News | Parteien- / Bewegungsgeschichte - GK Geschichte Mittag/Stadtland (Hg.): Theoretische Ansätze und Konzepte der Forschung über soziale Bewegungen in der Geschichtswissenschaft; Essen 2014

"....bündelt ein breites Interesse der zeithistorischen Forschung an den sozialen Bewegungen seit Ende der 1960er-Jahre...."

Freia Anders, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität
Mainz rezensiert für das Portal HSozKult

Jürgen Mittag, Helke Stadtland (Hrsg.): Theoretische Ansätze und Konzepte der Forschung über soziale Bewegungen in der Geschichtswissenschaft (= Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen, Schriftenreihe A: Darstellungen 47). Klartext Verlag, Essen 2014; ISBN 978-3-8375-0505-4; 481 S.; EUR 49,95.

Anders hat eine sehr umfangreichen Rezension über den Band, dessen Inhaltsverzeichnis hier als PDF online ist, verfasst. Wir publizieren mit ihrem Einverständis, für das wir uns herzlich bedanken, ihren Text.

Als der an eine Tagung des Instituts für soziale Bewegungen aus dem Jahr 2009 anknüpfende Sammelband entstand, kürte das Magazin "TIME" den unbekannten "Protester" zur Person des Jahres 2011.[1] Weltweite Proteste weckten Hoffnungen auf einen globalen Trend zur Demokratie. Der von Jürgen Mittag und Helke Stadtland herausgegebene Band ist nicht an dieser Konjunktur ausgerichtet, bündelt aber ein breites Interesse der zeithistorischen Forschung an den sozialen Bewegungen seit Ende der 1960er-Jahre, ergänzt um weiter zurückliegende Phänomene. Die 19 Beiträge, untergliedert in sechs thematische Abschnitte, größtenteils verfasst von Historikern, aber auch von historisch interessierten Sozialwissenschaftlern, bieten ein anregendes Kompendium der theoretisch inspirierten historischen Bewegungsforschung im deutschsprachigen Raum.
Die Autorinnen und Autoren waren aufgefordert, ihre analytischen Bezugsrahmen in Fallstudien zu demonstrieren und zu diskutieren. Das Ergebnis ist eine ausgewogene Bilanz der Potentiale und Grenzen der von den Sozialwissenschaften entwickelten Ansätze und der daraus resultierenden Methodenvielfalt. Der von den Herausgebern anvisierte "Transfer zwischen den Disziplinen" (S. 17) scheint auf Seiten der Geschichtswissenschaft vollzogen. Die beteiligten Historiker/innen präsentieren eloquent ausbuchstabierte Theoriegefüge, auch wenn einschränkend bemerkt werden muss, dass es sich teilweise lediglich um konzeptuelle Überlegungen handelt, die nicht immer mit einer erschöpfenden Erforschung des Gegenstands einhergehen. Ob der Band auf Seiten der Sozialwissenschaften zur Problematisierung vernachlässigter historischer Dimensionen anregt, bleibt abzuwarten. Das Herzstück des Bandes greift in vier Abschnitten den Paradigmenkanon der Bewegungstheorie auf. Diese Binnengliederung erlaubt es dem Leser, die Antworten der Autoren auf die Frage nach den Ertragspotentialen für Historiker/innen systematisch zu verfolgen.
In ihrer instruktiven Einleitung loten Mittag/Stadtland das "Spannungsfeld von Theorie und Empirie" geschickt aus. Es sei ein begriffsgeschichtliches Desiderat, was sich aus historischer Perspektive unter "sozialen Bewegungen" verstehen lasse. Damit verbunden ist die Frage, inwieweit sich eine Theoriebildung, die sich den "Neuen Sozialen Bewegungen" verdankt, heuristisch sinnvoll auf länger vergangene Bewegungen anwenden lässt. Theoretisch ungeklärt sei auch, wie sich die Kategorien von Zeit und Raum integrieren lassen. Zudem liege in der wissenschaftlichen Selbstgenerierung von Bewegungen durchaus eine Herausforderung. Die von Mittag/Stadtland vorgeschlagene Periodisierung, die das Verhältnis von Herrschaftsform und Bewegung in den Vordergrund rückt und sich an den Chancen sozialer Bewegungen im politischen System orientiert, überzeugt lediglich idealtypisch, bleibt aber letztlich der von den Herausgebern durchaus problematisierten, der Bewegungstheorie inhärenten demokratietheoretischen Normativität verhaftet.

Die komplette Rezension ist über den nachfolgenden Link einzusehen.