News | Digitalisierung und Demokratie Schafft die EU ein digitales Grundgesetz?

Martin Schirdewan u.a. über die Auswirkungen des DSA

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Martin Schirdewan, ein weißer Mann, steht vor einem Mikro im Plenarsaal des Europäischen Parlaments.
Martin Schirdewan im Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Foto: IMAGO / Future Image

Im Jahr 2000 stand die digitale Welt ganz am Anfang. Einige von uns saßen noch mit dem Laptop auf dem Boden, in der Nähe des Modems, weil das Netzwerkkabel zu kurz war. Andere hatten vielleicht noch gar kein Internet. An Unternehmen wie Facebook, Amazon und Airbnb war damals noch nicht zu denken und schon gar nicht daran, welche Marktdominanz sie eines Tages erreichen würden. In dieser Zeit erblickte die Richtlinie für den elektronischen Geschäftsverkehr das Licht der Welt. Nun, mehr als 20 Jahre später, sind die dort getroffenen Regelungen mehr als aus der Zeit gefallen und werden mit dem Gesetz über digitale Dienste (kurz: DSA) und dem Gesetz über digitale Märkte (kurz: DMA) angepasst. Über den Zeitraum von 1,5 Jahre fanden intensive Verhandlungen im Europäischen Parlament, sowie mit dem Europäischen Rat, statt, in denen ich als verantwortlicher Abgeordneter der Linksfraktion THE LEFT viele meiner Forderungen durchsetzen konnte. Nun sind die Verhandlungen abgeschlossen und die beiden Gesetze werden spätestens Januar 2024 in Kraft treten.

Der DSA schafft neue Regeln, sodass alles, was illegal offline ist, auch illegal online ist. Hierbei wird anhand eines sogenannten «Notice and Action»-Verfahrens gewährleistet, dass User*innen Inhalte posten können, illegale Thematiken jedoch nach Erkennung gelöscht werden. Somit haben private Internetplattformen nicht mehr die Entscheidungsgewalt darüber, was (nicht) im Netz gesagt werden darf. Denn dies ist im DSA jetzt einheitlich, gesetzlich festgelegt. Der DSA schreibt keine Verwendung von automatisierten Filtern vor. Dies ist wichtig, da Filter zum Erkennen und Entfernen möglicher illegaler Inhalte weiterhin die falsche Antwort sind. Sie entfernen zum einen mehr als sie sollen und zum anderen ist ihnen eine große Fehleranfälligkeit nachgewiesen. Sie sind blind für den Kontext und gefährden so die Meinungsfreiheit im Netz.

Martin Schirdewan ist (zusammen mit Manon Aubry) Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion THE LEFT im Europäischen Parlament.

Negative gesellschaftliche Auswirkungen digitaler Konzerne erleben wir beispielsweise durch die Algorithmen-gesteuerte Polarisierung der Gesellschaft, da sich Hass und Desinformationen auf digitalen Plattformen leichter verbreiten. Die Unternehmen versuchen durchgehend die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen möglichst lange auf ihren Plattformen zu halten. Dafür werden fragwürdige Inhalte besonders hochgerankt und deren Verbreitung aufgrund von Profitinteressen unterstützt. Durch weitreichende Transparenzverpflichtungen öffnet der DSA die Black-Box der Algorithmen der Online-Plattformen.

Weiterhin erstellen Unternehmen durch das Sammeln unserer persönlichen Daten maßgeschneiderte Werbung und versuchen auch so unsere Aufmerksamkeit möglichst lang an die Internetseite zu binden. Denn jede Sekunde, die wir länger auf der Seite verweilen, füllt die Kasse der Plattformen. Um den skrupellosen Geschäftsmodellen endlich ein Ende zu setzen, habe ich mich in den Verhandlungen für ein komplettes Verbot von Tracking und personalisierter Werbung eingesetzt. Durchsetzen konnte ich ein Verbot von personalisierte Werbung für Minderjährige und besseren Schutz unserer persönlichen Daten. Das Sammeln von hochsensiblen Daten, wie Gesundheitsdaten oder sexuelle und politische Orientierung, für Werbezwecke ist zukünftig durch das Gesetz über digitale Dienste (DSA) untersagt.

