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Gustavo Petro könnte Kolumbiens erster linker Präsident werden

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Elias Korte,

Eine Frau hält ein Wahlplakat mit dem Bild von Gustavo Petro, einem linken Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2022 in Kolumbien nach oben. Neben und hinter ihr sind wietere Unterstützer*innen. Auch sie halten Plakate und Banner.
Supporters of left-wing Colombian politician Gustavo Petro, pre-presidential candidate for the Historical Pact movement, show their support during a campaign event with the media, in Cali, Colombia, 18 February 2022. Petro, former mayor of Bogota and former senator, appears as the favorite to be first in the presidential elections on May 29, which will most likely have to be decided in a second round on June 19. Petro is part of a score of pre-candidates, especially grouped into three large coalitions - left, right and center - whose final candidates will be decided in a consultation scheduled for March 13, the date on which Colombia is also summoned to the polls to elect representatives in the Senate and the House. Photo: picture alliance/EPA/Ernesto Guzman Jr.

Zumindest auf den Straßen Madrids empfängt man Gustavo Petro bereits wie einen Präsidenten. «Petro Presidente» schallt es dem kolumbianischen Politiker entgegen, als er im Rahmen einer Europareise sein politisches Programm vor kolumbianischen Emigrant*innen präsentiert. Auch wenn die Vorwahlen der Präsidentschaftskandidat*innen in Kolumbien noch ausstehen, gilt es als sicher, dass Petro für das linke Bündnis «Pacto Histórico» (Historischer Pakt) antreten wird. Gleich zwei große Wahlen finden 2022 in Kolumbien statt: Auf die Parlamentswahlen am 13. März folgt die Präsidentschaftswahl am 29. Mai. Voraussichtlich wird es eine Stichwahl geben. In den Umfragen liegen Petro und sein Wahlbündnis bisher vorn. Ein Sieg eines progressiven Politikers wäre ein Novum in der kolumbianischen Geschichte. Große Teile der Bevölkerung erhoffen sich von der Wahl zudem eine verspätete Umsetzung des Friedensabkommens, das der Staat 2016 mit der Guerilla FARC-EP (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) geschlossen hatte.

Elias Korte ist Praktikant bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kolumbien. Während seines sozialwissenschaftlichen Studiums beschäftigte er sich ausführlich mit dem kolumbianischen Friedensprozess.

Vier Jahre Präsident Duque: Sabotage des Friedensabkommens und Proteste

Mit den Wahlen geht auch die Amtszeit des amtierenden Präsidenten Iván Duque zu Ende, der nicht erneut antreten wird. Er gehört der rechtskonservativen Partei «Centro Democrático» (Demokratisches Zentrum) an und gilt als politischer Ziehsohn des zweimaligen Präsidenten Álvaro Uribe, der rechten paramilitärischen Gruppen nahesteht und weiterhin Einfluss ausübt. In Uribes Regierungszeit ermordete das kolumbianische Militär allein in den Jahren 2002 – 2008 über 6402 Zivilist*innen und präsentierte diese fälschlich als Mitglieder der Guerrilla. Gleich mehrere Verfahren laufen gegen den ehemaligen Präsidenten. Dabei geht es unter anderem um Prozessbetrug und Zeugenbestechung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zahlreiche weitere Verbrechen, die in seine Regierungszeit als Präsident und Gouverneur des Departments Antioquia fallen.

In den letzten vier Jahren sabotierte die Regierung Duque das von ihrem liberaleren Vorgänger Juan Manuel Santos mit der ehemaligen Guerilla FARC-EP ausgehandelte Friedensabkommen. Die Morde an demobilisierten FARC-Kämpfer*innen und sozialen Aktivist*innen nahmen zu. Etwa 1000 von ihnen fallen laut der Organisation Indepaz in die Amtszeit Duques. Auch die wirtschaftliche Lage im Land ist angespannt. Während der Pandemie stieg die Armut sprunghaft an. Der nationalen kolumbianischen Statistikbehörde DANE zufolge stieg der Anteil der Armen von 35,7 Prozent im Jahr 2019 auf 42,5 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2020. Durch den Wertverlust des Pesos verteuerten sich zudem importierte Lebensmittel deutlich. Im Jahr 2021 verfügten rund 2,5 Millionen Haushalte über ein zu geringes Einkommen, um sich täglich drei Mahlzeiten leisten zu können. Diese Entwicklungen sorgten für katastrophale Umfragewerte Duques. Bei den anstehenden Wahlen setzt der Uribismus nun auf weniger vorbelastete Kandidatinnen und Kandidaten. Kolumbien erlebte in der Amtszeit Duques mehrfach landesweite Massenmobilisierungen. Bereits Ende 2019 gingen viele Menschen auf die Straße, doch die Pandemie brachte die Protestwelle zunächst zum Erliegen. Umso größer war die Wucht der Proteste ab Ende April vergangenen Jahres, als Millionen von Kolumbianer*innen auf die Straße gingen. Dagegen ging die Polizei und die Aufstandsbekämpfungseinheit ESMAD immer wieder mit extremer Härte vor. Nach Angaben des Instituts für Entwicklungs- und Friedensstudien (Indepaz), gehen von den 80 getöteten Demonstrant*innen 40 auf das Konto von Polizei und ESMAD. Für den 3. März 2022 hatte das «Nationale Streikkomitee», dem vor allem Gewerkschaften angehören, nun erneut Sozialproteste angekündigt. Aus Sorge vor einer Instrumentalisierung möglicher Ausschreitungen durch die politische Rechte wurde dieser Aufruf jedoch wieder zurückgenommen.

