Kommentar | Soziale Bewegungen / Organisierung - Iran Nur die Wahl zwischen Krone und Turban?

Der Kampf um Demokratisierung – im Iran und in der Opposition

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Seit mehr als 100 Tagen währt die historische Protestwelle, die mit dem Tod von Jina Mahsa Amini am 16.9.2022 ihren Anfang nahm. Demonstrationen ebben im ganzen Land nicht ab und sehr deutlich wird an den Slogans und den Bannern der Proteste, dass ein totaler Systemwechsel, eine Revolution gefordert wird. Währenddessen formiert sich die revolutionäre Opposition neu, gerade weil jeglicher Widerstand seit der Islamischen Revolution von 1979 kriminalisiert und ins Exil gedrängt wurde. Umso mehr stellt sich nun die Frage, wer diese Opposition leiten kann, wie diese organisiert werden muss und wie vergangene Fehler vermieden werden können. Eine gemeinsame Neujahrserklärung von verschiedenen berühmten Persönlichkeiten der iranischen Diaspora, darunter der Sohn des ehemaligen Schah und die Aktivistin Masih Alinejad ruft jetzt zur Einheit diasporischer Akteure auf.

Die Rolle der Opposition in der Diaspora

Die jetzige Opposition in der Diaspora lässt sich allerdings auch durchaus kritisch betrachten. Mitnichten war die gesamte Diaspora immer schon gegen das System und viele wollen nicht darüber reden, was seit und vor 1979 passiert ist. Das hat zur Folge, dass die historische Verantwortung vieler politischer Gruppen nicht ansatzweise thematisiert wird. Fatal ist dies gerade aus der Perspektive der politischen und ethnischen Minderheiten wie die der Kurd*innen, denn es wird erkenntlich, dass der Diskurs von Teilen der diasporischen Opposition sich vielen nationalistischen und monarchistischen Punkten bedient, um diese Aufarbeitung zu vermeiden. Viele linke und progressive Kräfte tolerieren das, weil sie einerseits fürchten, die gemeinsame Einheit zu zerstören und andererseits, das Potential der Massenmobilisierung in der Diaspora zu gefährden. In einer Zeit, in der die linken Gruppen und Organisationen sich in einer strukturellen Krise befinden, wird der diskursive Raum durchgehend von der rechten Opposition gestaltet. Obschon die ärmeren Bevölkerungsschichten die tragende Säule der Proteste sind, werden die auf den Straßen des Iran stattfindenden Kämpfe für nationalistische und neoliberale Ziele instrumentalisiert.

Dastan Jasim ist Politikwissenschaftlerin und Doctoral Fellow am Leibniz Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg (GIGA). Sie promoviert an der FAU Erlangen Nürnberg zur politischen Kultur von Kurd*innen im Iran, Irak, Syrien und der Türkei und beschäftigt sich darüber hinaus mit sicherheitspolitischen Fragen in der Region.

Pedram Zarei ist mehrsprachiger Übersetzter, Journalist und politischer Aktivist aus Rojhelat (Ostkurdistan). Er lebt seit vier Jahren als politischer Geflüchteter in Deutschland. Zu seinen Interessengebieten gehören die kurdische Frage, Kritische Psychologie und Kultursoziologie.

Ammar Goli, ist investigativer Reporter. Seine Forschung liegt hauptsächlich auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen Mafiagruppen und totalitären Regierungen sowie der kurdischen Frage im Nahen Osten.

Die Einheit mit faschistoiden und regressiven Kräften im Exil war es, was auch 1979 die Revolution zu einer Revolution des Autoritarismus gemacht und die Gewinne aus einem Jahr voller Streiks und Proteste nichtig gemacht hat. Linke und progressive Kräfte, die den Wandel zu einer Demokratisierung ernst nehmen, müssen die Wurzeln des iranischen Autoritarismus von Shah bis Mollah aufarbeiten und die Struktur dieser Opposition konsequent von monarchistischen und nationalistischen Einheitsfronten loslösen. Wenn sie dies nicht tun, ist nicht nur das Scheitern eines demokratischen Wandels die Gefahr, sondern die Existenz all derjenigen marginalisierten Gruppen, die gerade dem Autoritarismus im Iran ihre Stirn bieten.