Ein weiterer Erfolg ist, dass mein Vorschlag ein Verbot von «Dark Patterns» einzuführen größtenteils angenommen wurde. Die Ablehnung von Cookies oder die Abmeldung von Kundenkontos darf somit nicht mehr durch unübersichtliche Designs und mehrfache Klicks erschwert werden. Somit werden Nutzer*innen zukünftig nicht mehr durch unfaire Verwirrungstaktiken zu einer Zustimmung verleitet. Lästige aufpoppende Fenster dürfen nun nicht mehr durch ihre Designs zur Einwilligung zum Sammeln von persönlichen Daten verführen. Dies ist ein riesen Gewinn für User*innen und stoppt das manipulierende Verhalten von Internetplattformen.

Die Zerrüttung bereits prekärer Wohnungsmärkte durch dominante Player wie Airbnb, das in 191 Ländern mehr Zimmer als die fünf größten Hotelketten zusammen vermietet, muss aufgehalten werden. Kurzzeitvermietungsplattformen treiben Miet- und Kaufpreise in europäischen Städten nach oben. Anfang 2020 wurden über 12.000 Berliner Wohnungen auf Airbnb angeboten, davon sind circa 80 Prozent der Airbnb Einträge rechtswidrig. Airbnb ignoriert dies momentan und verweigert den notwenigen Datenaustausch mit örtlichen Behörden. Der Digital Services Act wird dies unterbinden und endlich eine Rechtsgrundlage schaffen, wo Airbnb sich nicht mehr vor europäischen Städten verstecken kann. Hinzukommend wird die EU ein weiteres Gesetz für die Regulierung von Kurzzeitvermietung auf den Weg bringen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass diejenigen reguliert werden, die mit Wohnraum spekulieren und diejenigen geschützt werden, die lange darin wohnen wollen.

Die Durchsetzung der DSA-Regeln wird viele Ressourcen der europäischen und nationalen Behörden verlangen. Um die Finanzierung zu gewährleisten, wird eine Aufsichtsgebühr für große Digitalunternehmen eingeführt. Es ist zu begrüßen, dass statt der Steuerzahler*innen nun die größten digitalen Unternehmen die Kosten übernehmen müssen.

Das Gesetz über digitale Märkte (DMA) hat das Ziel, das Ungleichgewicht auf dem digitalen Markt zu beseitigen. In den letzten zehn Jahren haben Unternehmen wie Google, Facebook und Co. eine beherrschende Stellung erlangt. Die GAFAM-Unternehmen, also Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft, kontrollieren mittlerweile 70-80 Prozent des gesamten Digitalmarktes haben gerade in der Pandemie unglaubliche Profite erwirtschaftet. Amazon konnte seinen Jahresgewinn seit 2019 auf 29 Mrd. Euro (in 2021) verdreifachen. Durch die digitalen Monopole entstanden massive Nachteile für Konkurrenten, aber auch ein enormer Einfluss auf Demokratie, Wirtschaft und Gesellschaft.

Auch Verbraucher*innen sind durch die Monopole und deren Verhaltensweisen stark in ihren Wahlmöglichkeiten im Internet eingeschränkt. Um die Lock-In-Effekte, also die de facto nicht vorhandene Möglichkeit, einen Online-Dienst zu wechseln, von Facebook, WhatsApp und Co. zu beenden, habe ich in den DMA-Verhandlungen Interoperabilität von Messenger-Diensten durchgesetzt. Das bedeutet, dass wir zukünftig keine 5 Messenger Apps mehr auf dem Handy brauchen, um mit unseren Freunden in Kontakt zu bleiben. Mit Interoperabilität werden Nachrichten wie Emails verschickt oder wie Telefonanrufe von einem Netz ins Andere. Eine Nachricht von WhatsApp zu Signal ist zukünftig leicht verschickt. Wir können entscheiden, bei welchem App-Provider wir uns anmelden, unsere Daten anvertrauen und weiterhin mit allen Bekannten auf anderen Apps kommunizieren. Gleichzeitig wird Apps wie WhatsApp die Monopolstellung strittig gemacht.