Linkswende mit Ankündigung

Dass mit der politischen Linken zukünftig zu rechnen sein wird, deutete sich bereits bei den Wahlen im Jahr 2018 an. Obwohl das rechtsliberale bis extrem rechte Spektrum bei den Parlamentswahlen deutlich vorne lag und Iván Duque die Präsidentschaftswahl gewann, entwickelte die Kampagne des progressiven Gegenkandidaten Gustavo Petro schon damals eine überraschende Dynamik. Nie zuvor war es einem linken Kandidaten gelungen, derart viele Stimmen auf sich zu vereinen. Das Ergebnis war auch ein Ausdruck davon, dass die traditionelle Zweiteilung des politischen Systems in Konservative und Liberale der Vergangenheit angehört. Auch bei den Regionalwahlen 2019 konnten sich eine Reihe alternativer und bewegungsnaher Kandidat*innen durchsetzen. Die Partei «Demokratisches Zentrum» des Präsidenten Iván Duque erlitt eine empfindliche Niederlage und verlor einige ihrer einstigen Hochburgen, unter anderem das Bürgermeisteramt in Medellín. Besonders stark hinzu gewann die grüne Partei, der es gelang, in der Hauptstadt Bogotá mit der Kandidatin Claudia López das Bürgermeisteramt zu besetzen.

Was wird in Kolumbien gewählt?

Bei den Kongresswahlen am 13. März werden 108 Senator*innen und 188 Mitglieder des Repräsentantenhauses bestimmt. Wahlberechtigt sind knapp 39 Millionen Kolumbianer*innen. Der Friedensvertrag und das kolumbianische Wahlrecht sehen eine Reihe von Besonderheiten bei den Wahlen beider Kammern vor: Im Senat gibt es garantierte Sitze für die aus den FARC entstandene Partei Comunes (5), für Vertreter*innen indigener Völker (2) und für den Präsidentschaftsbewerber mit den zweitmeisten Stimmen. Die restlichen 100 Sitze werden durch nationale Wahlkreise vergeben. Die Wahl der Abgeordnetenkammer erfolgt über Wahlkreise in den 32 Departments und der Hauptstadt Bogotá. Hierbei gibt es garantierte Sitze für Opfer des bewaffneten Konfliktes, die Partei Comunes, ethnische Minderheiten, den stimmenstärksten unterlegenen Vize-Präsidentschaftsbewerber und im Ausland lebende Kolumbianer*innen. Am Tag der Parlamentswahlen wird auch über die Präsidentschaftskandidaturen der Wahlbündnisse entschieden, die aus einer Reihe von Vorkandidat*innen gewählt werden. Die Präsidentschaftswahl folgt dann am 29. Mai. Sofern dabei kein*e Kandidat*in die absolute Mehrheit erlangt, kommt es am 19. Juni zu einer Stichwahl der beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen.

«Historischer Pakt» der Linken

Bei der Parlamentswahl am 13. März stellen sich drei große Parteienbündnisse zur Wahl: Das «Equipo por Colombia» (Team für Kolumbien), bestehend aus Parteien des rechten bis extrem rechten Spektrums, die «Coalición Centro Esperanza» (Koalition der Hoffnung) von Mitte bis Mitte-Rechts-Parteien sowie der «Pacto Histórico» (Historischer Pakt) mit einem Parteienspektrum von sozialistisch bis linksliberal und dem progressiven Hoffnungsträger Gustavo Petro als Vorkandidat für die Präsidentschaft. Petro selbst möchte sich öffentlich nicht mehr im Links-Rechts-Schema verorten und sagt, Kolumbien brauche keinen Sozialismus, sondern Demokratie und Frieden. Nur die nach dem Friedensabkommen aus den FARC-EP hervorgegangene Partei Comunes tritt als einzige aus dem linken Spektrum nicht für den «Pakt» an. Durch das Friedensabkommen erhält sie garantierte Sitze im Parlament.