Kritik des iranischen Autoritarismus

Dieser Kritik liegt die grundsätzliche Kritik des iranischen Autoritarismus zugrunde. Viele oppositionelle Stimmen bestehen beispielsweise darauf, dass das Regime nicht als iranisches, sondern als islamisches bezeichnet wird. Dieses rhetorische Detail ist mehr als ein diskursiver Trick, nämlich ein Symptom einer mangelnden Aufarbeitung dessen, was den Iran seit den letzten 100 Jahren ausmacht und wie das Grundproblem des Autoritarismus im Iran angegangen werden kann. Was Khomeini und Khamenei nämlich 1979 aufbauten, ist in seiner grundsätzlichen institutionellen Form lediglich eine Fortführung eines bestehenden Zentralismus und Autoritarismus in einem islamischen Gewand, das keineswegs in einem diametralen Verhältnis zu einer vermeintlich progressiven monarchistischen Vergangenheit steht. Es ist nicht zuletzt der moderne Iran des Reza Shah gewesen, der ab 1925 ganz ähnlich wie beispielsweise auch Mustafa Kemal Atatürk ab 1923 einen rabiaten Nationalismus predigte, um eine Legitimität der Moderne zu schaffen. Was früher durch eine bestimmte Abstammung selbstverständlich war, nämlich eine totale Herrschaft, sollte nun durch ein gemeinsames nationalistisches Verständnis ersetzt werden. Ähnlich wie bei Atatürk bedeutete das für Reza Shah auch, eine übergangsweise westlich orientierte Modernisierung und ein entschiedenes Vorgehen gegen jegliche ethnische Gruppe, die diese auf das persische Zentrum fokussierte Vereinigung mit dem neuen Namen «Iran», übersetzt Land der Arier, stören könnte. Daher ist es gar kein Zufall, dass der erste bilaterale Freundschaftsvertrag zwischen der Türkei Atatürks und dem Iran Reza Shahs das zentrale Ziel hatte, gegen die kurdischen Aufstände der 1920er Jahre vorzugehen, die sich am türkisch-iranischen Grenzgebiet abspielten, was das Herz der kurdischen Siedlungsgebiete darstellt. Sein Sohn Mohammed Reza Shah Pahlavi, der auf ihn folgte und Vater der jetzigen Gallionsfigur der Opposition Reza Pahlavi war, sollte kein anderes Programm haben. Selbst Mohammed Mossadegh, der von vielen westlichen Linken einzig wegen seines Nationalisierungsprogramms der natürlichen Ressourcen des Landes als sozialistische Legende gesehen wird, hatte kein Ende von Zentralismus und Autoritarismus beabsichtigt.

Fehlende Aufarbeitung der Vergangenheit

Angesichts dieser unaufgearbeiteten Kontinuitäten wäre eine ernsthafte institutionelle und nicht nur ideologische Kritik der Vergangenheit des Iran so wichtig. Andernfalls ist die Folge das, was derzeit passiert: Kurd*innen und anderen Minderheiten wird von iranischen Nationalisten und von Sprechern der Revolutionsgarden gleichermaßen auf Schritt und Tritt Separatismus vorgeworfen, selbst wenn keine politische Gruppe Separation fordert. Einzig und allein die fundamentale Kritik am vergangenen Modus iranischer Staatlichkeit reicht, um als «Spalter» und «Hetzer» zu gelten, während Demokratisierung und wirklicher institutioneller Wandel nicht nur im Interesse von Minderheiten, sondern vom ganzen Land sind. Gerade im Kontext eines Landes, das von Missmanagement und Korruption durchfressen ist, ist die effektive Kontrolle zwischen Teilen des Staatsapparates, die Dezentralisierung des politischen Systems und politischer Entscheidungsfindung sowie eine ernsthafte Aufarbeitung dessen, was demokratischer Wandel bedeutet, fundamental. Gerade liegt das in weiter Ferne, viele kurdische Akteure fühlen sich in dem nationalistischen Diskurs in einen permanenten Verteidigungsmodus gedrängt.

