Über 80 Prozent der Menschen in beiden Teilen Deutschlands ist es wichtig, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben. Allerdings gehen fast 30 Prozent der Ostdeutschen und fast ein Viertel der Westdeutschen gehen davon aus, dass sich der Zustand der Demokratie verschlechtern wird. Völlig unzureichend ist das Vertrauen in die politischen Institutionen.
Die höchsten Vertrauenswerte erhält der Bundespräsident (42 Prozent im Westen und 35 Prozent im Osten). Dagegen geben nur 18 Prozent der Ostdeutschen an, volles oder viel Vertrauen in den Bundestag zu setzen, bei den Westdeutschen sind es 23 Prozent. Nicht viel besser fallen die Werte für die Bundesregierung aus: 22 Prozent der Ost- und 27 Prozent der Westdeutschen bringen ihr Vertrauen entgegen, wobei dieser Wert unter denjenigen, die mit der Demokratie grundsätzlich zufrieden sind, bei etwa 50 Prozent liegt.
Die niedrigsten Werte finden sich in Ost und West bei denjenigen, die sich als Verlierer der deutschen Einheit sehen (mit lediglich 4 Prozent bei den Ostdeutschen und 13 Prozent bei den Westdeutschen). 73 Prozent der «Wendeverlierer» im Osten und 56 Prozent im Westen haben wenig oder gar kein Vertrauen in den Bundestag. Nur ganze 5 Prozent der «Wendeverlierer» im Osten geben an, der Bundesregierung zu vertrauen, im Westen sind es immerhin noch 23 Prozent.
Der zweitniedrigste Zustimmung findet sich bei den Erwerbslosen: Hier liegen die Werte hinsichtlich des Vertrauens in den Bundestag bei 13 Prozent (Osten) und 18 Prozent (Westen), in Bezug auf Bundesregierung bei 12 Prozent beziehungsweise 19 Prozent. In der Gruppe mit einem Einkommen über 2.800 Euro ist Vertrauen in Bundestag und Bundesregierung in beiden Landesteilen am höchsten. Dennoch sind Vertrauenswerte um etwa 30 Prozent eher als gering anzusehen, und es ist schon ein Problem, wenn nur ein Drittel der «Einkommenseliten» des Landes dem Bundestag etwas zutraut. Etwas anders sieht das Verhältnis dieser Gruppe zur Bundesregierung aus: Hier liegen die Zustimmungswerte immerhin bei 38 Prozent im Westen und bei 33 Prozent im Osten.
Cornelia Hildebrandt, Dezember 2014
Die soziale Entwicklung der letzten Jahre hat sich in Deutschland insgesamt zwiespältig dargestellt. Die Wirtschaft ist vergleichsweise gut durch die Krisen gekommen, Deutschland und die Bundesländer profitieren sogar in haushaltspolitischer Hinsicht von den Maßnahmen der Krisenbekämpfung. Die Wirtschaftsleistung ist gestiegen, ebenso Beschäftigung und die Einkommen. Die meisten Menschen können mit dem wohlverdienten Geld mehr Bedürfnisse befriedigen. Das drückt sich in höheren Lebenszufriedenheiten und etwas gewachsenem Optimismus für künftige Entwicklungen bei einer wachsenden Zahl von Menschen aus.
Auf der anderen Seite haben sich in der Phase der Krisenbewältigung die sozialen Spaltungen entlang verschiedener Linien im Land vertieft.
Erstens hat sich die Ost-West-Differenz in ökonomischer und sozialer Hinsicht vertieft, was auch einschließt, dass die neuen Bundesländer hinter dem Wachstum in den alten Bundesländern zurückgeblieben sind (vgl. BMI, Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014, S. 18, 19).
Zweitens hat sich die Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die am Wachstum teilhaben können, und diejenigen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, prekärer Beschäftigung und Niedriglohn nicht (oder nicht im selben Maße) von diesem Aufwind profitieren können, vertieft. Das bedeutet, dass für Betroffene immer mehr Türen in der Gesellschaft verschlossen bleiben. Die Armutsgefährdung in der Bevölkerung ist anhaltend hoch.
Drittens sind vielfach vorhandene Benachteiligungen und Ungleichheiten nicht beseitigt worden, in einigen Fällen sind sie sogar gestiegen. So verharrt die Ungleichheit von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt, im Beruf und in der Entlohnung nicht nur auf gleichem Niveau, sondern hat sich in einigen Hinsichten sogar vertieft. Frauen werden künftig noch stärker von Armut und insbesondere von Armut im Alter betroffen sein. Auch die Keile, die immer wieder zwischen die Generationen geschoben werden, verfehlen ihre Wirkung nicht. Einerseits müssen Menschen ab dem 50. Lebensjahr immer öfter unfreiwillig aus dem Erwerbsleben ausscheiden, auf Einkommen und Anwartschaften verzichten. Andererseits fällt nach wie vor ein zu großer Teil der jungen Menschen durch das Raster der Schulabschlüsse und beruflichen Bildung. Auch für andere Bevölkerungsgruppen haben sich die Chancen nicht verbessert. So erfahren Alleinerziehende nach wie vor eine starke Benachteiligung in verschiedenen Aspekten der Lebensgestaltung. Für Angehörige benachteiligter Gruppen, wozu auch Menschen mit geringer beruflicher Bildung gehören, ist es nach wie vor schwer, an den Möglichkeiten und Chancen der Gesellschaft teilzuhaben.