Um eine erneute knappe Niederlage wie 2018 zu verhindern, setzt der «Historische Pakt» auf politische Breite. Dass dabei auch Militärs und Personen, die in der Vergangenheit dem ehemaligen Präsidenten Uribe nahestanden, eingebunden werden, wird von Teilen der kolumbianischen Linken kritisiert. Auch Vereinbarungen mit der Liberalen Partei und ein Entgegenkommen gegenüber evangelikalen Kräften sorgen für Unmut. Beim Thema Schwangerschaftsabbruch vermied Petro zudem eine klare Positionierung. Er setze sich für eine Gesellschaft ein, in der es keine Abtreibungen geben müsse, verkündete er. Kürzlich gelang Petro mit seinem Treffen mit dem Papst ein in einem stark katholisch geprägten Land nicht zu unterschätzender PR-Coup. Deutlicher links positioniert sich unter den Vorkandidat*innen des «Paktes»Francia Márquez, welche die linkssozialdemokratische Partei POLO und die sozialen Bewegungen repräsentiert.

Der «Historische Pakt» zieht mit den Slogans «Kolumbien kann» und «Die Geschichte verändern» in den Wahlkampf. Inhaltlich erhebt das Bündnis sozial-ökologische Reformforderungen. Dabei sind die Zielgruppen vor allem marginalisierte Teile der Bevölkerung und ein progressives, urbanes Milieu. Die progressive Wahlallianz hat sich zum Ziel gesetzt, die Abhängigkeit Kolumbiens von Kohle- und Erdölexporten durch eine Stärkung der nationalen Industrie zu überwinden und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen. Die sozialen Rechte der Kolumbianer*innen, wie das Recht auf Gesundheit und Bildung, spielen eine zentrale Rolle im Programm des «Paktes». Zudem strebt das Bündnis eine Verkehrswende durch Stärkung des Öffentlichen Personennahverkehrs und einen Ausbau der erneuerbaren Energien an. Nicht zuletzt ist ein wichtiges Anliegen der Linksallianz, die Sicherheit insbesondere für gesellschaftlich engagierte Menschen zu erhöhen und kriminelle Organisationen sowie die Korruption zu bekämpfen.

Im Wahlkampf ist das Bündnis zudem sehr darum bemüht, nicht mit Ländern wie Kuba und Venezuela in Verbindung gebracht zu werden. Die rechtskonservative Partei «Demokratisches Zentrum» setzt dennoch auf antisozialistische Angstkampagnen und warnt vor einem «zweiten Venezuela». Auch angesichts der knapp zwei Millionen venezolanische Migrant*innen im Land versprechen sie sich davon Erfolg.

Freie Wahlen in Gefahr

Offen ist bislang, welche Rolle Stimmenkauf und Wahlmanipulation bei den diesjährigen Wahlen spielen werden. Der Einfluss klientilistischer Strukturen (in Kolumbien als «Maschinen» bezeichnet) auf Wahlen und politische Entscheidungen scheint zwar abzunehmen, ist aber weiterhin vorhanden.
Die unabhängige kolumbianische Wahlbeobachtungskommission «Misión de Observación Electoral» (MOE), spricht in einem Bericht vom 1. Februar 2022 von einem «besorgniserregenden Bild» in einigen Regionen des Landes. Die Gewalt gegen politische und soziale Führungspersönlichkeiten, darunter einige Wahlbewerber*innen, habe sich gegenüber 2018 um fast ein Drittel erhöht. Nach Angaben der MOE gibt es landesweit 131 Kommunen, in denen das Risiko eines Wahlbetrugs besteht. Gegenüber 2018 ist das ein leichter Rückgang. Die Hürde um als Risikogemeinde eingeordnet zu werden, ist allerdings recht hoch: Hierfür muss gleichzeitig eine Betrugsgefahr bei beiden Wahlen und die Gefahr von Gewalt am Wahltag gegeben sein. Die tatsächliche Zahl der Gemeinden, in denen Wahlmanipulation droht, dürfte die Zahl von 131 damit deutlich übersteigen.