Die fehlende Aufarbeitung zeigt sich auch am Beispiel der neueren diasporischen Opposition und den teilweise fließenden Übergängen zwischen Nationalismus, Monarchismus und der Ideologie der Islamischen Republik. In den letzten Jahren, während die wirtschaftlichen Bedingungen im Iran schwieriger geworden sind, haben viele iranische Prominente das Land verlassen und sind in irgendeiner Weise politisch aktiv geworden. Sie haben sich seitdem zu den politischen, wirtschaftlichen und sogar sicherheitspolitischen Fragen des Irans geäußert und dominieren schnell den Diskurs. Allerdings haben diese Personen in ihren politischen Äußerungen nach ihrer Ausreise aus dem Iran bewusst zwei Ansätze verfolgt: Entweder haben sie von Anfang an die Monarchisten, unterstützt, oder sie haben zunächst einen Schritt auf die Politik der reformistischen Bewegungen im Iran zugemacht und dann begonnen, die monarchistischen Gruppen zu unterstützen. Viele Prominente unterstützten erst bei den letzten und vorletzten Wahlen reformistische Kandidaten und nutzten somit ihr Privileg nicht, um fundamentalen Wandel zu fordern sondern ewig das geringere Übel schmackhaft zu machen. Genau diese Personen haben auf einmal den aus der kurdischen Bewegung stammende Slogan «Frau, Leben, Freiheit» für sich entdeckt, versuchen diesen aber vollkommen von seiner linken und kurdischen Essenz loszulösen und unterlegen diesen Slogan sogar mit der ehemaligen Königsgemahlin Farah Diba. Ähnliche Beispiele für diese Praxis sind der Fußballprofi Ali Karimi, der Schauspieler Hamid Farrokhnezhad, der Filmemacher Borzu Arjmand,.aber auch Masih Alinejad, Reza Veysi oder Kamelia Entekhabifard. Sie alle normalisierten in der Vergangenheit die islamische Republik, drängen sich nun in den Revolutionären Vordergrund und zeichnen den Monarchismus als einzige Alternative. In den Hintergrund gedrängt werden dabei diejenigen, die schon in den 80ern den Status Quo nicht akzeptieren.

Verzerrtes Bild von Klassenverhältnissen im Iran

Diese Kreise von privilegierten Akteure versuchen nun, die diasporische Opposition zu übernehmen. Materielle Besitzverhältnisse geben hier den Ton an. Die Gemeinschaft um Reza Pahlavi liefert aufgrund einer über Verwandtschaft- und engen Wirtschaftsbeziehungen verbundenes Netzwerk nicht nur ein kohärentes Bild nach außen, sondern sticht auch durch vermeintliche propagierte Ideologiefreiheit hervor, was sie, vergleichend mit anderen oppositionellen Gruppen, für sehr viele Menschen aus der oberen Mittelschicht im Westen zugänglicher macht.

Das akademische Milieu in Deutschland verfällt besonders diesem Bias. Während die Menschen in den wirtschaftlich kolonialisierten Provinzen wie Belutschistan und Kurdistan nicht einmal die Schule besuchen können und die Mehrheit der Studierenden Schwierigkeiten mit der Finanzierung eines Hochschulstudiums hat, können diejenigen aus gut situierten Familien im Iran deutsche Sprachkurse zu besuchen und sich dann mit dem Einlegen einer großen Summe Geld an einer deutschen Universität zu bewerben. Diese sozioökonomisch gut aufgehobene Bevölkerungsschicht zeigt linken Akademiker*innen in Deutschland ein verzerrtes Bild von Klassenverhältnissen im Iran und die Forderungen der Menschen auf den Straßen. Es werden die liberalen Freiheitsvorstellungen als alleinige Wünsche aller Menschen präsentiert und Themen wie sozioökonomische Ungleichheit oder ethnische Unterdrückung finden nicht einmal oberflächliche Erwähnung.