Viertens stellen wir eine fortschreitende politische Desillusionierung der Bevölkerung in beiden Teilen - vor allem in den neuen Bundesländern - fest. Den Menschen ist es nach wie vor sehr wichtig, in einem demokratischen Gemeinwesen zu leben, und ihre Auffassungen zur Gestaltung der Demokratie schließen eine starke Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger ein. Sie wollen sich auch mehrheitlich politisch einbringen und engagieren. Aber die praktische Politik führt eher zu Entmutigung als zu Ansporn. Immer mehr wenden sich von den Institutionen ab und sind der Ansicht, dass ihre Meinung doch nicht zählt. Dieser Erosionsprozess der politischen Kultur im Land ist durch die poltischen Eliten verschuldet und auch durch die Intransparenz und Bürgerferne der staatlichen Institutionen.
Vor dem Hintergrund wachsender Ungleichheit (wenn auch auf höherem Niveau) und auch vor dem Hintergrund anhaltender Infragestellungen des Aufbaus Ost ist auch die Herstellung der sogenannten „inneren Einheit“ des Landes nicht vorangekommen. Missgunst, Vorurteile und Geringschätzung (häufig in beide Richtungen) prägen das Bild vor allem in der Öffentlichkeit.
Ein Ergebnis dieser vorliegenden Untersuchung ist jedoch, dass sich die Ostdeutschen und die Westdeutschen in ihren tatsächlichen Einstellungen, Werten und Urteilen ähnlicher geworden sind als es dieses Bild in der Öffentlichkeit vermuten lässt und ähnlicher als noch vor mehreren Jahren. Wir stellen insgesamt fest, dass man trotz der häufig geäußerten Animositäten in Ost und West öfter miteinander übereinstimmt - wenigstens in den Durchschnitten der Meinungsäußerungen. Das betrifft nicht nur die Beurteilung des eigenen Lebens, die sich in beiden Teilen Deutschland weiter verbessert hat, es betrifft auch Bewertungen der gesellschaftlichen Lebensbedingungen und die Erwartungen für die Zukunft, die sich nur mäßig verbessern. Und wir stellen darüber hinaus auch eine Annäherung der Überzeugungen der Menschen in den Grundwerten wie Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Demokratie fest.
Sicherlich, an diesen Annäherungen haben nicht alle Menschen gleichermaßen Anteil. Die sich vertiefenden Ungleichheiten führen unter anderem dazu, dass sich auf der einen Seite Menschen, die Anteil an wirtschaftlichen Erfolgen haben, in ihren Auffassungen näher kommen. Auf der anderen Seite wird der Graben zu denen, die nicht daran teilhaben, auch in den Anschauungen tiefer. „Verlierer“ der Einheit, deren Zahl zwar abnimmt, werden immer unzufriedener mit der Entwicklung. Im Westen haben die Betroffenen den Eindruck, sich mehr vom Osten und den Annäherungstendenzen distanzieren zu müssen. Sie befürchten infolge weiterer Annäherung eine weitere Verschlechterung ihrer eigenen sozialen Position. Im Osten sind die Betroffenen ungeduldig oder resigniert über die ausbleibenden Angleichungen ihrer eigenen Lebensbedingungen und die nicht eingehaltenen politischen Versprechungen.
Aber nicht nur in der Ost-West-Richtung steigen die Diskrepanzen zwischen den sozial Benachteiligten und den von Deprivation Verschonten. Auch innerhalb der ostdeutschen Bevölkerung macht sich die wachsende soziale Spaltung in den Einstellungen und Wertungen der Menschen bemerkbar. Viele Urteile über das gesellschaftliche und das eigene Leben sind in ihrer Differenzierung durch soziale Faktoren geprägt und es ist nicht auszuschließen, dass die Bereitschaft zu solidarischem Verhalten - etwas, was die „gelernten DDR-Bürger“ sich auf die Fahnen schrieben - nachlässt.
Daher fällt das Ergebnis der Untersuchungen zu den Einstellungen, Wertungen und Erwartungen 25 Jahre nach der Öffnung der Mauer und 24 Jahre nach dem Beitritt der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik zwiespältig aus: Neben wirtschaftlichen und sozialen Erfolgen gibt es einen Teil der Gesellschaft (etwa 20 - 25 %), der von der Entwicklung ausgeschlossen bleibt und für den sich auch in Zukunft die Aussichten nicht verbessern werden (Stichworte: Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, Altersarmut). Die öffentlich kommunizierte mentale Trennung der Menschen in Ost und West wird unterlaufen von einem Annäherungsprozess der Einstellungen und Wertungen, von dem zu hoffen ist, dass er nicht in einer Abwendung von den Angelegenheiten unseres Gemeinwesens mündet.
Der „Sozialreport 2014“ stellt die Ergebnisse der Untersuchung „Leben in den neuen Bundes-ländern“ im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung vor.
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