«Historischer Pakt» und Petro in Umfragen vorne

Laut einer Umfrage des Forschungsinstituts YanHaas S.A. im Auftrag eines Zusammenschlusses kolumbianischer Medien in der letzten Januarwoche, würden 34 Prozent der Befragten für keine der drei großen Parteiallianzen stimmen. Mit deutlichem Abstand vorne liegt der «Historische Pakt» mit 29 Prozent, gefolgt von der «Koalition der Hoffnung» mit 18 Prozent und dem uribistischen «Team für Kolumbien» mit 13 Prozent. Unter den Vorkandidaten des «Historischen Paktes» für die Präsidentschaftswahl genießt Gustavo Petro mit deutlichem Abstand die meiste Zustimmung und hat somit die besten Aussichten auf die Präsidentschafts-kandidatur seines progressiven Wahlbündnisses. Bei den anderen beiden Allianzen gibt es keine derart herausragenden Vorkandidaten.
Die Nominierung von Petro ist daher so gut wie sicher. Laut der Umfrage könnte er dann bei der Präsidentschaftswahl mit 27 Prozent der Wähler*innenstimmen rechnen. Damit läge er in der ersten Runde vorne, aber es käme zur Stichwahl. Trotz der klaren Führung für Petro in dieser Umfrage existiert auch ein großes Maß an Unsicherheit. Das betrifft insbesondere die jungen Wähler*innen: So erklären zwei Drittel der befragten Kolumbianer*innen zwischen 18 und 32 Jahren in einer Studie der Universidad del Rosario, dass sie noch nicht wüssten, für welchen Kandidaten sie stimmen werden.
An zweiter Stelle liegen bei der Präsidentschaftswahl laut YanHaas die ungültigen Stimmen, gefolgt auf Platz drei von dem sich als partei- und bündnisunabhängig erklärenden Kandidaten Rodolfo Hernández, ehemaliger Bürgermeister von Bucaramanga, dem zwölf Prozent der Befragten ihre Stimme geben würden. An der erklärten Unabhängigkeit von Hernández gibt es indes begründete Zweifel. Am 4. Februar erklärte Kolumbiens Ex-Präsident Álvaro Uribe, dass er seinerzeit Hernández in das Bürgermeisteramt verholfen habe. Am 7. Februar veröffentlichte Uribe erneut einen Tweet, in dem er sich mit Hernández solidarisierte. Dieses Verhalten Uribes lässt sich so deuten, dass der Uribismus sich mit Hernández neben den Kandidaten des «Team für Kolumbien» eine weitere Option offen halten möchte. Dass Hernández, der auch als «kolumbianischer Trump» bezeichnet wird, mit seiner Anti-Establishment-Kampagne in einem direkten Duell gegenüber Petro punkten könnte, ist jedoch unwahrscheinlich.

Aussichten für die politische Linke

Von den anstehenden Wahlen in Kolumbien ist eine Ausstrahlung auf den Kontinent insgesamt zu erwarten. Kolumbien ist das einzige Partnerland der NATO in Lateinamerika und ein stabiler, strategisch bedeutsamer Verbündeter der USA. Alle bisherigen Regierungen in Kolumbien seit dem Ende des spanischen Kolonialismus waren mit den USA verbündet. Auch Petro wird sich keinen Bruch mit den USA erlauben können, aber er könnte die außenpolitischen Beziehungen diversifizieren. China und Russland könnten für Kolumbien an Bedeutung gewinnen.

Es ist abzusehen, dass sich bei einem Wahlerfolg Petros ein spannungsreiches Verhältnis von parlamentarischer und außerparlamentarischer Linker entwickelt. Eine Frage wird sein, wie viel Einfluss diejenigen auf Petro haben werden, die die großen Mobilisierungen der letzten Jahre getragen haben. Derzeit genießt Petro eine breite Unterstützung in der Linken, wenn auch zum Teil eine skeptisch-zurückhaltende. Trotz der Kritik an seinen neuen Allianzen, zum Beispiel mit klerikalen Kreisen, scheint es keine Alternative zu Petro und dem «Historischen Pakt» zu geben.

Für den Fall, dass Petro und der «Historische Pakt» scheitern, dürfte dies eine große Leerstelle in der auf Wahlen ausgerichteten kolumbianischen Linken hinterlassen. Petro, als populärster Politiker des kolumbianischen «Progressismus» und der Linken, hat angekündigt für den Fall einer Niederlage seine politische Karriere zu beenden. Damit gäbe es wohl auf absehbare Zeit keine progressive, geschweige denn linke Regierungsperspektive in Kolumbien.