Dass der Übergang von Regime-Unterstützer*innen zu Monarchist*innen fließend ist, begründet sich vor allem darin, dass für beide ein Umbruch des etatistischen Status Quo nicht das Ziel ist. Betrachtet man die Forderungen und die Aussagen der monarchistischen und nationalistischen Opposition genauer, merkt man sehr schnell, dass sie auch einen anderen Revolutionsbegriff etablieren wollen. Es geht ihnen nicht um die Umwälzung der gesellschaftlichen und politischen Macht- und Herrschaftsverhältnisse, Ziele wie soziale Gerechtigkeit finden keine Erwähnung. Das geschieht in einer Zeit, in der der Iran durch ein rentierkapitalistisches System eines der ungleichsten Länder der Welt ist, was die Vermögen- und Einkommensverteilung betrifft.

Darüber hinaus sind monarchistische Gruppen stets auf die Unterstützung in- und ausländischer Armeen angewiesen, mit anderen Worten, sie haben keine organische Verbindung zu jenen Bevölkerungsschichten, die die realen Proteste im Iran durchführen und werben nur mit Hilfe von Instrumenten wie der Armee, den Medien wie den pro-monarchistischen Sender Manoto TV und Iran international sowie neuerdings auch sozialen Netzwerken für sich. In einem kürzlich erschienenen Interview mit Manoto TV vertritt der Kronprinz Reza Pahlavi die Auffassung, dass nicht alle der Revolutionsgarden schlimm seien – während die Hauptforderung der iranischen Protestierenden die Setzung der selbigen auf die Terrorliste ist.

Die Verantwortung der Diaspora

Die jetzigen Tendenzen in verschiedenen Reihen der Diaspora sind deshalb problematisch, weil die Vergangenheit gezeigt hat, welche fatale Verantwortung bei ihr liegen kann. Im Zuge des Jahres 1978 führten hunderte ununterbrochene Streiks, Proteste und Widerstandsbewegungen dazu, dass das monarchistische Regime schließlich fiel. Linke Kräfte waren hier fundamental. Die Geschichte sollte sich jedoch wenden, als Ayatollah Khomeini durch die prosowjetische Linke wie die Tudeh-Partei und vermeintliche pragmatische Opposition in den Vordergrund gerückt und aus seinem Exil zurück nach Iran gebracht wurde. Dem Klerus damals wurde nachgesagt, das beste landesweite politische Netzwerk zu haben, um die Massen zu mobilisieren und schnell haben auch westliche Autoren sich dem Argument des pragmatischen und vermeintlich friedvollen religiösen Revolutionärs angenommen. Dieselben Dynamiken sind aktuell mit den Monarchisten zu beobachten. Bestimmte iranische Oppositionelle in der Diaspora argumentieren, dass die Zusammenarbeit mit Monarchisten unabdinglich ist und Kritik bis nach der Revolution warten müsse. Dies ist ein reaktionärer Ansatz, denn unweigerlich würde ein revolutionärer Umbruch in einem solchen Fall dazu führen, dass benannte bereits existierende materielle Asymmetrien direkt in eine neue Ordnung umschlagen und weiteres Elend für alle Unterprivilegierten bringen.

Gegen die undemokratischen Tendenzen in der diasporischen iranischen Opposition kann nur eine starke linke und repräsentative Bewegung mit progressiven Forderungen kämpfen sowie ein ehrlicher kollektiver Umgang mit den Fehlern der Vergangenheit. Solange die iranische Linke sich nicht im Regenerationsprozess befindet und die Stimme von Minderheiten unterrepräsentiert wird, ist der Sturz des Regimes zwar möglich, doch wird das nicht zu einer Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse führen. Die Klassengesellschaft bleibt. Die Geschlechterfrage wird nicht vollständig gelöst und die ethnische Frage wird beiseitegelegt. Bei der Diaspora liegt eine große Verantwortung, denn ihr überproportionaler Zugang zu Öffentlichkeit im Vergleich zur Bevölkerung im Iran birgt umso mehr die Gefahr, dass sich 1979 wiederholt und eine nicht repräsentative Kaste Privilegierter eine Revolution ihrer Stimme und ihrer Essenz beraubt. Der Iran verdient mehr als die Wahl zwischen Krone und Turban, er verdient wirkliche Demokratisierung.