Ein Skandal ist es, dass die konservativen Kräfte und die Europäische Kommission die Verpflichtung zur Interoperabilität von Messenger-Apps auf die lange Bank schieben. Auf eine komplette Anwendung von App-übergreifend Nachrichten, Anrufe und verschlüsselte Gruppenchats werden wir noch bis zu 3 Jahre warten müssen. Ebenso wird mein Vorschlag von Interoperabilität für soziale Medien, also eine App-übergreifende Vernetzung zwischen Facebook, Twitter oder TikTok, in die ferne Zukunft verschoben. So lange Zeit haben wir nicht, Nutzer*innen wollen bereits seit mehreren Jahren frei wählen, welche Apps sie benutzen ohne von Freunden und Bekannten abgeschnitten zu werden.

Damit die neuen Regeln in dem Gesetz über digitale Märkte in Zukunft von den Unternehmen befolgt werden, haben wir uns auf harte Strafen bei Nichteinhaltung verständigt. Dazu gehören bei mehrfachen Regelverstößen Geldstrafen von bis zu 6 Prozent des Jahresumsatzes, ein temporäres Verbot von Übernahmen anderer Unternehmen sowie die Möglichkeit der Monopolaufspaltung. Wenn WhatsApp sich beispielsweise nicht an Interoperabilitätsverpflichtung, also die Öffnung der App sich mit anderen Messengern zu verbinden, hält, könnte die Europäische Kommission als Strafe die Abspaltung von WhatsApp vom Mutterkonzern Facebook (Meta) verlangen.

Ein großer Fehler ist es, dieses Gesetz nur auf die GAFAM, also Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft, plus wenige Ausnahmen zu beschränken. Das Gesetz muss alle Monopole auf dem digitalen Markt umfassen. Nur wenn alle digitalen Monopole sich an die neuen Regeln halten müssen, kann der digitale Markt wieder zu einem Spielfeld für europäische Start-Ups und Innovationen werden.

Im DSA und DMA werden natürlich nicht alle Probleme auf dem digitalen Binnenmarkt gelöst. Vielmehr ist es wichtig, dass Themen wie die längst überfällige Einführung einer Digitalsteuer und der Schutz von Plattformarbeiter*innen durch klare gesetzliche Reglungen eingehend bearbeitet werden. Millionen von Plattformarbeiter*innen sind durch die Digitalisierung betroffen. Durch die Veränderung des Arbeitsmarktes verschwimmen im Hinblick auf die Beschäftigung insbesondere die Grenzen zwischen selbständiger und abhängiger Arbeit. Flexible Beschäftigungsmöglichkeiten können zu Scheinselbständigkeit und prekären Arbeitsbedingungen führen. Es ist eine Frage des Kündigungsschutzes, der Mindestlöhne, des Arbeitsschutzes und der Arbeitszeitregelungen. Es bedarf daher einer detaillierten gesetzlichen Grundlage um diesem neuen Phänomen gerecht zu werden und die wachsende Zahl von Plattformarbeitern in Europa zu schützen. Auch muss das Wettbewerbsrecht im Digitalbereich angepasst werden. Zusammenschlüsse wie der Kauf von WhatsApp oder Instagram durch Facebook dürfen nicht genehmigungsfähig sein. Fairer Wettbewerb muss in digitalen Märkten wieder möglich sein, um europäischen Unternehmen vom Start-up bis zum Big Player wieder reale Marktchancen zu ermöglichen. Mit dem Gesetzespaket über digitale Dienste (DSA) und digitale Märkte (DMA) macht die EU einen großen Schritt um das Internet sicherer und fairer für Verbraucher*innen zu gestalten. Dies ist ein guter Anfang in Richtung mehr digitaler Demokratie, auch wenn es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Als Abgeordneter im Europäischen Parlament werde ich diesen Pfad weiterverfolgen.