählt, an einige von ihnen erinnern heute Stolpersteine in Hamburg und Bochum. Unter die Haut gehen nicht zuletzt die Auszüge aus den Polizeiprotokollen. „Was wir wissen, wissen wir aus Täterdokumenten, das dürfen wir nicht vergessen“, erklärt Markus Chmielorz. Stets gingen der Verfolgung Denunziationen voraus. „Gerade in Zeiten wie diesen“ müsse doch ein derart „zersetzendes“ Tun geahndet werden, heißt es da. Anzeigen von Strichjungen und bereits Inhaftierten zu erpressen, war gängige Praxis. Homosexualität wurde meist mit weiteren „Vergehen“ assoziiert, mit pazifistischen und/ oder kommunistischen „Umtrieben“ zum Beispiel, die gleichermaßen dem Bild vom „soldatischen Mann“ widersprachen. Lesben wurden in der Regel als „moralisch schwachsinnig“ abgestempelt und in der Folge psychiatrisiert. Eine Frau, die ihre Nachbarin anzeigte, war der festen Überzeugung, dass eine Frau doch unmöglich all die Jahre ohne Mann leben könne.
Auch nach 1945 wurden die Verfolgungen fortgesetzt. Homosexuelle, die sich unter den Nazis „freiwillig“ hatten kastrieren lassen, in der letztlich vergeblichen Hoffnung, so dem KZ zu entgehen, wurden ob ihrer „Einwilligung“ nie entschädigt. Dem physischen Mord ging ein sozialer voraus: Zuerst wurden homosexuellen Akademikern ihre Titel aberkannt, es folgten Berufsverbote und andere Repressionen, schließlich dann die Internierung im KZ. Auch nach dem Krieg gelang es nur wenigen, mit viel Kraft und Hartnäckigkeit die Wiederanerkennung ihrer Titel einzuklagen.
Der berüchtigte §175 gehörte zu den wenigen Paragraphen, die das Kriegsende noch weit überdauerten. Viel zu selten bewiesen Richter Courage und führten die Rechtsprechung ad absurdum, wie z.B. jener Richter am Landgericht Hamburg, der 1951 zwei homosexuelle Männer zu einer lächerlichen Geldstrafe von 3 DM verurteilte. Andere seiner Kollegen entwickelten dagegen einen regelrechten Ehrgeiz bei der Strafverfolgung. „Rosa Listen“, „Tanzverbot“ und „Toilettenverbot“, Berufsverbote und Auftrittsverbote für Transvestiten sind nur einige Stichworte aus der langen Geschichte der Homosexuellenverfolgung im Nachkriegsdeutschland. Noch Mitte der 1990er Jahre verhinderten Anwohner_innen ein Altenheim für Homosexuelle mit dem Argument, rund um das Haus würde zwangsläufig eine „Stricher- und Drogenszene“ entstehen. Die Ressentiments leben hartnäckig fort.
Im Anschluss an den Ausstellungsbesuch stellten Andrea Mielek und Markus Chmielorz die Rosa Strippe und ihre Arbeit vor. Entstanden und noch immer verwurzelt in der Schwulen- und Lesbenbewegung, steht das Team der Rosa Strippe Schwulen, Lesben, ihren Angehörigen, LehrerInnen, kurzum: allen Rat- und Kontaktsuchenden kompetent zur Seite. In der Mehrzahl leisten Ehrenamtliche diese wichtige Arbeit.
Die mit dem Coming-out verbundenen Fragen und Befürchtungen seien noch immer die gleichen und der Beratungsbedarf ungebrochen, erklärt Andrea Mielek, auch wenn das Format der klassischen Coming-out-Gruppe dabei immer mehr an Bedeutung verliert. An ihre Stelle sind zunehmend offene Angebote wie z.B. das Café Freiraum getreten. Einerseits sind Schwule und Lesben in den Medien präsenter geworden und manche Ressentiments werden nicht mehr ganz so unverhohlen öffentlich geäußert wie noch in den 1980er Jahren. Im Wesentlichen sei die Akzeptanz jedoch oberflächlich und partiell, so Andrea Mielek. „Der Freiraum innerhalb der Nischen ist größer geworden. Und diese Nischen sind heute leichter zu finden“, bilanziert Markus Chmielorz.
Die politische und beratende Arbeit der Rosa Strippe konzentriert sich u.a. auf Schulen.
In Schulbüchern sind Schwule und Lesben, wenn es bspw. um das Thema Familie geht, nach wie vor nicht existent. Eine besonders niederschwellig ausgelegte Methode besteht denn auch darin, die Schüler_innengruppe nach Geschlecht zu trennen und den Jugendlichen Gelegenheit zu geben, der lesbischen Kollegin bzw. dem schwulen Kollegen der Rosa Strippe alle Fragen zu stellen, die ihnen durch den Sinn gehen. Im besten Fall irritieren diese Diskussionen nachhaltig festgefügte Vorurteile. Reale Menschen treten an die Stelle der Klischees.
Die Rosa Strippe ist an Schulen, Jugendzentren und bei Festivals präsent, mit JIMBO, Deutschlands erstem „Jugendinfomobil“ zum Thema. Gemeinsam mit Schulen gestaltet der Verein Projekttage im Haus der Rosa Strippe. Meist gibt es einen konkreten Anlass. Schüler_innen fordern die Auseinandersetzung ein oder Lehrer_innen wollen nicht tatenlos zusehen, wenn ein schwuler Schüler gemobbt wird. In solchen Fällen eröffnen sich in der Zusammenarbeit neue Deutungsmuster, die den Blick für Lösungen weiten und eine Kultur befördern, von der alle profitieren. Gilt zunächst vielleicht gar der schwule Schüler als „Problem“, wendet sich der Blick schon bald, dabei durchaus differenzierend, auf die drei Schüler, die ihn schikanieren. Noch interessanter aber ist die Frage, was die anderen 23 Schüler_innen daran hindert, für den gemobbten Schüler Partei zu ergreifen. Und schließlich stehen gar Klima und Kultur der Schule zur Diskussion.
Das Projekt „Schule ohne Homophobie – Schule der Vielfalt“ funktioniert ähnlich wie die Kampagne „Schule ohne Rassismus“. Wer mitmacht, verpflichtet sich öffentlich, aktiv gegen Ausgrenzung und „das Brett vorm Kopf“, für Respekt und Fairness einzutreten. Die Schulen in NRW, die mitmachen, lassen sich bislang noch an zwei Fingern abzählen. Und es kommt vor, dass ein anberaumter Projekttag doch noch kurzfristig auf ein freiwilliges Angebot außerhalb der Unterrichtszeit reduziert wird. Nicht immer sind die Gründe transparent. Vielleicht rudert manche Schulleitung dann doch noch zurück, aus Furcht vor den Vorbehalten mancher Eltern?
Melanie Stitz