Die Spontis sind heute vor allem mit narzisstischen Figuren verbunden, die in der olivgrünen Partei Karriere machten, wie etwa Joschka Fischer (geboren 1948) oder der 1945 geborene Daniel Cohn-Bendit. Sebastian Kasper möchte mit seinem Buch eine andere Geschichte der Spontis schreiben, zumal eine solche aus linker Sicht bisher nicht wirklich vorliegt.
Die Spontis wollen «spontan» sein, daher rührt auch der Name, und wenden sich gegen das verknöcherte Politikmodell sowohl der Sozialdemokratie als auch der Anfangs der 1970er entstehenden kommunistischen Gruppen, einige beziehen sich als Leitidee auch auf den in Italien wichtigen Operaismus. Kasper erzählt die Entstehung der Spontis aus dem Abschwung, wenn nicht dem Ende der 1968er Bewegung, und kann doch zeigen, dass und wie lange sich «die Spontis» noch auf «1968» beziehen. Kasper referiert anhand vieler Quellen zwei Schwerpunkte: Die Betriebspolitik («Fabrikintervention») der Spontis in Köln, Frankfurt/Main und München – wie auch deren Scheitern. Zweitens die «Wende» hin zu «alternativen» Vorstellungen ab 1974/75. Jetzt lösen sich organisierte Gruppen, wie etwa die Arbeitersache in München – auf, auch das Konzept der Massenmilitanz ist an eine Grenze gekommen. Nun stehen – auch – die eigenen Bedürfnisse im Mittelpunkt: Politik soll Spaß machen, der eigene Bauch wird entdeckt und die Projekte der alternativen Ökonomie beginnen. Quer dazu liegt die feministische Frauenbewegung, die auch vor 1974 bei den Spontis eine große Bedeutung hat.
Die Ausdifferenzierung der undogmatischen Linken setzt sich dann fort. Von Esoterik und «neuer Innerlichkeit» bis zum Neo-Operaismus der 1978 gegründeten und bis 1985 erscheinenden Theoriezeitschrift AUTONOMIE. Neue Folge (digitalisiert auf http://autonomie-neue-folge.org ) öffnet sich ein weites Feld. Viele Spontis lassen nun diese Phase hinter sich, sie engagieren sich in Bürgerinitiativen oder eben den Grünen, die Bewegung als solche verebbt vollends.
Als Geschichtsbuch und zum «Einfach-Lesen» ist diese sehr preiswerte Veröffentlichung gut geeignet. Unter weitergehenden Ansprüchen ist sie kritisch zu sehen. Sich auf Frankfurt/Main und München zu beschränken, selbst wenn diese Städte unzweifelhaft die hot spots der Spontis waren, und es arbeitsökonomische Gründe der Recherche dafür gibt, wird der bundesweiten Bedeutung dieser Strömung, die ja bis in die Provinz reichte und diese mit ihren Ideen und Praktiken ja oft erst zeitversetzt erreichte, nicht gerecht. Leider kann Kasper auch keine These dazu anbieten, warum sich die Spontis so unterschiedlich (auseinander) entwickelten; dass aus ihnen sowohl intrigante Realo-Grüne oder erfolgreiche Firmengründer_innen, wie auch kontinuierlich in der autonomen Bewegung engagierte Genoss_innen wurden. Wie konnte es geschehen, dass trotz des enormen intellektuellen Potentials der Spontis, diese – zumindest im Nachhinein betrachtet – vor allem eine Frischzellenkur für den damals beginnenden neoliberalen Kapitalismus waren? Lag es an den Ideen, an den Menschen, an den Zeitumständen? Alle diesen Fragen sind weiter offen – und wären auch für heute politisch spannend.
Sebastian Kasper: Spontis. Eine Geschichte antiautoritärer Linker im roten Jahrzehnt; edition assemblage, Münster 2019, 254 Seiten, 14 EUR