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Ausstellung zu Fotogeschichten von Arbeitskämpfen im Hamburger ´Museum der Arbeit`

Ansicht des Museums mit Werbebanner für die Ausstellung «Streik! Fotogeschichten von Arbeitskämpfen», Foto: Ulrich Maaz

Im Museum der Arbeitin Hamburg wird noch bis zum 3. Oktober 2022 die Sonderausstellung «Streik! Fotogeschichten von Arbeitskämpfen» gezeigt. Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem Ruhr-Museum in Essen.

Es handelt sich um Bildstrecken von zehn Arbeitskämpfen aus den Jahren 1966 bis 2021. Die Fotograf:innen waren nah an den Auseinandersetzungen dran, teilweise waren sie selbst daran beteiligt. Dadurch entstanden authentische Bilder, die Solidarität und Selbstbewusst­sein, aber auch Wut, Verzweiflung und Ängste zeigen. Denn bei den dokumentierten Arbeits­kämpfen handelt es sich nicht um «normale» Tarifauseinandersetzungen. So geht es bei vier der Bildstrecken um Arbeitsplatzabbau bzw. Betriebsschließungen, also um die materielle und soziale Existenz der Beschäftigten.

Am Anfang der Ausstellung wird das besonders deutlich:

Zwei Fotoserien handeln von dem fast einjährigen Streik der britischen Bergarbeiter 1984/85, der sich gegen die Schließung von Zechen und die Vernichtung von 20.000 Arbeits­plätzen richtete. Die damalige Premierministerin Margret Thatcher wollte damit ein Exempel ihrer neoliberalen Politik statuieren. Auf den Fotos sind die militanten Auseinandersetzungen mit Streikbrechern und Polizei zu sehen, die zentrale Rolle der Bergarbeiterfrauen bei der Un­terstützung des Streiks, aber auch das Elend. Bilder, auf denen streikende Kumpels im Winter 1984/85 auf den Abraumhalden nach brauchbarer Kohle zum Heizen graben, können nieman­den kalt lassen.

Ulrich Maaz ist langjähriger ver.di-Aktiver und lebt in Hamburg.

Korrespondierend lassen sich dazu die Fotografien über die Proteste gegen die Zechenstill­legungen im Ruhrgebiet ab 1966 «lesen». Sie zeigen vor allem Demonstrationen, Protestver­sammlungen und den wehmütigen Abschied nach der letzten Schicht. Auch hier spielen die Frauen und Familien der Kumpel eine unterstützende Rolle. Aber im Vergleich zum briti­schen Bergarbeiterstreik wirkt die Szenerie fast friedlich. Das mag an der Perspektive der Fo­tografen, an den unterschiedlichen Kampftraditionen oder an der Rolle der Politik liegen. An­ders als in Großbritannien gab es beim «Zechensterben» im Ruhrgebiet nämlich Unterstüt­zung aus der Politik – wohl auch ein Ergebnis der Massenproteste. So wurde der Arbeitsplatz­abbau im Steinkohlebergbau ab 1968 durch die Gründung der Ruhrkohle AG und staatliche Hilfen zumindest abgefedert.

Zwei weitere Fotoserien beziehen sich auf Arbeitskämpfe im Zusammenhang mit der Stahl- bzw. Werftenkrise: bei Krupp Rheinhausen und HDW in Hamburg. Sie lassen die Be­trachter:innen nahe am betrieblichen bzw. regionalen Geschehen teilhaben.

Das gilt auch für die zwei aufeinander bezogenen Bildstrecken der «wilden» Streiks bei Pierburg in Neuss und Ford in Köln 1973, die von Migrant:innen initiiert wurden. Das Beson­dere bei Pierburg wird sichtbar: Es streiken die ausländischen Frauen gegen die miese Bezah­lung in den «Leichtlohngruppen» – und sie waren erfolgreich, weil sich auch andere deutsche Beschäftigte und der Betriebsrat mit ihnen solidarisieren. Bei Ford dagegen fand keine Solida­risierung statt und der Streik bzw. die Betriebsbesetzung von 8.000 Kollegen für mehr Urlaub wurde nach wenigen Tagen gewaltsam beendet.

In der Ausstellung werden noch weitere Auseinandersetzungen fotografisch dokumentiert,

  • die Proteste der «Sans-papiers» 1996 in Paris,

  • der Streik von 3.000 Minenarbeitern der Platinmine Marikana in Südafrika 2012, der von der Polizei gewaltsam niedergeschlagen wurde,

  • der Streik bei Neupack in Hamburg-Stellingen 2012 um einen Tarifvertrag, bei dem die Beschäftigten mit einer außerordentlich gewerkschaftsfeindlichen Geschäftsfüh­rung zu tun hatten. Dort gab es auch Konflikte zwischen Belegschaft und IG BCE über die richtige Arbeitskampfstrategie.

Der jüngste präsentierte Arbeitskampf ist der der Riders in Berlin und Hamburg gegen die prekären Arbeitsbedingungen bei Gorillas und Konsorten.

Leider haben andere Streiks aus jüngerer Zeit keinen Eingang in die Ausstellung gefunden. So wäre z.B. eine Fotoserie über die Streiks von ver.di im Sozial- und Erziehungsdienst 2009 bzw. 2015 eine Bereicherung gewesen. Aber auch so ist «Streik! Fotogeschichten von Arbeitskämpfen» eine sehenswerte Ausstellung. Sie regt zum Erinnern, zum Nachdenken und zum Mitfühlen an – ein gutes Stück anschauliche Sozialgeschichte.

Ulrich Maaz

Zur Ausstellung ist auch eine Publikation erschienen. Die Broschüre «Streik! Fotogeschichten von Arbeitskämpfen» enthält 108 farbige und s/w Abbildungen auf 88 Seiten (ISBN 978-3-947178-12-4, Verlag der Stiftung Historische Museen Hamburg9,90 Euro).

Diese Ausstellungskritik erschien zuerst in: express- Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Ausgabe 7-8/2022.

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